Was für ein Comeback! Lagen die Prognosen noch im Oktober deutlich unter der 5-Prozenthürde, erreichte Die Linke bei den Bundestagwahlen am Sonntag satte 8,8 Prozent und sechs Direktmandate (ausführlich Warnke 2025). Dass die Partei wieder an Anziehungskraft gewinnen konnte, lässt sich auch daran beobachten, dass sie derzeit die größte und schnellste Eintrittswelle seit ihrem Bestehen erlebt. Nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht & Co vor einem Jahr hatte sie nur noch knapp 50 000 Mitglieder, nun sind es fast 100 000. Fast 40 000 Menschen kamen allein in den letzten zwei Monaten dazu, noch einmal beschleunigt nach dem Einreißen der Brandmauer durch Merz. Ein Grund zum Feiern in ansonsten düsteren Zeiten!
Offenbar zahlten sich Strategie und Methode endlich aus. Wir alle hofften das, aber der Zweifel war groß. Noch im Dezember und Anfang Januar wurden Überlegungen für die Zeit nach der Wahl angestellt, für den Fall des knappen Einzugs in den Bundestag, wie für den Fall des Scheiterns. Nach außen regierte der Zweckoptimismus, es gab ja auch keine Alternative dazu, als es mit allen Kräften zu versuchen. Aber an ein derartiges Comeback dachten nicht einmal die optimistischsten Voluntarist*innen. Wie war das möglich?[1]
Gründe für den Erfolg
1. Durch das Tal: Janine Wissler und Martin Schirdewan führten Die Linke durch ihre vielleicht schwierigste Zeit. Die Bedingungen waren denkbar schlecht. Die Trennung war zu spät vollzogen worden. In Umfragen fiel die Partei, nicht einmal ihre Kernwähler*innen schien sie zu halten. Immer wieder konnten wir zeigen, dass ausreichend Wähler*innenpotenzial vorhanden war. Aber Die Linke schöpfte ihr Potenzial so schlecht aus, wie sonst nur die FDP (Candeias 2024). Absehbar wurden die Landtagswahlen im Osten verloren. Janine und Martin hielten auch dafür den Kopf hin. Damit war der Tiefpunkt erreicht. Unter den beiden bisherigen Vorsitzenden wurde bereits der Plan25 ausgehoben, Kampagnen vorbereitet, das Personal im Karl-Liebknecht-Haus entsprechend gezielt verstärkt, trotz Finanznot. Vieles war bereits auf dem Wege, wie Jan Van Aken und Ines Schwerdtner in einem Beitrag deutlich machen. Für den Wiederaufstieg brauchte es noch neue Gesichter, mithin ein neues Team. Die beiden machten den Weg frei und mit Jan van Aken und Ines Schwerdtner wurden zwei neue Parteivorsitzende gewählt, dazu mit Janis Ehling ein neuer Bundesgeschäftsführer. Zu Spitzenkandidat*innen wurden zwei medienfähige Personen ernannt:Heidi Reichinnek und Jan van Aken. Und für einen Promi-Faktor sorgten die »Silberlocken« Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch – sie waren mehr als nur ein Bindemittel für ältere Stammwähler*innen.
2. Endlich klare Kommunikation – »ohne Kakophonie dissonanter Stimmen« (Candeias 2022). Stattdessen Teamarbeit. Voraussetzung war die klare Trennung von Wagenknecht & Co. Nach der Gründung des BSW führte dies zunächst zu schmerzhaften Verlusten, nicht so sehr an Mitgliedern, denn schon zu diesem Zeitpunkt traten viele der Linken bei, die wegen des unklaren Kurses ferngeblieben waren. Aber Die Linke schien in einem medialen Abwärtsstrudel gefangen, wurde kaum noch wahrgenommen, fiel in Umfragen, bis hin zu den Tiefpunkten der Wahlen zum Europäischen Parlament und zu den ostdeutschen Landesparlamenten. Der stetige Mitgliederzuwachs war ein Hoffnungszeichen. Aber er schlug sich lange nicht in Wahlergebnissen und Umfragen nieder, auch nicht nach dem gelungenen Parteitag im Herbst 2024. Die vorgezogenen Neuwahlen verknappten die Zeit zusätzlich. Andererseits vermieden sie, dass man sich innerparteilich wieder völlig zerstreiten würde – tatsächlich führten manche trotz existenzieller Krise der Partei ihre Macht- und Distinktionsspiele fort, gefolgt von medienwirksamen Austritten. Durchhaltevermögen und Geduld waren nötig. Erst ab Januar schien die Strategie der Erneuerung nach der Trennung aufzugehen – und dann der Booster im Gefolge des Merz-Manövers.
