Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl muss sich die LINKE neu erfinden, lautet der übereinstimmende Tenor vieler Statements von der Basis und aus der Spitze der Partei. Die Frage ist nur, wie und mit welcher Ausrichtung. Gegenwärtig zeichnen sich zwei konkurrierende Vorschläge ab, die in ihren tragenden strategischen Ideen bereits vor der Bundestagswahl ausgearbeitet waren. In ihrem pünktlich zum Wahlkampfauftakt veröffentlichten Buch plädiert Sahra Wagenknecht für eine echte Volkspartei, „die nicht zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft beiträgt, sondern zu Revitalisierung von Gemeinwerten“ (Wagenknecht 2021, 17). Tragende strategische Idee ist die Verbindung eines Primats von Sozialpolitik mit kulturellem Antiliberalismus und Migrationskritik. Vorbilder sind so unterschiedliche Formationen wie die italienischen Cinque Stelle oder die dänischen Sozialdemokraten. Ich bezeichne diese Konzeption als sozialkonservativ-links.[1] 

Dem steht eine weniger klar konturierte Parteikonzeption gegenüber, die, wie der einstige Co-Vorsitzende Bernd Riexinger und mit ihm erhebliche Teile der Partei auf „verbindende Klassenpolitik“ setzt. Dieser strategische Ansatz soll „Inspiration und Aufforderung auf dem Weg zu einer erneuerten Kultur der Linken“ sein und eine Partei begründen, „die ebenso glaubhaft die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen wie jene der unter prekären Bedingungen arbeitenden und lebenden Geflüchteten, Migrant*innen und der LGBTQ-Community vertritt“ (Riexinger 2018, 158). Ohne deckungsgleich zu sein, weist dieser Ansatz Schnittmengen mit einer Politik des Green New Deal auf, für die die frühere Co-Parteivorsitzende Katja Kipping und die von ihr repräsentierte linkslibertäre Strömung in der Partei stehen (siehe Kipping 2021). Ich bezeichne dieses strategische Konzept als sozial-ökologisch links oder je nach Akzentuierung als links-grün. Seiner Grundidee nach verzichtet dieser Ansatz keineswegs auf soziale Themen oder, wer es markanter liebt, auf Klassenpolitik. Das Gegenteil ist der Fall. Er versucht jedoch, die Klassenachse systematisch mit dem ökologischen Gesellschaftskonflikt und den sogenannten identitätspolitischen Themen zu verbinden.[2] Als Ideengeber dienen unter anderem die Social Democrats um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez oder die Labour-Linke um Jeremy Corbyn. Prüfen wir die gesellschaftliche Tragfähigkeit beider Parteikonzeptionen.

Die Fiktion einer zentristischen Volkspartei

Beginnen wir mit Sahra Wagenknecht, die mit ihrer strategischen Idee keineswegs nur die Linkspartei vor Augen hat. Ihrem Entwurf einer neuen Linken, die Sozialpolitik mit kulturellem Antiliberalismus und Migrationskritik verbindet, dient der Sozialdemokrat Nils Heisterhagen als intellektueller Stichwortgeber. Wagenknechts mediengerecht servierte These vom Verrat der Linken an den einfachen Leuten zielt neben den Mehrheitsströmungen ihrer eigenen Partei auch auf die SPD-Linke, wie sie durch Kevin Kühnert und die Co-Parteivorsitzende Saskia Esken repräsentiert wird. Im Grunde geht es Wagenknecht um eine zentristisch-linkpopulistische Formation, die auch für jene attraktiv sein soll, die sich von Linkspartei und SPD abgewendet haben, zu Nichtwähler*innen geworden sind oder Sympathien für die radikale Rechte entwickelt haben. Trägt dieses Konzept? Zweifel sind angebracht – und das vor allem aus zwei Gründen.

