Es gibt viele Wege zu einer erfolgreichen Kampagne, ich skizziere hier eine Herangehensweise, wie ich sie vor 25 Jahren bei Greenpeace in der Gentechnik-Kampagne lernen und danach in unterschiedlichen Kontexten immer wieder anwenden konnte. Im Kern beruht sie auf zwei simplen Elementen, die jedoch von vielen Initiativen und Organisationen oft nicht beachtet werden:
- Die drei höchsten Prioritäten jeder Kampagne sollten sein: Fokus, Fokus und noch mal Fokus. Wir sind in unseren Ressourcen stets begrenzter als unsere Gegner und können nur gewinnen, wenn wir alles, was wir haben, auf einen einzigen Punkt konzentrieren. Du kannst dich gemeinsam mit 100 Menschen mit aller Kraft gegen eine Wand werfen: Sie wird sich um keinen Millimeter bewegen. Es reicht aber ein kleiner Finger, um eine Reißzwecke in die gleiche Wand zu drücken und einen ersten Riss zu erzeugen – weil alle Kraft auf einen winzigen Punkt konzentriert ist. Dieser Fokus fällt gerade uns Linken schwer, denn die Welt ist voller Übel, es gibt so viele wichtige Dinge, und ein klarer Fokus bedeutet immer auch, viele Dinge nicht zu tun. Das fällt schwer. Aber wer nicht Nein sagen kann, hat schon verloren. Kurzer Einwurf des Parteipolitikers in mir: Deshalb lässt sich das hier skizzierte Kampagnenformat auch kaum auf eine Wahlkampagne übertragen, denn im Wahlkampf müssen viele Themen abgedeckt werden. Das ist das Gegenteil von Fokus.
- Das zweite wichtige Element ist das Ziel. Hört sich simpel an, aber fragt euch mal selbst, was genau euer Ziel ist. Oft ist es diffus, manchmal gibt es Dutzende von Zielen, irgendwas zwischen Weltrevolution und Kleinteiligkeit – irgendwie wissen wir schon, was wir wollen. Aber meistens stimmt das gar nicht. Der Weg zu einem konkreten Kampagnenziel ist oft der schwierigste Teil einer Strategieentwicklung. Alles, was danach kommt, ergibt sich fast von selbst. So geht’s:
Der nullte Schritt: Kenne dich selbst
Auch wenn es unsere friedensbewegte Seele irritieren mag, »Die Kunst des Krieges« wurde vor 2 500 Jahren geschrieben, gilt als das älteste Buch über Strategie und liest sich bis heute wie eine Anleitung für erfolgreiche Kampagnen. Eine zentrale Botschaft ist, dass eine Organisation ein klares Bewusstsein für die eigenen Stärken und Schwächen haben muss, um eine erfolgreiche Strategie entwickeln zu können. Es hat beispielsweise wenig Sinn, eine Kampagnenstrategie zu planen, die auf Massenmobilisierung und direkte Aktionen setzt, wenn die Organisation nur aus zwei Menschen ohne Aktionserfahrung besteht.
Das geeignete Mittel hierfür ist die SWOT-Analyse. SWOT steht für strenghts, weaknesses, opportunities und threats und ist eine Wissenschaft für sich, das Netz ist voll davon, deshalb gehe ich hier nicht weiter darauf ein. Ich halte auch nichts davon, tagelange Sitzungen abzuhalten, um eine SWOT-Analyse zu erstellen. Es ist aber sinnvoll, sich vor jeder Kampagnenentwicklung zu überlegen, was genau wir besonders gut können: Zugang zu Medien oder Ministerien? Kunstprojekte? Kletteraktionen? Schreiben? Breitenmobilisierung? Digital Natives? Manchmal ist man überrascht, welche Stärken da so zusammenkommen oder über Kontakte organisierbar sind. Es geht nicht um themenspezifische Stärken, sondern darum, was wir themenunabhängig, als Organisation gut können – und auch darum, was wir nicht so gut können und was eine Bedrohung für uns darstellen könnte.
Lang- und mittelfristige Ziele: Be SMART!
