Man müsse bauen, bauen und nochmals bauen, um das Wohnungsproblem unserer Zeit zu lösen, heißt es seitens der Konservativen und der Immobilienlobby landauf, landab. Insbesondere Kleingärten und städtische Grünflächen geraten dabei unter Druck. Sie sollen Platz machen für fehlenden Wohnraum. In dieser Logik erscheinen Kleingärten und Stadtgrün als ein schier unvertretbarer Luxus, den sich eine Stadt wie Berlin angesichts der dramatischen Wohnungsnot nicht mehr leisten kann. Und sie kommen als egoistisches Partikularinteresse einiger weniger – dazu noch spießiger – Laubenpieper und Öko-Fanatiker daher.
Die Geschichte lässt sich aber auch anders erzählen. Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist Teil einer Auseinandersetzung um städtischen Raum, innerhalb dessen die Spekulation mit Wohnungen und entsprechend mit Grund und Boden den treibenden Widerspruch bildet. Schaut man so, ordnet sich das Konfliktfeld etwas anders an: Wir haben es mit einem Wohnraumversorgungsproblem inmitten einer weltweiten Finanzkrise zu tun, in der fehlende Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals Immobilien zu einem zentralen Anlagefeld gemacht haben. Die Renditeerwartungen von Geldanlegern – zumeist weltweit agierende Investitionsfonds – sind die Ursache für rasant steigende Mieten. Sie machen aus dem Grundrecht auf Wohnen ein Luxusgut. Gleichzeitig öffnet die »Erschließung« neuen Baugrunds die Perspektive auf ein erweitertes Terrain der Kapitalverwertung (vgl. Trautvetter in diesem Heft).
In vielen Kommunen steht deshalb die Frage an, ob Flächennutzungspläne Kleingartenflächen in Bauland umwidmen können, sollen oder dürfen. In Berlin heißt es, der Zuzug sei so stark, dass wir #bauenbauenbauen müssen. Keine Parzelle scheint zu klein und kein Standort zu laut. Der irre gewordene Markt treibt die Bodenpreise von Herne bis Berlin in schwindelerregende Höhen und mit ihnen die Mietpreise. Tourismusorte sind Hotspots der Immobilienspekulation ebenso wie Städte zum Altwerden oder zum Studieren. Inmitten dieser Neusortierung des Raums, mithin des Grund und Bodens, und im Zeitalter neuer kapitalistischer Raumaneignungen durch Menschen mit Kapital (Stichwort »neue Erbengeneration«) braucht es nicht nur Beton und Kies, den man verbauen kann, sondern eben auch ausreichend Boden (vgl. Heinz in diesem Heft).
Angesichts dieser Konstellation ist Kleingartenbebauung Klassenkampf von oben. Und linke Kommunalpolitik darf sich gerade nicht zum Anwalt der Bebauung von Grünflächen im Namen der sozialen Wohnraumversorgung machen, sondern muss sich mit Immobilienkonzernen und Grundbesitzer*innen anlegen – nicht mit den Lohnabhängigen auf ihrer gepachteten Scholle.
Bauen, bauen, bauen und Luxusbutzen first?!
Kommunale Bauplanungsbehörden ächzen unter Bauanträgen, während der weltweite Kiesvorrat zur Neige geht. Investoren von Kapital aus Steueroasen mahnen schnellere Bearbeitungszeiten für Bauanträge an. Nicht selten handelt es sich dabei um Briefkastenfirmen aus Luxemburg, die sich über sogenannte Thinktanks oder lokale Rotary Clubs ihren Weg zu Stadtoberhäuptern bahnen und so an oberster Stelle für ihre »Stadtbauvisionen« werben. Obwohl die Planungsbehörden rund um die Uhr arbeiten, entsteht bezahlbarer Wohnraum nur in homöopathischen Dosen. Gilt also das Mantra bauen, bauen, bauen nur für Luxusbutzen?!