Erstens ist die dem Parteikonzept zugrundeliegende Analyse angreifbar. Wagenknecht bezieht sich, wie vor ihr Andreas Nölke (2017) und – wissenschaftlich weit ambitionierter – eine Berliner Forschungsgruppe um Wolfgang Merkel und Michael Zürn (siehe De Wilde u.a. 2019), positiv auf die These einer tiefen kulturellen Spaltung der Gesellschaft, welche die alte soziale Klassenspaltung überlagere. Diese These stammt ursprünglich von dem britischen Journalisten David Goodhart, der sich selbst als einen zwischen politischer Linker und populistischer Rechter agierenden Zentristen bezeichnet. Nach Goodhart (2017) hat eine – zahlenmäßig bedeutende – Minderheit gut gebildeter, sozial mobiler Menschen, die Anywheres, in den letzten 25 Jahren Gesellschaft und Politik dominiert. Auf der anderen Seite der kulturellen Scheidelinie steht mit den Somewheres eine weitaus größere, aber weniger einflussreiche Großgruppe, die stärker lokal oder regional verwurzelt und weniger gut ausgebildet ist. Die Somewheres schätzen Sicherheit und Vertrautheit, sie haben das Gefühl, dass ihre eher sozialkonservativen Moralvorstellungen und Lebensentwürfe während der letzten Jahrzehnte aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen wurden. Dies habe, so Goodhart, zu einer Destabilisierung der Politik geführt, zu Brexit-, Trump- und, so könnte man hinzufügen, zu Höcke-Backlashes.[3] 

Doch so eingängig dieses Bild einer großen kulturellen Spaltung der europäischen Gesellschaft auch sein mag – empirisch lässt es sich nicht halten. So hat die Forschungsgruppe um den Berliner Soziologen Steffen Mau eindrucksvoll gezeigt, dass es für eine klar gezeichnete kulturelle Spaltung europäischer Gesellschaften keine Belge gibt.[4] Zwar ist Migrationskritik in den unteren Klassen etwas stärker verbreitet als im Rest der Gesellschaft, für ökologische Themen gilt das aber beispielsweise nicht. Der Klimawandel ist kein exklusives Thema einer bessergestellten Lifestyle-Linken, er steht für eine ökologische Konfliktachse, die in unterschiedlicher Weise für alle Klassen und Schichten der Gesellschaft relevant ist.[5]

Zweitens gilt: Selbst wenn Goodharts kulturelle Metaklassen analytisch verfeinert werden, führt die fehlerhafte Analyse zu fatalen politischen Konsequenzen. In die Praxis übersetzt, würde die These vom kulturellen cleavage die SPD spalten und die Linkspartei zerstören. Schon der Vorschlag des Politikwissenschaftlers Andreas Nölke, der seinen Antiliberalismus auf die Migrationsfrage beschränken möchte, lässt keinen Zweifel, wer bei der gewünschten linkskommunitaristischen Formation keinesfalls mitmachen soll: die Bewegungslinke sowie Teile der progressiven Regierungslinken  samt deren Vordenker*innen und ihres großstädtischen Anhangs.[6] Demnach hätte die große Mehrheit der aktiven Parteimitglieder in einer linkskonservativen Partei keinen Platz. Häutete sich Die LINKE nach diesem Rezept, würde es ziemlich einsam um Sahra Wagenknecht und ihren verbliebenen Anhang. Talkshow-Popularität ist das eine, dergleichen in politischen Aktivismus oder gar in die Gründung einer neuen Partei umzusetzen, steht auf einem völlig anderen Blatt. Das Scheitern von – wer erinnert sich noch? – „Aufstehen“ zeigt, wohin linkskommunitaristische Abenteuer führen können. Selbst in jenem alles andere als proletarischen Bewegungsspektrum, das Wagenknecht repräsentiert, ist ein Cäsarismus, also charismatische Führung durch herausgehobene Persönlichkeiten, out. Was das noch immer unaufgearbeitete Scheitern von „Aufstehen“ und die so produzierte Enttäuschung zur Wahlniederlage der Linkspartei beigetragen haben, wird leider nie zu klären sein.[7]

Das vorläufige Scheitern verbindender Klassenpolitik

Was an Wagenknechts Diagnose dennoch richtig bleibt, ist die schwindende Verankerung der Linkspartei in den unteren Lohnarbeitsklassen. Die überdurchschnittlichen Verluste bei Arbeiter*innen und Gewerkschaftsmitgliedern sprechen Bände. Auf den ersten Blick ist damit auch jene strategische Grundidee, die Klassenfragen mit ökologisch inspirierter Gesellschaftskritik und kulturellem Libertinismus kombinieren will, gescheitert. Neben wahltaktischen Aspekten hat das vor allem zwei Gründe.

