»Schon wieder ein linker Großbegriff mit Adjektiv! Lasst uns doch an konkreten sozialökologischen Projekten arbeiten, an Konversionsinitiativen, Energiewende, entgeltfreiem öffentlichen Nahverkehr.« Grosse Utopien zu entwerfen und darauf zu achten, dass die Realität ihnen ähnlich wird – viele Probleme der Linken sind daraus entstanden. Transformation beginnt mit Einstiegen – ja, aber Einstiege in was? Was ist das Verbindende, Orientierende? Es bedarf eines Korrektivs, »vision« nennen das amerikanische Aktivisten.
Was kann das in grünen Politiken bedeuten? Die konsequente Verbindung von sozialer und ökologischer Frage ist eine der wesentlichsten Dimensionen linker Politik. Die soziale Seite kann die Linke glaubhaft vertreten, an der ökologischen Überzeugungskraft wird vielversprechend gearbeitet, ohne dass die veröffentlichte Meinung davon besondere Notiz nehmen würde. Der Programmatik der Grünen in den 1980er Jahren entnommen, ist der sozial-ökologische Umbau ein para- digmatisches Projekt einer zu entwickelnden Mosaik-Linken. Doch wie kann die gegenhegemoniale Verankerung gesichert werden? Welches Profil hat die sozialistische Linke im Unterschied zum BUND? Unterschiedliche Zugänge sollen verbunden werden – doch Widersprüche werden häufig verdeckt, strittige Punkte wie die Eigentums- oder Staatsfrage umgangen. Wir experimenteren mit dem Begriff des »Grünen Sozialismus« und wollen überlegen, ob er die Leerstelle des linken, ökologischen, feministischen Imaginären füllen könnte.
Angesichts der Kräfteverhältnisse ist nicht »grün« das Problem, sondern der Sozialismus. Bereits der »Ökosozialismus« scheiterte, weil er zu Zeiten weltgeschichtlicher Umbrüche des Neoliberalismus und des Zusammenbruchs des Staatssozialismus entwickelt wurde – der Sozialismus hatte keine Konjunktur, galt als verstaubt und geschlagen. Ökosozialismus schmolz zu einer sympathischen Sekte, die das »Sein-Sollen« betonte, aber selten in konkrete sozial-ökologische Kämpfe intervenierte. Die ökologischen Fragen erlebten derweilen eine erste Konjunktur, nicht zuletzt mit dem Weltgipfel in Rio 1992. In einer passiven Revolution (Gramsci) wurde die soziale von der ökologischen Frage weitgehend geschieden und über die Institutionalisierung von Umweltpolitiken und Weltklimagipfeln sowie die Integration von Grünen und NGOs in das neoliberale Management der Globalisierung absorbiert. Mit beschränkten Erfolgen: Die ökologischen und sozialen Krisen – die ökologischen mit immensen sozialen und die sozialen mit ebensolchen ökologischen Folgekosten – schreiten weitgehend ungebremst voran. Der grüne Sozialismus muss also verbunden sein mit konkreten Energiekämpfen (vgl. LuXemburg 1/2012) und Projekten der Konversion, der gerechten Übergänge (LuXemburg 1/2011, 3/2010).
