Immobilienriesen wie Vonovia und Deutsche Wohnen sind in aller Munde. Warum sind sie eigentlich schlimmer als andere private Wohnungsunternehmen und warum sollten wir uns gerade mit ihnen anlegen?
Der Unterschied ist, dass die börsennotierten Immobilienkonzerne kapitalmarktorientiert sind. Sie sind also nicht nur damit beschäftigt, das eigene Vermögen zu bewahren oder zu mehren. Ihr Hauptgeschäft besteht darin, einer internationalen Kundschaft von Finanzinvestoren Aktien und Anleihen anzubieten, die lukrativer oder sicherer erscheinen als die Anlagen der Konkurrenz, zum Beispiel Staatsanleihen.Aus den Zahlungsströmen
der Mieten und der Kreditsicherheit, die das Immobilieneigentum bietet, lassen sich zahlreiche Finanzprodukte konstruieren. Diese Produkte können global bewertet, permanent gehandelt und in weitere abgeleitete Finanzprodukte verpackt werden. Viele der Aktionäre sind selbst Kapitalsammelstellen, die für die Finanzinteressen von Dritten agieren, zum Beispiel der berüchtigte Fondsverwalter Blackrock, der norwegische Staatsfonds oder große Privatstiftungen und Versicherungen. Um ihre Kund*innen bei der Stange zu halten und neue Anleger*innen zu gewinnen, müssen die gebotenen Renditen und Sicherheiten ständig verbessert werden. Und wie geht das? Indem die Mieteinnahmen gesteigert werden, die Bewirtschaftungskosten gesenkt, Risiken gestreut und die eigenen Geschäfte permanent ausgeweitet und profitabler gemacht werden. Doch wir sollten diese Unternehmen nicht nur mit anderen privaten Vermietern vergleichen, sondern mit den früher gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Fast alle Wohnungen der Immobilien-AGs wurden einst mit öffentlichem Geld errichtet und gehörten zu gemeinnützigen oder staatlichen Organisationen. Ihr Zweck war nicht Rendite, sondern die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum.
Dieses Erbe wurde mit der Abwicklung der westdeutschen Wohnungsgemeinnützigkeit und der DDR-Wohnungswirtschaft ab 1990 der hemmungslosen Verwertung ausgeliefert. Ab Ende der 1990er Jahre wurden zahlreiche kommunale, werksverbundene und staatlich kontrollierte Wohnungsunternehmen an Finanzinvestoren verkauft, umstrukturiert und mit Profit an die Börse gebracht. Die Finanzmarktlogik begann alle Poren des Immobiliengeschäftes zu durchdringen. Diesen Prozess, der weder abgeschlossen noch widerspruchsfrei ist, können wir als Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft bezeichnen – ein strukturell wichtiger Bestandteil der finanzdominierten kapitalistischen Formation.
Insgesamt kontrollieren solche Vermieter etwa fünf Prozent der deutschen Mietwohnungen. Das erscheint auf den ersten Blick überschaubar. Doch sie sind die Vorreiter
der Finanzialisierung aller Sparten des Wohnungswesens. Ihre Methoden setzen die Trends der ganzen Branche. Wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen, wird die Wohnungskrise niemals zu lösen sein.
Du hast die Geschäftspraktiken von Firmen wie Vonovia untersucht und sprichst von einer »finanzialisierten Industrialisierung« der Wohnungswirtschaft. Was verbirgt sich dahinter?
Um ihre großen Wohnanlagen zu bewirtschaften, setzen Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG und Co. immer stärker auf IT-gestützte standardisierte Verfahren. Immer größere Bereiche rund um das Wohnen unterwerfen sie einer digitalisierten Logik anonymisierter Finanzanlagen. Früher wurden Dienstleistungen in externe Unternehmen ausgegliedert, um Kosten zu sparen. Seit etwa zehn Jahren wird die entgegengesetzte Tendenz verfolgt: Die Branchenführer versuchen, immer mehr Tätigkeitszweige über Tochterunternehmen in ihre Konzernhierarchie zu integrieren – nicht nur die Verwaltung, sondern auch Reparaturen und Modernisierungen.
