Eine Momentaufnahme:lIn Nigeria droht die Ölarbeitergewerkschaft Pengassan mit dem vollständigen Stopp der Ölförderung in Afrikas größtem Rohöl-Land, das Öl u.a. in die USA, nach Brasilien und Indien exportiert.

Chevron is guilty. CC Rainforest Action Network

Die Regierung soll Subventionen wieder einführen, ohne die sich über Nacht der Benzinpreis verdoppelt hatte. Die Arbeiter haben gute Chancen: Erst vor wenigen Monaten war die Bolivianische Regierung durch massiven Druck von der Straße gezwungen worden, eine ähnliche Brennstoffpreiserhöhung zurück zu nehmen. Währenddessen eskaliert die Auseinandersetzung um Irans Nuklearprogramm, in Teheran wird ein Atomphysiker von einer Autobombe zerrissen, Japan droht dem Land mit einer Reduktion der Ölimporte. Die brasilianische Regierung erhöht die Subventionen für Agrosprit aus Zuckerrohr, nur wenige Tage nachdem die USA Importzölle auf den gerne fälschlicherweise als »Biosprit« bezeichneten Kraftstoff abgeschafft haben.

Weil der bundesdeutsche »Atomausstieg« angeblich die Gewinnmargen der großen vier Energiekonzerne – EOn, RWE, Vattenfall und EnBW – schmälert, drängen diese nun mit noch größerer Macht auf die internationalen Märkte, um künftig einen großen Anteil ihres Stroms in Brasilien und Chile zu produzieren.

Energiekämpfe

Seit Jahren drängt das Energiethema in das Zentrum der politischen Agenda, ob auf der geopolitischen Ebene – der »War on Terror« als »War for Energy« (Klare 2008) –, auf der bundesdeutschen Ebene (»Energiewende«) oder im Alltagsleben, wo mittlerweile »Stromwechselparties« wie früher Tupper-Parties veranstaltet werden. Ob Ölpest im Golf von Mexiko oder Atomausstieg in der BRD, ob Klimagipfel in Südafrika oder Aufstände in Zentralasien, Energiekämpfe – soziale Kämpfe um die Kontrolle über, den Zugang zu und den Preis von Energie – waren immer und werden immer mehr zentrales Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Verteilung und Ökologie, um Produktions- und Lebensweise. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist auch die Geschichte von Energiekämpfen, denn »jede Energieform impliziert eine besondere Organisierung von Arbeit« sowie eine bestimmte gesellschaftliche Arbeitsteilung (Abramsky 2010, 10).

Die Zentralität von Energiekämpfen in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen erschließt sich einfach: Energie ist eine hochprofitable Ware, Voraussetzung jeder Produktion ebenso wie Grundlage aller Reproduktion. Energie ist Potenzial, im Alltag die Möglichkeit, von A nach B zu gelangen oder die Wohnung zu heizen, Kaffee zu kochen; für Kapitale die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und sie teilweise zu ersetzen; für Regierungen die Möglichkeit, das Militär auf Auslandseinsätze zu schicken oder über die gezielte Verbilligung/Verteuerung von Wärme gesellschaftliche Kompromisse zu schmieden.

Energie spielt eine zentrale Rolle in Klassenkämpfen: Energie ist die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und unabdingbar für die Steigerung des relativen Mehrwerts (im Gegensatz zur Steigerung des absoluten Mehrwerts durch Verlängerung des Arbeitstages). Ihre Kontrolle stellt deshalb eine zentrale Machtressource in Arbeits- und Klassenkämpfen dar. Gerade weil etwa Aktionen von Beschäftigten der Kohle- und Ölindustrie ein so großes gesellschaftliches Störpotenzial haben, werden weltweit enorme Ressourcen aufgewandt, um sie zu kooptieren; wenn sie aufmüpfig werden, werden sie brutal unter- drückt. Energiekämpfe nehmen verschiedene Formen an: ob staatliche Subventionen für erneuerbare oder fossile Energien, ob feindliche Übernahmen eines Energiekonzerns durch einen anderen, sie werden von allen gesellschaftlichen Akteuren auf jeder gesellschaftlichen Ebene geführt.

