Die Krise in Griechenland hat Ansätze einer direktdemokratischen Verwaltung des Gemeinsamen entstehen lassen. Sie alle widersetzen sich der staatlichen Krisenpolitik im Namen von Troika und Treuhand und suchen nach alternativen Formen der Produktion und Reproduktion. Die Beteiligten warten nicht, dass der Staat ihnen hilft – er kann ohnehin kaum mehr eine Perspektive bieten. Stattdessen besetzen sie Fabriken oder Krankenhäuser, um sie selbst weiterzuführen. Dabei stellen sich eine Reihe ungelöster strategischer Fragen: Wie kann die kollektive Verwaltung konkret aussehen? Wie lassen sich bereits vorhandene Erfahrungen verallgemeinern? Welche übergreifenden Strukturen und Netzwerke müssen entstehen? Aber auch praktische Probleme gilt es zu lösen: von der Beschaffung der nötigen Materialien, über finanzielle Ressourcen bis zu alternativen Formen der Distribution. Die tastenden Suchprozesse sind häufig aus der Not geboren und entlang pragmatischer Entscheidungen entstanden. Sie bearbeiten zumeist direkte Folgen der Austeritätspolitik. Für Fragen transnationaler Organisierung gegen autoritäre Krisenregulation können die hier geführten Diskussionen um direkte Demokratie ein Anknüpfungspunkt sein, um in der europäischen Bewegungsdebatte voran zu kommen. Mit dem Kampf von Viomichaniki Metalleftiki – VIO.ME verbindet sich konkreter Handlungsbedarf für eine Linke auch jenseits griechischer Grenzen. Bei VIO.ME haben die ArbeiterInnen den Betrieb übernommen. 1982 als eine von drei Tochterfirmen des Unternehmens Philkeram gegründet, stellte VIO.ME Baumaterialien her und lieferte sie ins gesamte Land sowie ins benachbarte Ausland. Eines Tages machte sich die komplette Chefetage über Nacht aus dem Staub, da die Pleite des Unternehmens unabwendbar schien. Im Mai 2011 meldeten die Besitzer – die Familie Filippou – Konkurs an. Trotz und wegen des entstandenen Machtvakuums beschlossen die ArbeiterInnen fast einstimmig, die Fabrik zu behalten und die Produktion wieder in Gang zu bringen. Gespräche mit dem Ministerium für Arbeit über eine Legalisierung des Betriebs scheiterten; auch eine Infokarawane von VIO.ME-Beschäftigten, die öffentlichen Druck aufbauen sollte, änderte dies nicht. Dennoch eröffnete die Belegschaft im Februar 2013 mit einem Konzert und einer Solidaritätsdemonstration die besetzte Fabrik. Eine städtische Versammlung zur Unterstützung von VIO.ME wurde bald zum entscheidenden Raum künftiger Strategiebestimmung und Verwaltung. Die Produktion von VIO.ME war damit zur öffentlichen Angelegenheit geworden. Es ging nicht mehr nur um den Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern auch um die Frage, was gebraucht wird und was sich mit den vorhandenen Maschinen produzieren lässt. Von Baumaterialien wurde auf die Produktion von Reinigungsmitteln umgestellt.

Politische Widersprüche

Das Projekt stieß nicht nur auf Gegenliebe, besonders bei den traditionellen Gewerkschaften und parlamentarischen Parteien. Die Kommunistische Partei (KKE) beispielsweise verweigerte die Unterstützung, weil das eigenmächtige Handeln der VIO.ME-ArbeiterInnen jenseits ihrer parteipolitischen Strategie lag. Statt einer Wiederinbetriebnahme von VIO.ME sollten sich die ArbeiterInnen den »regulären« Protesten und Streiks anschließen. Nach Auffassung von Funktionären der KP-nahen Massengewerkschaft PAME hätten die ArbeiterInnen ihren Kampf ordnungsgemäß bis zum Ende führen, dann in die Arbeitslosigkeit treten und schließlich Teil der Erwerbslosenbewegung werden sollen. Auch die großen Gewerkschaftsverbände haben bislang wenig Interesse an VIO.ME gezeigt. Gespräche und Veranstaltungen im Arbeiterzentrum Thessaloniki und die Beteiligung an allen von der Dachgewerkschaft des privaten Sektors GSEE organisierten Generalstreiks änderten daran nichts. Lediglich die, vor allem in der Krisenzeit entstandenen, unabhängigen Basisgewerkschaften unterstützen die ArbeiterInnen. Unter den Parteien stand nur die Linkspartei SYRIZA von Anfang an hinter dem Projekt: Die Unterstützung reichte von einem spektakulären Solidaritätsbesuch des Oppositionschefs Alexis Tsipras bis hin zur direkten Hilfe bei der Distribution der Produkte durch die SYRIZA-Basis.