Inmitten der grossen Krise des Neoliberalismus und der autoritären Kürzungspolitiken in Europa wecken Aussichten auf einen »Grünen Kapitalismus« (Fücks/Steenbock 2007; kritisch Candeias/Kuhn 2008) oder eine »Grüne Ökonomie« (Heinrich-Böll-Stiftung 2012; kritisch Brand 2012) Hoffnungen. Investitionen sollen in Richtung Energiewende umorientiert und ökologische Modernisierung mit der notwendigen technologischen und Akkumulationsbasis zur Schaffung von Millionen von Arbeitsplätzen verbunden werden. »Grüne Ökonomie« zielt auf Wachstums- und Exportförderung, nicht auf Begrenzung des Ressourcenverbrauchs. Der Gegensatz von Ökonomie und Ökologie soll nicht versöhnt werden, wie noch zu Zeiten von »Nachhaltigkeit «. Durch die Inwertsetzung von Natur und Umweltschutz wird die Bearbeitung der ökologischen Krise selbst zum Faktor und zur Triebkraft der erweiterten kapitalistischen Akkumulation. Hegemonie soll unter Einbeziehung ökologischer Interessen wieder hergestellt werden – ein Elitenkonsens, garniert mit der Hoffnung der Subalternen auf neue Jobs. Bislang behindern austeritätspolitische Blockaden die angestrebte Dynamik der Grünen Ökonomie. Doch im Streit um die so genannten Wachtsumskomponenten zur Ergänzung des europäischen Fiskalpakts werden bereits Anreiz- und Investitionsprogramme für ökologische Erneuerung diskutiert. Hier treffen sich kapitalistische Interessen mit den Interessen von Sozialdemokratie und Gewerkschaften (selbst bei eher linken Aufrufen wie www.europa-neu-begruenden.de). Gegen diesen neu in Szene gesetzten (noch lange nicht durchgesetzten) »grünen Kapitalismus« positioniert sich der grüne Sozialismus. Der Begriff versucht die unterschiedlichen Interessen und Bewegungen im Sinne »revolutionärer Realpolitik« so zu verknüpfen, dass sie »in allen ihren Teilbestrebungen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen der bestehenden Ordnung« hinausgehen (Luxemburg). Dabei werden alte sozialistische Problematiken, wie Macht- und Eigentumsfragen, Umverteilung, Planung und Demokratie, aktualisiert und mit neuen Problemstellungen verknüpft. An die realen Widersprüche und Bedingungen, Kräfte und Bewegungen, die sich an unterschiedlichen Punkten engagieren, Konflikte austragen und konkrete experimentelle Praxen entwickeln, muss angeknüpft werden.
Beispiel Umverteilung
Umverteilung ist wesentliche Voraussetzung jeder linken Politik. Sie kommt in der »grünen Ökonomie« nicht vor, im so genannten Green New Deal spielt sie eine Nebenrolle, die in Zeiten von Kürzungspolitik nicht ernst gemeint ist – »ehrlich machen« nannte die Partei Die Grünen deren Relativierung. Aus neoliberaler Sicht muss der Schuldendienst an die eben noch vom Staat geretteten Finanzinstitutionen geleistet werden. Auch Sozialdemokraten und Grüne halten sich daran, um das »Vertrauen der Märkte« zu sichern, sie stimmten europaweit der Ratifizierung des Fiskalpaktes zu. Dies bedeutet nicht nur eine neue Welle der Umverteilung von unten nach oben, sondern verschärft die Wirtschaftskrise, treibt ganze Länder in die Depression, ohne dass Schulden nachhaltig abgebaut werden könnten.
Über diese illegitimen Schulden wäre in demokratischen Konsultations- und Entscheidungsprozessen zu beraten, ein Schuldentribunal (vgl. Candeias 2011b) zu konzipieren. Ein allgemeiner Schuldenschnitt (nicht nur für Griechenland), einer Währungsreform vergleichbar, wäre notwendig. In Verbindung mit einer gerechteren Steuerpolitik, die Kapital und Vermögende wieder stärker zur Finanzierung des Öffentlichen heranzieht, also das gesellschaftliche Mehrprodukt wieder der Allgemeinheit zurückführt, könnten so Umver- teilung gestoppt, umgekehrt Spielräume für eine andere Politik überhaupt wieder eröffnet werden, auch für eine sozial-ökologische Politik. Die Bereitschaft für eine solche Politik in der Bevölkerung gründet auf der Entlastung von erdrückenden (finanziellen) Existenznöten. An diesem Punkt treffen sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen, wie die CDTM (Griechische Kampagne zum Schuldenaudit, vgl. LuXemburg 2/2012, 34ff) und linke Parteien wie Syriza und die Izquierda Unida, die im Rahmen der europäischen Krisenproteste für Schuldenaudits, Vermögensbesteuerung, Finanztransaktionssteuern, Bankenabgabe usw. streiten.
