Ja, imperiale Herrschaft wird systematisch militarisiert und mafiotisiert. Ja, ihr amerikanisches Nicht-Zentrum verliert an Boden, gibt Kräftekonstellationen Raum, die möglicherweise noch furchtbarer sein werden. Die Erde wird systematisch verwüstet. Im Doppel von Liberalismus und Fundamentalismus, also von Transzendenzverleugnung und Immanenzverachtung, schließt sich der politische Raum schon gegen die Idee von Befreiung. Die kulturindustriell simulierte Öffentlichkeit produziert systematische Konfusion. Vergesellschaftung und Vereinzelung gehen tendenziell in einer klassenspezifisch fragmentierten, aber stets egoistischen Mobilmachung aller gegen alle auf, die schon dort tiefe Wunden schlägt, wo sie (noch) nicht blutig ausgetragen wird. Die ökonomische Krise barbarisiert diese Tendenz. Und doch: Wir sprechen von mächtigen, nicht von unumkehrbaren Tendenzen. Daher mein erster Einwand: Wörtlich genommen, trüge Bifos »Doppelstrategie« selbst zur fortschreitenden Entpolitisierung bei. Was schlägt er vor? Die klösterliche Sezession der »übriggebliebenen« Militanten einerseits, die Öffnung zum unberechenbaren Einbruch des ganz Anderen andererseits. Ist das so falsch, angesichts der gegebenen Lage? Nein, nicht ganz. Es ist auch nicht wirklich neu. Die individuelle und kollektive Absonderung war immer schon Moment der Selbstkonstitution militanter Subjektivität und ist dies auch und gerade im kulturindustriellen Spektakel wie im konkurrenzegoistischen Rattenrennen. Dasselbe bleibt vom Sichbereithalten für eine plötzliche Wende, für ein Ereignis, zu sagen: nicht zufällig ein Fokus neuerer philosophischer Debatten (etwa von Alain Badiou). Beides gehörte schon in der christlichen Sezession zusammen, artikuliert in der apokalyptischen Formel »Das Reich Gottes ist nah.« Die bezieht sich gerade nicht auf eine demnächst eintretende Begebenheit, sondern auf eine Möglichkeit, die ihr Sein und also ihre Wahrheit in ihrem Kommen selbst hat, nicht in einer letztendlichen Ankunft: Allein so war und ist sie der bleibende Bezugspunkt des subjektiven Bruchs mit der Normalität wie der subjektiven Öffnung zum ganz Anderen. Und dennoch: »Zwischen« diesen beiden Grenzoptionen liegt eine breite Palette anderer Optionen – die ganze Alltäglichkeit der politischen Militanz, des profanen Aktivismus. Zu ihr gehören auch die Feineinstellungen der historischen Analyse, also das breite Tableau der Phänomene, die Bifos Szenario systematisch ausblendet, ohne deshalb ganz falsch zu sein. Nur auf diesem Tableau aber bleibt anzugehen, was auch er früher als »Massenlinie« bezeichnet hat: die Suche nach einer organischen Verbindung der Minderheit militanter Intellektueller mit der Masse derer, die potenziell Militante, potenziell Intellektuelle sind. Natürlich geht es dort weniger dramatisch und vor allem uneindeutiger zu als im Neuen Mittelalter; doch liegt hier die eigentliche Probe der Politisierung. Bifos Perspektive ist euro-, wenn nicht italozentrisch und hat ihren Ausgangspunkt im Zerfall der globalisierungskritischen Linken Italiens seit den Massendemonstrationen von Genua (2001) bzw. Florenz (2002). Doch auch wenn die Stagnation, wenn nicht Rückläufigkeit der Bewegungen nicht nur Italien betrifft, ist der daraus resultierende resignative Unterton seiner »Doppelstrategie« politisch fragwürdig. Zum einen, weil Bifo gegenläufige Tendenzen außer Acht lässt: Ich nenne hier nur die verschiedenen hochinteressanten, in sich konfliktiven Konstellationen einer kämpfenden und einer regierenden Linken in Lateinamerika. Zum anderen und vor allem, weil die unterschwellige Resignation nicht an der Idee eines Rückzugs ins Kloster hängt, die an sich eine legitime Antwort auf die Frage »Was tun?« sein könnte. Nein, sie hängt an seinem bestimmten Entwurf, und ihm gilt mein zweiter Einwand. Zu Recht weist Bifo der klösterlichen Absonderung die Aufgabe zu, unter der erstickenden Hegemonie des Doppels von Liberalismus und Fundamentalismus das Erbe eines jahrhundertealten Befreiungswissens zu retten. Auch hier ist der Bezug auf die christliche Sezession treffend: Es waren die mittelalterlichen Klöster, in denen dies schon einmal gelang, nach dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums. Doch zentriert Bifo das klösterliche Überlieferungswerk um die Idee des »guten Lebens«. Das aber ist ganz falsch. Nicht, weil ein gutes Leben falsch wäre, sondern weil es sich dabei um eine konkrete inhaltliche Bestimmung unserer Möglichkeiten handelt, noch dazu um eine häufig aus Positionen des Verzichts entworfene. Natürlich gehören solche Bestimmungen zu dem, was in klösterlicher Absonderung und attentistischer Bereitschaft zu bewahren bliebe. Doch wäre vor ihnen erst deren erste Bedingung selbst zu retten. Diese ist aber keine inhaltlich-konkrete (z.B. »Solidarität, Genügsamkeit und Faulheit« ), sondern eine formal-abstrakte: das Faktum, dass wir Wesen sind, die ihr Sein in Möglichkeiten und folglich in der freien Bindung an solche Möglichkeiten haben. So führt der zweite Einwand auf den ersten zurück: Bifos Szenario und die ihm entlehnte »Doppelstrategie« sind zu konkret und in ihrer Konkretion zwar nicht in jeder Hinsicht, doch im Ansatz falsch. Wenn sie trotzdem bedenkenswert sind, dann weil sie eine Abstraktionsleistung provozieren. Die klösterliche Abscheidung, die Aktualisierung historischen Befreiungswissens und die damit erreichte Öffnung zum Ereignis nach Lage der Dinge sind zwar keine zwingenden, aber auch keine abwegigen Möglichkeiten, weil sie wörtlich genommen nur spezifische Variationen einer Wahl sind, die Militante immer schon zu treffen haben. Diese Wahl gilt einem nicht-wörtlichen Verständnis sowohl der Abscheidung wie des Sichbereithaltens, das Bifos Szenario eingeschrieben ist und ganz zweifellos auch heute, gerade heute an der Zeit ist. Wer sie für sich getroffen hat, wird bei der Lektüre seines düsteren Textes befreit auflachen und dem Autor danken, quod erat demonstrandum. Lesenswert die Debatte zwischen Zizek und Negri, in denen ersterer für das venezolanische, letzterer für das brasilianische Experiment streitet – jeder mit guten Gründen. Vgl. Slavoy Zizek, Auf verlorenem Posten, Frankfurt 2009, S. 263ff und Toni Negri, Goodbye Mr. Socialism, Berlin 2009, S. 136ff.