Der erste Schritt ist die Festlegung auf ein Ziel. Die Zieldebatte können wir uns als Kaskade vorstellen, angefangen bei der Frage nach der Vision: Wo wollen wir in 50 Jahren stehen? bis hin zum sehr konkreten Ziel der nächsten ein bis drei Jahre. Dabei findet bei jedem Schritt eine thematische Einengung statt, und dieser Punkt kann gar nicht überbetont werden: Kampagne heißt, viele Dinge NICHT zu tun. Kampagne heißt, sich aus der Vielfalt der Themen das eine herauszusuchen, das exemplarisch für das große Ziel steht. Ein Thema, an dem wir die ganz große Geschichte erzählen, aber doch konkret, anfassbar und erfolgreich sein können.
Nehmen wir als Beispiel die Waffenexport- Kampagne, die wir entwickelt haben, als ich für die LINKE ab 2009 im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages saß. Das langfristige Ziel war eine gerechte, friedliche Außenpolitik. Dazu gehören ziemlich viele Themenfelder: vom Verhältnis zu Russland oder China über ungerechte Handelsbeziehungen zur Reform der Vereinten Nationen, Abrüstung, Auslandseinsätze – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Welches Thema sollte es sein? Hier stellten sich drei Fragen:
- Welches dieser Themen hat das Potenzial, für das große Ganze zu stehen, sodass ich bei jeder noch so kleinteiligen Aktion das große Ziel erzählen kann?
- Welches Thema kann gleichzeitig das große Ganze ins Wanken bringen? Wo ist der Ort in der Wand, an dem das Loch einer Reißzwecke sich langsam zu größeren Rissen ausbreiten könnte?
- Schließlich kommt das Ergebnis der SWOT-Analyse zum Tragen: Bei welchem dieser Themen kann unsere Organisation den Unterschied machen?
Wir sind am Ende beim Thema Waffenexporte gelandet. Das mittelfristige Ziel war, in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten in Deutschland ein gesetzliches Verbot für den Export von Klein- und Kriegswaffen durchzusetzen. Das hört sich sehr konkret an, und das soll es auch sein. Denn die Entwicklung präziser Ziele ist der wohl wichtigste Baustein jeder Kampagnenplanung, sonst verheddert man sich.
Das eine ist die Einengung des Themas – von »Weltfrieden« auf den kleinen Teilbereich der Waffenexporte. Das andere ist die Konkretisierung des Ziels nach fünf Kriterien, die als SMART zusammengefasst werden können:
Specific, also präzise und klar;
Measurable, also in Gesetzen, Zahlen oder Umfragen messbar;
Achievable: Ja, think big ist ein guter Ansatz, aber das konkrete Ziel muss erreichbar sein;
Relevant für das langfristige Ziel;
Time-bound, also erreichbar in einer definierten Anzahl von Monaten oder Jahren.
Hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Im Alltag wäre ein SMARTes Ziel zum Beispiel: »Ich lerne jeden Tag zwei Stunden für meine Prüfung, bis zum Ende des Monats.« Das ist erfolgversprechender als »Ja, ich will die Prüfung schon bestehen und tue auch was dafür.«
In unserem Beispiel war es das spezifische gesetzliche Verbot von Waffenexporten; messbar in Form eines Gesetzes; erreichbar – nun ja, das wird die Zeit zeigen, ich bin immer noch optimistisch; relevant für das langfristige Ziel einer friedlicheren Welt, denn weniger Waffenexporte heißt weniger Waffen in den Kriegen dieser Welt; und zeitlich gebunden auf ein bis zwei Jahrzehnte, wobei das für ein mittelfristiges Ziel schon recht lang gedacht ist.
Stakeholder-Analyse: Kenne das Spielfeld!
Der zweite Schritt ist das Mapping aller Akteur*innen im Feld mit ihren Beziehungen untereinander, ihrer Einflussstärke sowie ihrer aktuellen Position gegenüber dem Ziel. Das ist der eigentliche Schritt der Strategieentwicklung, der am Ende zur Definition der kurzfristigen, konkreten Kampagnenziele führt.
Es ist ein recht simpler Prozess: Die Basis ist ein Koordinatensystem, in das alle Beteiligten eingetragen werden. Je mehr Einfluss eine Stakeholderin auf unser Ziel hat, desto höher steht sie im System, und je mehr sie unsere Position unterstützt, desto weiter rechts steht sie. Wenn es also einen Player gibt, der ganz rechts oben steht, dann haben wir schon fast gewonnen: Er ist sehr einflussreich und auf unserer Seite. Meistens bleibt die Ecke leider leer, deshalb braucht es ja uns.