3. Kampagnenfähigkeit: Unter der neuen Führung gelang die Konzentration auf wenige Themen – Mietendeckel, Preise reduzieren und Milliardäre wirklich besteuern (Milliardäre gar abschaffen; Deutschlandticket bspw. als sozial-ökologische Forderung wäre noch zu ergänzen gewesen) – und alle, auch die verschiedenen Prominenten der Partei, vertraten den Kurs. Das klingt selbstverständlich, war es aber seit Jahren nicht. Statt öffentliche Triggerdebatten zu führen, blieb Die Linke bei den wirklichen gesellschaftlichen Problemen, die den Menschen, genauer dem eigenen Wähler*innenpotenzial, alltäglich auf den Nägeln brennt. Denn steigende Lebenshaltungskosten, insbesondere erzwungene Mehrausgaben für Energie, Lebensmittel und Mieten, bei gleichzeitigen Reallohnverlusten belasten nicht nur Menschen mit geringem Einkommen immer stärker. Die Angst, sich das Leben nicht mehr leisten zu können, ist bis in Haushalte der sogenannten Mittelschicht vorgedrungen. Gleichzeitig nimmt die Ungleichheit weiter zu, weil große Vermögen und Kapitalerträge unzureichend besteuert werden. Wie sehr sich diese Probleme verdichten, wie stark der Druck steigt und aus Sorgen Ängste werden, erreicht eine neue Qualität. Hier konnte Die Linke nicht nur mit Forderungen, sondern auch mit konkreten Hilfsangeboten wie dem Mietwucher-Rechner oder unserem Heizkosten-Check ihren Gebrauchswert beweisen.
4. Mit den Themen verbunden – ein guter Schuss linker Populismus und eine neue Angriffslust von einem medienfähigen Spitzenteam. Jan van Aken polemisierte in Talkshows gegen Reiche und empfahl Tino Chrupalla von der AfD auch »mal seinen rechten Rand zu halten«. Heidi Reichinnek hielt im Bundestag eine flammende Rede gegen die von Merz gezielt in Kauf genommene Kooperation mit der AfD. Und beide treten auf gegen die Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen und Migrant*innen. Van Aken trägt immer das gleiche T-Shirt: »Tax the rich»! Andere Fragen wie die Ökologie wurden geschickt auf das zentrale Thema bezogen und mit ihm verknüpft. Friedensfragen wurden von Schwerdtner und van Aken, der das Thema gewissermaßen verkörpert, klar benannt, interne Differenzen aber endlich zurückgestellt. Daraus ergaben sich ein deutliches Profil und eine klare Botschaft, die frech, witzig, motivierend rüberkam. Ein verbindender, klassenpolitischer Populismus, wie man ihn bei Sanders und anderen lernen konnte.
5. Eine Strategie zum Gewinnen: Die 5-Prozent zu erreichen war Ziel, aber keineswegs wahrscheinlich. Ein wesentlicher Teil des Wähler*innenpotenzials der Linken wählt taktisch, im Zweifel nicht eine Partei, die voraussichtlich unter die Sperrklausel rutscht. Daher brauchte es einen Plan B: die gezielte Fokussierung auf drei Direktmandate, die schon 2021 den Einzug in den Bundestag retteten. Ein Mapping der vielversprechendsten Wahlkreise sollte der Konzentration der Kräfte dienen: Treptow-Köpenick in Berlin mit Gregor Gysi, Leipzig II mit Sören Pellmann und Erfurt/Weimar/Grammetal mit Bodo Ramelow; mit etwas geringeren Chancen außerdem Berlin-Lichtenberg mit Ines Schwerdtner und ganz eventuell Rostock/Rostock II mit Dietmar Bartsch. In diesen Wahlkreisen sollten Tausende von Wahlkämpfer*innen an die Türen, die Direktkandidat*innen in jeder Hinsicht unterstützt werden. Eine Doppelstrategie, die auch schwankenden taktischen Wähler*innen signalisiert: »Eure Stimme ist nicht verschenkt, wir brauchen die 5 Prozent gar nicht, denn wir kommen auch so rein«, wie Jan van Aken es keck formuliert. Die Linke hat endlich ein funktionierendes »strategisches Zentrum«. Am Ende war in sechs Wahlbezirken ein Sieg der Direktkandidat*in der Linken eine reale Möglichkeit geworden, u.a. in drei Wahlbezirken, die gar nicht zu den ausgewählten gehörten: Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain mit Pascal Meiser, Berlin-Neukölln mit Ferat Koçak und Berlin-Mitte mit Stella Merendino. Gewonnen wurden schließlich sechs – doppelt so viel, wie erhofft!
