Die Gründung der Partei die LINKE im Jahr 2007 steht auch für eine Schwächung der sozialdemokratischen Hegemonie innerhalb der Gewerkschaften. Diese war seit den 1990er Jahren brüchig geworden, doch insbesondere im Zuge der Massenproteste gegen die Agenda-2010-Politik hatten sich Teile der Gewerkschaften endgültig von der neoliberalisierten SPD gelöst. Die Linke konnte in diese Lücke vorstoßen und sich als starke Minderheitenströmung in den Gewerkschaften etablieren. Gleichzeitig steht sie vor der Aufgabe, ihre Verankerung bei den gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen auszubauen und ihren ›Gebrauchswert‹ für die Kämpfe um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu erhöhen.1

Nicht zuletzt um solche Herausforderungen politisch angehen zu können, arbeiten Katja Kipping und ich seit 2012 an einer erneuerten Parteikultur und einer veränderten Strategie der LINKEN als »verbindende Partei« (vgl. Kipping/Riexinger 2015).2 Dahinter steht die Einsicht, dass eine Veränderung der Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft die Grundlage dafür ist, die politischen Kräfteverhältnisse im Staat verschieben und die ›Regierungsfrage‹ überhaupt stellen zu können. Sozialistische Parteien dürfen sich nicht auf die parlamentarische Repräsentation bereits existierender gesellschaftlicher Kräfte beschränken. Ihre Funktion besteht darin, aktiv die Klassenmacht der Lohnabhängigen und eine gesellschaftliche Hegemonie für emanzipatorische und sozialistische Ziele aufzubauen. Mit der Aufkündigung des sozialstaatlichen Klassenkompromisses im neoliberalen Kapitalismus haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Kapitalseite verschoben. Der Gebrauchswert einer sozialistischen Partei muss also darin bestehen, organisierte Macht aufzubauen, gemeinsame Interessen und politische Ziele der unterschiedlichen Teile der Lohnabhängigen zu formulieren und zu vertreten. Mit dem Konzept der verbindenden Partei geht einher, dass sich die LINKE nicht nur als parlamentarische Vertretung der Lohabhängigen versteht, sondern als ›organischer‹ und treibender Teil der Gewerkschaftsbewegung selbst. Im Unterschied zu Lenins Parteikonzept bedeutet dies aber nicht, die Gewerkschaft der Partei (die das Monopol des politischen Kampfes hat) unterzuordnen. Es geht um Bündnisse auf Augenhöhe und um die Entwicklung einer eigenständigen Arbeit in den Gewerkschaften. Diese muss sich daran messen lassen, ob sie geeignet ist, die Mehrheit der Lohnabhängigen (inklusive der Erwerbslosen) anzusprechen, solidarische Verbindungen zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen aufzubauen und mit eigenständigen Zielen in die Basis der Sozialdemokratie hineinzuwirken.

Aufbrüche in der Defensive – neue Streikerfahrungen unterstützen

Die Kehrseite des von neoliberalen Ökonomen und der Bundesregierung beschworenen »German Miracle«, der erfolgreichen Überwindung des tiefen Einbruchs im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008/09, ist die verstärkte Spaltung und Prekarisierung der Arbeits- und Lebenswelt. Millionen Menschen, 25 bis 30 Prozent aller Lohnabhängigen, arbeiten in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, als Leiharbeiter*innen, mit Werkverträgen oder in Minijobs. Die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro durch die Bundesregierung hat den größten Niedriglohnsektor Europas nicht beseitigt. Auch jenseits des Niedriglohnsektors kommen viele mit ihrem Verdienst kaum über die Runden.

Der IG Metall, mit über zwei Millionen Mitgliedern größte Einzelgewerkschaft Europas, ist es gelungen, ihren Organisationsgrad zu stabilisieren und moderate Lohnsteigerungen zu erzielen. Aber auch in den Industriebetrieben und im boomenden Exportsektor gibt es eine sich verfestigende Spaltung zwischen sogenannten Kernbelegschaften und den 20 bis 40 Prozent prekär Beschäftigten. Die Auslagerung von Arbeit in Werkvertragsfirmen ist mit Tarifflucht, Lohn- und Sozialdumping verbunden. Gleiches gilt für Privatisierungen und die Ausgliederung von Beschäftigten aus Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen in privat geführte Unternehmen. Diese Entwicklung hat fatale Folgen für die Organisations- und Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften. Die Reichweite der Tarifverträge ist dramatisch zurückgegangen: Nur noch 51 Prozent der Beschäftigten im Westen und 37 Prozent im Osten fallen darunter. Dies hat nicht zuletzt unmittelbare Folgen für die Entwicklung der Löhne: Zwischen tarifgebundenen und nichttarifgebundenen Beschäftigten liegt der Lohnunterschied bei rund 18 Prozent.