Die Vonovia beschäftigt heute fast 10 000 Menschen, fast alle übrigens zu schlechteren Bedingungen als in der Immobilienwirtschaft mit ihren entsprechenden Tarifverträgen üblich. Sie lässt Fenster im Ausland fertigen oder kauft Heizkessel massenhaft und billig ein. Wer heute einen Mietvertrag abschließt, bindet sich oft zugleich an einen Multimedia- und Energieversorger, an dem der Vermieter beteiligt ist. Von der Kalkulation möglicher Mieterhöhungen über das Reparaturmanagement bis zur Planung und Abrechnung von Modernisierungsmaßnahmen wird die gesamte Wohnungsbewirtschaftung immer mehr automatisiert. Der persönlich bekannte lokale Vermieter wird durch eine digitale Simulation ersetzt, die zum Teil autistische Züge annimmt: Direkte Kommunikation ist nicht möglich, Ansprechpartner*innen sind nicht erreichbar. Es werden unsinnige Baumaßnahmen ausgeführt und maschinell Phantomrechnungen erstellt. Es werden massenhaft willkürliche Mahnschreiben verschickt, die tatsächlich einen großen Teil der Mieter*innen einschüchtern. Viele sprechen von einem »System Vonovia«, dessen Vorgänge für die Mieter*innen undurchschaubar sind und das jenseits der üblichen Marktgesetze und mietrechtlichen Standards funktioniert.
Viele Proteste von Mieter*innen entzünden sich an Modernisierungen. Welche Rolle spielen sie in diesem System?
Die massenhaften Instand-Modernisierungen sind der extremste Ausdruck des Systems der finanzdominierten Industrialisierung. Angesichts niedriger Zinsen von zurzeit acht Prozent der Baukosten auf die jährliche Miete der Renditetreiber Nummer eins. Das gilt besonders für die Konzerne mit ihren standardisierten Massenmodernisierungen. Die jüngste Änderung des Modernisierungsrechts mit zeitlich begrenzten Mieterhöhungsdeckeln stellt für sie kein Problem dar. Vonovia-Chef Rolf Buch rühmte sich in einem Analystengespräch sogar, diese Regelung bei Politikern angeregt zu haben. Wenn es zu größeren Protesten kommt, die den Ruf der Konzerne schädigen und politische Konsequenzen oder das Misstrauen der Anleger hervorrufen, können die Konzerne flexibel nachsteuern. Im Dezember 2018 hat die Vonovia verkündet, freiwillig auf neue Modernisierungen, die zu Miethöhungen von über 2 Euro pro qm führen würden, zu verzichten, um Konflikte mit den Mieter*innen zu vermeiden.
Trotzdem geben sie das Ziel, die Mieten weiter zu steigern, natürlich nicht auf: Es ist für die finanzindustriellen Vermietungskonzerne existenziell. Ohne steigende Mieteinnahmen wäre die jährliche milliardenschwere Aufwertung der Verkehrswerte der Immobilien nicht mehr möglich. Denn diese basieren auch auf den geschätzten Mieteinnahmen der nächsten zehn Jahre.
Können die Gewinne der Konzerne ewig weiter wachsen? Und wenn es einen Crash gibt, ist das gut oder schlecht für die Mieter*innen?
Das ist keine abstrakte ökonomische Frage. Das hängt stark von den sozialen und politischen Kräfteverhältnissen ab. So stark wie die Gewinne und Mieten wachsen die Einkommen nicht. Früher oder später muss dieser Widerspruch zum Knall führen, politisch oder wirtschaftlich. Der Job der Manager ist es, diesen Crash aufzuschieben und den Widerspruch zum Wohl der Finanzrendite zu beherrschen. Dafür verfügen sie über mehrere Methoden. Unter der Bezeichnung »Portfoliomanagement« verändern sie ständig die Zusammensetzung ihrer Wohnungsbestände und damit ihrer Mieterschaften. Wohnviertel mit schlechter Miethöhungsprognose werden an andere Spekulanten verkauft. Viertel mit besserem Erhöhungspotenzial werden zugekauft. Ähnliche Folgen hat die Verdrängung durch Modernisierung.
Oft haben die Bewohner*innen aber gar keine Möglichkeit auszuweichen und zahlen dann eben mehr, als sie sich leisten können. Man spart sich die erhöhte Miete vom Munde ab, nimmt noch einen weiteren prekären Job an oder arbeitet schwarz. Das Fast-Monopol, das die Konzerne an manchen Orten bei den Angeboten von Wohnungen für Menschen mit begrenztem Einkommen und Migrationshintergrund haben, sorgt dafür, dass die Mieten auch bei stagnierenden Löhnen weiter steigen. Aber natürlich spitzt sich durch diese Abpressung von Rendite der Konflikt gesellschaftlich auch immer mehr zu.