Energiekämpfe und Transformation

Die gegenwärtige Häufung, Intensivierung und Verdichtung von Energiekämpfen markiert den Übergang von einem auf fossilen Brennstoffen basierenden Energiesystem hin zu einem postfossilen, in dem erneuerbare Energien eine wachsende Rolle spielen – dabei verschwinden die alten Energieträger nicht, sondern werden vom neuen Energiesystem überlagert. Die Transformation eines Energiesystems ist eng verbunden mit tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur des globalen Kapitalismus und der Bedingungen gesellschaftlicher Kämpfe. Der merkantile Frühkapitalismus, der sich seit dem 16. Jahrhundert von Europa aus in die ganze Welt ausdehnte, basierte zunächst auf erneuerbaren Energien, d.h. auf Wind, Wasser und Biomasse (Caffentzis 2009). Die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung Großbritanniens schien an die Grenzen dieses Energieregimes zu stoßen, weil Land sowohl zur Nahrungsmittel- als auch zur Treibstoffproduktion genutzt wurde. Die begrenzte Landmasse der britischen Inseln konnte diese Doppelfunktion nicht erfüllen. Ab 1780 wurde dieses Problem gelöst: Die Energie wurde nun unter der Erde gewonnen – aus Kohle.

Der Aufstieg des industriellen Kapitalismus, kapitalistischer Klassenverhältnisse sowie britischer Hegemonie fallen also zusammen mit der Entstehung des ersten fossilen Energiesystems; das globalisierte Massenproduktionssystem fordistischer Prägung unter US-Hegemonie wiederum mit dem Erdöl als zentralem Energieträger. Lenin definierte daher den Kommunismus als »Sowjetmacht plus Elektrifizierung«. Heute stellt sich erneut die Frage, welches Energiesystem mit welchem Typus von Gesellschaftsformation als Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe verbunden werden wird.

Die kommende Energiewende

Es sind drei globale Krisentendenzen, die ein Ende des kapitalistischen Fossilismus nahe legen bzw. verursachen könnten.

  1. Die globale Energiekrise, deren Existenz mittlerweile sogar von der Internationalen Energieagentur anerkannt wird. Sie ist einerseits Resultat von steigender Nachfrage nach Energie im Kontext der rapiden Industrialisierungsprozesse vor allem in China und anderen neuen kapitalistischen Zentren wie Indien oder Brasilien; andererseits eines sinkenden Angebots, weil weltweit das Fördermaximum fossiler Brennstoffe (peak fossils) erreicht ist. Die extremen Vorhersagen der »Peakists« mögen bisher nicht eingetroffen sein, unter anderem, weil immer riskantere Bohrungen in immer entlegeneren Gegenden der Welt durchgeführt werden. Es lässt sich also nicht genau sagen, ab wann der absolute Rückgang beginnt, die Tendenz und die manifesten Folgen in Form steigender Preise aber lassen sich nicht bezweifeln.
  2. Die eskalierende Klimakrise, deren zentrale Ursache ist, dass Gesellschaften, in denen die (privat- und/oder staats-) kapitalistische Produktionsweise dominiert, seit 250 Jahren enorme Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpen. Dies erzeugt Verwerfungen – soziale Unruhen, Migrationsströme, die Störung globaler Produktionsketten, steigende Kosten, wachsende Konkurrenz und andere Faktoren – und darüber steigenden politischen Druck, diese Krise durch einen Umbau des globalen Energiesystems zu bearbeiten.
  3. Die ökonomische Krise, auf welche die populärste Antwort der Vorschlag für eine grüne Modernisierung des Kapitalismus (Kaufmann/Müller 2009) ist. Der Staat soll die nötigen Rahmenbedingungen schaffen und Investitionen leisten, um einen auf erneuerbaren Energien beruhenden kapitalistischen Wachstumszyklus anzuschieben. In der Bundesrepublik wollen oligopolistische Energieunternehmen zusammen mit der Finanzindustrie die erneuerbaren Energien unter ihr zentralisiertes Energiesystem subsumieren: Private Equity Fonds wie Blackstone investieren mehrere Milliarden Euro in Offshore-Windparks von EON, Vattenfall oder RWE vor der deutschen Küste. Eine Energieeinspeisevergütung von 150 Euro pro Megawattstunde, Übernahme der Kosten des Netzausbaus durch den Netzbetreiber, direkte Förderung durch die Bundesregierung und vergünstigte KfW-Kredite sollen hohe Profite ermöglichen.[2]

