»Science says: Revolt.« Unter diesem Motto referiert Naomi Klein (2013) die Einsichten von KlimaforscherInnen. Warum Revolte? Weil eine Politik der kleinen Schritte zu spät kommt. Vor 20 Jahren hätte evolutionärer Wandel vielleicht noch genügt. »Heute, nach zwei Jahrzehnten der Täuschung und der Lügen, verlangt die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels eine revolutionäre Änderung der politischen und ökonomischen Hegemonie«, sagt der von Klein zitierte Kevin Anderson vom Tyndall Centre for Climate Change Research.
Noch sind es wenige. Aber dass überhaupt aus der Naturwissenschaft Stimmen zu vernehmen sind, die quasi zur Revolution aufrufen, ist bemerkenswert. Denn Aufrufe zum Handeln sind fast immer tabu. Wenn nun die ersten renommierten Köpfe Klartext sprechen, dann sollte das Rückenwind sein für Linke, die zu neuen, sauberen Ufern segeln wollen. Leider mangelt es hier an Seetüchtigkeit, und so bleibt es bei orientierungsloser Meuterei im industriekapitalistischen Trockendock.
Für was und wen?
Schon die erste Aufgabe macht uns nervös. Revolte gegen was und gegen wen? Grobe Skizzen schaffen wir noch. Gegen Gen-Technik, Fracking und Land Grabbing. Gegen Atom-Konzerne, Öl-Multis und Kohle-Barone. Gegen Rohstoff-Oligarchen und Agro-Business. Darüber hinaus wird’s schwierig. Auch gegen die Auto-Industrie? Gegen die Elektronik-Marken, die ständig neue Produktgenerationen auf den Markt werfen? Am Ende auch gegen Bedürfnisstrukturen in uns selbst?
Noch viel schwieriger ist die anschließende Frage: Revolte für was und für wen? Oft ertönen salbungsvolle Worte: Ein gutes Leben für alle in den Grenzen der Natur. Im ungelenken Deutsch der Positionspapiere heißt es ähnlich inhaltsleer: ein Umbau, der gleichermaßen ökologisch, sozial und demokratisch ist. Und die Melodien des Postwachstums klingen wie sanft schwingende Popmusik im Shoppingcenter.
Gegen diese Dudelei glaubt manch traditionell konfigurierteR LinkeR einen zackigen Trommelwirbel aufführen zu können: It’s capitalism, stupid. Zuerst die Kapitalfrage, dann die Naturfrage. In dieser Reihenfolge kommen – so die Überzeugung – die Öko-Probleme richtig zur Sprache und anschließend zur praktischen Behandlung. Aber diese Rettungsformel ist heute nur noch ein ritualisierter Glaube. Intellektuell sind viele AntikapitalistInnen hilflose Gesellen: ohne Ausweg aus dem Labyrinth verstaubter Kategorien.
Des Rätsels Lösung beginnt mit dem einfachen Satz: Kräftiges Rot geht heute nur noch in sattem Grün. Reiche Individualität in Freiheit und Gleichheit, dieser alte Leitgedanke kann nur noch inspirieren, wenn seine ökologische Rekonstruktion gelingt. Möglich ist das längst. Denn Kooperation zur Pflege der Allgemeingüter, Gleichheit als Norm zulässiger Naturnutzung und vorsorgende Planung von Stoffkreisläufen sind die notwendigen Prinzipien für die grüne Revolution. Und diese Prinzipien sind allesamt rote. »Rotes Grün« (Thie 2013) ist nicht nur möglich, sondern auch nötig.
Umverteilen sozial und ökologisch – das Ökologische Grundeinkommen
Ein zentrales Element dieser doppelten Rot-Grün-Durchdringung ist die Freiheit von Angst. Von jener Angst, die Millionen Menschen an eine falsche Praxis fesselt: die Angst, den Job, Einkommen und berufliche Perspektive zu verlieren und sich von gewohnten Konsummustern verabschieden zu müssen. Folglich ist darüber nachzudenken, wie Zuversicht diese Angst vertreiben und den Veränderungswillen stärken kann. Hier gibt es nun einen aussichtsreichen Kandidaten: das ökologische Grundeinkommen (ÖGE). Alle Steuern und Abgaben, die auf unerwünschten Umweltverbrauch erhoben werden, fließen als Öko-Bonus an die Bevölkerung zurück. Vom Baby bis zum Greis, von der Obdachlosen bis zum Milliardär, alle erhalten die gleiche Pro-Kopf-Zahlung. Dieses Einkommen wäre zugleich sozial und ökologisch, weil unterm Strich die Reichen, die viel Umwelt verbrauchen und deshalb mehr an Steuern und Abgaben aufzubringen haben, an die Armen zahlen, die weniger konsumieren und entsprechend weniger belastet sind.
Ulrich Schachtschneider (siehe Kontrovers: Ökologisches Grundeinkommen, in LuXemburg 2/2013) nennt die Vorteile einer solchen Öko-Umverteilung, die im ursprünglichen PLAN B der Linksfraktion im Bundestag »Umwelt-Transaktions-Einkommen« hieß. Die bislang negative Verteilungswirkung nahezu aller den Konsum verteuernden, also geldvermittelten Umweltinstrumente (höhere relative Belastung der Armen, geringere der Reichen) wird aufgehoben und umgekehrt. Dabei bewahrt der Öko-Bonus – anders als gesetzliche Verbote und Gebote – die Freiheit der individuellen Wahl. Weil er bedingungslos zur Auszahlung kommt, lockert er den Zwang zur Lohnarbeit und den Drang zum Wachstum. Die Freiheit zum Weniger wäre größer, die Mäßigungsoption attraktiver.