Die Vonovia reagiert darauf mit einer flexibleren Taktik. Fassadendämmungen ganzer Wohnviertel lösen kollektive Betroffenheit
und damit Proteste aus. Mit kleinteiligeren Modernisierungen einzelner Wohnungen verhindert man diesen Effekt. Allerdings kann man ohne Massenmodernisierungen nicht unbedingt die Wachstumssprünge machen, die man als Marktführer benötigt. Das gelingt nur mit dem Zukauf von Wohnungspaketen mit hohem Mietsteigerungspotenzial. In Deutschland sind günstige privatisierte Sozialwohnungen ausverkauft, einen Ausweg bietet das Ausland. Die Vonovia ist der größte private Vermieter in Österreich und baut
ihre Position in Schweden aus, wo sie auf Modernisierungen setzt. Sie hat bereits eine Beteiligung in Frankreich, dessen immer noch riesiger Bestand an öffentlichen Wohnungen gerade durch die Regierung Macron für Privatisierungen geöffnet wird.
Eine weitere Wachstumsstrategie ist es, die Kontrolle über die Zulieferketten und wohnungsnahen Dienstleistungen auszuweiten, zum Beispiel im Energiebereich, aber vor allem mit der Digitalisierung des Wohnens und dem Internet der Dinge. Die LEG hat bereits die »Industrialisierung 4.0« der Wohnungswirtschaft ausgerufen. Die Mieter*innen können mit diesem Vermieter inzwischen besser mit einer App kommunizieren als per Telefon. Der Konzernvermieter der Zukunft könnte viele Züge des »Großen Bruders« aus Orwells Dystopie »1984« tragen.
Natürlich beschäftigen sich die Konzerne auch intensiv mit der Optimierung ihrer Schulden.
Die riskanten Verbriefungen des letzten Jahrzehnts wurden durch Unternehmensanleihen mit stärker differenzierter Laufzeit ersetzt. Aktienkapital spielt eine größere Rolle. Trotzdem könnten die Konzerne auch wieder von einem Finanzcrash betroffen sein, etwa wenn die Zinsen sprunghaft steigen. Ich glaube aber nicht, dass so ein Crash von ihnen ausgehen wird. Und es werden zunächst eher die kleineren Fonds sein, die dann pleitegehen.
Ein ungeregelter Crash eines Wohnungsunternehmens ist in der Regel schlecht für die Mieter*innen. Es kommt zu jahrelangen Abwicklungsketten, bei denen sich undurchsichtige Geierfonds spekulativ bereichern und die Wohnungen verfallen lassen, bevor dann die nächste extraktive Investitionswelle einsetzt. Anders liefe es nur, wenn sich der Staat oder eine besonders gute Mieterorganisation darauf einstellen und die Initiative ergreifen würde, die Wohnungen der Bankrotteure günstig in gesellschaftlich kontrolliertes Eigentum zu überführen.
Die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« in Berlin erzielt gerade enorme Aufmerksamkeit. Ist das die richtige Initiative in der jetzigen Situation?
Die Geschäftsmodelle dieser Konzerne basieren auf der alltäglichen Enteignung der Mieter*innen. Der nicht ganz neue Gedanke, die Enteigner zu enteignen und Wohnungen unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen, ist deshalb naheliegend. Viele betroffene Mieter*innen nicht nur in Berlin, auch bei uns im Ruhrgebiet oder zum Beispiel in Stuttgart stimmen dem Slogan der Enteignung spontan zu. Es ist erstaunlich, was die Berliner Kampagne alles ausgelöst hat. Aber die Gegenseite reagiert natürlich mit ihrer eigenen Propagandamaschine und hat bereits erreicht, dass die Zustimmung im Bundesgebiet begrenzt ist. Trotzdem ist gesellschaftlich die richtige Frage gestellt, die neue Handlungsspielräume eröffnen kann. Aber dazu braucht es nicht nur Slogans, sondern auch eine realistische Strategie.
Die Berliner*innen sind in der glücklichen Lage, dass sie eine Landesregierung haben, die sie mit der Kampagne zu radikaleren Konsequenzen treiben können. In den Flächenländern sind wir weit davon entfernt. Hier haben wir oft nicht einmal mehr landeseigene Wohnungsunternehmen, die sich in eine Anstalt öffentlichen Rechts umwandeln ließen. Die Berliner*innen allein werden eine öffentlich bezahlbare Enteignung grenzübergreifend agierender Wohnungskonzerne wahrscheinlich aber nicht isoliert durchsetzen können. Wir brauchen eine bundesweite Bewegung, um die Kontrolle über die Wohnungswirtschaft zurückzugewinnen. Bei aller Begeisterung für den Gedanken einer grundlegenden Alternative sollten wir dabei nicht die notwendigen Etappenziele und die vielen möglichen Verbesserungen des bestehenden Rechts vergessen. Es gibt weder auf Bundesnoch Länderebene ein Gesetz, das Verwertungsstrategien Grenzen setzt. Es wäre zum Beispiel nötig und möglich, die Transparenz der Eigentümerstrukturen und die Kontrolle der Mieterschaft bei der Berechnung von Mieterhöhungen und Nebenkosten viel besser zu regeln. Eine effiziente Besteuerung von Anteilsverkäufen würde das Geschäftsmodell auf einen Schlag unattraktiver machen.
