Kämpfe auf analogem wie digitalem Terrain lassen sich entlang ihrer unbewussten oder bewussten strategischen Ausrichtungen gruppieren. Auf dem Feld der Internet- und Kommunikationstechnologie erstrecken sich diese zwischen den Polen Verweigerung und subversive Affirmation. Die Verweigerung steht in der Kontinuität etwa feministischer Technikkritik oder auch radikaler (ökologischer) Wachstumskritiken, die technischen Fortschritt untrennbar mit ressourcenfressenden und lebenszerstörenden Wachstumsraten identifizieren (vgl. etwa Ullrich 1979). Sie wollen die ›echten‹ sozialen Beziehungen und das unmanipulierte Leben schützen und beharrten auf der Subsistenzfähigkeit analoger Produktions- und Kommunikationsmittel. Dort, wo sie sich nicht auf moralisierende und individualisierende Appelle beschränkten, digitalem Konsum und digitalen Produktionsmittel zu entsagen, orientierten sie sich an den Aufständen in fordistischen Zeiten gegen Patriarch, Regierung und Fabrikherrn mit der Leitparole: »Macht kaputt, was euch kaputt macht!«. Die subversive Affirmation hingegen hat verstanden, dass es kein Entkommen gibt aus der umfassenden Produktivkraftrevolution, die die Digitalisierung und die Möglichkeiten der globalen Echtzeitkommunikation bedeuten. Daher entlehnt sie aus den alten Kämpfen die widerständige Identität und aus dem Fundus der neuen technischen Möglichkeiten ihre Mittel. ›Smartes‹ Telefon und die diversen Vernetzungs- und Kommunikationsangebote der Konzerne sind willkommene Werkzeuge der Öffentlichkeitsarbeit und der Mobilisierung und Koordination von Aktivismus.
Das Problem der Verweigerungsstrategie ist, dass sie sich jeglicher technikbasierter Handlungsfähigkeit beraubt. Denn was in einem vergangenen Kampfzyklus noch erfolgreich war, als der Kampfort noch einheitlich und physisch-analog war und die Fabrik als Speerspitze der Produktivkraftentwicklung noch Adresse und Tor hatte, als die Patriarchen nur durch die Anerkennung ihrer Rolle Patriarch sein konnten und die Befehlshaber vom Gehorsam ihrer Untertanen abhingen, da hat die »Große Verweigerung« (Marcuse) gegen die Autoritäten der Disziplinargesellschaft ernsthaft Wirkung entfalten können. Heute, wo die Hierarchien flach, das Kommando liquide, die Produktion fragmentiert und in großen Teilen entweder ortlos oder ins Unerreichbare verlagert ist, da trifft die Verweigerung niemanden mehr. Der technologische Angriff – in Wahrheit ein sozialer und biopolitischer, der als technologischer daherkommt – subsumiert die Verweigerungshaltung als Relikt eines vergangenen Verwertungszyklus und fegt über sie hinweg. Die Verweigerung ist dem digitalen Angriff egal. Die subversive Affirmation hingegen ist handlungsfähig – genau in dem Maße, wie es die repressive Toleranz der Konzernregeln (AGB) und der staatlichen Gesetze zulässt. Die Netze und Dienste der Konzerne sind komplett überwacht. Das verdrängt die subversive Affirmation gerne und macht sich stattdessen vor, dass partieller und selektiver Gebrauch dieser Überwachungstechnologien des Gegners nicht zu dessen Gesamtbild der Welt beiträgt und so die gegnerische Macht weiter vergrößert. Aber genauso ist es: Die Algorithmen fügen die Puzzlestücke der vermeintlich subversiv affirmativen Aktivitäten zusammen. Die Subversion in der Affirmation ist Illusion. Mehr oder weniger bewusste Selbstzensur in Wort und Tat und die Inkorporation in den Angriff sind die Perspektive.