Sozialisierung der Investitionen
Perspektivisch ist eine schrittweise Sozialisierung der Investitionsfunktion notwendig – übrigens eine alte Keynessche Position: Wer entscheidet über den Einsatz der (etwa ökologischen) Ressourcen in der Gesellschaft und darüber, welche Arbeiten gesellschaftlich notwendig sind? Der Markt hat sich als vermeintlich effizientester Allokationsmechanismus für Investitionen blamiert. Die Überakkumulation von Kapital produziert Wellen spekulativer Blasen, gefolgt von Kapitalund Arbeitsplatzvernichtung, während immer grössere Bereiche gesellschaftlicher Reproduktion wie Erziehung und Ausbildung, Umwelt, Hungerbekämpfung, Infrastrukturen und öffentliche Dienstleistungen liegen bleiben bzw. kaputt gespart werden. Die »grüne Ökonomie « setzt auf Inwertsetzung und Markt. Doch es dauert zu lang – zumal die Grosskonzerne des fossilen Kapitalismus in die grüne Ökonomie einsteigen und zugleich ihr altes fossilistisches Fixkapital möglichst lange verwerten wollen. Einen sanften Übergang gibt es nicht: Die gewaltige Aufgabe, bis 2050 die Treibhausemissionen um 80 Prozent zu reduzieren, also die gesamte Wirtschaft binnen drei Jahrzehnten vom über 150 Jahre alten fossilistischen Zeitalter in eine solare Zukunft zu katapultieren, ist ohne Brüche und Krisen unmöglich. Wird der Umbau konsequent betrieben, ist eine Vernichtung alter Branchen und Kapitale (und entsprechende Gegenwehr) unvermeidlich. Wenn die Märkte ihre Investitionsfunktion nicht wahrnehmen, dann muss diese weitaus stärker zur öffentlichen Aufgabe werden: internationale Finanzregulierung, Vergesellschaftung »systemrelevanter« Banken und Ausbau eines Netzes öffentlicher Banken, breite Einführung partizipativer Haushalte auf allen Ebenen. Sozialisierung von und partizipative Entscheidung über Investitionen ist Voraussetzung eines linken und sozialistischen Projekts struktureller Umgestaltung. Ohne das lassen sich Verteilungspolitiken rasch wieder rückgängig machen.
Rückgewinnung des Öffentlichen
Eine Transformation von Produktions- und Lebensweise ist notwendig, nicht durch Inwertsetzung und damit Privatisierung von natürlichen Ressourcen, sondern durch Erhalt des allgemeinen und öffentlichen Charakters der natürlichen Commons und anderer grundlegender Reproduktionsbedingungen (public goods) und den Ausbau kollektiver kostengünstiger, perspektivisch kostenloser öffentlicher Leistungen (z.B. Ausbau eines kostenlosen ÖPNV statt Stützung der Autokonzerne). Ein grüner Sozialismus stellt das Öffentliche in den Mittelpunkt, rekommunalisiert zentrale Infrastrukturen und garantiert demokratische Entscheidungen über den Umbau von Produktions- und Konsumweise. Mit dem Ausbau des kollektiven Konsums durch Stärkung sozialer und anderer Infrastrukturen sowie allgemeiner solidarischer Sicherungssysteme kann der auch in Teilen der gewerkschaftlichen Linken verbreiteten Fixierung auf Lohnerhöhung und stofflichen Warenkonsum entgegen gearbeitet werden – ohne sich in Verzichtsdebatten zu verkämpfen. Mit einem solchen (nicht-warenförmigen) Ausbau des Öffentlichen werden zugleich Märkte und Privatisierung zurückgedrängt. Die »grüne Ökonomie« hingegen favorisiert privat-kapitalistische technische Lösungen (techno fixes), einschliesslich grosstechnischer Projekte wie Desertec, riesiger Offshore-Windparks, monopolisierter transkontinentaler Supergrid-Netze für den grossräumigen Stromexport. Entsprechend stehen starke Kapitalfraktionen hinter einem grün-kapitalistischen Projekt. Ihre Technik konterkariert das dezentralisierende Potenzial neuer Technologien – »Lösungen«, die eine Vielzahl neuer sozial-ökologischer Konflikte produzieren: false solutions (vgl. LuXemburg 1/2012). Hier berühren sich zahlreiche Bewegungen und lokale Initiativen mit linken Landes- und Kommunalpolitikern: Gegen eine von oben verordnete, konzerngetriebene Energiewende streiten sie für dezentrale und kommunale Lösungen: Rekommunalisierungen, Energiegenossenschaften, Bioenergiedörfer etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Mit dem Begriff der Energiedemokratie arbeiten dabei unterschiedliche Bewegungen und Gruppen an einer gemeinsamen Orientierung (vgl. ebd.).