6. Die Verallgemeinerung der Haustürkampagne: Schon lange angewandt, sind sie nun systematisch in den wichtigsten Wahlbezirken und eigentlich überall, wo ausreichend Genoss*innen sich zusammenfanden zur DNA der Parteipraxis geworden (und anders als in den Jahren zuvor behindern auch die nicht ganz Überzeugten die Organisierung nicht). An über 600 000 Haustüren wurden Gespräche geführt. Abertausende von Genoss*innen waren dafür unterwegs, unterstützt von weiteren Tausenden Neumitgliedern, aber auch von Tausenden parteilosen Sympathisant*innen – weit über die ausgewählten Wahlkreise für die Direktkandidaturen hinaus, aber eben besonders dort. Diese Kampagne war wesentlich, um brachliegende Wähler*innenpotenziale der Linken bei Nichtwähler*innen (320 000), im linken Feld von Grünen (600 000) und SPD (540 000) endlich stärker auszuschöpfen. Mitverantwortlich war auch, dass taktisches Wahlverhalten sich diesmal nicht gegen, sondern für Die Linke auswirkte. Diese Konstellation kann sich freilich wieder ändern, wenn eine Regierungsbeteiligung der AfD bei den nächsten Wahlen eine realistische Option wird.
7. Neben dem Versuch, die Präsenz in den Vierteln durch die Haustürkampagne zu erhöhen war die Ausweitung hervorragender Social-Media-Arbeit ausschlaggebend. Heidi Reichinnek hatte schon länger vorgelegt. Das Budget wurde verdreifacht. Das Karl-Liebknecht-Haus und eine Schar von Social-Media-Wahlkämpfer*innen im ganzen Land vervielfältigten die Reichweiten, über 200 Mio. Aufrufe wurden erreicht. So konnte Die Linke bei TikTok ihre Followerzahl verzehnfachen und die dort bisher unter den Parteien dominierende AFD überholen, bei Instagram verdreifachte sich die Zahl ihrer Follower. Nicht nur bei Instagram, auch bei Youtube und TikTok liegt Die Linke im Parteienvergleich jeweils vorne. Beides – die aufsuchende Social-Media-Arbeit wie die aufsuchende Arbeit in den Vierteln – war für eine Partei, die im vergangenen Jahr kaum noch die Aufmerksamkeitsschwelle der etablierten Medien überwinden konnte, überlebenswichtig. Und beides hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Die Linke bei Wähler*innen unter 25 Jahren zur stärksten Partei wurde. Ein wichtiges Potenzial für die Zukunft.
8. Verbindende Klassenpolitik und linke Solidarisierungen: Endlich funktioniert es mit der »verbindenden Klassenpolitik«, meint Raul Zelik im nd vom 18.2.2025 mit Blick auf die diversen Wahlaufrufe aus unterschiedlichen Bereichen: aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Gesundheitswesen, aber auch von Handwerkern*innen, sogar von Juristi*innen und einer außerparlamentarisch organisierten Linken. Tausende haben die Aufrufe unterzeichnet. Soziales, Arbeit, Ökologie, Antifaschismus, Antirassismus und Antimilitarismus – das waren die wichtigen Themen der Aufrufe, klassenorientiert, »wir hier unten, gegen die da oben«. Die große Herausforderung bleibt, wie sich die Partei in den verschiedenen Teilen der Klasse, besonders in den Gewerkschaften, noch stärker verankern kann.
