Für die Linke und alle, die an der Entwicklung kritischen und emanzipatorischen Wissens interessiert sind, ist der neoliberale Umbau der Hochschulen, wie er sich seit gut zwanzig Jahren vollzieht, alarmierend. Denn in der Form des Wissens und in der Art, wie es beschaffen und zugänglich ist, gibt sich eine Gesellschaft an die Zukunft weiter. Gegen ihre historische Tendenz wurden die Hochschulen seit den 1950er Jahren wichtige Orte für kritische Theorie. Wenn von Nachteil war, dass sie politisch wirkungsloser waren als in früheren Jahrzehnten, so wurden sie doch auch freier von unmittelbaren politischen Anforderungen. Ihre stärkere Autonomie differenzierte und vergrößerte die wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten in Forschung und Lehre thematisch erheblich. Es bildeten sich umfangreiche und nuancierte, arbeitsteilig auch über Hochschulen und disziplinäre Grenzen hinweg erstreckende Arbeitszusammenhänge von der Kritik der politischen Ökonomie und Staatstheorie über Sozialpsychologie und Psychosomatik bis zur kritischen Technik- und Umweltforschung. Es entstanden formelle und informelle Curricula kritischen Wissens, eine oft enge Kooperation zwischen Lehrenden und Studierenden und in gewissem Umfang auch eine demokratische Kultur, die in einer Vielzahl studentischer Gruppen verankert war.
Neoliberale Reorganisation
Dennoch sollte nachträglich nichts verklärt werden: Es gab äußere und innere Hindernisse für eine emanzipatorische Erkenntnisdynamik. Doch anstatt solche Hindernisse durch eine weitere Demokratisierung zu beseitigen, kam es seit den 1990er Jahren zur neoliberalen Konterrevolution auch an den Hochschulen.
Diese konnte sich auf die herrschende Politik, die Medien, die Justiz, die HochschullehrerInnen und ihre Fachverbände sowie die wissenschaftspolitischen Gremien stützen, die die Dynamik von Bildungsexpansion und Egalitarismus, von Demokratisierung und Rationalitätssteigerung des akademischen Wissens bekämpften. Hatten die Hochschulen früher maßgeblich zur Reproduktion sozialer Herrschaft beigetragen, so sah die Koalition neoliberaler Akteure diese Funktion nun von innen her bedroht. Sie forderte eine Wende auch für die westdeutschen Hochschulen: Mit weniger Mitteln sollte mehr erreicht werden. Von Wettbewerb, Eliteförderung, Profilbildung und engerer Anbindung an den Bedarf der Wirtschaft war die Rede. Der Bologna-Prozess besiegelte ab 1999 diese Forderungen. Um den Wettbewerbsgedanken durchzusetzen, wurden leistungsbezogene Entgeltregelungen für die HochschullehrerInnen geschaffen. Zudem wurden sogenannte Hochdeputatsstellen und Forschungsprofessuren geschaffen und damit die Einheit von Forschung und Lehre aufgebrochen. Die Studierenden sollten nun nicht mehr am wissenschaftlichen Prozess beteiligt sein, sondern mittels Studiengebühren auf die Position von KundInnen reduziert werden. Die Lehre selbst wurde um ihre Bedeutung gebracht, da es zu einem neuen Erfolgsmerkmal von HochschullehrerInnen wurde, von Lehre und Betreuungsverpflichtungen befreit zu sein.
Organisatorisch sind die Hochschulen dem autokratischen Regime ihrer Leitungen unterworfen worden. Die Mitspracherechte der ProfessorInnen wurden stark eingeschränkt, die der Studierenden weiter beschnitten. Die Rektoren- oder Präsidentenpositionen werden nun ausgeschrieben, die Amtszeit wurde auf mehrere Jahre ausgedehnt. Der Rektor oder Präsident arbeitet eng mit einem Hochschul- oder Universitätsrat zusammen, dessen Mitglieder häufig einflussreiche Personen aus der Wirtschaft sind. Dieser Rat soll die strategische Ausrichtung festlegen, den Präsidenten beraten und ihn gegenüber der Hochschule und bei ihrer Profilbildung unterstützen. Der Präsident selbst verwaltet inzwischen das Budget der Hochschule und bemüht sich um die Einwerbung von Geldern. Er nimmt Einfluss auf die Auswahl der DekanInnen und Berufungskommissionen, er verhandelt mit den zu Berufenden Zielvereinbarungen und Gehälter und spricht die Berufungen aus.
Wettbewerb auf allen Ebenen
Mit der Neuausrichtung durchzieht der Wettbewerb alle Aspekte der Hochschulen. Diese müssen sich darum bemühen, Studierende zu gewinnen, durch ein entsprechendes Ranking, durch Werbeauftritte oder Corporate Design. Dies ist notwendig, weil die Grundmittel, die die Hochschulen in einigen Bundesländern erhalten, von der Zahl der Immatrikulationen in einem Fach abhängen. Die Hochschulen bemühen sich darum, als Exzellenzuniversitäten anerkannt zu werden oder ein Exzellenzcluster zu erhalten. Dazu setzen sie in erheblichem Maße Geld und Personal ein. Das tun sie auch, um Sonderforschungsbereiche oder Drittmittel einzuwerben.