Auf Reproduktionsökonomien Orientieren
Für eine sozial-ökologische Transformation ist auf reproduktive Bedürfnisse zu orientieren; unsere wachstumsorientierte kapitalistische Ökonomie ist in eine »Reproduktionsökonomie « zu transformieren, die sich zu beschränken weiss und zugleich neuen Reichtum schafft (vgl. Candeias 2011a, 96). Im Zentrum einer Transformation würden Bereiche stehen, die gemeinhin unter einen (weiten) Begriff der Reproduktions- oder Sorgearbeiten fallen: Ausbau bedürfnisorientierter sozialer Infrastrukturen öffentlicher Gesundheit, Pflege, Erziehung und Bildung, Forschung, soziale Dienste, Ernährung und Schutz unserer natürlichen Umwelten. In diesen zentralen Bereichen beklagen alle seit Jahren Mangel, es sind die einzigen Bereiche, in denen die Beschäftigung in Industrieländern wächst. Sie sind öffentlich zu halten und nicht dem Markt preiszugeben. Dies wäre zugleich ein Beitrag zur Ökologisierung unserer Produktionsweise (da diese Arbeit mit Menschen selbst wenig Umweltzerstörung mit sich bringt), zur Bearbeitung der Krisen von (bezahlter) Arbeit und (unbezahlter) Reproduktion. Und gut gewendet können sie einen Beitrag zur emanzipativen Gestaltung von Geschlechterverhältnissen leisten, durch den Blick auf reproduktive Funktionen.
Daher geht es auch um die Neudefinition und Neuverteilung dessen, was wir als gesellschaftlich notwendige Arbeit verstehen (4in1-Perspektive, vgl. LuXemburg 2/2011) – durch Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, Ausdehnung kollektiver, öffentlich finanzierter Arbeit, orientiert an der Reduktion von Stoff- und Energieverbrauch, am Beitrag zu menschlicher Entwicklung, am Reichtum allseitiger Beziehungen, nicht an der Produktion von Mehrwert. Hier verbindet sich das Gefühl derer, die unten sind, dass fremd und gegen sie über sie verfügt wird, mit dem starken Bedürfnis nach Partizipation auch der solidarisch-libertären Mittelschichten. Wachstumskritische Bewegungen, feministische Politiken und Dienstleistungsgewerkschaften wie ver.di können an solchen Punkten zusammenkommen. Diese Reorientierung auf reproduktive Bedürfnisse geht einher mit einer Orientierung auf Binnenmarkt und -produktion. Globale Produktionsketten werden seit langem überdehnt und führen zur Verschwendung von Ressourcen. Es geht dabei nicht um einen »naiven Antiindustrialismus« (Urban), sondern vielmehr um eine alternative Produktion. Das E-Auto zur Fortschreibung der Exportstrategie deutscher Automobilkonzerne bspw. ist keine alternative Produktion: Die Produktion der Batterien ist Energie- und Ressourcen-intensiv und belastet die Umwelt zusätzlich mit einer ganzen Reihe hochgiftiger Substanzen. Darüber hinaus ändert eine Orientierung auf E-Autos nichts an dem enormen Flächenverbrauch und der Versiegelung der Landschaft durch Strassen. Stattdessen wäre über die Konversion der betreffenden Unternehmen hin zu ökologisch orientierten Dienstleistern für öffentliche Mobilität nachzudenken, die von der Region ausgehend integrierte Mobilitätskonzepte realisieren (vgl. LuXemburg 3/2010).
Auf diese Art könnten die in Exportorientierung und Krisenkorporatismus verhedderten Gewerkschaften wie die IG Metall wieder eigenständige Perspektiven entwickeln, die sie nicht immer wieder in Gegensatz zu den anderen Teilen der Mosaik-Linken bringen oder als Krisengewinnler gegenüber den europäischen Partnergewerkschaften positioniert. Eine solche Tendenz zu Deglobalisierung und Regionalisierung der Wirtschaft trägt auch zum Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte und der Exportfixierung bei. Und sie nimmt im globalen Süden den Druck zur Einschreibung in globale Produktionsketten, in extraktivistische Politiken und Rohstoffströme sowie eine imperiale Lebensweise, eröffnet Raum für eigenständige Entwicklung. Notwendig ist darüber hinaus die Entwicklung einer globalen Stoff- und Ressourcenplanung, die eine gerechte Verteilung sichert, den Verbrauch begrenzt und reproduktive Bedürfnisse stärkt. Eine solche Reproduktionsökonomie bedeutet mittelfristig, dass sich Bedürfnisse und Ökonomie qualitativ entwickeln, aber nicht mehr quantitativ bzw. stofflich wachsen.