In den letzten Jahren haben sich nach Jahrzehnten mit relativ niedriger Streikaktivität neue Streikbewegungen etwa im Einzelhandel, im Bewachungsgewerbe, in Callcentern, in der Nahrungsmittelindustrie, im Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie sowie von Erzieher*innen oder Pflegekräften im Krankenhaus entwickelt. In diesen Streiks im Dienstleistungssektor sind auch neue Akteure auf den Plan getreten: Die Beteiligung von Frauen und auch von Migrant*innen ist hoch. An diese Tendenzen in den Klassenkämpfen anzuknüpfen und diese zum Ausgangspunkt einer politischen Offensive zu machen, ist der Kern der gewerkschaftspolitischen Strategie einer verbindenden Partei. Es ist eine zentrale Aufgabe der LINKEN, Ansätze gewerkschaftlicher Erneuerung, von mehr Konfliktorientierung und einer Demokratisierung von Streiks zu unterstützen. Einen Beitrag dazu leistet die Partei, indem sie Räume für den Erfahrungsaustausch zwischen Streikaktiven aus verschiedenen Unternehmen und Branchen schafft, in denen wechselseitige Lernprozesse stattfinden können und sich eine solidarische politische Kultur entwickeln kann. Dies wird von den Gewerkschaften allein kaum noch organisiert und trägt außerdem zur stärkeren Verankerung der LINKEN an der Basis der Gewerkschaften bei.

Um diese Verankerung an der Basis wollen wir uns in den nächsten Jahren verstärkt bemühen. Angesichts begrenzter Ressourcen ist es dabei sinnvoll, Schwerpunkte zu setzen, um an exemplarischen Konflikten und Branchen den Gebrauchswert einer linken Partei für die Lohnabhängigen insgesamt konkret zu machen und spürbare Erfolge zu erreichen. In einem ersten Schritt wollen wir uns dabei auf die Sozial-, Gesundheits- und Pflegeberufe konzentrieren. Im Bereich der sozialen Dienstleistungen sind mittlerweile mehr Menschen beschäftigt als in der Exportindustrie. Die Politik der Unterfinanzierung und Ökonomisierung des Sozialen ist Teil des neoliberalen Exportmodells. Diese zumeist von Frauen geleistete Arbeit mit Menschen wird gegenüber der Arbeit in der Exportindustrie abgewertet.

Einen historischen Erfolg in diesem Feld haben Anfang April 2016 die Pflegekräfte am Berliner Klinikum Charité errungen: den ersten Tarifvertrag für mehr Personal und weniger Stress im Krankenhaus. Der Arbeitskampf wurde jahrelang unter starker Einbeziehung der Beschäftigten vorbereitet, was nicht zuletzt durch neue Ansätze wie die »Tarifberater*innen« (Wolf 2015) gelungen ist. Durch einen sogenannten Betten- und Stationsschließungsstreik konnte auch in sensiblen Bereichen wie der Intensivpflege eine hohe Streikfähigkeit erreicht und so wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden. Die Forderung nach mehr Personal und weniger Arbeitsstress ermöglichte zudem Bündnisse mit Patient*innen und anderen Beschäftigtengruppen. Aktive aus Partei und sozialen Bewegungen gründeten ein Bündnis zur Unterstützung des Streiks, denn letztlich geht es um gute Gesundheitsversorgung und gute Arbeit statt Dauerstress für alle Menschen. Slogans wie »Mehr von uns ist besser für alle« oder »Streiken gegen die Burn-out-Gesellschaft« bringen das auf den Punkt. Das Beispiel Charité schlägt längst Wellen, in vielen Krankenhäusern bundesweit werden die Erfahrungen aus Berlin diskutiert und betriebliche Aktionen vorbereitet.

Im Rahmen einer Kampagne gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse (»Das muss drin sein«) versuchen wir den Kampf um mehr Personal in den sozialen Dienstleistungen auch politisch zu unterstützen und an die betrieblichen Auseinandersetzungen anzuknüpfen. In offenen Kampagnengruppen können Beschäftigte, Patient*innen und anderen Interessierte mitmachen. Perspektivisch geht es darum, die verschiedenen Auseinandersetzungen von den Krankenhäusern über die Kitas bis zu den Schulstreiks zu verbinden und zu einem gesellschaftspolitischen Kampf um die Aufwertung sozialer Dienstleistungen sowie den Ausbau von guter Bildung, Pflege und Gesundheitsversorgung für alle zu machen.

