Damit dieses Kalkül nicht aufgeht, muss ökosozialistische Politik verbindende Klammern zwischen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Umwelt- und Wohlfahrtsverbänden aufzeigen. Ein konkretes Beispiel dafür ist der seit 2019 praktizierte Ansatz klimabewegter Students for Future und des linken Studierendenverbands SDS, Beschäftige des öffentlichen Nahverkehrs bei Arbeitskämpfen und beim Aufbau gewerkschaftlicher Basisgruppen zu unterstützen. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Umbau des Verkehrsmodells weg vom individuellen PKW hin zu ökologischen, öffentlichen Infrastrukturen von den Beschäftigten selbst vorangetrieben werden und mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Bereich einhergehen muss. Denn erst wenn Jobs bei Bahn und Bus ähnlich gut bezahlt sind wie in der Automobilindustrie, werden Beschäftigte bereit sein, diese Transformation mitzutragen.
Aber es gibt längst auch andere Ansatzpunkte für sozialökologische Bündnisse, beispielsweise gemeinsam verabschiedeten Papiere von Wohlfahrts- und Umweltverbänden oder die Mobilisierung von Fridays for Future für die „Seebrücke“ (Solidarität mit Geflüchteten). Auch wenn solche Bündnisse prekär und punktuell sind, bleiben sie der entscheidende Ansatzpunkt für eine Politik des ökologisch-solidarischen Systemwechsels.
Industriekonversion
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum eine ökosozialistische Linke eben nicht den Fehler begehen darf, sich wie in den 1970er und 1980er Jahren von Arbeitskämpfen abzuwenden und sich einer postindustriellen Romantik zu verschreiben. Damals nämlich lief die Technologie- und Entwicklungskritik oft auf einen Ausstieg aus der Industriegesellschaft hinaus. Dabei war die Kritik inhaltlich zunächst einmal gut begründet: Infrastrukturen erzeugen Pfadabhängigkeiten, und Technik ist keineswegs neutral, sondern schreibt konkrete Herrschaftsverhältnisse fest. Das Fließband beispielsweise in der Fabrik entwickelt, um den Arbeitsrhythmus in der Fabrik kontrollieren und die Arbeiter*innen effizienter fremdbestimmen zu können.
Es gilt also immer, Technologien und Infrastrukturen infrage zu stellen, doch gleichzeitig ist es auch falsch, aus der Industriegesellschaft herausspringen zu wollen. Stahl und Computer lassen sich nicht handwerklich herstellen, und offenes Kaminfeuer hat eine schlechtere Ökobilanz als ein modernes Heizungssystem. Der Kern eines ökosozialistischen Projektes sollte daher nicht sein, gegen das Industriezeitalter zu Felde zu ziehen, sondern konkreter zu definieren, worum es geht, nämlich darum, dass die Wirtschaft nicht entlang der zu erwartenden Profite, sondern entlang der gesellschaftlichen Bedarfe und auf Grundlage der natürlichen Reproduktionskreisläufe gestaltet wird. Auch wenn der Güterkonsum des oberen Drittels der Weltbevölkerung sinken muss, muss die Produktion vieler Güter weitergehen oder in manchen Sparten auch wachsen: Medizingeräte, Solaranlagen, U-Bahnen, öffentliche Infrastrukturen, Wärmedämmungen, Heizungs- und Kühlungssysteme … Auch eine ökosozialistische Gesellschaft muss digital kommunizieren können, wenn sie die Vielzahl der globalen Probleme bearbeiten will. Eine Union der Landkommunen kann das nicht leisten. Eine ökosozialistische Linke braucht daher beides: eine Technologie- und Fortschrittskritik, wie sie seit Walter Benjamin, der Frankfurter Schule, dem Feminismus und der postkolonialen Entwicklungskritik erarbeitet wurde, aber eben auch industriepolitische Konversionskonzepte, die nicht in die Enge des isolierten Dorfs zurückführen.