Gerechte Übergänge zum grünen Sozialismus
Ein gerechter Übergang – Just Transition – bedeutet kurzfristig: Bestimmte Bereiche müssen schrumpfen (bspw. Teile der mit hohem Stoffumsatz verbundenen industriellen Produktion), andere zunächst wachsen (bspw. die gesamte Care-Ökonomie), bei relativer Entkopplung vom stofflichen Wachstum. Ein solches qualitatives Wachstum ist übergangsweise nicht zuletzt aufgrund der Defizite in vielen Bereichen der Reproduktion notwendig – dies gilt vor allem für Länder des globalen Südens. Hier ist ein simpler Gegensatz von Wachstums- versus Postwachstumspositionen kontraproduktiv. Dabei weisen Debatten um Buen Vivir (dem Guten Leben, vgl. LuXemburg 2/2010) und sozial-ökologische Entwicklungsweisen jenseits westlicher Lebensweisen im globalen Süden über Wachstums- und Modernisierungsvorstellungen hinaus. Auch hier sind falsche Gegensätze zu vermeiden: Nicht »Entwicklung« an sich ist das Problem, nicht die »moderne« Zivilisation, sondern eine spezifische Form kapitalistischer (oder auch staatssozialistischer) Entwicklung und bestimmter gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Hier muss eine politische Übersetzung der jeweiligen Erfahrungen erfolgen, dann bieten sich zahlreiche Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen sozial-ökologischen und transformatorischen Kämpfen im globalen Süden und im Norden.
Gerechte Übergänge müssen Perspektiven für die von der Klimakrise am stärksten Betroffenen wie für die von steigenden Kosten (z.B. der Energiewende) und dem Umbau (z.B. dem Strukturwandel durch industrielle Konversion oder durch Rückbau etwa der Rüstungsindustrie) bedrohten Beschäftigten, Gemeinden und Länder bieten. In diesem Sinne versuchen Just-Transition-Initiativen Klimagerechtigkeits- und Arbeiterbewegung zusammenzubringen. Andernfalls werden immer wieder soziale gegen ökologische Interessen ausgespielt oder die Berücksichtigung von Interessen der unteren Klassen (bessere Umweltbedingungen und bewusster Konsum) oder von Beschäftigteninteressen (mehr Jobs) bleibt äusserlich. Kriterien für einen solchen gerechten Übergang zu einem grünen Sozialismus könnten sein: Alle zu treffenden Massnahmen müssten daran gemessen werden, ob sie
- relevant zur Senkung von CO2-Emissionen beitragen,
- zur Reduzierung von Armut und Vulnerabilität (Verletzlichkeit),
- zur Reduzierung von Einkommens- und anderen Ungleichheiten,
- Beschäftigung und Gute Arbeit befördern und
- demokratische Partizipation der Einzelnen ermöglichen.
Sicher kann die Liste der Kriterien beliebig fortgeführt werden. Für eine erste, interventionsfähige Methode zur quantitativen Beurteilung wären dies wesentliche Punkte.
Partizipative Planung
Die Notwendigkeit, schnelle strukturelle Veränderungen »unter Zeitdruck« (Schumann 2011) herbeizuführen, macht Elemente partizipativer Planungsprozesse, consultas populares und peoples planning processes, dezentraler demokratischer Räte erforderlich (regionale Räte waren in der Auseinandersetzung um die Krise in den Automobil- und Exportindustrien bereits in der Diskussion, vgl. IG Metall Esslingen 2009, Lötzer 2010, Candeias/Röttger 2009). Unabdingbar rasche Veränderungsprozesse wurden auch in der Vergangenheit mittels Planung vollbracht (z.B. in den USA in den 1930er und 40er Jahren). Von der »Überlegenheit des sozialistischen Grundplans« sprach selbst Joseph Schumpeter (1942, 310ff), der glühende Anhänger der von ihm selbst so genannten »schöpferischen Zerstörung« des Kapitalismus. In der Problematik schneller Übergänge verfügen sozialistische Positionen also über ein starkes Argument – doch sollte es sich um partizipative Planung handeln (Williamson 2010). Nur so kann Vergesellschaftung mit überkommenen Macht- und Eigentumsverhältnissen des Kapitalismus brechen. Angesichts negativer Erfahrungen mit autoritär-zentralistischer Planung können regionale Experimente einen Einstieg ermöglichen.