9. Vielleicht am einflussreichsten war die tatkräftige Unterstützung von Merz und die zunehmende Faschisierung. Tatsächlich war die Motivation, etwas gegen den Rechtsruck und die verbreitete Hetze gegen Migrant*innen zu tun, der entscheidende Faktor zum Ende des Wahlkampfes. Dennoch begannen die Masseneintritte schon vor dem Manöver von Merz am 29. Januar. Viele Tausende kamen in den letzten Jahren zur Linken, um etwas gegen die Rechtsentwicklung zu unternehmen. Eine Gesellschaft der Vielen gegen die Angriffe von rechts zu verteidigen, wird für die Partei ein zentrales Thema bleiben.[2] Viele begreifen auch, dass ohne Die Linke nicht nur ein parlamentarischer Gegenpol fehlt, sondern auch eine ganze Infrastruktur der gesellschaftlichen Linken. Keine Kleinigkeit in Zeiten von Faschisierung und kommender spät-neoliberaler Offensive.
Nach der Wahl ist vor dem Re-Organisieren
Die Linke ist wieder im Bundestag. Geschafft! Doch ihre Zukunft ist nicht unbedingt gesichert. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Partei in keiner Verfassung ist, in der sie »mit normalen Mitteln nicht zerstört werden kann« (Gramsci). Trotz vieler neuer Mitglieder ist ihre Verankerung in der Bevölkerung nicht gewährleistet, sondern muss weiter vertieft werden. Sie muss dafür sorgen, dass die vielen neuen und die alten Mitglieder auch bleiben.
In den Vierteln und Betrieben verankern
Schon fürs Überleben ist es wichtig, sich wieder stärker in den Vierteln und – wo die Kräfte vorhanden sind – auch in den Betrieben zu verankern. Mehr werden: Schon länger als Strategie verfolgt, im jüngsten Bundestagswahlkampf auf ein neues Niveau gehoben, gilt es die Präsenz vor Ort, an den Haustüren zu erhöhen, nicht nur alle vier Jahre, sondern regelmäßig. Vom Wahlkampf muss jetzt zur Organisierungsarbeit übergegangen werden, mit einer Mischung aus überzeugenden politischen Projekten und einer Politik des Kulturellen, die Spaß macht und Orte des Gemeinsamen schafft. Aktivierende Befragungen, individuelle Angebote niedrigschwelliger Sozialberatung oder Aktionen wie »Die Linke hilft« mit Beratung und konkreter Unterstützung – all das sind Instrumente, die verankern helfen.
Parallel müssen Orte der Begegnung geschaffen werden, denn viele Menschen haben den Eindruck, dass die Anonymität wächst – sie kennen ihre Nachbar*innen nicht mehr. Regelmäßige Straßentreffs mit Kaffee und Kuchen, Kiez- oder Stadtteilfeste, bei denen geredet, diskutiert oder einfach gelacht und gespielt wird, schaffen eine Kultur des Gemeinsamen. So entsteht Verbundenheit und macht den nächsten Schritt einfacher: hin zu Formaten für explizitere und verbindlichere politische Debatte bis hin zum Engagement, von Stadtteilversammlungen bis zu Initiativen der Mieter*innenorganisierung.
Lokale Ziele lassen sich dabei gut mit zentralen Forderungen und Kampagnen der Partei verbinden: eine Initiative vor Ort, die Probleme der Mieter*innen konkret und gemeinsam angeht, eingebettet in eine bundesweite Kampagne für einen Mietendeckel. Ebenso kann der Kampf um den Erhalt eines lokalen Krankenhauses oder den Aufbau eines Gesundheitszentrums Teil der Kampagne zur Rettung und Rekommunalisierung von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen mit mehr Personal sein.
Der Einsatz für die Verbesserung des ÖPNV oder der Bau einer konkreten Straßenbahnlinie vor Ort können ebenfalls in die übergreifenden Aktivitäten für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und eine bessere Personalausstattung integriert werden. Wichtig ist auch hier Fokussierung: Nicht mehr als drei Forderungen (und nicht alle gleichzeitig).
Auf diese Art verankern und verbreitern, das »Unten« im Mitte-Unten-Bündnis gezielt zu stärken, ermöglicht auch Protagonist*innen der Klasse zu identifizieren und gezielt aufzubauen, aber auch die Schicht der Aktiven aus den linken Milieus zu festigen und zu bilden.
Für solche Aktivitäten könnten konkrete Wahlkreise identifiziert werden, die künftig als Keimzellen für die Stabilisierung und Ausweitung linker Milieus dienen können – und potenziell auch gewinnbare Wahlkreise für Direktmandate werden können. Die Grundlagen wurden bereits geschaffen. Weitere Wahlkreise können hinzukommen.
