Eine Momentaufnahme:lIn Nigeria droht die Ölarbeitergewerkschaft Pengassan mit dem vollständigen Stopp der Ölförderung in Afrikas größtem Rohöl-Land, das Öl u.a. in die USA, nach Brasilien und Indien exportiert.
Chevron is guilty. CC Rainforest Action Network
Die Regierung soll Subventionen wieder einführen, ohne die sich über Nacht der Benzinpreis verdoppelt hatte. Die Arbeiter haben gute Chancen: Erst vor wenigen Monaten war die Bolivianische Regierung durch massiven Druck von der Straße gezwungen worden, eine ähnliche Brennstoffpreiserhöhung zurück zu nehmen. Währenddessen eskaliert die Auseinandersetzung um Irans Nuklearprogramm, in Teheran wird ein Atomphysiker von einer Autobombe zerrissen, Japan droht dem Land mit einer Reduktion der Ölimporte. Die brasilianische Regierung erhöht die Subventionen für Agrosprit aus Zuckerrohr, nur wenige Tage nachdem die USA Importzölle auf den gerne fälschlicherweise als »Biosprit« bezeichneten Kraftstoff abgeschafft haben.
Weil der bundesdeutsche »Atomausstieg« angeblich die Gewinnmargen der großen vier Energiekonzerne – EOn, RWE, Vattenfall und EnBW – schmälert, drängen diese nun mit noch größerer Macht auf die internationalen Märkte, um künftig einen großen Anteil ihres Stroms in Brasilien und Chile zu produzieren.
Energiekämpfe
Seit Jahren drängt das Energiethema in das Zentrum der politischen Agenda, ob auf der geopolitischen Ebene – der »War on Terror« als »War for Energy« (Klare 2008) –, auf der bundesdeutschen Ebene (»Energiewende«) oder im Alltagsleben, wo mittlerweile »Stromwechselparties« wie früher Tupper-Parties veranstaltet werden. Ob Ölpest im Golf von Mexiko oder Atomausstieg in der BRD, ob Klimagipfel in Südafrika oder Aufstände in Zentralasien, Energiekämpfe – soziale Kämpfe um die Kontrolle über, den Zugang zu und den Preis von Energie – waren immer und werden immer mehr zentrales Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Verteilung und Ökologie, um Produktions- und Lebensweise. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist auch die Geschichte von Energiekämpfen, denn »jede Energieform impliziert eine besondere Organisierung von Arbeit« sowie eine bestimmte gesellschaftliche Arbeitsteilung (Abramsky 2010, 10).
Die Zentralität von Energiekämpfen in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen erschließt sich einfach: Energie ist eine hochprofitable Ware, Voraussetzung jeder Produktion ebenso wie Grundlage aller Reproduktion. Energie ist Potenzial, im Alltag die Möglichkeit, von A nach B zu gelangen oder die Wohnung zu heizen, Kaffee zu kochen; für Kapitale die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und sie teilweise zu ersetzen; für Regierungen die Möglichkeit, das Militär auf Auslandseinsätze zu schicken oder über die gezielte Verbilligung/Verteuerung von Wärme gesellschaftliche Kompromisse zu schmieden.
Energie spielt eine zentrale Rolle in Klassenkämpfen: Energie ist die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und unabdingbar für die Steigerung des relativen Mehrwerts (im Gegensatz zur Steigerung des absoluten Mehrwerts durch Verlängerung des Arbeitstages). Ihre Kontrolle stellt deshalb eine zentrale Machtressource in Arbeits- und Klassenkämpfen dar. Gerade weil etwa Aktionen von Beschäftigten der Kohle- und Ölindustrie ein so großes gesellschaftliches Störpotenzial haben, werden weltweit enorme Ressourcen aufgewandt, um sie zu kooptieren; wenn sie aufmüpfig werden, werden sie brutal unter- drückt. Energiekämpfe nehmen verschiedene Formen an: ob staatliche Subventionen für erneuerbare oder fossile Energien, ob feindliche Übernahmen eines Energiekonzerns durch einen anderen, sie werden von allen gesellschaftlichen Akteuren auf jeder gesellschaftlichen Ebene geführt.