Während Denkmal-, Natur- und Milieuschutz als angebliche Baubehinderungsprogramme in Verruf geraten, werden von Kommunalparlamenten beschlossene Bebauungspläne wie Gold gehandelt. Investoren kaufen Grundstücke, kämpfen um Bebauungsrechte, und sobald der Bebauungsplan fertig ist, wird das »Projekt« weiterverkauft. In Berlin sind gegenwärtig etwa 60.000 Wohneinheiten genehmigt, aber noch nicht gebaut. Dies bedeutet einen kommunalen Planungsaufwand, Abstimmungsprozesse und politische Diskussionen um Baukapazitäten, die denen einer mittelgroßen Stadt entsprechen. So erwirtschaften kommunale Planungsbehörden Milliardenrenditen für Spekulanten, die mit Bauland und Baurechten handeln. Zeitgleich fehlt Raum zum Leben für diejenigen, die die öffentliche Ordnung organisieren: Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Erzieher und Politessen. Nicht selten wird angesichts dessen um Bebauungspläne hart gerungen, wenn Bürgerinitiativen Alarm schlagen und sich Parlamente trotzdem auf die Bebauung, beispielsweise von Kleingärten, festlegen – in der teils irrigen Hoffnung, gegen alle Widerstände Sozialwohnraum schaffen zu können, für den sonst ja der Raum fehle, wie es heißt.
Landnahme und Kapitalakkumulation in Raum und Zeit
Um Raum ringend kannibalisiert sich derweil der Staat mit seinen Bürger*innen und deren Gemeingütern selbst, während der Handel mit Boden große Flächen an Bauland faktisch dem staatlichen Wohnraumversorgungsauftrag entzieht. Wurden nach 1990 im Deregulierungswahn massenhaft Flächen privatisiert und im Lichte des Sparzwangs insbesondere im Osten die klammen Kassen durch Liegenschaftsverkäufe aufgebessert, fehlen heute Flächen für Schulen, Kitas und Schwimmhallen – selbst Verwaltungsgebäude müssen angemietet werden.
Man muss sich klarmachen, dass mit der Liberalisierung der Post etliche Liegenschaften bundesweit in sogenannten Paketverkäufen das Staatseigentum verließen, auch die Bundesbahn verhökert nach wie vor alte Gleisanlagen und aufgegebene Bahnstandorte. Im Berliner Bezirk Charlottenburg wurde eine der größten und traditionsreichsten Kleingartenanlagen verschachert und trotz erfolgreicher Bürgerbegehren, aber dank einer standhaften Koalition aus SPD und Grünen mit Luxuswohnungen bebaut. Kleingartenbebauung ist Klassenkampf von oben, weil sich hier einmal mehr die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel manifestiert. Wer hat, der kann, und wer nicht hat, der muss runter von der Scholle desjenigen, der »kann«.
Es ist so einfach und fast schon billig, Kleingärten zu bebauen. Einfach ist es, weil
es beispielsweise deutlich mehr Anstrengung kostet, eine Bundeswehrkaserne aus der Stadt zu werfen und folglich die Arbeitsplätze neu zu strukturieren, um den dringend notwendigen Platz zu gewinnen. Auch ist es deutlich schwieriger und teurer, eine lärmende und stinkende Straße zu überbauen und darauf Wohnraum zu schaffen. Dass es möglich ist, zeigt die Schlangenbader Straße in Berlin Charlottenburg, die inzwischen unter Denkmalschutz steht und in den 1970er Jahren in Westberlin umgerechnet 458 Millionen Euro gekostet hat. Heute ist »die Schlange« ein autofreier Ort auf dem Rücken der Autobahn am Rande des Rheingauviertels, ein beliebtes Wohngebiet und überwiegend in landeseigenem Besitz.
Dieses Beispiel gibt viel her. Einerseits zeigt es, wie teuer die Flächenverschwendung durch Autobahnbau in einer Stadt ist, für die dann bebaubarer Raum aufwendig zurückgewonnen werden muss. Und es zeigt, was alles möglich wird, wenn Raum knapp ist, wie in der ehemals geteilten Stadt Berlin und dem
ummauerten West-Berlin. Das
Paradoxon Berlins nach 1990 in
puncto Liegenschaftspolitik ist:
Erst hatte man zu wenig Raum,
dann fiel die Mauer und es schien
schier unbegrenzt Platz für alle
Ideen in der sich neu erfindenden
Hauptstadt zu geben. Dann kam
der Ausverkauf, und heute, wo
Berlin zum »place to be« nicht nur
für Künstler*innen und Kreative,
sondern für allerhand Risikokapi
tal avanciert, da wird es insbesondere für jene »enge«, die entweder schon lange hier sind oder die neu ankommen – aber eben ohne Kapital im Rucksack.
Gärtnern nur für Reiche?!
Den Gürtel enger schnallen immer nur diejenigen, die eh nicht viel haben. Wo kommt eigentlich die Vorstellung her, Kleingärten seien verzichtbarer Luxus? Viele Kleingärtner*innen bauen Obst und Gemüse an und leben davon. Auch heute noch. Kleingärtner*innen sind oft Mieter*innen, die auf kleinem Raum leben und sich hier – außerhalb ihrer Kleinstwohnungen – verdingen und ganz nebenbei noch die Biodiversität der Stadtnatur in Zeiten des Klimawandels und des Artensterbens bereichern. Auch das ist tatsächlich eine Klassenfrage: Wer Geld hat, gärtnert selbstverständlich auf dem eigenen Grundstück und nicht auf einer landeseigenen Parzelle. Oder wer wollte sich jetzt über die Platzverschwendung der Villen in Grunewald, Blankenese und Schwabing aufregen? Auch leben inzwischen nicht wenige in ihren Datschen – insbesondere Rentner*innen mit geringen Einkommen –, auch wenn die Kleingartenordnung dies eigentlich nicht vorsieht. Die Mieten sind aber unerschwinglich geworden.
Schließlich sind die innerstädtischen Kleingärten Urlaubsorte und Räume der Erholung. Insbesondere für jene, die sich Urlaube immer weniger leisten können. Kleingärten gehören zu den noch verbliebenen Orten nicht nur der Reproduktion, sondern auch der Produktion und des Selbstbaus. Egal ob mittelalterliche Kartoffelsorten oder die eigene Hütte zu bauen – der Kleingarten ist das, was Michel Foucault als Heterotopie bezeichnet hat. Hier sind auf begrenztem Raum die Utopien, die Möglichkeit gedanklicher Gegenräume und Grenzenlosigkeit zuhause. Außer dem vorgegebenen Grundstück wird die urbane Selbstproduktion nur von »Umwelt« und Nachbarn begrenzt, nicht aber von Eintrittspreisen, Verzehrregeln oder Kleiderordnungen. Und ja, alle 15.000 Schrebergartenvereine unterliegen dem Bundeskleingartengesetz und jeweils regional unterschiedlichen Gartenordnungen.
Wer daraus eine antiaufklärerisch markierte Spießigkeit ableiten will, der und die müsste es ebenso für spießig halten, sich an die Straßenverkehrsordnung zu halten. Dass Regeln gelten, ist ja nicht in erster Linie denen vorzuwerfen, die diesen unterworfen sind. Und Regeln lassen sich bekanntlich ändern.
In einer Kleingarten-Großstadt, wie Berlin sie mit etwa 70.000 Parzellen ist, bedeutet linke Sozialpolitik auch die Versorgung mit Erholungs- und Reproduktionsräumen. Wie dies auszusehen hat, berührt ein weiteres
Mal die Klassenfrage. Linke Stadtpolitik muss gezielt Löcher schneiden in den städtischen Verwertungsteppich aus Zerstreuungs- und Vergnügungszauber, der die Stadt als soziales Gewebe zunehmend überlagert. Linke Stadtpolitik muss Stadt als selbstbestimmten und als kollektiv organisierten Ort der Produktion und des Lebens jenseits von Konsumräumen denken und deshalb Gegenorte zu dieser Verwertungsmaschinerie sichern. Kleingärten sind einer davon.
Die Stadt als Konsumraum zu imaginieren, voll mit Shoppingmalls, Autobahnen für die individualisierte Zurschaustellung des eigenen Blechreichtums, und mit Innenstädten, wo königliche Gärten mit allerhand Verbotsschildern und kaum weniger Nutella-Läden zum »Verweilen« einladen, ist ohne unser Zutun längst Auftrag aller anderen.
Wider die Landnahme und Kapitalakkumulation in Raum und Zeit
Eine linke und ökologische Liegenschaftspolitik in Berlin kann sich durchaus auf breite Zustimmung der Bevölkerung stützen, auch wenn der mediale Diskurs oft das Gegenteil suggeriert. Dass ausgerechnet der Volksentscheid zur Freihaltung des Tempelhofer Flugfeldes der erste erfolgreiche Volksentscheid Berlins war, sollte Anlass sein, diesen Pfad weiterzuverfolgen. Nicht zu vergessen: der ebenfalls erfolgreiche Bürgerentscheid zur Freihaltung der Spreeufer in Friedrichshain und Kreuzberg: »Mediaspree versenken!«. Eine Mehrheit der Städter*innen will dem flächenpolitischen Irrsinn endlich Einhalt gebieten.
Die Entscheidung, ein Flugfeld so
groß wie die Träume aller internationalen Immobilieninvestoren nicht zu bebauen,
gibt Aufschluss über den Zustand der liegenschaftspolitischen Debatte in der Hauptstadt. Umso befremdlicher erscheinen die nicht enden wollenden Versuche insbesondere der SPD und der Parteien rechts der Mitte, dieses Bürgervotum infrage zu stellen. Und das mit der immer gleichen Behauptung, man könne sich diesen Freiraum in Zeiten der Flächenknappheit nicht länger leisten. Nicht ganz zufällig wird jede erneute Feldbebauungsdebatte verknüpft mit dem feuilletonistischen Schwadronieren über Sinn und Unsinn von Kleingärten in einer Metropole.
Worum geht es nun in Zeiten des Häuserkampfes, des Kampfes gegen den Mietenwahnsinn und inmitten des politischen Versprechens »Wir geben Euch die Stadt zurück!«? Die politische Linke muss mehr ökologische Stadtentwicklungspolitik wagen. Wir brauchen eine politische Antwort auf das Mantra der Baulobby »Bauen, bauen, bauen«, und die kann nicht lauten »mehr bauen!«. Die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum als einen politischen Auftrag ernst zu nehmen ist die Differenz zwischen reiner Baupolitik und sozialstaatlichem Wohnraumversorgungsauftrag. Staatliche Wohnungspolitik muss beides organisieren und dies mit nachhaltiger Stadtökologie verbinden. Sonst ist die Stadt irgendwann so zugeschüttet mit Beton, dass wir sie nicht zurückhaben wollen!
Ja, der Staat kann und muss für den Bau leistbaren Wohnraums sorgen. Hierzu gehören enteignungsgleiche Eingriffe wie die treuhänderische Verfügung über Leerstand und die Bereitstellung leerstehender Wohnungen an Bedürftige, was auf Ebene der Bundesländer über das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz ermöglicht wird. Auch Enteignungen von Grund und Boden gelten laut Grundgesetz nicht nur für Autobahnvorhaben, wie das international beachtete Volksbegehren zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin derzeit deutlich macht (vgl. Prey/Sahle in diesem Heft). Hier gilt es anzuschließen und den Diskurs der Investoren, Spekulanten und Projektentwickler*innen zu durchkreuzen. Ein Beispiel: Dass die einen
vier Wohnungen besitzen und für ihr fünftes Domizil aktuell eine Räumungsklage gegen eine 80-jährige Omi führen und den anderen gerade der Kleingarten gekündigt wird, weil dort notwendiger Wohnraum entstehen soll, ist ein und dieselbe Rechnung.
Es geht darum, die Omi in ihrem Zuhause zu lassen, Eigenbedarfskündigungen abzuschaffen, Zweitwohnungen hart zu besteuern und die kommerzielle Umwidmung von Wohnraum in Ferienwohnungen konsequent zu untersagen. Linke Wohnraumversorgungspolitik beschlagnahmt leerstehende Wohnungen und denkt über Regeln für maximale Wohnungsgrößen als soziale Ausgleichsmaßnahme in Zeiten der Flächenknappheit nach. Sie nutzt das Vorkaufsrecht, um Flächen und Häuser aus den Händen von Spekulanten zurückzugewinnen, schafft ein Gesetz zur neuen Wohngemeinnützigkeit (vgl. Kuhn in diesem Heft) und stellt Baugebote auf, um Bodenspekulation und Flächenhandel zu unterbinden und um Kleingärten als historisch gewachsene Räume zu erhalten.
Ich selbst besitze keinen Kleingarten, aber ich habe den Kampf um das Berliner Stadtgrün zu meiner politischen Mission gemacht, weil die Inwertsetzung des Stadtgrüns massiv voranschreitet – sei es durch kommerzielle Massenevents in Gartendenkmälern oder durch Eintrittspreise in landeseignen Parks. Solange wir die Unterbringung von Menschen gegen die Grünversorgung ins Feld führen und nicht beides zusammendenken, können wir nur verlieren. Zum Kampf für einen Mietendeckel (vgl. Gottwald auf LuXemburg-Online) gehört es auch, für Freiräume, für den öffentlichen Raum und für die unbestimmten Orte in einer Stadt in Zeiten der kapitalistischen Raumverwertung zu kämpfen. Das betrifft freie Ufer, Parks ohne Zäune, Wagenburgen und eben Kleingärten – jene Orte, die auf der roten Liste des Kapitals stehen, weil
sie angeblich Platz verschwenden und man sie sich in Zeiten der akuten Wohnraummangellage nicht mehr leisten könne.
Tatsächlich können wir uns all die Shoppingcenter, unterbelegten Hotels, Autobahnen, Schlösser und Luxuslofts – kurzum: die riesigen Profite der Eigentümer und privaten Raumaneigner – nicht mehr leisten und zwar solange, bis alle gut und sicher leben können; am besten mit Gärtchen in Wohnortnähe, wenn sie wollen!