Die Vergesellschaftung der Energiewirtschaft zu fordern, leuchtet aus linker Perspektive schnell ein: endlich fossil-atomare Konzerne unter gesellschaftliche Kontrolle bringen, die lange Zeit enorme Profite einfuhren – zulasten von Umwelt und bergbaubetroffenen Menschen; endlich das Abbaggern weiterer Dörfer für die Braunkohle verhindern und mehr demokratische Mitbestimmung ermöglichen; endlich die Energieinfrastrukturen für eine zukunftsfähige Energieerzeugung nutzen. Kein Wunder, dass entsprechende Forderungen – wechselweise nach Vergesellschaftung, Verstaatlichung oder Enteignung – in Wahlprogrammen, Änderungsanträgen und Presseerklärungen der LINKEN immer wieder auftauchen. Manchmal sind sie spezifiziert (etwa wenn explizit Energiekonzerne oder Netzinfrastrukturen als Ziele genannt werden), manchmal nicht, dann geht’s irgendwie ums Ganze. Doch ist die Vergesellschaftung im Energiesektor in jedem Fall das beste Mittel?
»Bürgerenergien« fürs Klima?
Die Geschichte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erzählt eine andere Story: Es ist das für die Energiewende erfolgreichste und für die Konzerne bitterste Instrument seit nunmehr 20 Jahren – und beruht auf dem Ausbau von überwiegend privatem Eigentum. Im Jahr 2000 verabschiedet, ermöglicht es das EEG jeglichen Investoren, den alten Platzhirschen fast risikolos Marktanteile abzujagen. Am sinnbildlichsten dafür sind die blinkenden Fotovoltaikanlagen von Einfamilienhäusern, die sich die Eigner*innen auf ihre Dächer schrauben. Den Umbau voran treiben jedoch auch größere Freiflächenanlagen oder Windparks vermögender Anleger; Biogasanlagen werden häufig von Agrarunternehmen betrieben. Zwar finanzieren und betreiben solche kapitalintensiven Investments auch Genossenschaften, genau genommen sind allerdings auch sie eine private Gesellschaftsform, keine öffentliche, wenngleich oft (beileibe nicht immer) eher demokratisch und bürgernah organisiert. Gemeinhin firmieren all diese Akteure in Abgrenzung zur alten Energiewirtschaft unter dem Label »Bürgerenergien«.
Allen Nutzern des EEG gemeinsam ist, dass sie mit ihrer Ernte von Sonnen-, Wind- und Biomasse-Energie konventionellen Strom verdrängen, den vormals vor allem die »großen vier« Energieversorgungsunternehmen (EVU) geliefert haben: RWE, E.on, Vattenfall und EnBW. Dass dies möglich ist, liegt am EEG-Mechanismus, der lange aus drei Säulen bestand und für kleinere Anlagen immer noch besteht: Erstens existiert für die Netzbetreiber eine Anschlusspflicht für Windkraftanlagen und PV-Module, der erzeugte Grünstrom muss also grundsätzlich ins System eingespeist werden. Zweitens gab es früher generell und gibt es heute noch für kleinere Anlagen eine Vermarktungspflicht der Netzbetreiber für den eingespeisten Ökostrom. Die kleinen Erzeuger müssen sich damit nicht herumschlagen. Damit verbunden ist drittens für kleinere Anlagen eine garantierte kostendeckende Einspeisevergütung, die für den jeweiligen Anlagenbetreiber 20 Jahre fix bleibt (für Neuanlagen sinkt sie kontinuierlich entsprechend dem technischen Fortschritt). Die im Vergleich zum Börsenstrommix in der Regel höheren Erzeugungskosten von Ökostrom werden dabei in einem Umlagemechanismus auf alle Endkund*innen verteilt (die bekannte EEG-Umlage). Weitgehend ausgenommen davon sind Unternehmen mit hohem Stromverbrauch.
Betreiber größerer Neuanlagen müssen inzwischen ihren Strom selbst vermarkten. Große Anlagen konkurrieren zusätzlich in Ausschreibungen mit anderen Ökostromanbietern um die Vergütung und deren Höhe. Das alles ändert aber nichts daran, dass auch in diesen Fällen die Differenz zwischen Kosten und Erlösen über die EEG-Mechanismen recht zuverlässig ausgeglichen wird, zuzüglich eines Gewinnanteils.