Institute, Studiengänge und Hochschullehrende müssen sich der Evaluation unterziehen. Diese orientiert sich an der Zahl der Abschlüsse, der Veröffentlichungen oder an den eingeworbenen Drittmitteln. HochschullehrerInnen werden durch die Hochschulleitungen, durch leistungsabhängige Entgeltbestandteile, durch Ansehen bei KollegInnen unter Druck gesetzt, sich an diesem Wettbewerb zu beteiligen. Sie müssen den größeren Teil ihrer Forschung durch Drittmittel bestreiten, also durch Einzelprojekte, Verbundforschung (Sonderforschungsbereiche, EU-Rahmenprogramme), durch Graduiertenschulen oder Exzellenzcluster. Dies setzt erhebliche Kenntnisse über die Fördermittel voraus. Virtuosität ist erforderlich, um die Anträge zu verfassen, mit anderen WissenschaftlerInnen zu kooperieren, mit Hochschulleitungen um Räume und besondere finanzielle Mittel zu verhandeln. Die Lehrenden müssen ständig Berichte einzreichen und ihre Veröffentlichungen so organisieren, dass sie eine möglichst hohe Zahl an Leistungspunkten erwerben, die für die Mittelzuteilung an Fachbereichen und Instituten und für die individuellen Ausstattungen und Gehälter von Bedeutung sind. Dazu zählen insbesondere begutachtete englischsprachige Aufsätze.
Schließlich wird auch der Wettbewerb unter den Studierenden verstärkt. Sie müssen sich um Studienplätze bewerben, allein das Abitur reicht nicht. Es gilt, Zulassungsprüfungen zu bestehen. Die regulären Prüfungen finden studienbegleitend statt. Das erzeugt einen riesigen Verwaltungsaufwand, weil jedes Referat, jeder Essay in die Endnote eingeht und archiviert werden muss. Die Studierenden belegen viele Lehrveranstaltungen, weil sie nicht sicher wissen, in welchen sie angenommen werden. Lern- und Bildungsbiografien können sich auf diese Weise nicht entwickeln. Die Kontaktzeiten mit HochschullehrerInnen werden immer geringer.
Die neoliberale Reorganisation der Hochschulen versprach Effizienzsteigerung, mehr Autonomie, Eliteförderung, Stärkung der Wissenschaftlichkeit und Innovationsfähigkeit. Ihr Ergebnis ist, dass WissenschaftlerInnen weniger Zeit für die Wissenschaft haben, denn das Profil wissenschaftlicher Arbeit selbst hat sich verändert. WissenschaftlerInnen sind mit Projektanträgen und -verwaltung, mit immer neuen Studienreorganisationen, mit Berichten, mit den zahllosen Prüfungen befasst. Dass im wissenschaftlichen Prozess niemand ständig auf der Überholspur bleiben kann, ist nicht vorgesehen. Gute Wissenschaft an kleineren Hochschulen zu machen, gehört nicht zum Konzept der Exzellenz, ebenso wenig die Ablehnung von Projekten, das Scheitern einer wissenschaftlichen Fragestellung. Die Verluste des Wettbewerbs werden nicht bedacht. Das gehört zum Neoliberalismus: dass er bei allem Gerede über Effizienz und Performance seine eigene Performance großzügig beschweigt. Es geht um die Kontrolle der anderen und ihres Wissens – damit niemand unbotmäßig werde.
Die fragmentierte Hochschule
Eine Kritik, die vor allem die Ökonomisierung und Verbetriebswirtschaftlichung der Hochschulen beklagt, geht am Wesentlichen vorbei, denn sie lässt den Gesichtspunkt der Reproduktion und des Wissens außer Acht. Gerade wenn so viele Menschen akademisch ausgebildet werden wie heute, ist es umso wichtiger, dass das Wissen eingehegt wird und sich die AbsolventInnen in die gesellschaftliche Arbeitsteilung einfügen.
Die Hochschulen sind durch diese Reorganisationsprozesse stark fragmentiert worden. An manchen Universitäten gibt es umfangreiche Forschungsmittel, während andere gerade mal den Lehrbetrieb aufrechterhalten. Mittlerweile studiert mehr als die Hälfte eines Jahrgangs, die Hochschulen sind längst keine Elfenbeintürme mehr. Doch Arbeiterkinder erlangen weit weniger häufig einen Master-Abschluss. Das zweistufige Studium erlaubt kaum die Erfahrung von Bildung und einen kritischen Umgang mit konventionellen Denkmustern. Wo Studierende beginnen, eigenständig zu denken, werden sie von HochschullehrerInnen, Leitungen und Medien zurechtgewiesen. Der Status des Professors ist nach wie vor und zunehmend den Angehörigen der oberen Klassen vorbehalten. Aber auch die Arbeitsformen, insbesondere der Zeitmangel, verhindern eine kritische Forschung. Politisch und intellektuell werden Ansätze kritischen Wissens bekämpft. Die Formierung der Themen, Begriffe und Theorien, auch die Modalitäten des Wissens müssen nach Auffassung des akademischen Mainstreams ihres kritischen Gehalts beraubt werden. Alles darf gelehrt werden, wenn gewährleistet ist, dass es sich lediglich um eine Moduleinheit handelt, wenn es pragmatisch, wertneutral und pluralistisch zugeht.
Doch das Wissen hat seine eigene Tendenz zum Universellen, es lässt sich nicht ohne Weiteres und endgültig herrschaftlich einhegen. Vielmehr gibt es Dozierende und Studierende, die die Entdemokratisierung der Hochschulen, ihre soziale Fragmentierung und die Aushöhlung des wissenschaftlichen Arbeitens kritisieren. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu heftigen Protesten. Auf überraschende Weise formieren sich lokale Widerstände, entwickeln sich Potenziale kritischer Forschung. Fachverbände verweigern sich neoliberalen Zumutungen. Solche Elemente können Ausgangspunkt und Grundlage sein für Diskussionen und Aktivitäten, in deren Zentrum eine neue Bemühung um Bildung und emanzipatorisches Wissen steht.