Energiekämpfe und Transformation
Die gegenwärtige Häufung, Intensivierung und Verdichtung von Energiekämpfen markiert den Übergang von einem auf fossilen Brennstoffen basierenden Energiesystem hin zu einem postfossilen, in dem erneuerbare Energien eine wachsende Rolle spielen – dabei verschwinden die alten Energieträger nicht, sondern werden vom neuen Energiesystem überlagert. Die Transformation eines Energiesystems ist eng verbunden mit tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur des globalen Kapitalismus und der Bedingungen gesellschaftlicher Kämpfe. Der merkantile Frühkapitalismus, der sich seit dem 16. Jahrhundert von Europa aus in die ganze Welt ausdehnte, basierte zunächst auf erneuerbaren Energien, d.h. auf Wind, Wasser und Biomasse (Caffentzis 2009). Die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung Großbritanniens schien an die Grenzen dieses Energieregimes zu stoßen, weil Land sowohl zur Nahrungsmittel- als auch zur Treibstoffproduktion genutzt wurde. Die begrenzte Landmasse der britischen Inseln konnte diese Doppelfunktion nicht erfüllen. Ab 1780 wurde dieses Problem gelöst: Die Energie wurde nun unter der Erde gewonnen – aus Kohle.
Der Aufstieg des industriellen Kapitalismus, kapitalistischer Klassenverhältnisse sowie britischer Hegemonie fallen also zusammen mit der Entstehung des ersten fossilen Energiesystems; das globalisierte Massenproduktionssystem fordistischer Prägung unter US-Hegemonie wiederum mit dem Erdöl als zentralem Energieträger. Lenin definierte daher den Kommunismus als »Sowjetmacht plus Elektrifizierung«. Heute stellt sich erneut die Frage, welches Energiesystem mit welchem Typus von Gesellschaftsformation als Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe verbunden werden wird.
Die kommende Energiewende
Es sind drei globale Krisentendenzen, die ein Ende des kapitalistischen Fossilismus nahe legen bzw. verursachen könnten.
- Die globale Energiekrise, deren Existenz mittlerweile sogar von der Internationalen Energieagentur anerkannt wird. Sie ist einerseits Resultat von steigender Nachfrage nach Energie im Kontext der rapiden Industrialisierungsprozesse vor allem in China und anderen neuen kapitalistischen Zentren wie Indien oder Brasilien; andererseits eines sinkenden Angebots, weil weltweit das Fördermaximum fossiler Brennstoffe (peak fossils) erreicht ist. Die extremen Vorhersagen der »Peakists« mögen bisher nicht eingetroffen sein, unter anderem, weil immer riskantere Bohrungen in immer entlegeneren Gegenden der Welt durchgeführt werden. Es lässt sich also nicht genau sagen, ab wann der absolute Rückgang beginnt, die Tendenz und die manifesten Folgen in Form steigender Preise aber lassen sich nicht bezweifeln.
- Die eskalierende Klimakrise, deren zentrale Ursache ist, dass Gesellschaften, in denen die (privat- und/oder staats-) kapitalistische Produktionsweise dominiert, seit 250 Jahren enorme Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpen. Dies erzeugt Verwerfungen – soziale Unruhen, Migrationsströme, die Störung globaler Produktionsketten, steigende Kosten, wachsende Konkurrenz und andere Faktoren – und darüber steigenden politischen Druck, diese Krise durch einen Umbau des globalen Energiesystems zu bearbeiten.
- Die ökonomische Krise, auf welche die populärste Antwort der Vorschlag für eine grüne Modernisierung des Kapitalismus (Kaufmann/Müller 2009) ist. Der Staat soll die nötigen Rahmenbedingungen schaffen und Investitionen leisten, um einen auf erneuerbaren Energien beruhenden kapitalistischen Wachstumszyklus anzuschieben. In der Bundesrepublik wollen oligopolistische Energieunternehmen zusammen mit der Finanzindustrie die erneuerbaren Energien unter ihr zentralisiertes Energiesystem subsumieren: Private Equity Fonds wie Blackstone investieren mehrere Milliarden Euro in Offshore-Windparks von EON, Vattenfall oder RWE vor der deutschen Küste. Eine Energieeinspeisevergütung von 150 Euro pro Megawattstunde, Übernahme der Kosten des Netzausbaus durch den Netzbetreiber, direkte Förderung durch die Bundesregierung und vergünstigte KfW-Kredite sollen hohe Profite ermöglichen.[2]