Die Demokratisierung und Dezentralisierung vorhandener überregionaler Planungsprozesse im Gesundheitssystem, bei Netzplanungen im Energie- und Bahnbereich, im Bildungswesen etc. können weitere Ansatzpunkte sein. Schwieriger ist es mit der globalen Stoff- und Ressourcenplanung – Erfahrungen internationaler Organisationen oder die gigantischen Planungserfahrungen transnationaler Konzerne sind kaum unmittelbar demokratisierbar.
Wirkliche Demokratie
Die Repräsentations- und Legitimationskrise des politischen Systems hat viel damit zu tun, dass wesentliche Bedürfnisse der Bevölkerung nicht berücksichtigt werden, die Menschen selbst nicht mitwirken können. Der Ausbau des Öffentlichen im Sinne einer vorsorgenden Wirtschaft muss daher zugleich eine radikale Demokratisierung des Staates sein. Weder der »wohlmeinend« paternalistische und patriarchale fordistische Wohlfahrtstaat noch der autoritäre Staatssozialismus, schon gar nicht ein neoliberaler Umbau von öffentlichen Diensten auf Wettbewerb und reine betriebswirtschaftliche Effizienz waren besonders emanzipativ. Ein linkes Staatsprojekt muss also die von den neuen (Demokratie-)Bewegungen geforderte Erweiterung der Teilhabe und Transparenz realisieren – und in sozialistischer Perspektive auf die Absorption des Staates in die Zivilgesellschaft hinarbeiten, wie es bei Gramsci heisst. Partizipation heisst nicht, seine Meinung äussern zu dürfen, sondern wirkliche Entscheidungen beeinflussen zu können. Hier trifft sich z.B. die Bewegung gegen Stuttgart21 mit Occupy und der Bewegung der Empörten. Das autoritär-neoliberale Krisenmanagement läuft dem entgegengesetzt.
Dabei geht es nicht nur um das Öffentliche des Staates, sondern auch um die Demokratisierung der Wirtschaft: Die »Leistungen « von Management und Shareholder-value– Konzepten in der Unternehmensführung sind angesichts von Kurzfristdenken, Finanzkrise, exorbitanten Managergehältern, Steuerhinterziehung, Pleiten und Massenentlassungen sowie wachsender ökologischer Zerstörung in Zweifel geraten. Auch die klassische betriebliche Mitbestimmung konnte dem Druck transnationaler Konkurrenz und finanzdominierter Kontrolle nicht ausreichend begegnen, geriet manchmal selbst in Verwicklungen von Kollaboration und Korruption. Es ist also Zeit für eine über die klassische Mitbestimmung hinausgehende Demokratisierung der Wirtschaft (vgl. LuXemburg 3/2011), für eine weitreichende Partizipation von Beschäftigten, Gewerkschaften, Bevölkerung/Konsumenten und anderen Stakeholdern an Entscheidungen in Betrieben (und zwar entlang der gesamten, transnationalen Produktionskette).
Entscheidend ist, dass alle genannten Elemente auf die Erweiterung der gemeinsamen Handlungsfähigkeit ausgerichtet sind, die Einzelnen befähigen, Protagonisten ihrer eigenen Geschichte zu werden. Denn es ist »Sache eines jeden von uns, das Divergierende zu einer Einheit zu bringen« (Peter Weiss [1975] 1983, 204). Diese Einheit ist politisch zu denken – als Transformationslinke etwa, die weiss: Nichts, was hier genannt wurde, ist ohne heftige Auseinandersetzung zu haben (Goldschmidt u.a. 2008, 836 ff).