Lasse nie eine Krise ungenutzt – in dieser Hinsicht können wir von der Autoindustrie einiges lernen. Heute, am 5. Mai, fand wieder einmal ein „Autogipfel“ der führenden Konzernlenker und Autolobbyisten mit der Bundeskanzlerin statt. Gegenstand der Besprechung: Weitere Subventionen in Milliardenhöhe für die deutsche „Schlüsselindustrie“. Wiederaufgeführt wird ein Schauspiel, das wir schon in der letzten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erleben konnten, als die „Abwrackprämie“ eingeführt wurde. Freilich klingt das Wort, das die Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2009 gewählt hat, nicht schön – man spricht jetzt lieber von „Kaufprämie“ oder „Innovationsprämie” und lenkt so von dem Zusammenhang ab, dass mit der staatlichen Förderung der Autokäufe auch die Verschrottung gegenwärtig noch in Betrieb befindlicher, funktionstüchtiger Fahrzeuge einhergeht. Denn schon dieser Zusammenhang weckt Zweifel an einem der Begründungsmuster für die Subventionen: Angeblich sollen diese der Umwelt dienen. Die neuen Autos seien ja so viel umweltverträglicher als die alten. Auch das ist nichts Neues: Die Abwrackprämie von 2009 hieß regierungsamtlich „Umweltprämie“.
Wenn eine auf ununterbrochene Kapitalverwertung getrimmte Wirtschaft in die Krise gerät, führt das immer zu gravierenden Problemen: Unternehmen geraten in Zahlungsschwierigkeiten und gehen bankrott, Massen von Menschen werden erwerbslos. So auch diesmal. Dass wieder eine der für den Kapitalismus charakteristischen zyklischen Krisen naht, zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab. Verstärkt wurde die einsetzende Krise nun durch die Covid19-Pandemie und die dadurch erzwungene temporäre Stilllegung von Teilen der Produktion. Dennoch fragen sich viele, warum nun ausgerechnet für die Autoindustrie wieder besondere staatliche Subventionen beschlossen werden müssen.
Steuermilliarden für Unternehmen mit Milliardenrücklagen und Milliardäre?
Schauen wir uns die wirtschaftliche Lage der deutschen Autohersteller, die seit Monaten für staatliche Hilfen getrommelt haben, näher an. Die Zahl der produzierten Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns ging im ersten Quartal 2020 gegenüber dem ersten Quartal 2019 um 24,8 Prozent zurück. Die Zahlen der abgesetzten und ausgelieferten Fahrzeuge sanken in einer ähnlichen Größenordnung. Der Umsatz sank erstaunlicherweise aber nur um 8,3 Prozent – von 60 Mrd. auf 55 Mrd. Euro. Trotz des Produktions- und Umsatzeinbruchs war der Konzern auch im ersten Quartal 2020 noch profitabel. Das operative Ergebnis lag bei 904 Mio. Euro, der Gewinn nach Steuern bei 517 Mio. Euro. Die Gewinnrücklagen stiegen nochmals um knapp 4 Mrd. Euro und betragen mittlerweile über 100 Mrd. Euro. Die Netto-Liquidität, also die verfügbaren finanziellen Mittel im Automobilbereich stiegen sogar gegenüber dem Vorjahresquartal um 11,2 Prozent auf fast 17,8 Mrd. Euro, wie im Bericht der Volkswagen AG für das erste Quartal 2020 nachzulesen ist.
Bei Daimler stellt sich die Entwicklung im ersten Quartal 2020 ähnlich dar. Der Umsatz brach in einem noch geringeren Maße als bei VW ein, nämlich um 6 Prozent. Der Gewinn vor Zins- und Steuerzahlungen (EBIT – earnings before interest and taxes) lag bei 617 Mio. Euro, der Gewinn nach Steuern bei 168 Mio. Euro. Die Gewinnrücklagen stiegen auf knapp 47 Mrd. Euro an. Die verfügbaren Zahlungsmittel sanken laut dem Bericht der Daimler AG für das erste Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal nur geringfügig und lagen bei 16,1 Mrd. Euro.
Der BMW-Konzern legt seinen Quartalsbericht für das erste Quartal 2020 am 6. Mai vor – unmittelbar nach dem „Autogipfel“ mit der Bundeskanzlerin. Vielleicht wollte der Konzern die Daten noch etwas zurückhalten, um bessere Argumente bei den Verhandlungen über neue Subventionen zu haben – aber das ist Spekulation. Jedenfalls stand BMW ähnlich wie VW und Daimler am Ende des letzten Geschäftsjahres finanziell glänzend da. Der Konzern realisierte 2019 einen Gewinn nach Steuern von 5 Mrd. Euro. und verfügte über Zahlungsmittel von 12 Mrd. Euro.