Eine vierte Entwicklung könnte ebenfalls eine globale Energiewende antreiben: der neue Zyklus von Demokratisierungskämpfen, der sich aus den Ruinen der neoliberalen Postdemokratie erhebt. Der Zusammenhang zwischen Demokratisierungsprozessen und einer möglichen Energiewende zeigt sich in der von Hermann Scheer so bezeichneten »Techno-Logik« von Energieträgern: Während fossile und nukleare Technologien eine starke Tendenz zur Zentralisierung aufweisen, ist es viel leichter, sich ein demokratisiertes, vergesellschaftetes und dezentralisiertes erneuerbares Energiesystem vorzustellen. Die Verknüpfung von Energiekämpfen mit dieser Welle von Demokratiebewegungen würde eine Stärkung der Tendenz zu dezentralen, demokratisch gesteuerten, erneuerbaren Energiesystemen bedeuten. Sicher sind Hinterhofwindräder leichter denkbar als Hinterhofatomkraftwerke. Allerdings erinnert Caffentzis (2009) daran, dass ein Energiesystem auf Basis regenerativer Energien keineswegs automatisch eine friedliche, gar postkapitalistische Welt begründen würde: »Das letzte Mal, als der Kapitalismus auf einem erneuerbaren Energieregime basierte – vom 16. bis zum Ende des 18.Jahrhunderts« – war eine Zeit der Kriege, des Völkermordes an Indigenen, des Handels mit afrikanischen Sklaven und der gewaltsamen Expropriation und Vertreibung der europäischen Bauern in die Städte. Gesellschaftliche Antagonismen werden sich verschieben – sie werden aber nicht verschwinden.

DIE LINKE und die Energiewende

Ein Blick auf die politische Landschaft hierzulande verstärkt den Eindruck, dass die Energiewende einen wichtigen Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Kämpfe darstellt, stehen doch die Vorzeichen für eine progressive Entwicklung im Energiesektor recht gut: Es findet sich eine Vielzahl von Akteuren, die emanzipatorische Energiekämpfe führen. Die Anti-Atom-Bewegung ist breit verankert, von lokalen Bauernorganisationen und (post)autonomen Subkulturen bis hin zum parlamentarischen Betrieb und dem gesellschaftlichen Alltagsverstand. Sie ist ungewöhnlich effektiv, schaffte sie es doch schon, zwei unwillige Regierungen zu einem gesetzlichen »Atomausstieg« zu zwingen, unabhängig davon wie real bzw. langsam der Ausstieg vonstatten geht (vgl. Schönberger im Heft). Darüber hinaus gibt es erfolgreiche Kämpfe gegen Kohlekraft: In den letzten Jahren konnten 17 von 34 geplanten Kraftwerksneubauten verhindert werden – auch dank sinkender Rentabilität von Kohlekraftwerken.3 In den Parlamenten wiederum gibt es mit Die Linke und den Grünen Parteien, die zumindest eine emanzipatorische Energiewende vorantreiben könnten.

Etwas komplizierter ist das Feld der gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen. Einerseits vertreten Gewerkschaften zumeist die Interessen ihrer Mitglieder im Atom- und Kohlesektor. So zum Beispiel im Jahre 2006, als sich die Chefs von ver.di, der IG BCE, IG Bau und IG Metall in einem offenen Brief an die Bundesregierung für »den langfristigen Erhalt des Kraftwerksstandorts Deutschland mit seinen Arbeitsplätzen« und damit gegen strengere klimapolitische Richtlinien aussprachen.4 Manche, allen voran ver.di und die IG Metall, versuchen mittlerweile aktiv, den schnell wachsenden erneuerbaren Sektor zu organisieren, was die Kräfteverhältnisse verschieben könnte. Die IG Metall setzt in ihrem energiepolitischen Konzept auf erneuerbare Energien ohne AtomstromS; ver.di setzt in ihrem Alternativszenario zur EON-Strategie2.0 (Berlin 2011) auf einen zunehmend »regulierten Bereich dezentraler Erzeugungsstrukturen«. Entsprechend soll auch der Konzern in Richtung eines »integrierten Systemdienstleisters für dezentrale, kundennahe Erzeugungsanlagen« umgebaut werden. Zugleich sollen die geplanten, »notwendigen Neubauten von Kohlekraftwerken nicht […] in Frage« gestellt werden.