Erstens weist auch die verbindende Klassenpolitik erhebliche analytische Lücken auf. Dass im Hintergrund noch immer die Vorstellung einer intern differenzierten, letztlich aber großen Lohnarbeiterklasse mitschwingt, ist noch das geringste Problem. Als gravierender erweist sich, dass auch homogene Klassenlagen nicht zu einheitlichen Wahlorientierungen führen. Selbst zu Hochzeiten sozialistischer Arbeiterbewegungen war die Arbeiterschaft nie einheitlich links. Das gilt auch für die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen. „Im Betrieb rot, zuhause tiefschwarz“, ist eine Grundhaltung, die man in Bayern und Baden-Württemberg gut kennt. Klassenpolitik bedeutet in wohlfahrtsstaatlichen Demokratien nichts anderes, als Interessen von Lohnabhängigen zu identifizieren und sie zu politischen Themen zu machen. Dabei gilt: Jedes dieser Themen ist Gegenstand parteipolitischer Konkurrenz. Auch christdemokratische und liberale Parteien müssen, ebenso wie die radikale Rechte, auf welch verquere Weise auch immer, die Interessen von Lohnabhängigen bedienen, um wahlpolitisch erfolgreich zu sein. Was die Linkspartei nicht bedacht hat, ist, dass sich die politische Konkurrenzsituation entscheidend verändert hat. Der SPD ist es gelungen, das Hartz-IV-Stigma abzustreifen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Und die Grünen sind dabei, das klassenpolitisch relevante Thema der Klimagerechtigkeit für sich zu entdecken. Die im kulturellen Arbeiterkonformismus angelegte Neigung, den Kampf um Statusverbesserung oder -erhalt mit dem Mittel des Ressentiments zu führen, wird erfolgreich von der AfD bedient. In dieser Konstellation hat es der in ihrer Grundidee – wie ich meine, überzeugenden – neuen Klassenpolitik schlicht an tagespolitischer Zuspitzung und Konkretion gefehlt. Am besten ist das noch mit dem freilich in erster Linie großstädtischen Mietenthema gelungen. Für andere Politikfelder gilt das nicht. Vor die Wahl gestellt, 12 oder 13 Euro Mindestlohn zu wählen, stimmt man in der unteren Hälfte der Bevölkerung und in der ostdeutschen Peripherie lieber für den Spatzen in der Hand als für die Taube auf dem Dach.

Das berührt ein zweites strategisches Problem verbindender Klassenpolitik, das allerdings alle linken Parteien haben. Klassenpolitik für Industrie- und Produktionsarbeiter*innen findet de facto kaum statt. Zweifellos handelt es sich bei den Arbeiter*innen sozialstrukturell in allen entwickelten Kapitalismen um eine Minderheit. Doch diese soziale Großgruppe verschwindet nicht; vielmehr entstehen Arbeiter*innenpositionen immer wieder neu. Allein im Einzelhandel mit seinen weit mehr als zwei Millionen Beschäftigten handelt es sich überwiegend um Arbeitsplätze mit körperlich belastender manueller Arbeit (siehe dazu Schulten 2021). Ähnliches gilt für die Paketlogistik mit ihren neuen großbetrieblichen Strukturen oder die Pakt- und Briefzusteller*innen, die, ausgestattet mit einem Handscanner, den man auch ohne deutsche Sprechkenntnisse bedienen kann, eine schleichende Abwertung ihrer Arbeitstätigkeit erleben. Für diese Teile der konventionellen Arbeiterklasse gibt es de facto keine ausgearbeitet linke Politik. Das wiegt umso schwerer, als mit der sozial-ökologischen Transformation und befeuert durch die Corona-Rezession ein dramatischer Strukturwandel wirtschaftlicher Kernbranchen im Gange ist.