Politische Offensive für ein neues Normalarbeitsverhältnis

Einen wirklichen Ausweg aus der Defensive bietet jedoch nur ein branchenübergreifender  Aufbruch der Gewerkschaftsbewegung. Denn: Gelingt es einmal in einem bewundernswerten Kampf, wie im Einzelhandel 2014, den Angriff auf den Flächentarifvertrag abzuwehren, flüchten mehr und mehr Betriebe aus dem Tarifvertrag. Der wichtige Streik bei Amazon dauert auch deshalb Jahre, weil es objektiv schwierig ist, mit einer Belegschaft, in der viele befristet arbeiten und die einem starken Personalwechsel unterliegt, Arbeitskämpfe voranzubringen, die die Kapitalseite unter ökonomischen Druck setzen. 2015 streikten Zehntausende in den Sozial- und Erziehungsdiensten für eine deutliche Lohnerhöhung und damit auch für eine größere gesellschaftliche Anerkennung ihrer wichtigen, aber unterbezahlten Tätigkeiten. Aber unter dem Druck von Schuldenbremse und Finanznot in den Kommunen wurde sogar in diesem gut organisierten und streikfähigen Bereich mit einem längeren Arbeitskampf das Ziel einer nachhaltigen Aufwertung der sozialen Arbeit nur bedingt erreicht.

Die immer noch sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaftsapparate sind auf diese Herausforderungen schlecht vorbereitet. Obwohl die SPD außer der Einführung eines (lückenhaften und zu niedrigen) Mindestlohns in der Großen Koalition kaum Verbesserungen für die Lohabhängigen erreicht hat, halten die Gewerkschaftsführungen an einer Art Stillhalteabkommen mit der Großen Koalition fest. Im Gegenzug für den Verzicht der Regierung auf sozialpolitische Frontalangriffe verzichten sie darauf, Kämpfe zu bündeln und mit einer politischen Mobilisierung gegen prekäre Arbeit und Tarifflucht den Konflikt mit der neoliberalen Politik zu suchen.

In dieser Situation ist es die Aufgabe der LINKEN, die Diskussion um das politische Mandat der Gewerkschaften voranzutreiben und zum Motor eines politischen Aufbruchs gegen Deregulierung und Prekarisierung zu werden. Dazu bringen wir das Projekt eines »neuen Normalarbeitsverhältnisses« (vgl. Riexinger 2016 a) in die gewerkschaftliche Diskussion ein. Es soll dazu beitragen, die Interessen unterschiedlicher Klassenmilieus aufzunehmen und solidarisch zu verbinden. Gegen die neoliberale Herrschaft durch Spaltung geht es um ein Bündnis aus Erwerbslosen, verschiedenen Gruppen prekär Beschäftigter, den (noch) tariflich abgesicherten Beschäftigten in der Industrie und im öffentlichen Sektor (insbesondere der wachsenden Zahl im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich) sowie den Angehörigen sogenannter urbaner linker Milieus, das heißt vor allem höher qualifizierte und junge Menschen.

Dabei kann an übergreifende Problemlagen und an von ganz vielen geteilte Ansprüche auf ›gute Arbeit‹ angeknüpft werden: Es muss wieder zur Regel werden, dass die Menschen tariflich reguliert und sozialversicherungspflichtig arbeiten, dass die Löhne die Existenz sichern und für eine den Lebensstandard sichernde Rente reichen. Eine neue Regulierung kann kein einfaches Zurück zum alten Normalarbeitsverhältnis (mit der Norm: Vollzeit und rigide Arbeitszeiten, lebenslange Betriebszugehörigkeit) sein. Es geht um einen Hegemoniekampf von links: Arbeit muss für alle sicher, kürzer, geschlechtergerecht und gerecht verteilt, selbstbestimmt und demokratisch (mit-)gestaltet werden (vgl. ebd.). Statt Massenerwerbslosigkeit, Dauerstress und Existenzangst braucht es eine Umverteilung von Arbeit – auch zwischen den Geschlechtern. Überstunden und Entgrenzung auf der einen Seite und strukturelle Unterbeschäftigung durch Minijobs und unfreiwillige Teilzeit können durch ein neues flexibleres Arbeitszeitregime, das um eine 30- statt um eine 40-Stunden-Woche kreist, überwunden werden. Anders als die einseitig auf Flexibilisierung setzenden Konzepte der SPD und der Grünen geht es um soziale Absicherung (durch Lohnausgleich, Anhebung des Rentenniveaus), kürzerer Arbeitszeiten und die Umverteilung der Produktivitätsgewinne.