Um bundesweit aus der finanzdominierten Wohnungswirtschaft auszusteigen, bräuchten wir den gesetzlichen Rahmen einer dauerhaft sozial gebundenen, demokratisch organisierten neuen Wohnungsgemeinnützigkeit – und eine ganze Landschaft an Akteuren, die sich ihren Regeln unterwerfen. Die Übertragung der Immobilien an diese Akteure könnte man mit einer niedrigen »Exit-Tax« begünstigen. Die Vergesellschaftung wäre so auch ohne den Enteignungshammer möglich. Ein Enteignungs- und Sozialisierungsgesetz muss es aber trotzdem geben, um rechtzeitig auf eine mögliche Kapitalflucht und die Ausplünderung der Immobilien reagieren zu können.
Ein rein der Finanzrendite verpflichteter Wohnungssektor ist weder mit dem Menschenrecht auf Wohnraum noch mit der grundgesetzlichen Sozialverpflichtung des Eigentums vereinbar. In diesem Sinne ist die Sozialisierung des Wohnungswesens tatsächlich eine wesentliche Herausforderung, der sich diese Gesellschaft heute stellen muss.
Könnte eine entschlossene Politik gegen diese Industrie, etwa eine Enteignung, zu einem Crash führen? Wie reagieren die Konzerne auf den Versuch, ihr Geschäftsmodell zu zerstören?
Wenn es zu einer realistischen Option wird, dass Wohnungskonzerne zum Beispiel in Berlin enteignet werden, wird das natürlich Einfluss auf die Geschäftsmodelle haben. Da sich die Gesetzgebung und die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung länger hinziehen werden, haben die Konzerne genügend Zeit, sich andere Investitionsziele zu suchen oder auf eine gute Entschädigung zu spekulieren. Je nach der Marktsituation könnte die Aussicht auf Entschädigung die Kurse sogar stützen. Kurzfristig könnte es ihnen mehr wehtun, wenn es zu einem wirksamen Mietendeckel und zur Abschaffung der Modernisierungserhöhung käme. Vor allem wenn ein Mietendeckel auf einzelne Bundesländer beschränkt bliebe, könnten die Konzerne aber reagieren, indem sie den betroffenen Beständen Kapital entziehen und – wie vor zehn Jahren – viel zu wenig in die Instandhaltung investieren. Um das zu verhindern, muss man sie unbedingt gesetzlich zwingen, liquide Bauerneuerungsrücklagen zu bilden und zu verwenden. Wenn es dann tatsächlich steil abwärts ginge mit den Renditen von Deutsche Wohnen & Co., bräuchten wir in der Tat ein Vergesellschaftungsgesetz, um eine ungeregelte spekulative Abwicklung zu verhindern. In jedem Fall brauchen wir also sowohl eine strikte Regulation der Wohnungsunternehmen als auch eine konkrete Vergesellschaftungsperspektive.
Immer mehr Mieter*innen der großen Konzerne schließen sich zusammen. Inwiefern entstehen mit dem Aufstieg der neuen Player auch neue Möglichkeiten der Organisierung?
Bei diesem massenhaften Angriff auf die Einkommen und Lebensbedingungen der Menschen ist es nicht verwunderlich, dass es zu Gegenwehr und Protesten kommt. Die Organisierung über die einzelnen betroffenen Standorte oder über einzelne Städte wie Berlin hinaus steckt aber noch in den Anfängen. Das Potenzial ist groß: Das standardisierte Vorgehen der Konzerne könnte mit standardisierten und weit verbreiteten Gegenmaßnahmen beantwortet werden – vielleicht sogar in einer standortübergreifenden, quasi syndikalistischen Organisation. Die auf individuelle Rechtsberatungen ausgerichteten Strukturen der Mietervereine tun sich aber schwer, eine entsprechende Praxis zu entwickeln. Und die meisten Mieterinitiativen verschwinden, wenn der unmittelbare Anlass ihrer Aktionen nicht mehr besteht. Ich denke, es müssen sich zunächst die offensiven und basisorientierten Kräfte in den traditionellen Mieterorganisationen, den Initiativen und den linken Bewegungen zusammentun. Sie könnten handlungsfähige Plattformen bilden und sich in der Fläche verankern.
Das Gespräch führte Hannah Schurian.