Du sagst, Strategien des Klimaschutzes allein reichen nicht mehr. Warum? 

Weil viele Menschen schon heute den zerstörerischen Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind, und zwar weltweit. Zwar wächst allmählich das Bewusstsein, dass die Zeit abläuft und dass wir radikal handeln müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber wir müssen auch mit den Folgen umgehen, die nicht verhindert worden sind. Dass es bereits massive Schäden und Verluste gibt, wird oft vergessen. Betroffen davon sind zumeist die Armen und Marginalisierten, zum großen Teil im globalen Süden.

Welche Folgen hat das für sie?

Klimabedingte Vertreibung und erzwungene Migration werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das dominante Thema sein. Allein 2020 gab es 55 Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sieben Millionen durch »Naturkatastrophen«. Dazu kommen die »Klimageiseln«, die ihre lebensbedrohliche Situation verlassen wollen, aber nicht können. Doch auch Migration ist eine riskante Überlebensstrategie, und wer illegalisiert fliehen muss, erlebt oft Gewalt, Anfeindung, Kriminalisierung und Ausgrenzung. 

Was sind genau die Faktoren, die zur Vertreibung führen?

Die Mehrheit der Armen im globalen Süden lebt von der Landwirtschaft oder der Fischerei, beides ist massiv von der Klimakrise beeinflusst. Extremwetterereignisse, aber auch schleichende Prozesse wie der Anstieg des Meeresspiegels oder die Versalzung der Böden zwingen die Menschen dazu, umzusiedeln oder ihr Land zu verlassen. 

»Die reichen Länder entziehen sich ihrer historischen Verantwortung. «

Wir sprechen längst von einer klimabedingten Massenvertreibung. Doch es ist nicht nur das Klima. Die Klimakrise trifft die Armen in den armen Ländern härter, weil sie durch soziale Probleme verstärkt wird. Durch Landlosigkeit und Erwerbslosigkeit, durch mangelhafte soziale Dienste und korrupte Verwaltungen.  Auch die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und Kriegen steigt durch die Klimafolgen, die mit ökonomischen und politischen Problemen zusammenwirken. 

Die Klimagerechtigkeitsbewegung spricht von »Klimaschulden« des globalen Nordens. Was bedeutet das?

Seit fast 200 Jahren verschmutzen die reichen Länder und ihre großen Unternehmen den Planeten. Sie verdanken den Großteil ihres Reichtums der von Kohle, Öl und Gas befeuerten Industrialisierung. Die Ressourcen haben sie dem globalen Süden über einen unfairen und kolonial geprägten Handel, eigennützige Investitionen und massive Repression entzogen. Was der globale Norden dem globalen Süden schuldet, ist unermesslich! 

Inwiefern können diese Schulden getilgt werden?

Es geht um Ausgleichszahlungen, und zwar auf drei Ebenen. Erstens müssen die Folgen der exzessiven Treibhausgasemissionen kompensiert werden, die die Schäden verursacht haben. Zweitens muss die ökologische und soziale Neugestaltung unserer Gesellschaft und Wirtschaft bezahlt werden: von der Landwirtschaft und dem Energiesektor über die Mobilität, die Stadtplanung und den Konsum bis hin zum Welthandel. Drittens haben die reichen Länder ihren Anteil am globalen CO²-Budget längst weit überzogen, was dem globalen Süden den Raum für Wachstum und Entwicklung nimmt. Auch das muss ausgeglichen werden. 

Unter dem Schlagwort »Loss and Damage« (Verluste und Schäden) wird international um Anerkennung der Klimaschäden gekämpft. 

Ja, und das schon eine ganze Weile. Bei der UN-Klimakonferenz 2007 in Bali sorgten die bedrohten Inselstaaten des globalen Südens dafür, dass erstmals von »Loss and Damage«  die Rede war. Auf den Nachfolgekonferenzen hat man Programme aufgelegt und viel Wissen zusammengetragen, doch die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften wurden kaum adressiert. Bei der COP25 in Madrid wurde ein Netzwerk gegründet, das ärmeren Ländern konkrete technische und finanzielle Unterstützung leisten soll. Doch die Frage der Kompensation wird immer noch beiseitegeschoben. Die reichen Länder haben Reichtum auf dem Rücken der Armen angehäuft und weigern sich nun, die Rechnung zu bezahlen.

Inwiefern?

Bisher ist es ihnen gelungen, jegliche Diskussionen abzublocken und zu verschleppen, in denen es um konkrete Entschädigungszahlungen des Nordens für die Verwerfungen im globalen Süden geht. Sie wollen nicht über »Loss and Damage« sprechen, denn dann würde deutlich, dass es nicht gelungen ist, die Emissionen zu senken, und dass die Anpassung Grenzen hat. Die reichen Länder wollen die Diskussion um Klimaschäden um jeden Preis von der Frage der Emissionen trennen, denn sie wollen sich jeder Haftbarkeit und historischen Verantwortung entziehen. Stattdessen suchen sie nach vermeintlichen Auswegen aus der Klimakrise und diskutieren Scheinlösungen wie Klimarisikoversicherungen.

Wie funktionieren Klimarisikoversicherungen? Und was ist das Problem daran?