Auch die großen Automobilzulieferkonzerne stehen überwiegend gut da. Bosch, der weltgrößte Automobilzulieferer, erzielte 2019 einen EBIT von 2,9 Mrd. Euro und verfügte am Jahresende über flüssige Mittel von mehr als 4,5 Mrd. Euro. Die Continental AG, der drittgrößte Automobilzulieferer weltweit, wies für 2019 aufgrund von hohen Abschreibungen Verluste in Höhe von fast 1,2 Mrd. Euro aus, verfügte aber über flüssige Mittel in Höhe von mehr als 3,3 Mrd. Euro. Die Schaefflergruppe, die ebenso wie die Continental AG Georg Wilhelm Friedrich Schaeffler und seiner Mutter Maria-Elisabeth Schaeffler gehört, realisierte einen EBIT von 790 Mio. Euro, einen Gewinn nach Steuern von 428 Mio. Euro und verfügte Ende des Jahres über Zahlungsmittel in Höhe von 668 Mio. Euro. Die ZF Friedrichshafen AG, der fünftgrößte Automobilzulieferer der Welt, realisierte einen Gewinn nach Steuern von 400 Mio. Euro und verfügte über Finanzmittel in Höhe von 2,4 Mrd. Euro.
Freilich: Gerade die kleineren Zulieferer bekommen die gegenwärtige Krise stärker zu spüren, da sie über weniger Liquidität und Eigenkapital verfügen. Doch dies ist ein Resultat der Machtverhältnisse in der Branche. Die Markenhersteller haben erkannt, dass es profitabler ist, wenn sie die Produktion von Fahrzeugteilen Zulieferern überlassen. In den letzten Jahrzehnten haben sie ihre eigene Fertigungstiefe ständig reduziert, aber die Kontrolle über die Produktentwicklung, das Marketing und den Gesamtprozess der Produktion behalten. Die großen Zulieferer von Fahrzeugmodulen und -komponenten haben ihrerseits den von den Markenherstellern ausgehenden Druck zur Kostensenkung an ihre Zulieferer weitergegeben. Die Aufspaltung der Produktion von Automobilen auf viele rechtlich selbständige Unternehmen erleichtert es, die Arbeitsbedingungen innerhalb der Produktionsnetzwerke zu differenzieren und entlang der Zulieferkette die Löhne zu drücken. Der von den Markenherstellern auf ihre Zulieferer ausgeübte Druck führt dazu, dass sich die Profite vor allem bei den Markenherstellern ansammeln, während die Zulieferer in höherem Maße die Risiken tragen, die mit den periodischen Krisen einhergehen.
Die Bundesregierung hat bereits im März die Voraussetzungen geschaffen, damit Unternehmen mit Liquiditätsproblemen in großem Umfang staatliche Kredite, Bürgschaften oder auch Eigenkapitalhilfen erhalten können. Es besteht eigentlich kein Grund, die Autoindustrie noch gesondert zu subventionieren. Die Unternehmen der Autoindustrie können gegebenenfalls wie die Unternehmen aller anderen Branchen die bereits zuvor beschlossenen Hilfen in Anspruch nehmen. Im Übrigen haben die großen Autohersteller in der gegenwärtigen Krise auch für die Liquidität der mit ihnen verbundenen Autohäuser Sorge getragen und ihnen Kredite und bessere Zahlungskonditionen gewährt. Warum sollten sie sich nicht auch um die ihre Zulieferer kümmern und diese entsprechend unterstützen? Die Gewinnrücklagen und Liquiditätspolster der Markenhersteller ermöglichen dies allemal. Und warum sollte das Vermögen der Eigentümer der Autokonzerne in dieser Krise unangetastet bleiben? Hier handelt es sich schließlich auch um einige der reichsten Familien Deutschlands und anderer Länder, um Milliardäre wie Ferdinand Piëch, Wolfgang Porsche, Stefan Quandt, Susanne Klatten, Heinz Hermann Thiele, Maria-Elisabeth Schaeffler, Georg Wilhelm Friedrich Schaeffler, die Herrscherfamilien von Kuwait und Katar.