Der wohl politisch wirkungsmächtigste Akteur dieser Energiewende ist die »grüne« Kapitalfraktion, die es zunehmend schafft, die politischen Kräfteverhältnisse in den Energieindustrien neu zu ordnen. Sie stammt aus der Alternativen- und Umweltbewegung, konnte sich über die Grüne Partei in die Staatsapparate einschreiben und durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das ihre Profite garantiert, ihren eigenen Ausbau vorantreiben. Sie muss Bestandteil eines progressiven Blocks im Energiesektor sein, denn ohne erneuerbare Energien keine Energiewende, aber das Verhältnis zu einer Branche, in der oft dramatisch schlechte Arbeitsbedingungen und hohe Ausbeutungsraten herrschen, kann von links kein unproblematisches sein – von der privatkapitalistischen Natur dieses Akteurs ganz zu schweigen.

Zu nennen wären auch die vielen lokalen Bürgerinitiativen, die mal gegen den Ausbau neuer Stromtrassen kämpfen, mal gegen die Ansiedlung neuer Windräder oder auch gegen so genannte Pumpspeicher, die notwendig sind, um die schwankend produzierten erneuerbaren Energien zu speichern, bis sie wirklich gebraucht werden. Empirisch gibt es verschiedene Gründe, warum sich Menschen an diesen Kämpfen beteiligen: Manchen geht es vor allem darum, kein Windrad im Garten zu haben – soll die Energiewende doch woanders umgesetzt werden. Andere sind zwar von der Energiewende überzeugt, stehen aber dem Bau neuer Hochspannungsleitungen skeptisch gegenüber: Geht es hier nicht nur um eine Festigung des Oligopols der großen Anbieter? Wieder andere kämpfen gegen »von oben« durchgesetzte Pumpspeicher aus denselben Gründen, die viele Menschen in Stuttgart auf die Straße trieben: Nach 30 Jahren neoliberaler Entdemokratisierung ist das Gefühl, immer weniger Macht über das eigene Leben zu haben, weit verbreitet, wie auch der Wunsch, diese Macht in das eigene Alltagsleben zurückzuholen. Welche Rolle werden diese Akteure in der »Energiewende« spielen?

Und was macht in diesem Prozess die »Gegenseite«, so sie denn identifizierbar ist? Kurzfristiges Ziel der Energiekonzerne und ihrer Verbündeten in der Regierung ist es, die Wende so weit hinauszuzögern, dass erstere sich im erneuerbaren Sektor – den sie zum Großteil vernachlässigt hatten – so gut aufstellen, dass sie im neuen Energiesystem eine ähnlich dominante Rolle spielen wie im alten. Zu diesem Zweck wird von Regierungsseite die Zentralisierung der erneuerbaren Energien vorangetrieben, indem die Weichen für neue Stromtrassen und andere Investitionen so gestellt werden, dass am Ende vor allem großtechnologische Anlagen wie Desertec (tausende Sonnenkollektoren in der Sahara) oder gigantische Offshore-Windparks wirklich profitabel sind. Langfristig besteht hier die Gefahr einer schwarz-grünen Hegemonie, die sich vor allem um eine solche grün-kapitalistische Energiewende herum bilden könnte (vgl. Rilling 2011; IfG 2011). Auf diesem Feld ergeben sich mögliche Überschneidungen »grüner« Interessen mit neomerkantilistischen Strategien: Deutschland als »erneuerbarer Exportweltmeister«?

In der Energiewende verschiebt sich also das politische Feld, auch in Bezug auf traditionell linke Themen wie die Eigentumsfrage: Der Ruf nach der Vergesellschaftung der Stromkonzerne wird wieder lauter (ob von Die Linke, attac oder der Interventionistischen Linken), die Frage der Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen wird immer wieder aufgeworfen, die Politisierung des Widerspruchs zwischen Kapitalakkumulation und menschenwürdigem Überleben in relativ stabilen öko-sozialen Systemen lässt sich kaum verdrängen. Die Formulierung einer sozial wie ökologisch verträglichen Energiepolitik ist eine zentrale Herausforderung für linke gesellschaftliche Akteure. Eine breite Palette möglicher Verbündeter bietet sich an, das sollte es leichter machen. Und: In keinem anderen zentralen Feld stehen die Vorzeichen derart gut für eine radikaldemokratische Politikwende. Hier gilt doch wieder Scheers Argument von der »Techno-Logik« der Erneuerbaren.