Der Erfolg des EEG
Kurzum: Seit dem Jahr 2000 besteht für Investoren, ob klein oder groß, weitgehende Investitions- und Ertragssicherheit. Im Ergebnis haben wir nicht mehr nur eine Handvoll, sondern über eine Million vorwiegend private Energieerzeuger*innen. Im Jahr 2019 speisten sie mit 237 Terawattstunden (TWh) Ökostrom mehr Elektrizität in die Netze ein, als die derzeit fünf großen EVU mit ihren überwiegend konventionellen Anlagen insgesamt (212 TWh) erzeugten. Die deutsche Ökostromquote kletterte von sechs Prozent im Jahr 2000 auf heute rund 46 Prozent.
Der Erfolg des EGG zeigt also, dass privates Eigentum im Energiesektor aus ökologischer Sicht nicht zwingend problematisch sein muss. Und er macht deutlich, wie wichtig lokales und bürgerschaftliches Engagement in der Energiewende sind, weil sie die Akzeptanz vor Ort genauso fördern wie regionale Wertschöpfungsketten. Wohl kaum jemand würde also mit Blick auf den Erfolg des EGGs fordern, die kleinen Anlagenbetreiber zu enteignen, um den Staat künftig anstelle der bisherigen Akteur*innen PV- und Windkraftanlagen planen, errichten und betreiben zu lassen.
Das bedeutet aber auch: Wer das EEG in seinen Grundsäulen stützt, kann in Anträgen nicht per se die Verstaatlichung des gesamten Energiesektors fordern. Vielmehr kommt es darauf an, Bedingungen zu schaffen, die den weiteren Ausbau ermöglichen – angesichts immer weniger ertragreicher Flächen und anhaltender Widerstände einiger Landesregierungen und lokaler Akteure. Ein Schlüsselelement dabei ist, die Standortkommunen an den Erträgen der Ökostrombetreiber angemessen und direkt zu beteiligen, was bisher kaum geschehen ist.
Öffentliche Bürgerenergien
Aber auch immer mehr Kommunen und Stadtwerke wenden sich der eigenen Erzeugung von regenerativen Energien und der Bereitstellung von Energiedienstleistungen zu. Aus linker Sicht ist dies ebenfalls eine Form der Bürgerenergie, und zwar eine tatsächlich öffentliche. Die Bedingungen für Stadtwerke und Gemeinden werden besser, wenn sie die Verteilnetze zurückerlangen können, die sie vielfach in den letzten Jahrzehnten an private Unternehmen abgetreten haben. Denn wer die Infrastrukturen besitzt, also selbst die lokalen Gas- und Stromnetze sowie Speicher betreibt, hat mehr Spielraum, die lokale Energiewende effizient und sozial verträglich zu steuern. Dabei helfen dann auch die Einnahmen über die Netzentgelte.
Für ein öffentliches Übertragungsnetz
Vor diesem Hintergrund kommt die Forderung nach Überführung in öffentliches Eigentum nicht nur für Netze im Nieder- und Mittelspannungsbereich, wie sie Kommunen gut nutzen können, sondern auch für die höchste Netzebene auf. Diese besteht aus dem sogenannten Übertagungsnetz, das die meist aufgeständerten Höchstspannungsleitungen und die dazugehörigen technischen Anlagen umfasst. Diese Stromautobahnen liegen in der Hand von vier privaten Konzernen, den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB). Wären sie staatlich, könnten die vier privaten Regelzonen leicht zu einem Netz zusammengefasst werden, was Kosten sparen und Systemdienstleistungen erleichtern dürfte.