Eine Möglichkeit, das Problem nach vorn aufzulösen, besteht darin, die Industriekonversion aus der Perspektive der Betroffenen voranzutreiben. Beschäftigte haben kein Interesse daran, sinnlose oder sogar schädliche Produkte herzustellen. Sie sind in der Regel gern bereit, weniger zu arbeiten oder andere Dinge zu produzieren, solange das nicht auf Kosten ihrer gesellschaftlichen Teilhabe geht – gute Arbeit und ein sicheres Einkommen. Eine ökosozialistische Politik muss deshalb an die linksgewerkschaftliche Forderung nach Wirtschaftsdemokratie anknüpfen: Der ökologische Umbau von Industrien und Branchen muss die Rechte der Beschäftigten verteidigen, von ihnen selbst mit entwickelt und von gesellschaftlichen Transformationsräten (aus Gewerkschaften, Umweltverbänden, Naturwissenschaften und gesellschaftlichen Organisationen) demokratisch gestaltet werden. In manchen Branchen muss es darum gehen, andere Güter herzustellen – z.B. öffentliche Verkehrsmittel statt PKW zu bauen –, andere, wie der Flugverkehr, stehen aus ökologischen Gründen ganz zur Disposition, und viele Industrien werden einfach weniger produzieren müssen, wenn der Stoffwechsel mit der Natur reduziert werden soll.
Das scheint wie eine Quadratur des Kreises, weil es im Kapitalismus selten solidarische Lösungen gibt. Doch wenn Arbeit und Reichtum unter allen verteilt werden, muss niemand bei einer Industriekonversion auf der Strecke bleiben. Und es gibt heute viele konkrete Ansatzpunkte für einen solchen Prozess. Der Vorschlag des LINKEN-Vorsitzenden Bernd Riexinger, die kriselnde Lufthansa mit der Bahn AG zu einem öffentlichen Unternehmen zu verschmelzen, zielte genau darauf ab. Da es aus ökologischen Gründen gar nicht angebracht ist, die vielen Inlandsverbindungen der Lufthansa aufrechtzuerhalten, hätte man das staatliche Rettungspaket in Höhe von 9 Milliarden Euro an eine Konversion des Verkehrssektors koppeln können. In einem öffentlichen Verkehrskonzern oder zumindest aufgrund öffentlicher Auflagen hätten die Kurz- und Mittelstreckenverbindungen auf die Schiene verlagert werden können, gleichzeitig hätte man sichergestellt, dass die Transformation nicht auf Kosten der Beschäftigten geht.
Bei der Konversion von Industrien und Konsummodellen sollte sich eine ökosozialistische Politik außerdem dem „Verzichts“-Diskurs entgegenstellen. Sie muss deutlich machen, dass eine ökologisch-solidarische Transformation die Lebensqualität in vieler Hinsicht verbessern würde. Wenn eine Gesellschaft weniger produziert, kann die verbleibende Zeit so umverteilt werden, dass alle deutlich weniger arbeiten und mehr Zeit für soziale Beziehungen bleibt. Die Reduktion des Warenkonsums kann durch ein Mehr an kulturellen und öffentlichen Infrastrukturen aufgewogen werden. Eine autofreie Stadt kann sich in einen Ort nachbarschaftlicher Begegnung verwandeln usw.
In diesem Zusammenhang gilt es die Frage zu stellen, ob das, was wir heute als Wohlstand bezeichnen, wirklich unseren Bedürfnissen oder denen des Kapitals entspringt. Das wirft auch ein Licht auf die Werbeindustrie. Damit wir frei und bewusst darüber entscheiden können, was wir als Gesellschaft und als Individuen benötigen, müssten wir erst einmal dafür sorgen, dass man uns nicht mehr vorspricht, was angeblich unverzichtbar ist. Viel autoritärer als eine gemeinsame Beschränkung des Stoffwechsels ist das alltägliche Bombardement mit Konsum- und Werbebotschaften in der „freien Marktwirtschaft“.
Eine ökosozialistische Politik wird nur möglich sein, wenn es gelingt, neue und radikal andere Vorstellungen darüber, was ein gutes Leben auszeichnet, in der Gesellschaft zu verankern. Und an diesem Punkt trifft sich ein ökosozialistischer Ansatz auch wieder mit anderen Transformationsstrategien. Der Kampf gegen die kapitalistische Zerstörung von Natur und Gesellschaft ist selbstverständlich auch eine Auseinandersetzung um Köpfe, Ideen und Wünsche.
Dieser Beitrag ist aus DRITTE NATUR Technik – Kapital – Umwelt 5/2021 (Erstpublikation) mit freundlicher Genehmigung von (c) Matthes & Seitz Berlin entnommen.