Energiedemokratie

Wie nun diese verschiedenen Akteure und Interessen unter einen Hut bringen? Ob in Brandenburg oder Bolivien, im weiteren Sinne linke Regierungen stehen häufig vor der Wahl, Jobs für ihre gesellschaftliche Basis zu schaffen und Sozialprogramme zu finanzieren, aber dabei ökologische Zerstörung in Kauf zu nehmen, mithin die Zerstörung der Lebensgrundlagen genau derjenigen marginalisierten Menschen, für deren Interessen die Linke kämpfen sollte. Die wachstumskritische Antwort auf dieses Dilemma ist, dass wir insgesamt weniger Energie produzieren und konsumieren sollten. Wie aber lässt sich angesichts gesellschaftlicher Ungleichheiten, der Macht bestimmter Produktions- und Lebensweisen, weniger (Energie-)Konsum in wachsenden Zeitwohlstand bei gerechterer Verteilung übersetzen? Was sind gerechte Energiepreise? Die klassisch-grüne Position ist, das Einpreisen ökologischer »Externalitäten« zu fordern, was de facto eine Preiserhöhung für Energie bedeutet. Von links muss der Fokus auf der Vermeidung von Energiearmut liegen, was eine einfache Regulierung des Energiekonsums über den Preis zu einer ungerechten »falschen Lösung« werden lässt. Eine Möglichkeit wären sozial gestaffelte Strompreise mit relativ niedrigem Grundtarif für alle und rasch steigenden Preisen für Mehrverbrauch…

Wie wird die lokal kämpfende Bürgerinitiative überzeugt, dass hier ein Pumpspeicher oder eine Stromtrasse gebaut werden soll? Wie der grüne Kapitalist, dies gerade hier eben nicht zu tun? Wie die Gewerkschaft, wie die Arbeiterin, dass dieser oder jener industrielle Arbeitsplatz wegfallen muss? Wie die Umweltaktivistin, dass eine Grube nicht immer so schnell geschlossen werden kann, wie die Forderung Leave the Coal in the Hole nahe legen würde? Klassischerweise überließ die Linke die hegemoniale Funktion, d.h. die Verallgemeinerung bestimmter Interessen und damit auch die Unterordnung anderer, entweder dem bürgerlichen Staat (Sozialdemokratie) oder der Partei (klassischer Leninismus). In einer Mosaiklinken muss dieser Prozess anders aussehen.

Wie also kann, bei derartig widerstreitenden Interessen und unklaren Positionen, eine breite progressive Koalition gesellschaftlicher Akteure im Kampf für eine soziale und ökologische Energiewende zusammengebracht werden? Antwort: unter der einigenden Klammer des Kampfes für Energiedemokratie, den sich vor einigen Jahren bereits die attac-Kampagne Power to the People auf die Fahnen geschrieben hatte, und der die Energiekämpfe noch einmal in den Kontext der globalen Bewegungen der letzten Jahre stellt. Der genaue Inhalt dieser Forderung ist umkämpft, aber einige Eckpunkte müssten sein (vgl. gegenstromberlin, 2012):

Ökologisierung: Der gesamte Energiesektor (d.h. Strom, Wärme und Transport) muss mit staatlicher Unterstützung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt werden. Bis wann dies möglich wäre, daran scheiden sich die Geister. Dass es schneller geschehen muss als bisher geplant, ist klar: Die Länder des Nordens müssen bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 90 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduzieren.