Zudem gehört solch eine für potenziellen Missbrauch sensible Infrastruktur schlicht in die öffentliche Hand. Schließlich gründet eine wesentliche Ursache für das tiefe Misstrauen in vielen Teilen Deutschlands gegen den Übertragungsnetz-Ausbau darin, dass die vier ÜNB zwar von der Bundesnetzagentur (BNetzA) überwacht werden, aber als private Konzerne ein Eigeninteresse daran haben dürften, einen umfangreicheren Netzausbau zu planen, als notwendig wäre. Schließlich können sie nicht nur die Investitionskosten auf die Stromkund*innen umlegen, sondern auch die staatlich festgesetzten Garantierenditen darauf – ihr Geschäftsrisiko ist demgegenüber gering.
Gleichwohl bedürfte auch ein öffentlicher ÜNB weiterhin staatlicher Regulierung durch die BNetzA. Auch Stadtwerke und kommunale Regionalversorger sind der BNetzA als Netzbetreiber auf den unteren Netzebenen unterworfen. Zu Recht, denn grundsätzlich sollte jedes Unternehmen mit Versorgungsauftrag und quasi monopolisierter Infrastruktur nicht nur so reguliert werden, dass es – unabhängig von der jeweiligen unternehmerischen bzw. politischen Führung – diskriminierungsfrei gegenüber anderen Akteuren oder Kunden seinem Auftrag nachkommt. Auch der Reiz, aus wettbewerblicher Vormachtstellung heraus Zusatzerträge auf Kosten der Verbraucher*innen oder Dritter zu erwirtschaften, muss gezügelt werden. Gerade große öffentliche Unternehmen agieren hier nicht zwingend besser als private – sofern man sie durch schlechte Kontrolle bzw. unzulängliche Gesetzgebung gewähren lässt. Das Ausbremsen von sinnvollen, aber konkurrierenden Fahrdienstleistungen durch die Deutsche Bahn als Streckeneigentümer sei hier warnendes Beispiel.
Mehr Regulierung und juristisch nachjustieren
Ohnehin wächst die Rolle der Regulierung und differenzierter, aber regelbasierter staatlicher Vorgaben, auch gegenüber Kleinunternehmen. Gerade die Bürgerenergien benötigen diese als Schutz, um nicht schrittweise durch jene Großunternehmen und Fonds verdrängt zu werden, die mittlerweile auf den Energiewendezug aufspringen. So existieren im EEG für Bürgerenergien einige gesetzliche Privilegien. Dazu gehören Vereinfachungen bei Ausschreibungsverfahren bzw. Befreiungen davon sowie eine in Teilen bis auf null reduzierte EEG-Umlage für selbst verbrauchten Strom.
Die rechtliche Definition von Bürgerenergie ist allerdings schwierig, sie musste im EEG mehrfach verändert werden. Investoren hatten Strohmann-Modelle aus dem Boden gestampft, um in den Genuss der Bürgerenergie-Privilegien zu kommen. Auch aus linker Sicht sollte beim Begriff der Bürgerenergie genau differenziert werden, denn wenn das Solardach einer Familie und das Windkraft-Investment finanziell potenter Zahnärzte gleichermaßen Bürgerenergie sein sollen, verschwimmen die Maßstäbe. Eine Onshore-Windenergieanlage mit drei Megawatt Nennleistung kostet immerhin rund drei Millionen Euro. Dafür müsste Oma lange stricken.
Hinzu kommt, dass sich in verschiedenen Lobbyarbeit betreibenden Organisationen zahlreiche Unternehmen unter dem wärmenden Mantel der »Bürgerenergien« versammelt haben, die großteils nicht viel mehr sind als übliche Investoren oder Dienstleistungsunternehmen. Zahlreiche breitbeinig geführte Kampagnen gegen eine angemessene solidarische Beteiligung auch von Ökostrom-Anlagenbetreibern an der Finanzierung des EEG-Umlagesystems zeugen davon, dass das Gemeinwohl nicht immer unbedingt an erster Stelle steht. Jegliche Bürgerenergien unkritisch zu hofieren, wäre offensichtlich genauso unklug, wie sie nicht zu schützen, wenn es nottut.
Energiekonzerne vergesellschaften?
Wie steht es schließlich um eine Vergesellschaftung der großen Energiekonzerne? Sollte man sie fordern – wie es die von rheinländischen Aktivist*innen jüngst ins Leben gerufene Kampagne »RWE & Co enteignen!« tut? Im Sinne der eingangs skizzierten Konfliktfelder spräche einiges dafür, auch wenn die konkreten Umsetzungsvorstellungen der Initiative eher nebulös sind.