Praktische Hürden

Da bei VIO.ME nun wieder produziert wird, stellt sich die nächste Frage: Wie kann die Distribution der Produkte organisiert werden? Eine Fabrik steht in dieser Hinsicht vor anderen Problemen als beispielsweise eine vorwiegend für die Region produzierende Landwirtschaftskooperative. Will ein Projekt wie VIO.ME längerfristig überleben, braucht es überregionale Kanäle, um seine Produkte zu vertreiben. Soll dies nicht dem Markt überlassen werden, muss also erprobt werden, wie die Produkte einer solidarischen (Re-)Produktionsökonomie unter direktdemokratischen Bedingungen vertrieben werden können. In Griechenland finden sich die Reinigungsmittel von VIO.ME also nicht in Supermärkten. Sie werden über Netzwerke ohne ZwischenhändlerInnen vertrieben. Die Polizei versucht dies teilweise zu verhindern. Sie werden außerdem in sozialen Zentren und bei öffentlichen Gelegenheiten wie Festivals verkauft. Zwischen ProduzentInnen, VerteilerInnen und KonsumentInnen soll Vertrauen hergestellt werden, das die entfremdenden Verkehrsformen überwindet. Den VIO.ME-ArbeiterInnen geht es dabei nicht um Effizienz, sondern um die Entwicklung einer anderen Form von Arbeit. Das Produkt wirkt auch als Ideenträger, der wandert und dies hoffentlich bald über die griechischen Grenzen hinaus: Direktdemokratische Prozesse wie Vollversammlungen, Selbstbestimmung und Selbstkontrolle im Bereich sozialer Reproduktion bilden die Grundlage einer potenziellen Gegenbewegung gegen die Austeritätspolitik und Krisenverarbeitung von oben.

Neue Formen des Gemeinsamen

Hinter einem VIO.ME-Produkt steckt daher mehr als eine biologische, nach Zitrone riechende Reinigungsflüssigkeit. Es ist der stoffliche Ausdruck alltäglicher Praxis eines nicht warenförmigen Ausbaus des öffentlich Gemeinsamen. Kapitalistische Verkehrsformen wie Lohn, Wert, private Besitzverhältnisse werden durch die direktdemokratische, öffentliche Verwaltung in Frage gestellt. Inwieweit der Ausbau einer solchen Ökonomie, die den üblichen (Re-)Produktionsverhälnissen entgegen steht, sich tatsächlich gegen Märkte und Privatisierungen durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten. Die aktuelle Phase, in der die ArbeiterInnen und ihre UnterstützerInnen alles daran setzen, die Produkte in Griechenland und im Ausland bekannt zu machen, ist für den Erfolg des Projekts von enormer Bedeutung. Als wären die Fragen nach Möglichkeiten der Produktion und Distribution nicht schon kompliziert genug, ist das Projekt auch von Seiten des Staates bedroht. Ständig lauert die Gefahr einer Räumung der Fabrik. Der Fall liegt seit dem angemeldeten Konkurs der Firma beim Insolvenzverwalter. Dieser ist für den Verkauf der Firma Philkeram und der Fabrik zuständig, um die alten Schulden abzubezahlen. Hierfür muss VIO.ME vorübergehend als eigenständige Firma per Gerichtsbeschluss ausgegründet und vom Mutterkonzern abgespalten werden. Diese temporäre Firmenverwaltung soll dann lediglich den Ausverkauf und damit den Rausschmiss der ArbeiterInnen und ihrer UnterstützerInnen organisieren. Ein konkreter Termin steht noch nicht fest, der politische Druck ist jedoch hoch. Vor dem Sommer meldete sich die Energiefirma DEI bei den ArbeiterInnen mit der Forderung, jahrelange Schulden zu begleichen, und mit der Androhung, den Strom abzustellen. Den Gefahren begegnet man pragmatisch: Der Energiefirma wird der Zugang zum Gelände verwehrt. Die Beteiligten bereiten sich politisch auf eine mögliche Räumung vor. Angesichts des breiten Solidaritätspotenzials werden sich die Behörden dies – nach Einschätzung der ArbeiterInnen – aber zweimal überlegen. Die Solidaritätsversammlungen in Thessaloniki haben viele Verbindungen zu anderen sozialen Bewegungen geknüpft, etwa den EinwohnerInnen in Chalkidiki, die sich gegen die Goldminen organisieren, oder dem besetzten Radiosender ET3.

Transnationale Verschränkungen

VIO.ME wirft Fragen auf, die auch für die Linke außerhalb Griechenlands von Interesse sind. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie sich Linke in der BRD zu VIO.ME ins Verhältnis setzen – verschiedene Schritte transnationaler Solidarität sind denkbar: Das Produkt sollte an verschiedenen Orten bekannt gemacht werden. Beispielsweise dort, wo sich Kiezinitiativen und Versammlungen gegen profitorientierte, privatwirtschaftliche Verwaltung von Wohnen, Gesundheitsversorgung, Energieversorgung, Bildung, Erziehung und Kultur organisieren. Sollte eine Räumung der Fabrik anstehen, bedarf es öffentlichen Protests vor den griechischen Botschaften oder Konsulaten. Aber auch eine Vernetzung wie die von 39 sozialen Zentren in Italien kann hilfreich sein. Für die komplizierte Frage der Distribution im Ausland sieht die VIO.ME-Versammlung ein dreistufiges Modell vor: Die Organisation europaweiter politischer Unterstützung stellt die erste Stufe dar. Darauf aufbauend soll direkte Hilfe für die Produktion und als dritte Stufe ein Netzwerk zur Distribution entwickelt werden. Den verschiedenen Spektren kapitalismuskritischer und antikapitalistischer Bewegungen käme die Aufgabe zu, theoretische Diskussionen um alternative Vergesellschaftung mit der Praxis zu verknüpfen und die Möglichkeiten der Distribution von VIO.ME-Produkten auszuloten. Bewegungsintellektuelle, Gruppen und Organisierungen könnten hierbei die Funktion übernehmen, die griechischen Erfahrungen direktdemokratischer Vergesellschaftungsversuche für ihre lokalen Kontexte produktiv zu machen. Lokale Kiezversammlungen gegen steigende Mieten, die zahlreichen gastronomischen Kollektive, die lokalen Blockupy-Bündnisse oder die ersten Versuche einer öffentlichen Wiederaneignung von Energieversorgung wie in Berlin könnten Räume sein, in denen diese Diskussionen geführt werden.