Versicherungen als Strategie des Risikomanagements zu fördern, ist pervers. Die Armen müssen sich in diesem Modell selbst versichern und Prämien zahlen. In den Philippinen zum Beispiel sind immer mehr Menschen massiv von »Supertaifunen« bedroht und können inzwischen ein extra Versicherungspaket dafür abschließen. Doch wie sollen sie die Policen bezahlen, wenn sie kaum genug zum Leben haben? Die Ärmsten haben ohnehin keine versicherbaren Wertgegenstände. Und nicht alle Verluste lassen sich in Zahlen ausdrücken. Die Lebensweise, die Biodiversität, das kulturelles Erbe – all das kann nicht ersetzt werden. Risikoversicherungen können, wenn überhaupt, nur einen Teil des Problems lösen. 

Was wäre die Alternative?

Wir müssen dringend über Formen sozialer Absicherung sprechen, die tatsächlich verhindern, dass gefährdete Gruppen noch tiefer in die Armut rutschen. Dafür müssen die Regierungen ihre nationalen Sozialsysteme ausbauen und eine universale, geschlechtergerechte Grundsicherung bereitstellen. Dazu könnten Bargeld- und Nahrungsmitteltransfers zählen, Wohnungen, aber auch Mindestpreisgarantien für Ernten oder Arbeitsplatzgarantien, Hilfe beim Vermögensaufbau und die Förderung von Umschulungen und neuen Existenzgründungen.

Du lebst auf den Philippinen, einem Land, das regelmäßig von Naturkatastrophen heimgesucht wird. Wie wird hier auf klimabedingte Schäden und Verluste reagiert?

Die Philippinen liegen weltweit auf Rang vier der am meisten durch die Klimafolgen gefährdeten Länder. Wir haben Überflutungen, Stürme und durchschnittlich 20 tropische Zyklone pro Jahr, mit katastrophalen Folgen. Erst im Dezember 2021 wütete ein Taifun der Kategorie fünf. Am schlimmsten traf er die schon verarmten Gebiete – Hunderte Todesopfer, nahezu 1,7 Millionen beschädigte Häuser und massive Zerstörung von Infrastruktur und Ackerland. Obwohl schnell reagiert wurde, ist die Not immer noch groß. Viele Menschen sind weiter auf Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente angewiesen, brauchen Notunterkünfte, Zugang zu sanitären Anlagen und Hilfe zum Lebensunterhalt. Das alles in einem Gesundheitssystem, das von Covid-19 gebeutelt ist.

Wie bewertest du die Reaktion der Regierung? Funktioniert die Katastrophenhilfe? 

Die Regierungen im globalen Süden haben beim institutionellen und rechtlichen Umgang mit den Klimafolgen durchaus Fortschritte gemacht. Viele besonders verwundbare Länder haben aus der Vergangenheit gelernt und gehen präventiv mit Risiken um. Sie haben Warnsysteme entwickelt und halten Güter und schweres Gerät bereit – das hat tatsächlich Leben gerettet. Doch es ist immer noch zu wenig, um sich von den Ereignissen wirklich zu erholen und das nächste Mal gewappnet zu sein. Viele Länder versagen in punkto Rehabilitation und Wiederaufbau kläglich. Hier geht es nicht nur um humanitäre Hilfe, sondern um wissenschaftlich fundierte und sozial gerechte Strategien. 

Inwiefern hat sich soziale Ungleichheit in den Philippinen auf die Nothilfe und den Wiederaufbau nach dem Taifun ausgewirkt? 

Die Hilfe war und ist definitiv beeinträchtigt durch Klientelpolitik, Korruption und Militarisierung. Das Programm zum Wiederaufbau lief nur langsam an und ist ineffizient. Es fehlt an einer sozialen Grundversorgung, sodass die Situation der Überlebenden immer schlimmer wird. Fast neun Jahre nach dem Supertaifun Haiyan leben noch immer Tausende Menschen in provisorischen Unterkünften. Die umfangreichen internationalen Hilfsgelder wurden veruntreut und sind nie bei ihnen angekommen. Einigen Überlebenden wurden das Zuhause und die Lebensgrundlage weggenommen, um private Altersheime für ein ausländisches Klientel zu bauen. Im Zuge des Wiederaufbaus wurden informelle Siedlungen zerstört und kleine Händler vertrieben. 

Gibt es auch solidarische Netzwerke, die sich im Zuge der Katastrophen formiert haben? 

An der Basis gibt es viele Aktivitäten. Freiwillige haben Hilfe bei der Zubereitung und Verteilung von Lebensmitteln organisiert. Weil sie selbst schon betroffen waren, können sie schnell helfen, einfache Dinge erledigen, aber auch psychosoziale Unterstützung anbieten. In den solidarischen Initiativen werden Erfahrungen ausgetauscht, viele politisieren sich dort. Man diskutiert die gemeinsamen Probleme, die mangelnde soziale Absicherung. Oft wird klar, dass man nur etwas erreichen kann, wenn man sich organisiert. Die Überlebenden des Taifun Hayian haben People Surge gegründet, eine Organisation, die Betroffene dabei unterstützt, Forderungen an die Regierung, das Militär und internationale Organisationen und Unternehmen zu stellen. Sie haben auch den Überlebenden anderer Katastrophen ihre Hilfe angeboten, geben lokales Saatgut weiter und reparieren Fischerboote und Häuser. Generell ist die Klimagerechtigkeit ins Zentrum aller Kämpfe gerückt. Und das bedeutet ganz konkret, die Betroffenen zu stärken. Nicht nur durch Ressourcen für den Wiederaufbau, sondern durch die Anerkennung und den Schutz ihrer Menschenrechte – durch die Schaffung echter Souveränität. Das ist die Grundlage, um das herrschende System verändern zu können.


Das Gespräch führte Katja Voigt. Aus dem Englischen übersetzt von Lisa Ludwig.

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