Im Folgenden versuche ich zu zeigen, dass es mit ›Hacktivismus‹, mit dem Hacken von Software, Hardware und sozialen Verhältnissen Praxisansätze gibt, die den Ausweg aus diesem strategischen Dilemma nicht etwa in einem cleveren Kompromiss auf dem Kontinuum zwischen Verweigerung und Affirmation nahelegen, sondern quer dazu, in einer strategischen Ausrichtung, die ich als Exodus (Hardt/Negri 2010, 166) bezeichnen möchte. Wikipedia fasst den Begriff des ›Hacktivismus‹ eng entlang von Protestformen: »Hacktivismus (Kofferwort aus Hack und Aktivismus, engl. hacktivism) ist die Verwendung von Computern und Computernetzwerken als Protestmittel, um politische Ziele zu erreichen.« Ich schlage hier vor, die Idee des Hackens weiter zu fassen und sie als die konstituierende Praxis einer bestimmten Lebensweise auch jenseits der technologischen Sphäre zu sehen: als den spielerischen kreativen Umgang mit Technik jeglicher, also nicht notwendigerweise nur computer- oder programmierungstechnischer Art.
»Wo der Ingenieur alles, was funktioniert, in Beschlag nimmt, damit alles besser funktioniert und er es in den Dienst des Systems stellen kann, fragt sich der Hacker, ›wie funktioniert das?‹, […] entreißt die Techniken dem technologischen System, um sie daraus zu befreien. Wenn wir Sklaven der Technologie sind, dann genau deshalb, weil es eine Reihe von Artefakten unserer täglichen Existenz gibt, die wir für besonders ›technisch‹ halten und sie auf immer als einfache Blackboxes betrachten, deren unschuldige NutzerInnen wir wären. Zu verstehen, wie jedes beliebige der Gerät funktioniert, das uns umgibt, verschafft uns ein Mehr an unmittelbarer Macht und gibt uns Zugriff auf das, was uns nun nicht mehr als Umgebung erscheint, sondern als eine Welt, die in einer bestimmten Weise aufgebaut ist und in die wir eingreifen können. Das ist die Sicht des Hackers auf die Welt.« (Das unsichtbare Komitee 2015, 94)
Die Arbeit der Hacker und der Häxen (so der sprachliche Versuch, die maskulinische Engführung der Bezeichnung aufzuheben) konstituiert eine Lebensweise, die auf die Aneignung, Produktion, Weiterentwicklung und Nutzung von Technik jenseits der kapitalistischen Einhegung von Technologie zielt. Denn das Zukünftige, auch in einer befreiten Variante, ist im Vergangenen und Gegenwärtigen angelegt, implizit. Hacken ist die explizierende Arbeit am Impliziten, am Reich der real existierenden Möglichkeiten der Befreiung, Bergungsarbeit am Implex (vgl. Dath/Kirchner 2012). Diese Arbeit entwickelt eine Fluchtbewegung (im Gegensatz zum Verharren der Verweigerung und zur Anpassung der Affirmation). Hacken läuft in Richtung des Exodus vom entsagungsvollen Imperium der kapitalistisch beherrschten und herrschenden Technologien ins gelobte Land der befreiten Technik, der Techniken der Befreiung. Um diese bewusst utopische strategische Ausrichtung quer zu Verweigerung und Affirmation zu etablieren, helfen vielleicht einige Anschaulichkeiten zum Praxisstand: Das Online-Lexikon Wikipedia wäre der erfolgreiche massenwirksame Hack des Prinzips Enzyklopädie. Eine analoge Uhr, umgebaut zu einem Zeitzünder, wäre ebenfalls ein Hack, ganz ohne dass dabei Computer oder Programmierarbeit eine Rolle spielten. Martin Luther hat durch seine Übersetzung aus dem Lateinischen die Bibel gehackt. Gutenberg versetzte dem Printmonopol der Klöster den Todesstoß. General Public License (GPL), die bekannteste Lizenz für freie Software, benutzt das Urheberrecht und die zuständigen Gerichte, um die Privatisierung von Programmcodes zu verhindern: mit den Mitteln des Eigentumsrechts gegen das geistige Eigentum, ein Hack der bürgerlichen Eigentumsordnung. Trägt die Arbeit an einem derartigen Hack zur Verbesserung menschlicher Arbeits- und Lebensbedingungen bei, zu mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit, dann lässt sich meines Erachtens ebenso von ›Hacktivismus‹ sprechen. Dabei beansprucht und nimmt sich ›Hacktivismus‹ vier Freiheiten:1