Eine organisierende Praxis als DNA einer Partei vor Ort etablieren, lokal nutzbare bundesweite Kampagnen entwickeln, Protagonist*innen der Klasse aufbauen und gezielt Wahlkreise auswählen und stärken. So kann dem – durchaus berechtigten – Gefühl der Ohnmacht der Wärmestrom einer organisierenden Solidarität entgegengesetzt werden.
Strategie- und Bildungsoffensive in die Partei hinein
Das Überalterungsproblem der Partei haben wir wohl überwunden. Bereits vor der neuen Eintrittswelle war etwa die Hälfte der Mitglieder erst in den letzten Jahren neu dazugekommen und jünger als 35 Jahre. Nun sind es noch viele Tausend mehr, die allermeisten jung. Diese vielen neuen Mitglieder müssen erst einmal gehalten werden. Die allermeisten haben sich unmittelbar im Wahlkampf engagiert und wollen auch weiter aktiv sein. Organisierung in Vierteln und Betrieben (vom Krankenhaus bis zur Autofabrik), eine Kampagne für den Mietendeckel können erste entsprechende Angebote sein. Sie bringen auch ein spezifisches Wissen und eigene Praxen mit. Das ist bereichernd, kann aber auch zu inhaltlichen Unsicherheiten führen. Das entstandene Potenzial muss durch einen verstärkten Fokus auf politische Bildung (inhaltlich, strategisch, handwerklich) genutzt und zum neuen Rückgrat der Partei ausgebaut werden.
Denn die vielen Tausend Neumitglieder verändern die Partei. Dies bietet zugleich die Chance, die Partei von den Kreisverbänden her aufzubauen, neue Mitglieder und Aktive nicht nur einzubinden, sondern einen Prozess zu organisieren, in dem sie die Partei (neu)gestalten können. Das ist auch ein Kulturwandel, sie bringen ihre Themen mit, es gilt Unterschiede in Alter, sozialer Herkunft und politischer Kultur gemeinsam miteinander, solidarisch und lernbereit zu überbrücken.
Für neue und alte Mitglieder, für die Partei als Ganzes also, braucht es viele organisierte strategische Debatten und – nennen wir es – Bildung für Strategiefähigkeit, um die bunte Vielfalt der Partei zu erhalten, aber zugleich kohärent zu arbeiten. Ohnehin sollen bestimmte Themen und innerparteiliche Widersprüche wie in der Außen- und Friedenspolitik geklärt, das öko-sozialistische Profil gestärkt, Inhalte weiterentwickelt werden. Das ist notwendig, schon um die Neumitglieder mit ihren spezifischen Interessen, als auch die von SPD und Grünen enttäuschen linken Wähler*innen zu halten. Die Linke sollte kein Korrektiv sein, sondern eine kapitalismuskritische, sozialistische Kraft zur Veränderung der gesamten Gesellschaft, mit konkreten Alternativen in der Wirtschafts- wie der Friedenspolitik, in der Klimapolitik wie in der Verteidigung und Entwicklung der Demokratie. So war bisher etwa das Konzept eines linken Green New Deal [3], der Sozial- und Umwelt- und Wirtschaftspolitik zusammendenkt, nie hinreichend in der Partei verankert.
Dabei werden vermutlich vor allem jüngere Lebenswirklichkeiten dominieren. Doch die unterschiedlichen generationellen Lebenswelten haben teilweise wenig Berührungspunkte im Alltag und wurden von der Partei bisher auch nicht systematisch bearbeitet. Anders als in den letzten Jahren wäre diesmal die Chance gegeben, auch eine produktive Form intergenerationellen Lernens einzuüben, welches (ohne Besserwisserei) die Erfahrungen Älterer verbindet mit der Anerkennung neuer Welt- und Lebenssichten und mit einem Vertrauensvorschuss für die Jüngeren. Es gilt, statt Differenzen, lieber wieder die Gemeinsamkeiten zu betonen und auf dem Weg erkennen zu lernen, dass Unterschiede keine Gegensätze sein müssen.
Strategien der Hoffnung
Trotz des Wintermärchens um Die Linke bei den Bundestagswahlen, sind die Wahlergebnisse insgesamt niederschmetternd – sie folgen der Entwicklung von blockierter Transformation und gesellschaftlicher Faschisierung. Thomas Brasch paraphrasierend können wir tatsächlich »den Verhältnissen für ihre Widersprüche« danken. Das Manöver von Merz eine Kooperation mit der AfD im Bundestag nicht formal, aber gezielt bei einer Abstimmung zu Fragen der Migration zu suchen, brachte ein Jahr nach den Protesten anlässlich der Enthüllungen der Correctiv-Recherche über ein Geheimtreffen zur »Remigration« wieder Millionen von Menschen zurück auf die Straße. Hier zeigt sich, dass der andere Teil der polarisierten Gesellschaft zwar in der Defensive, aber er ist immer noch da ist und punktuell handlungsfähig.