Ein neues Normalarbeitsverhältnis kann jedoch nur als Teil eines Übergangs hin zu einem anderen gesellschaftlichen Entwicklungspfad durchgesetzt werden, der einen Ausbau des Öffentlichen in Richtung sozialer Garantien für gute Gesundheitsversorgung, Bildung und Pflege, bezahlbare Wohnungen, Energieversorgung und Mobilität für alle einschließt. Auch angesichts der tiefen Krise der EU braucht es dringend eines wirtschaftspolitischen Kurswechsels in Deutschland. Die Forderung nach radikaler Umverteilung des Reichtums muss offensiv gestellt werden – genauso wie diejenige nach einer demokratischen Entscheidung über Investitionen. Diese könnten beispielsweise in die Förderung genossenschaftlichen Eigentums fließen. Durch den Aufbau eines öffentlichen Zukunftssektors, in dem sowohl Forschung und Entwicklung als auch industrielle Produktion auf der Grundlage neuer Technologien und in Form öffentlicher Unternehmen, Kooperativen und Genossenschaften ökologisch und demokratisch weiterentwickelt werden, können technologische Innovationen demokratisch und mit Blick auf gesellschaftlich sinnvolle Ziele gestaltet werden. In der radikalen Perspektive einer sozialökologischen Wirtschaftsdemokratie ist der notwendige Umbau von Industrie, Energieversorgung und Mobilität mit Schritten zur Vergesellschaftung der Schlüsselsektoren zu verbinden. Dies kann heute kaum noch im nationalstaatlichen Rahmen geschehen.

In den nächsten Jahren wollen wir daran arbeiten, diese Initiative für ein neues Normal­arbeitsverhältnis in den Gewerkschaften zu verankern. Als Einstiegsprojekt kann es dazu geeignet sein, bis weit in die Sozialdemokratie hinein breite Bündnisse für die Wiederherstellung der sozialen Grundlagen der Demokratie zu schließen. Die Linke ist aber in Deutschland derzeit nicht in der Lage, den Kampf um die Hegemonie insgesamt zu gewinnen. Nach Jahren der Niederlagen geht es für die Gewerkschaftsbewegung zunächst darum, Erfolgeund Verbesserungen der Lebensverhältnisse durch Organisierung und sozialen Protest zu erringen. Dazu ist es erforderlich, gewerkschaftliche Kämpfe zu bündeln und den politischen Konflikt mit der neoliberalen Politik offensiv aufzunehmen. Zwei Bündelungspunkte sind denkbar:

1 | Der von ganz unterschiedlichen Beschäftigtengruppen geteilte Anspruch auf existenzsichernde, gute Löhne und eine planbare Zukunft: Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass infolge des seit der neoliberalen Rentenreform der Schröder-Regierung sinkenden Rentenniveaus Löhne unter 12 Euro zu Altersarmut führen. Fast jedem Zweiten, der ab 2030 in Rente geht, droht eine Rente unterhalb der Armutsgrenze. Zwei Drittel der Bürger*innen trauen der Großen Koalition nicht zu, die Lawine der Altersarmut aufzuhalten. Die Gewerkschaften werden die Rentenfrage zu einem Schwerpunkt im Bundestagswahljahr 2017 machen. Die LINKE wird sich in die anstehende Auseinandersetzung um die Rente einmischen und den Zusammenhang von Rentenfrage und schwacher Lohnentwicklung infolge prekärer Arbeit und Tarifflucht thematisieren.

2 | Kampf gegen Tarifflucht: Ob Tarifverträge allgemeinverbindlich sind, ist im Kern eine politische Machtfrage. Die Gewerkschaften müssten darum kämpfen, dass es zukünftig reicht, wenn Anträge auf Allgemeinverbindlichkeit von den Gewerkschaften allein gestellt werden statt wie bisher im Einvernehmen mit der Kapitalseite. Tarifflucht durch Auslagerungen und Werkverträge muss gesetzlich verboten werden. Mit einer solchen Perspektive könnte ausgehend von Branchenauseinandersetzungen wie im Einzelhandel und bei Amazon der gesellschaftspolitische Kampf gegen prekäre Arbeit besser geführt werden.