Für etwas Vorsicht in der Sache sprechen jedoch folgende Argumente: Zum einen bedeutet »öffentlich« nicht automatisch »zukunftsfähig«. So haben die 15 Prozent kommunaler RWE-Anteilseigner den fossilistischen Kurs des Konzerns stets unterstützt, weil Einnahmen winkten. Auch der schwedische Staatskonzern Vattenfall hat in Deutschland lange Zeit nie anders agiert als RWE: bedingungslos pro Kohle und Atom. Sein Abschied von der Braunkohle in der Lausitz resultierte nicht aus eigener klimapolitischer Überzeugung, sondern diente dazu, eine Sparte mit schlechtem Image an einen dubiosen tschechischen Finanzinvestor abzustoßen.
Staatskonzerne sind nicht automatisch besser
Die Konzerne übrigens, deren Produkten weltweit der größte CO2-Ausstoß zuzuordnen ist (Griffin 2017), sind fast alle in Staatshand oder halbstaatlich: Die Saudi Arabian Oil Company (Aramco), die National Iranian Oil Company, die Coal India Limited und der chinesische Öl- und Petrochemie-Konzern Sinopec gehören vollständig dem jeweiligen Staat, Gazprom zu 50 Prozent.
Vielleicht sind solche Aufzählungen des Versagens plump. Sie fokussieren auf Negativbeispiele und nehmen das konkrete Umfeld nur unzulänglich in den Blick. Sie vereinfachen schon deshalb, weil sie den (mangelnden) politischen Willen der jeweils Handelnden und Herrschenden ausblenden. Staatlich sei eben nicht automatisch demokratisch, sozial und ökologisch, so die Schlussfolgerung manch linker Debatten – allein der realexistierende Sozialismus verweise ja darauf. Genau diese Defizite gelte es eben auszuschließen. Und wie, wenn nicht mit öffentlichem Eigentum, ginge das überhaupt?
Die praktische Wahrheit dürfte jedoch ernüchternd sein: Wie ein wirklich demokratisch geführtes öffentliches Unternehmen in der Größe eines komplexen Großkonzerns in einem aggressiven Umfeld herkömmlicher Großunternehmen organisiert werden müsste – und zwar so, dass seine Handlungsfähigkeit in Richtung sozial-ökologischem Umbau nicht mit wechselnden politischen Mehrheiten bei den öffentlichen Anteilseignern zusammenbricht –, ist kaum ausgearbeitet.
Wer trägt am Ende die Kosten?
Außerdem bleibt zu bezweifeln, ob eine gesellschaftliche Mehrheit für die Enteignung von Großkonzernen stimmen würde, deren altes Kerngeschäft ohnehin zerbröselt und bei denen am Ende Kosten statt Erträge auf die Gesellschaft zukommen könnten. Wäre es also für eine angeschlagene Linke in Deutschland nicht viel sinnvoller, ihre Kraft auf erfolgversprechendere Vergesellschaftungs-Initiativen zu konzentrieren, die noch dazu die Lebensumstände der meisten Menschen viel unmittelbarer betreffen? Also etwa zur Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen oder von Krankenhäusern sowie von strategischer Infrastruktur?
Für eine aufgeklärte Debatte zu Eigentum
Was es in den linken Auseinandersetzungen um die Energiewirtschaft braucht, ist eine aufgeklärte Debatte zu Eigentum und Regulierung. Den Kohleausstieg muss letztlich der Staat verordnen, und nicht der Eigentümer. Die Kämpfe um Netz-Rekommunalisierung müssen genauso unterstützt und vorangetrieben werden wie Initiativen zum Ausbau der regenerativen Erzeugung durch Städte und Gemeinden. Ansonsten besteht die Herausforderung auch für die Linke vor allem darin, an einem beschleunigten und sozial gerechten Aufbau eines regenerativen Energiesystems mitzuwirken, das aus vielfältigen Eigentumsformen besteht. Das macht die Sache zwar etwas komplizierter, aber es könnte ihr dienlicher sein.