Die drohende spätneoliberale Kürzungsoffensive und Eingriffe in Arbeits-, Streik- und Sozialrechte werden den Druck auf eine Konvergenz der gesellschaftlichen Linken im weitesten Sinne erhöhen. Mithin bräuchte es eine Art Doppelstrategie der Hoffnung:
a) Angelehnt an Frankreich, die Bildung einer gesellschaftlichen Volksfront aller progressiven Kräfte (vgl. Balibar 2024; ein Parteienprojekt à la Rot-Rot-Grün ist mit der real-existierenden SPD und den Grünen undenkbar, sehr wohl aber mit enttäuschten Linken aus diesen Parteien), von Gewerkschaften über Sozialverbände, Umwelt- und Klimabewegung, Antifa und Antira bis zur kritischen Wissenschaft, die den sichtbaren Widerstand organisiert und ein überzeugendes Projekt mit gemeinsamen Minimalprogramm formuliert: rund um die Wiederherstellung einer resilienten sozialen Infrastruktur, den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft und die Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (Candeias 2024). Die Volksfront ist notwendig, schon um den Prozess der Faschisierung unmittelbar etwas entgegenzusetzen, für eine solidarische und demokratische Lebensweise. Zu gefährlich wären sonst die Konsequenzen. Denn eine Regierung unter Merz mit seiner Agenda 2030 wird die Unzufriedenheit und den Aufstieg der AfD vermutlich weiterbefördern. Die Linke sollte vor diesem Hintergrund die verbindende Partei eines sozialen Antifaschismus werden. Die Demokratie kann nur von links verteidigt werden und die soziale Demokratie zu verteidigen gegen Merz/Weidel oder Trump/Musk heißt, für »wirkliche Demokratie« zu kämpfen.
b) Es braucht einen offensiven und antagonistischen Pol der Hoffnung, eine Art »Transformationslinke« (Candeias 2016), die einen Rückfall der Volksfront in Politiken eines progressiven Neoliberalismus und ökologischer Modernisierung verhindert, die zur düsteren Situation beigetragen haben. Gemeint sind Die Linke und linke Kräfte, die die Ursachen der Entwicklungen benennen, klare Gegner adressieren, mit klassenpolitischen, sozial-ökologischem Populismus eigenständig Sichtbarkeit erzeugen und dafür organisieren. Ein Pol der Hoffnung, der auch eine Zukunft jenseits der düsteren Verhältnisse wieder denkbar werden lässt – untrennbar verbunden mit einer sozialistischen Perspektive. Letzteres nicht nur als Fernziel, sondern als politische Praxis im doppelten Sinne: Zum einen, weil Eigentumsfragen, Vergesellschaftung und Demokratisierung von Entscheidungen in Politik und Ökonomie zentral sind für oben genannte Ziele (Candeias 2019). Zum anderen, weil uns die Zeit davonrennt (Candeias 2022). Die Notwendigkeit, schnelle strukturelle Veränderungen unter Zeitdruck herbeizuführen, macht Elemente partizipativer Planungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen nötig. Ohne Zweifel wird die öffentliche Hand mit stärkerer Regulierung und Investitionsplanung, mit der Aufwertung öffentlicher Unternehmen und mehr öffentlichem Eigentum sowie einer stärkeren Innovationspolitik eine größere Rolle spielen müssen – aber im Sinne echter Wirtschaftsdemokratie mit Beteiligung der Vielen. Solche Planungskapazitäten müssen erst (wieder)aufgebaut werden. Wir müssen uns fragen, was und wie wir noch produzieren können und zu welchem Zweck. Wir müssen fragen: Was brauchen wir zum Überleben und für ein gutes Leben für alle? Aufgaben einer Transformationslinken.
Übersetzt könnten das Strategien der Hoffnung werden, die trotz erwartbarer Angriffe und multipler Krisen Solidarität erfahrbar machen, eine Art linker Resilienz ausbilden, für den langen Atem des Aufbaus einer anderen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus.