Angesichts des russischen Angriffskrieges tut sich die gesellschaftliche Linke schwer mit einer Positionierung. Während immer mehr Waffen geliefert werden, ist der militärische Sieg einer Seite kaum möglich. Wie kann eine sozial-ökologische Friedenspolitik in dieser Situation aussehen? Lia Becker, Referentin am Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS, schlägt eine linke Initiative vor, die sich für wechselseitige Deeskalation und Sicherheitsgarantien, einen EU-Beitritt der Ukraine und europäische Eigenständigkeit gegenüber der NATO einsetzt.
--Der Text ist hier als PDF-Fassung abrufbar--
Fast eineinhalb Jahre dauert der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und noch ist kein Ausweg erkennbar. Der Krieg führt zu unermesslichem Leid, zuallererst natürlich in der Ukraine selbst, mit Tod, Traumata, Zerstörung und Flucht. Weit über hunderttausend Menschen haben den Krieg bislang mit dem Tode bezahlt, davon – nach UN-Angaben – mindestens 9.000 Zivilist*innen. Der Blutzoll hat sich zuletzt nochmal stark erhöht. In den neuen Abnutzungsschlachten rund um Bachmut starben täglich etwa 1.000 Soldaten. Viele Millionen sind traumatisiert. Die Infrastruktur des Landes wird durch russische Attacken und die Kämpfe in den Frontgebieten zerstört. Die Kriegskosten türmen sich in die Höhe und die Auswirkungen des Krieges sind weit über die Ukraine hinaus spürbar. Die Menschen im globalen Süden treffen die Kriegsfolgen durch eine drastisch verschärfte Ernährungs- und Energiepreiskrise – ohne dass das zu einer „Zeitenwende“ in der Politik der „westlichen““ Machteliten führen würde. Die Aufkündigung des Getreideabkommens durch Russland könnte diese Entwicklung weiter verschärfen, Hunger und Migrationsbewegungen werden zur Waffe im Krieg.[1]
Der Krieg droht sich weiter auszuweiten: Es gibt Drohnenangriffe und in der Region Belgorod agieren Truppen der „Legion freies Russland“ offiziell unabhängig von Regierungen auf russischem Territorium, während Russland weiter gezielt Infrastruktur und zivile Ziele aus der Luft attackiert. Die Brücke zur annektierten Krim wird wiederholt attackiert und die russische Regierung lässt „taktische“ Atomwaffen in Weißrussland stationieren. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat eine humanitäre und ökologische Katastrophe ausgelöst und wird wohl den Vormarsch der ukrainischen Truppen erschweren. Beide Seiten rüsten sich mit dem Bau von Drohnen- und Panzerfabriken für einen langen Krieg, so gab etwa Rheinmetall Pläne zum Bau einer Panzerfabrik in der Ukraine bekannt. Die ukrainische Regierung erhält von den USA Streumunition, die für die eigene Zivilbevölkerung für viele Jahre gefährlich ist und deren Einsatz von vielen Staaten geächtet wird. Eine Koalition von NATO-Staaten will der Ukraine Kampfjets liefern und bildet Piloten an F-16-Bombern aus. Russland mobilisiert angesichts der vor einigen Wochen begonnenen ukrainischen „Sommeroffensive“ neue Truppen. Die Eskalationsgefahren nehmen zu.
Dabei sind die Aussichten für einen militärischen Sieg einer der beiden Seiten eher gering. Seit dem Herbst gelingen weder den russischen Angreifern noch den ukrainischen Truppen größere Durchbrüche. Die „Sommeroffensive“ stockt bereits. Sie zeigt, wie verlustreich, blutig und ungewiss selbst begrenzte Geländegewinne gegen die eingegrabenen russischen Truppen sind. Der Krieg wird mit hohen Verlusten entlang einer nahezu eingefrorenen Frontlinie geführt. Schon jetzt zeichnet sich ab: Die Offensive der Ukraine wird höchstens zur (vorläufigen?) Rückeroberung begrenzter Gebiete im Donbass führen, aber nicht zum vollständigen Rückzug der russischen Truppen. Diese Einschätzung findet sich nicht nur in der kritischen Öffentlichkeit, sondern wird auch innerhalb militärischer und diplomatischer Kreise des „Westens“ eingeräumt. Ende 2022 kam US-Generalstabschef Mark Milley zu der Einschätzung: „Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine, definiert als Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim […], ist in absehbarer Zeit nicht hoch.“ (zit. nach Zellner 2023, 93; vgl. auch Scheidler 2023)
So wird der Krieg längst um überschaubare Ziele weitergeführt: Russland will die besetzten und annektierten Regionen dauerhaft halten, die Ukraine Gebiete im Donbass und vor allem der Südukraine zurückerobern; für Russland wie für die NATO hat eine große geopolitische Bedeutung, wer den Landzugang zur Krim und die Schwarzmeerregion kontrolliert. Das wird allerdings aus Gründen der Kriegstaktik zu selten offen ausgesprochen. Die militaristische Rhetorik vom „Siegfrieden“ und die unter anderem von EU-Kommissions-Präsidentin von der Leyen bemühte Rhetorik, dass in der Ukraine Menschenrechte, Demokratie und „unsere“ Sicherheit verteidigt werden, erschweren eine nüchterne Diskussion über die westlichen Kriegsziele.
Der Weg zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen ist weiter blockiert – noch erwarten beide Seiten, auf dem Schlachtfeld mehr zu erreichen (vgl. auch Zellner 2023). Die ukrainische Regierung rechnet mit weiteren und qualitativ stärkeren Waffenlieferungen (insbesondere mit mehr modernen Kampfpanzern, Langstrecken-Raketen, aber auch Kampfflugzeugen). Das russische Militär wiederum hat über den Winter Zeit gehabt, die Frontlinie zu sichern und sich einzugraben. Das Putin-Regime kann mit zahlenmäßiger Überlegenheit rechnen, etwa 500.000 Soldaten sind unabhängigen Schätzungen zufolge derzeit mobilisiert, das Potential dürfte bei bis zu 800.000 Soldaten liegen. Dort kalkuliert man mit einer nachlassenden Unterstützungsbereitschaft der westlichen Allianz.
Ein „Sieg“ Russlands (sei es in Form weiterer Gebietseroberungen in der Zentral- oder Westukraine oder durch die Kontrolle der ukrainischen Regierung) oder die völlige Rückeroberung durch die Ukraine (samt der 2014 besetzten Krim und der bereits vor dem Februar 2022 kontrollierten Gebiete im Donbass und Luhansk) sind unwahrscheinlich. Deutlich wahrscheinlicher sind zwei Szenarien:
a) Ein langer, möglicherweise über Jahre sich hinziehender „Abnutzungskrieg“ um begrenzte Gebiete im Osten und Süden der Ukraine mit letztlich unkontrollierbaren Eskalationsgefahren. Diesem Szenario wird mit den zunehmenden Waffenlieferungen der Weg bereitet. Sollte es außerdem zu einer weiteren Mobilmachung des russischen Heers oder zu Waffenlieferungen Chinas an Russland kommen, würde sich dies gefährlich zuspitzen. Die Waffenlieferungen der westlichen Allianz sind längst Teil einer Eskalationsdynamik und werden zu einer fatalen Sackgasse, wenn so der Krieg über Jahre bis zur vollständigen Rückeroberung der besetzten Gebiete verlängert werden soll.
b) Die Alternative wäre ein – vorläufiger – Waffenstillstand (zum Ende des Jahres?) nach der ukrainischen Offensive. Ein solcher würde maßgeblich von den USA als dem mächtigsten Player und von der NATO bestimmt werden, denn die ukrainische Regierung bekräftigt bisher, den Krieg bis zum vollständigen Rückzug der russischen Truppen weiter führen zu wollen. Innerhalb der westlichen Allianz wird längst um Möglichkeiten eines Exits aus dem schwer kontrollierbaren und teuren Krieg gerungen.
Offen ist, ob gesellschaftlicher Druck von unten in den NATO-Staaten dazu beitragen kann, einen Waffenstillstand zu erzwingen. Derzeit sieht es nicht danach aus. Die gesellschaftliche Linke ist außenpolitisch in einer Defensive und nicht in der Lage, eine breitere Mobilisierungsdynamik für Deeskalation und Waffenstillstand zu befördern. Vielmehr drohen sich eine in ihren Deutungsmustern eingefahrene Friedensbewegung und (jüngere) Aktive, die stärker die Klimakrise und autoritär-rechte Entwicklungen in unterschiedlichen Teilen der Welt vor Augen haben, weiter voneinander zu entfremden.
Linke Suchbewegungen in den Widersprüchen des Krieges
Zur Vorgeschichte des Krieges gehören die inneren Widersprüche und die Entwicklung des russischen Staates zu einem autoritären oligarchischen Regime, dessen Machtblock sich auf eine fossile Rentier-Ökonomie stützt (vgl. Ishchenko 2022a; Jaitner 2022). Eine Modernisierung und Diversifizierung der Ökonomie scheiterte. Auf die aus Sozialabbau, brutaler Verarmung und sozialer Ungleichheit resultierenden inneren Widersprüche reagierte das Putin-Regime mit einer klientelistischen Sozialpolitik, Repression und nationalistisch-autoritärer Mobilisierung von Feindbildern. Die Gefahr zivilgesellschaftlicher Aufstände in den Nachbarländern wurde (auch angesichts des arabischen Frühlings) mit von außen kommenden Regime-Change-Strategien als Teil der US-Politik gleichgesetzt. Zur Vorgeschichte gehört aber auch eine imperiale Politik der NATO-Osterweiterung und von EU-Assoziierungsabkommen, die von links zu Recht kritisiert wurde.
In diesem Kontext hat sich schon vor der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim eine autoritär-imperiale Linie innerhalb des Machtblocks durchgesetzt. Sie zielt darauf, die Kontrolle über den postsowjetischen Raum auch mit Gewalt zu verteidigen und zurückzugewinnen (vgl. Ishchenko 2022a; Jaitner 2022; Faure 2022). Dazu kommt: Der Machtblock des Putin-Regimes ist auf hohe Renditen in einem fossilen Kapitalismus angewiesen. Ansätze einer Dekarbonisierung und veränderter Investitionsstrategien in der EU stellen ebenso eine Bedrohung dar, wie das Bemühen der USA den europäischen Energiemarkt zu dominieren und Russland davon abzuschneiden (vgl. Dörre 2023). Unterschätzt wurde (auch von größeren Teilen der Linken), wie weit das Regime in der Verteidigung seiner Machtbasis gehen würde.
Der Krieg führt zu einer starken Verrohung und befördert in Russland zugleich eine autoritäre Wendung nach innen: Eine weitere autoritäre Transformation des Regimes und die verschärfte Verfolgung von Andersdenkenden, LGBTIQ, Kriegsdienstverweigerern und anderen sind die Folge.
Auch in der Ukraine hat sich im Zuge der post-sowjetischen Transformation und einer neoliberalen Wirtschaftspolitik ein oligarchisches Herrschaftssystem entwickelt, dessen Machtblock zwischen eher pro-westlichen, russlandorientierten und flexibel agierenden Fraktionen gespalten war. Die soziale, politische und kulturelle Spaltung des Landes wurde durch das Agieren Russlands, der USA und der EU vertieft und führte ab 2014 zu einem schwelenden Bürgerkrieg (vgl. auch Ishchenko 2022a). Im Windschatten des Krieges wurden jetzt harsche Antigewerkschaftsgesetze durchgesetzt, Freiheits- und Minderheitenrechte stark eingeschränkt und mehr als ein Dutzend Parteien verboten. Die ukrainische Linke ist stark unter Druck und gezwungen, sich zugleich zur Landesverteidigung und zu den autoritären Folgen des Krieges zu verhalten (vgl. Georgiev 2023; Maurer 2023).