Gemeinsamer Aufbruch gegen Neoliberalismus und Rechtspopulismus

Der Kampf gegen Prekarisierung und Spaltungsprozesse ist auch eine politische Schicksalsfrage für die Gewerkschaftsbewegung. Die Erfahrungen der Entfesselung von Konkurrenz und Unsicherheit im Alltag sind der Nährboden für den Aufstieg rechtspopulistischer und autoritärer Kräfte. Der Blick über die Grenzen in die europäischen Nachbarländer zeigt: Wir befinden uns inmitten einer tief greifenden Krise und Erosion der Sozialdemokratie und damit verbunden der sozialen Grundlagen der Demokratie. Die Rechten stoßen in die Lücke der Repräsentation, die auch eine neoliberalisierte Sozialdemokratie hinterlassen hat. Seit Jahren weisen Untersuchungen auf eine relativ starke Verbreitung rassistischer, nationalistischer und autoritäter Denkmuster in den Gewerkschaften hin. Bei den regionalen Wahlen im März dieses Jahres schnitt die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) unter Gewerkschafter*innen überdurchschnittlich stark ab: Über 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in Baden-Württemberg und 24 Prozent in Sachsen-Anhalt stimmten für die AfD, obwohl diese Partei ein gewerkschaftsfeindliches Programm hat. Es besteht die Gefahr, dass es der Rechten gelingen könnte, das Feld der Auseinandersetzung um soziale Fragen dauerhaft rassistisch zu verschieben. Viele Menschen halten eine Umverteilung des Reichtums kaum für möglich und grenzen sich im alltäglichen Konkurrenzkampf um ein Stück vom (in der Alltagswahrnehmung kleiner werdenden) ›Kuchen‹ nach ›außen‹ und ›unten‹ ab. In diesem Fatalismus manifestiert sich nicht zuletzt die zentrale Schwäche der gesellschaftlichen Linken, schrittweise Veränderungen im Alltagsbewusstsein herbeizuführen. Die LINKE versteht sich in dieser Situation als organisierende Kraft, als verbindende Partei eines gesellschaftlichen Bündnisses gegen Neoliberalismus und Rechtspopulismus (vgl. Riexinger 2016 b).

Die Vernichtung der Lebensgrundlagen für Hunderte Millionen Menschen vor allem im globalen Süden durch Landnahme, die Ausplünderung von Ressourcen und durch die Folgen ökologischer Krisen und Kriege führten zu starken Migrationsbewegungen. Das Kapital hat Migration historisch immer genutzt, um die Konkurrenz unter Lohnabhängigen zu verschärfen und Spaltungen zu befördern. Es gilt den Kampf um die Köpfe an der Gewerkschaftsbasis zu führen: klare Kante gegen Rassismus und Nationalismus zu zeigen und gleichzeitig für eine gemeinsame Organisierung im Kampf um gleiche Rechte und Lebensbedingungen einzutreten.

Gemeinsam mit vielen Gewerkschaftsaktiven und anderen progressiven Teilen der Zivilgesellschaft bauen wir breite Bündnisse gegen die Rechtsentwicklung auf. So ist das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« entstanden, das 10 000 ›Stammtischkämpfer*innen‹, ausbilden und so die ideologische Auseinandersetzung mit der AfD in den Stadteilen, Schulen, Vereinen und in den Betrieben intensivieren will.

Die zentrale Herausforderung für die Gewerkschaftsbewegung und die LINKE besteht jedoch darin, die soziale Frage neu zuzuspitzen: hin zu einem Kampf gegen die Superreichen und Profiteure von Armut und Ungerechtigkeit. Gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac, Migrantenverbänden, Flüchtlingsunterstützer*innen und antifaschistischen Initiativen wollen wir eine neue Initiative für eine Umverteilung des Reichtums voranbringen, um gute Arbeit, armutsfeste Renten, gute Gesundheitsversorgung, Pflege, Bildung und bezahlbaren Wohnraum für Menschen zu verwirklichen.

1 Auch unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Finanzkrise konnte die LINKE bei der Bundestagswahl 2009 17,1 Prozent bei den Gewerkschaftsmitgliedern erzielen, die SPD kam auf 33,5 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte Merkels CDU große Zugewinne bei den Gewerkschaftsmitgliedern und lag mit 32,4 Prozent fast gleichauf mit der SPD (35,9 Prozent). Die LINKE kam auf elf Prozent – angesichts der Krise der Partei 2012 ein gutes Ergebnis.

2 Der Begriff wurde ursprünglich in den Diskussionen im Umfeld der Rifondazione Communista entwickelt (vgl. Porcaro 2011 und in diesem Heft).

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