Demokratisierung: Der gesamte Energiesektor muss vergesellschaftet und so weit wie möglich (vgl. Debatte Hänggi u. Witt in diesem Heft) dezentralisiert, d.h. vor allem rekommunalisiert werden. Dies impliziert die Enteignung und Zerschlagung der großen Stromkonzerne sowie eine Rückführung energiepolitischer Handlungskompetenzen zu den Stadtwerken. Unter den gegebenen Bedingungen von »Verbetriebswirtschaftlichung« und Profitorientierung spielen öffentliche Unternehmen zwar oft eine unrühmliche Rolle, sie bieten aber doch ein existierendes Institutionengefüge für Demokratisierungsprozesse. Die Stadtwerke in Sacramento (Kalifornien) sind hier ein anschauliches Beispiel eines demokratisch geführten öffentlichen Unternehmens (vgl. Latza in diesem Heft).

Reduzierung: Es ist unzureichend, nur eine Umstellung des Energiesektors bei konstant steigendem Output auf erneuerbare Energien zu fordern. Wachstumskritik muss in der Forderung nach einer Reduktion von Energieproduktion und Energiekonsums münden – wobei die stoffliche und energetische Reduktion an Barrieren eines kapitalistischen Verwertungs- und Wachstumszwangs stößt.

Interessant am Ruf nach Energiedemokratie sind die strategischen Möglichkeiten, die er in Bezug auf die Konstitution einer Mosaiklinken (vgl. Luxemburg 1/2010), eines emanzipatorischen Blocks im Energiesektor eröffnet. Die genannten möglichen Akteure einer progressiven Energiewende sind aus verschiedenen Gründen in Energiekämpfe involviert, u.U. auf der Basis von Sachinteressen, die objektiv gegeneinander stehen. Der lokale Kampf gegen ein Kohlekraftwerk steht im Widerspruch zum gewerkschaftlichen Interesse an der Schaffung neuer Arbeitsplätze dort. Das Interesse am schnellen Ausbau von Windkraft steht u.U. im direkten Widerspruch zum Interesse derjenigen Landbesitzer, die nicht wollen, dass ihnen »von oben« ein Windrad vor die Nase gesetzt wird.

In einem gemeinsamen Kampf für Energiedemokratie würden die Forderungen, die in den jeweiligen Energiekämpfen artikuliert werden, nicht zuerst aufgrund ihrer sachlichen Differenz, sondern aufgrund ihrer strategischen Gemeinsamkeiten konvergieren. In jedem Fall geht es darum, mehr Macht über das eigene Alltagsleben zu gewinnen: Die Initiativen gegen Kraftwerke oder Windparks agieren aus dem verständlichen Impuls, dass sie bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes und der Art und Weise, wie dort Energie produziert wird, ein Wörtchen mitreden wollen. Gewerkschaftliche Kämpfe für Wirtschaftsdemokratie im Energiesektor und gerechte Übergänge beim Abbau von Jobs in bestimmten Industrien sind gleichzeitig demokratisierende Energiekämpfe. Neue soziale Akteure und Bewegungen entstehen, wenn sich ihre (potenziellen) Bestandteile auf das ihnen Gemeinsame beziehen, und nicht auf das, was sie trennt. Der Ruf nach Energiedemokratie ermöglicht nicht nur, dass verschiedene Energiekämpfe sich aufeinander beziehen, er enthält auch die Anerkennung und Legitimierung verschiedener und u.U. widerstreitender Interessen in diesen Kämpfen, und die Notwendigkeit nicht des Sieges eines Akteurs über den anderen, sondern der Vermittlung zwischen ihnen. Es geht um einen politischen Konstruktionsakt: nicht nur um das Erkennen von empirisch gegebenen Interessen, sondern auch um ihre Reartikulation in einen progressiven Block hinein.

Epilog: Momentaufnahme 2. Teil: Am 18.1.2012 berichtet die Financial Times, dass die anhaltenden Benzinproteste in Nigeria erfolgreich sind. Präsident Goodluck Jonathan verspricht, die Preise um über ein Drittel zu senken und die Korruption im Ölsektor zu bekämpfen, die in den Augen vieler Nigerianerinnen für die hohen Preise und die schlechte Versorgung dieses ölproduzierenden Landes mit dem eigenen Produkt verantwortlich ist. Am Nachmittag berichtet der britische Guardian, dass eine Erkundungsplattform der Firma Chevron vor der nigerianischen Küste am Mittag explodierte. Zwei Arbeiter werden vermisst, die Regierung meldet die wohl schlimmste Ölkatastrophe seit einem Jahrzehnt.

Willkommen in der Welt der Energiekämpfe.

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