Das, was bisher aus Kreisen der Linkspartei zu dieser Problematik kommt, ist zu weit weg vom gewerkschaftlichen Alltagsgeschäft, um überzeugen zu können. Wer will schon freiwillig auf seinen Arbeitsplatz in der Autoindustrie verzichten, wenn die Alternative nur eine vage Konversionsaussicht ist? Die IG Metall hat während ihres jüngsten Aktionstags „Keine Entlassungen wegen der Transformation!“ gefordert. Für ökologisch inspirierte Strömungen in der Linkspartei wirft das sofort die Frage auf, ob nicht Strukturen konserviert werden sollen, die eigentlich abgewickelt gehören. Die Gegenposition, wie sie auf einer Betriebsrätekonferenz der Partei zu hören war, betrachtet den Klimawandel hingegen als ein Problem, das vornehmlich nach technischen Lösungen verlangt.[8] Angesichts solcher Frontstellungen ist klar, dass das Verbindende der neuen Klassenpolitik auf der Strecke bleibt. Während die Zusammenarbeit von ver.di und Fridays for Future (siehe Autor*innenkollektiv CLIMATE.LABOUR.TURN 2021) im Rahmen der jüngsten Tarifrunde im öffentlichen Personennahverkehr während einer DGB-Konferenz zurecht als ein herausragendes Beispiel für eine zukunftsorientierte Transformationspolitik gefeiert wurde,[9] blieb das Beispiel in der Linkspartei eher randständig oder wurde gar als Beleg für die Klassenpolitik einer privilegierten Lifestylelinken denunziert.

Die Linke – treibende Kraft einer Nachhaltigkeitsrevolution

Halten wir fest: Das Konzept einer verbindenden Klassenpolitik beruht auf einer guten strategischen Grundidee. Trotz Konkretionsversuchen in diversen Varianten eines Green New Deals fehlt es jedoch an Operationalisierung und vielleicht auch am Personal, um praktisch erfolgreich sein zu können. Ein Schwenk zum linken Sozialkonservatismus ist jedoch keine praktikable Alternative. Linkspopuläre Politik à la Nölke und Wagenknecht liefe auf das Ende der Linkspartei hinaus. Entsprechende Vorschläge verkennen, dass eine Partei, die pragmatische Sozialpolitik mit einer strikten Begrenzung der Zuwanderung verbindet, bereits existiert. Sozialdemokratische Politik, wie sie Wagenknecht vorschlägt, hat – sieht man vom radikalen Illiberalismus ab – in der SPD wieder eine politische Heimat. Als Strömung in der SPD stünden Wagenknecht und Co. mittlerweile allerdings in wichtigen Fragen deutlich rechts von dem, was in der Partei politisch Konsens ist. Was also tun? Als einem parteilosen Wissenschaftler und Sozialisten steht es mir nicht zu, Strömungspolitik zu beurteilen. Einige abschließende Überlegungen zur Zukunft der Linkspartei seien mir dennoch erlaubt.

Für die gesellschaftliche Linke allgemein und die Linkspartei im Besonderen gilt, dass sie sich auf einen neu konturierten Kapitalismus einstellen müssen, der mit marktradikal und neoliberal längst nicht mehr zureichend beschrieben werden kann. Erforderlich ist eine analytische ebenso wie praktisch-politische Auseinandersetzung mit dem neuen Staatsinterventionismus, wie ihn die Ampelkoalition trotz und mit FDP praktizieren wird. Die Grenzen dieses Interventionismus lassen sich bereits klar erkennen, denn Umverteilung von oben nach unten und vom Zentrum an die Peripherie wird es mit einem Finanzminister Christian Lindner nicht geben. Deshalb hängt auch die Finanzierung des sozial-ökologischen Umbaus und der dazu nötigen Innovationen in der Luft. Dauerkonflikte unter den Koalitionspartner*innen sind vorprogrammiert, was einer linken Opposition ein weites Aktionsfeld öffnet.

Kritik an der neuen Regierung wird sich allerdings nur dann progressiv wenden lassen, sofern die LINKE möglichst im Einklang mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dafür sorgt. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Linkspartei tatsächlich auf der Höhe der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise agiert. Kurzum: Die Linkspartei muss zur treibenden Kraft einer Nachhaltigkeitsrevolution werden. Ihre Aufgabe besteht darin, deutlich zu machen, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeit zusammengehören, weil das eine nicht ohne das andere zu haben ist. 