Nicht zuletzt könnte ein ökologisches Grundeinkommen aus dem Dilemma herausführen, das gegenwärtig unlösbar erscheint. Der Verbrauch aller nicht regenerativen Energien, Rohstoffe und sonstiger Naturgüter sollte teurer werden – möglichst auf einem stetig ansteigenden Pfad. Das ist mit dem üblichen Einsatz von Steuern und Abgaben vielleicht diktatorisch, aber nicht demokratisch machbar. Arme Haushalte, selbst NormalverdienerInnen würden einen nicht verkraftbaren Entzug von Einkommen erleiden. Mit der umgekehrten Verteilungswirkung des ÖGE wäre die ökologisch gebotene Verteuerung erstmals eine soziale Strategie. Jet-Set, PS-Wahn und Konsumrausch der einen verwandeln sich in zusätzliches Einkommen für die Ärmeren und die Vernünftigeren.
Mehr als ein Zubrot?
Um von einem echten Grundeinkommen zu sprechen, bedürfte es allerdings eines erheblichen Volumens der Geldflüsse. Aktuell liegt in Deutschland das Gesamtaufkommen der Steuern, die auf fossile Energien erhoben werden, bei rund 50 Milliarden Euro. Sonstiger schädlicher Naturverbrauch unterliegt bisher kaum einer Belastung. Die Auszahlung dieser 50 Milliarden ergäbe rund 600 Euro pro Kopf und Jahr – ein schmaler Bonus, ein Zubrot, mehr nicht. Entsprechend müsste die Besteuerung mindestens um den Faktor 10, besser 20, steigen, um unterm Strich (als Saldo von Steuerzahlung und Bonusauszahlung) für Geringverdienende und Umweltbewusste einen halbwegs relevanten Betrag zu ergeben. Theoretisch ginge das, praktisch nicht. Denn die drastische Verteuerung schädlicher Energien und Stoffe würde den schnellen und erwünschten Strukturwandel einleiten, der dem Öko-Bonus seine schmutzige Basis raubt. Deshalb kann dieser Bonus, entgegen der Vermutung von Schachtschneider, niemals der Einstieg in ein ökologisches Grundeinkommen sein. Wertvoll wäre er dennoch – aber eben als starkes Instrument sozialer Ökologie, nicht als Hebel nennenswerter Einkommensbildung.
Mit diesem Einwand ist die ÖGE-Idee noch nicht gestorben. Sie wird leben, wenn sie sich jenseits der Umweltsondersteuern, die nur einen kleinen Teil des nötigen Finanzvolumens liefern können, auf die allgemeinen Steuern gründet, wie das alle Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in irgendeiner Weise tun. Diese Modelle zielen auf die reelle Füllung der formellen Freiheit. Der Mensch soll nicht nur freier Staatsbürger sein, sondern souveräner Weltbürger, der aufgrund eines garantierten Einkommens sein Leben selbst bestimmt. Diese Perspektive nicht nur rechtsförmiger, sondern auch zahlungsfähiger Freiheit ist attraktiv, weil sie Schluss macht mit Bedürftigkeitsprüfungen und Schikanen, weil sie es erlaubt, autoritäre Überwachungsbürokratien weitgehend abzuschaffen, weil ein kulturvolles Leben mit wenig Naturverbrauch zur echten Option wird.
Die Größe des BGE-Topfs wäre allerdings enorm, wenn das monatlich gezahlte Grundeinkommen tatsächlich freiheitsstiftend sein soll. Bei 1 000 Euro je Erwachsene und 300 pro Kind errechnet sich für Deutschland eine Summe von 850 Milliarden Euro. Selbst wenn im Gegenzug viele Sozialleistungen nicht mehr nötig wären, läge die Staatsquote insgesamt bei rund 75 Prozent. Die Masse der Einkommensströme wäre also zu sozialisieren und weitgehend zu egalisieren. Wie so viel Gleichheit in einem Umfeld zu legitimieren ist, in dem Kapital und Lohnarbeit die beiden dominanten Einkommensquellen sind, wie ein solches BGE-Modell mitten in einer privatkapitalistisch verfassten Wirtschaft dauerhaft und krisenfest funktionieren kann – das ist bislang die große Unbekannte. Dem starken Freiheitsziel mangelt es an einer ebenso starken Gleichheitsnorm.
Das könnte sich ändern. Um die ökologischen Grenzen zu wahren, sind zunehmend Schutzpflichten und Nutzungsrechte zu definieren, die Legitimation genießen und deshalb Anerkennung finden. Das wiederum geht nur, wenn Gleichheit zum normativen Fundament dieser Bemühungen wird. Vielleicht vereinen sich dann Freiheit und Gleichheit zum ÖGE. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass die von der Klimaforschung verlangte Revolte eine ganz andere Gestalt annehmen wird.