Der Schulterschluss für das Auto
Dass trotz der Milliardengewinne der Autohersteller neue Subventionen für die Autoindustrie fällig sind, darin sind sich wiedermal fast alle einig. Kritik kommt von liberalen Ökonomen, die ordnungspolitische Prinzipien in Gefahr sehen, und von Vertretern anderer Branchen wie der Möbelindustrie oder dem Maschinenbau, für die keine entsprechenden Sonderprogramme absehbar sind. Abgesehen davon ist vor allem die Ausgestaltung der Subventionen umstritten. Die Autohersteller wollen Kaufprämien für alle Fahrzeugklassen und Antriebsarten. Die Grünen und einige Umweltverbände wollen nur Elektroautos fördern. Würde die Förderung auf Elektroautos beschränkt, so wäre der konjunkturelle Effekt der Maßnahmen sowohl auf der Branchenebene als auch auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene vermutlich gering, weil die deutsche Autoindustrie bisher kaum Elektroautos im Angebot hat; die Produktionskapazitäten sind hier gering. Zudem handelt es sich vorwiegend um hochpreisige Modelle, die Kaufprämie würde also vor allem Haushalten mit hohen Einkommen zugutekommen. Werden umgekehrt auch Autos mit Verbrennungsmotor bezuschusst, so ist die Wirkung strukturkonservativ und ökologisch besonders desaströs. Die Ministerpräsidenten von Bayern (CSU), Baden-Württemberg (Grüne) und Niedersachsen (SPD) haben am 4. Mai einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, der Aspekte der Forderungen der Autohersteller und der Grünen kombiniert, indem er eine geringfügig nach Antriebsart differenzierte Förderung vorsieht: Käufe von E-Autos und Hybridautos sollten mit 4000 Euro zusätzlich zu der schon bestehenden Kaufprämie gefördert werden, Käufe von neuen Fahrzeugen mit Diesel- oder Benzinmotor mit 3000 Euro, und die Stilllegung alter Fahrzeuge mit 1000 Euro. In dem heutigen Gespräch mit der Bundeskanzlerin wurde zwar Konsens über die Notwendigkeit „konjunkturbelebender Maßnahmen“ erzielt, doch wie diese ausgestaltet werden sollen, ist weiterhin offen. Eine Arbeitsgruppe der beteiligten Akteure (Bundesregierung, Autohersteller, VDA und IG Metall) soll nun bis Anfang Juni entsprechende Vorschläge erarbeiten, wie damit zugleich ein „Modernisierungsbeitrag in Richtung innovativer Fahrzeugtechnologien“ geleistet werden kann, wie es in der Pressemitteilung des Bundeskanzleramtes heißt.
Im Gespräch ist auch die staatliche Förderung des Aufbaus der Ladeinfrastruktur für die Akkus der Elektroautos. Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende von VW, denkt dabei zuerst an die Eigenheim- und Garagenbesitzer und schlägt einen Zuschuss von 500 Euro für den Einbau heimischer Ladestationen vor; auch Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag findet es eine gute Idee, die eher besser betuchten Eigenheim- und Autobesitzer so zu fördern (vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3.5.2020). Und wo sollen die Elektroautos geladen werden, die im öffentlichen Raum rumstehen? Eben dort. Wenn die Vorstellungen der Autolobby umgesetzt werden, können sich Fußgänger darauf einstellen, dass die Ladesäulen auch noch flächendeckend auf die schmalen Bürgersteige gestellt werden, also wieder weiterer Raum in Städten und Gemeinden zugunsten der Autofahrer umverteilt wird.
Dabei zeigt sich am Beispiel der Akkus und Ladestationen besonders gut die Irrationalität, zu der die kapitalistische Konkurrenz im Bereich der Elektromobilität führt. Standardisierte Wechselbatterien, die z.B. an den heutigen Tankstellen ausgetauscht werden könnten, wären sicherlich die ökologischere und für längere Fahrten mit Elektrofahrzeugen funktionalere Lösung im Vergleich zu den proprietären, fest eingebauten Batteriesystemen der verschiedenen Autohersteller. Solche Wechselbatterien könnten wesentlich kleiner und leichter dimensioniert werden; sie könnten eine längere Lebensdauer haben, da der Ladevorgang langsam erfolgen könnte und nicht über Schnellladesysteme erfolgen müsste; längere Standzeiten der batterieelektrisch betriebenen Fahrzeuge wären nicht notwendig; die natürlichen Schwankungen bei der Erzeugung regenerativer Energien wären kein Hindernis, sondern könnten durch Wechselbatterien besser ausgenutzt werden; die Ladestationen können räumlich stärker konzentriert werden und müssten nicht über den gesamten Stadtraum und die privaten Haushalte verteilt werden. Aber die meisten Autohersteller bekämpfen standardisierte Wechselbatterien, da sie dann weniger Einfluss darauf hätten und die Batteriesysteme nicht mehr als Medium ihrer Konkurrenz fungieren würden. Eine Normierung der Akkus wäre aus der Sicht von Peter Lamp, der bei BMW für die Batterieentwicklung zuständig ist, bereits „Planwirtschaft“[1].