Nehmen wir als Beispiel das ungelöste Problem der Klimagerechtigkeit.In Deutschland verursachten die reichsten zehn Prozent der Haushalte 26 Prozent der Emissionslast; die untere Hälfte war zuletzt für 29 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das reichste ein Prozent sparte nichts ein, hingegen reduzierte die untere Hälfte ihre Emissionen um ein Drittel. Bei den Haushalten mit mittleren Einkommen in Deutschland betrugen die Einsparungen immerhin 12 Prozent. Auch zwischen den europäischen Staaten ist die Emissionslast höchst ungleich verteilt. Allein zehn Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen in vier reichen Mitgliedsstaaten – das sind in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien zusammengenommen 28,8 Millionen Menschen – emittieren mehr als die Bevölkerung von 16 ärmeren EU-Mitgliedsstaaten. Legt man das 1,5-Grad-Erderwärmungsziel zugrunde, müsste die untere Hälfte der Haushalte ihre Emissionslast in etwa halbieren; das reichste Prozent hätte seine Last hingegen auf ein Dreißigstel zu reduzieren (siehe Ivanova/Wood 2020; Oxfam 2020). Zugespitzt formuliert bedeutet dies, dass die Produktion von Luxusartikeln für die oberen Klassen und deren Konsum zu einer Haupttriebkraft des Klimawandels geworden sind, unter dessen Folgen europa- und weltweit vor allem diejenigen Bevölkerungsgruppen zu leiden haben, die häufig unter Zwang am meisten zur Reduktion von Emissionen beigetragen haben. Dieses Gerechtigkeitsproblem ist nicht gelöst und es ist auch nicht absehbar, dass die Ampelkoalition es überhaupt angeht.

Wird nicht gegengesteuert, kann das dazu führen, dass ökologisch notwendige Maßnahmen Beschäftigte aus den sogenannten Karbonbranchen, die sich um ihre Sicherheit und ihren sozialen Status sorgen, dem Lager der „ökologischen Konterrevolution“ in die Arme getrieben werden. Genau hier hätte die Linke mit progressiven Alternativen anzusetzen. Im Kern geht es um das Umsteuern in Richtung von Produktions- und Lebensweisen, die auf langlebigen Gütern und nachhaltig bereitgestellten Dienstleistungen beruhen. Alle konsumieren weniger, dafür aber qualitativ höherwertiger. Um dies zu ermöglichen, ist Umverteilung zugunsten der unteren Hälfte, deren Anteil an den Gesamteinkommen immer weiter sinkt (siehe DGB 2021),  zwingend erforderlich, denn eine höhere Produktqualität fordert angemessene Preise. Wer möchte, dass zum Beispiel Agrarproduzent*innen von ihren nachhaltig erzeugten Gütern wirklich leben können, wird höhere Preise für Nahrungsmittel akzeptieren müssen. Und wer vermeiden will, dass sich die Klassenspaltung am Gemüsestand, in der Bäckerei oder, so noch gewünscht, an der Fleischtheke, vor allem aber bei Strom, Heizung, Mieten, Mobilität, Gesundheit, Bildung und Kultur noch stärker bemerkbar macht, muss für angemessene Löhne und Einkommen sorgen. Ich zweifele daran, dass der Ampelkoalition dergleichen gelingt. Um so wichtiger wird es für die Linke, über exemplarische Themen, Kampagnen und parlamentarische Initiativen maximalen Druck auszuüben. Die Forderung nach und Bewegung für eine angemessene Vermögensabgabe wäre ein erster Schritt.

Zum Schluss

Das alles wird nur möglich sein, wenn die Partei, angefeuert durch lebendige interne Debatten, in Grundfragen mit einer Stimme spricht. Gelingt das nicht, findet sie in der Öffentlichkeit kein Gehör. Das Wahlprogramm mit seinem riesigen Forderungskatalog bietet genügend Ansatzpunkte für einen strömungsübergreifenden Konsens. Es fehlt allerdings die Zuspitzung für den politischen Tageskampf und es fehlt die nachhaltig sozialistische Vision, die die Linkspartei von anderen linken Kräften unterscheidet. Beides ließe sich zügig erarbeiten – sofern in den relevanten Strömungen der LINKEN überhaupt noch ein Einigungswille existiert. Denn in jedem Fall ist ein inhaltlicher Klärungsprozess nötig, der vermeidet, dass brennende politische Themen wie Migration, sozial-ökologische Transformation, neuer Staatsinterventionismus oder auch das Management der Corona-Pandemie zu Debatten führen, die die Linkspartei regelmäßig in Mosaiksteine zerlegt.