Widersprüchliche Dimensionen des Krieges
Der Krieg schafft eine widersprüchliche Situation, in der es die gesellschaftliche Linke in Deutschland und anderen europäischen Staaten bisher nicht schafft, eine kohärente Position zu finden, die über eine Parteinahme entweder für das Putin-Regime oder für die ukrainische Regierung hinausgeht und geeignet ist, um gesellschaftlichen Druck für einen Waffenstillstand, gegen Eskalation und Aufrüstung zu mobilisieren.[2] Dies hängt auch damit zusammen, dass die verschiedenen Dimensionen des Krieges und ihre komplexen Zusammenhänge immer wieder aus dem Blick geraten (vgl. zu den Dimensionen des Krieges u.a. Watkins 2022; Dörre 2023; Cedillo 2023.) So führt die ukrainische Regierung einen völkerrechtlich legitimen Verteidigungskrieg. Er wird zwar von großen Teilen der ukrainischen Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen unterstützt, aber längst nicht von allen in der Ukraine lebenden Menschen. Auch greift es zu kurz, den Krieg ausschließlich als Verteidigungskrieg um die nationale Souveränität der Ukraine zu sehen. Den autoritären und imperialistischen Charakter des Putin-Regimes und seine Verantwortung für den brutalen Angriffskrieg zu relativieren, ist in der deutschen Linken eine Minderheitenposition. In den Zusammenhängen der noch bestehenden Friedensbewegung führt sie jedoch zu Verwerfungen und trägt dazu bei, dass keine erneuerte, gesellschaftlich breit aufgestellte Friedensbewegung entsteht.
Entscheidend ist aber, wie diese Widersprüchlichkeit verstanden und welche politischen Konsequenzen dann aus der Abwägung der Widersprüche gezogen werden. So kann der mehrdimensionale Krieg, nicht auf einen „Stellvertreterkrieg“ zwischen Russland und den USA bzw. „dem Westen“ reduziert werden – das hieße die langjährige Herrschaftsgeschichte zwischen Russland und der Ukraine außen vor zu lassen und das Handeln der Menschen in der Ukraine auf eine abhängigen Variable der Weltpolitik zu reduzieren. Nichtsdestotrotz wird der Ausgang des Krieges um die Ukraine aber letztlich durch die imperiale Konfrontation zwischen den USA und China um die Vorherrschaft in einer sich verändernden Weltordnung überdeterminiert. Mögliche Ausgänge hängen maßgeblich von den Kräfteverhältnissen in und zwischen China und den USA, den strategischen Kalkülen in Washington und Peking ab (vgl. Solty 2022; Watkins 2022). Die Eskalationsgefahr, die sich aus dieser Dimension des imperialen Kampfes um die Weltordnung ergibt, ist aus meiner Sicht am Ende entscheidend für eine linke Haltung zu diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Dadurch, dass China in Richtung Moskau deutlich gemacht hat, es werde die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen nicht dulden, ist der worst case eines Atomkrieges oder gar eines neuen Weltkrieges zwar weniger wahrscheinlich geworden. Auszuschließen ist er aber weiterhin nicht.
Eine Dimension, die zu wenig betrachtet wird: Dieser Krieg ist ein „Vorbote“ auf sich verschärfende imperiale Konflikte im Zeitalter „des Endes der billigen Natur“, so Jason Moore (2023). Durch den Krieg und die sich verschärfende Blockkonfrontation rückt nicht nur eine globale Kooperation für eine sozial-ökologische Antwort auf die Klimakrise weiter in die Ferne (vgl. auch Mahnkopf 2022). Der Zusammenhang von Klimakrise, Ausbeutung fossiler Rohstoffe und der Aneignung von Öl- und Rohstoffrenten, einer sich verschärfenden imperialen Konkurrenz und atomarer Aufrüstung erhöht wiederum die Weltkriegsgefahr (vgl. Dörre 2023; Foster 2023; Moore 2023). Die vom Westen dominierte Weltordnung ist schon länger in der Krise und der Krieg fördert eine Polarisierung, in der sich auch autoritär-nationalistische Regime wie in Russland oder Indien als Stimme des globalen Südens inszenieren können (vgl. Dörre 2023).
Zu den Widersprüchlichkeiten des Krieges gehört auch, dass ohne die vorherige Aufrüstung der ukrainischen Armee (vor allem, aber nicht nur durch die USA und GB nach der Annexion der Krim) Russlands Militär vermutlich größere Teile des Landes unter seine Kontrolle gebracht hätte. Seit Mitte 2022 verlängern westliche Waffenlieferungen nun de facto den Krieg, der um einige Hundert Quadratkilometer im Donbass, Luhansk und der Region Cherson geführt wird, mit vielen weiteren Tausend Todesopfern, traumatisierten Menschen und einer gigantischen Zerstörung der Infrastruktur. Würden diese Waffen- und insbesondere Munitionslieferungen von heute auf morgen eingestellt – und bliebe es zugleich bei Chinas Tolerierung des russischen Krieges – würde Russland den Krieg vermutlich weiter Richtung in Kiew ausdehnen und größere Teile des Landes besetzen. Die Ukraine müsste eher früher als später kapitulieren und der Krieg könnte sich in einen Bürger- oder Guerillakrieg verwandeln. Das wäre tatsächlich ein „Sieg“ für das imperiale Projekt des Putin-Regimes.
Noch nie seit dem Ende des 2. Weltkrieges war die Weltkriegsgefahr so groß. Dazu beizutragen, dass dieser Krieg möglichst bald endet, gehört auch deshalb zu den drängenden politischen Imperativen unserer Zeit.
Linke im Dilemma
Zugleich ist die Linke in den direkt oder indirekt (USA, EU, China) beteiligten Staaten derzeit weit von einer wirkmächtigen gesellschaftlichen Mobilisierung für Deeskalation und gegen Waffenlieferungen und Aufrüstung entfernt. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Teile der (alten) Friedensbewegung grenzen sich nicht genug gegenüber dem autoritären Putin-Regime ab, um es vorsichtig zu formulieren. Aber auch das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem komplexen Weltgeschehen und eine Ratlosigkeit darüber, wie es zu den von der Friedensbewegung geforderten Verhandlungen kommen soll, schwächen die Linke. Trotz der weit verbreiteten Angst vor einer weiteren Eskalation (30 bis 60 Prozent der Bevölkerung machen sich Sorgen, dass sich der Krieg ausweiten und eskalieren könnte), tun sich viele mit der Frage der Waffenlieferungen schwer.[3] Das liegt auch daran, dass ein Verteidigungskrieg völkerrechtlich legitim ist. Gegen einen Angriffskrieg eines autoritär-rechten Regimes erscheint er vielen auch moralisch und politisch als ultima ratio.
Jürgen Habermas, der Waffenlieferungen und damit die Linie der SPD in der Bundesregierung unterstützte und zugleich vor der großen Eskalationsgefahr dieses Krieges warnte, hat öffentlichkeitswirksam eine genauere Bestimmung der Ziele der westlichen Kriegsunterstützung eingefordert. Sein Imperativ: Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, die Ukraine den Krieg nicht verlieren. Aber es müsse alles getan werden, um eine Eskalation des Krieges zu verhindern (vgl. Habermas 2023). Verhandlungen für einen Waffenstillstand und Waffenlieferungen seien daher kein Gegensatz, sondern letztere die Bedingung für Verhandlungen, die nicht einfach auf einen russischen „Siegfrieden“ hinauslaufen. Parallel zu der militärischen Unterstützung müsse es immer wieder diplomatische Initiativen und Verhandlungsbereitschaft geben. Die „westliche Allianz“ müsse ihre Kriegsziele definieren, die Rückeroberung der Krim durch die Ukraine gehöre auf Grund des Eskalationspotentials nicht dazu (ebd.). Diese konditionierte Unterstützung der Ukraine – begrenzte und an konkrete Kriegsziele gebundene Waffenlieferungen, aber keine direkte Kriegsbeteiligung der NATO – findet auch in Teilen der gesellschaftlichen Linken Resonanz (vgl. u.a. Schäfer 2023).[4] Diese Positionen unterschätzen aber aus meiner Sicht die in letzter Instanz unkontrollierbare Eskalationsgefahr und vernachlässigen oft die Dimension imperialer Konfrontation in Zeiten der Klimakrise und der neuen Blockkonfrontation. Vor allem aber bleiben die konkreten Bedingungen und Grenzen der finanziellen wie militärischen Unterstützung des ukrainischen Verteidigungskrieges oft unklar (anders: Achcar 2022; Schäfer 2023).