Wir verkennen etwas Entscheidendes bei politischen Demonstrationen, wenn wir übersehen, dass der öffentliche Charakter des Raums gerade umstritten oder sogar umkämpft ist, wenn sich diese Massen versammeln. Wenn also diese Bewegungen voraussetzen, dass es dieses Pflaster gibt, diese Straßen und Plätze, wie den Tahrir-Platz, dessen politische Geschichte so große Wirkung hat, dann ist es gleichzeitig so, dass die politischen Aktionen selbst den Raum sammeln, das Pflaster versammeln und die Architektur beseelen und organisieren. Wir müssen nicht nur darauf insistieren, dass es materielle Voraussetzungen für öffentliche Versammlungen und Reden gibt, wir müssen auch die Frage stellen, wie diese Versammlungen und Reden die Materialität des öffentlichen Raums umgestalten, wie sie den öffentlichen Charakter dieser materiellen Umgebung hervorbringen und reproduzieren. Wenn diese Massen über den Platz hinausströmen, die Hauptstraßen hinunter oder in die Seitenstraßen, in die Umgebung, wo die Straßen noch gar nicht gepflastert sind, geschieht noch etwas anderes. Politik ist dann nicht mehr nur das, was sich in einer Öffentlichkeit abspielt, die von der Privatsphäre abgetrennt ist, weil diese Grenze immer wieder von ihr überschritten wird, weil die Aktion darauf aufmerksam macht, dass Politik bereits zu Hause stattfindet, auf der Straße oder in der Nachbarschaft oder auch in jenen virtuellen Räumen, die nicht an die Architektur des öffentlichen Platzes gebunden sind. Wenn wir also darüber nachdenken, was es heißt, sich in einer Menge zu versammeln, die immer größer wird, sich so durch den öffentlichen Raum zu bewegen, dass der Unterschied von Öffentlichem und Privatem in Frage gestellt wird, dann sehen wir gewissermaßen, dass Körper in ihrer Pluralität Anspruch auf Öffentlichkeit erheben, dass sie Öffentlichkeit erlangen und hervorbringen, indem sie die Materie materieller Umgebungen erfassen und umgestalten. Gleichzeitig sind diese materiellen Umwelten Bestandteil des politischen Handelns; sie werden selbst aktiv, wenn sie zur Grundlage politischer Aktionen werden. Wenn Panzer oder Lkws zu Rednertribünen werden, wird die materielle Umgebung aktiv umgestaltet und umfunktioniert, um es mit Brecht zu sagen. Wir müssen also auch unsere Vorstellungen von politischem Handeln überdenken. Erstens erhebt niemand den Anspruch, sich frei zu bewegen und zu versammeln, ohne sich zusammen mit anderen frei zu bewegen und zu versammeln. Zweitens sind Plätze und Straßen nicht nur die materiellen Träger politischen Handelns, sondern selbst Bestandteil jeder Theorie öffentlichen und körperlichen Handelns. Menschliches Handeln beruht auf allen möglichen Trägern – es ist immer getragenes Handeln. Im Falle öffentlicher Versammlungen sehen wir aber ganz deutlich, dass es nicht nur einen Kampf um das gibt, was zum öffentlichen Raum wird, sondern auch einen Kampf um die grundlegenden Formen, in denen wir, als Körper, in der Welt getragen werden – einen Kampf gegen Entrechtung, Auslöschung und Aussetzung. Natürlich führt das zu einem Dilemma. Wir können nicht voraussetzungslos handeln, müssen aber die Voraussetzungen erkämpfen, unter denen wir handeln können. Es war die römische Idee des öffentlichen Platzes, die den Hintergrund für das Verständnis der Rechte von Versammlungs- und Redefreiheit dargestellt hat, für die bewussten Formen partizipatorischer Demokratie. Hannah Arendt dürfte an die römische Republik gedacht haben, als sie erklärte, dass politisches Handeln einen »Erscheinungsraum« voraussetzt. »So ist die Polis genau genommen nicht die Stadt im Sinne ihrer geographischen Lokalisierbarkeit«, schreibt sie zum Beispiel, »sie ist vielmehr die Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinanderhandeln und -sprechen ergibt; ihr wirklicher Raum liegt zwischen denen, die um dieses Miteinander willen zusammenleben, unabhängig davon, wo sie gerade sind.« (1967, 192) Der »wirkliche Raum« befindet sich also »zwischen« den Menschen, und das bedeutet: Sofern an irgendeinem Ort ein Handeln stattfindet, stellt es auch einen Raum her, der eigentlich zum Miteinander selbst gehört. Für Arendt ist dieses Miteinander nicht an seinen Ort gebunden. Es bringt seinen eigenen, leicht transponierbaren Ort hervor; sie schreibt, »dass Handeln und Sprechen ein räumliches Zwischen etablieren, das [...] sich überall in der bewohnten Welt neu ansiedeln kann« (ebd.). Wie lässt sich diese Auffassung des politischen Raums also begreifen? Arendt stellt zwar fest, dass Politik den Erscheinungsraum verlangt, erklärt aber auch, dass dieser Raum gerade das ist, was durch Politik hergestellt wird: »Dies räumliche Zwischen ist der Erscheinungsraum im weitesten Sinne, der Raum, der dadurch entsteht, dass Menschen voreinander erscheinen, und in dem sie nicht nur vorhanden sind wie andere belebte oder leblose Dinge, sondern ausdrücklich in Erscheinung treten.« (Ebd.) Was sie hier sagt, ist natürlich teilweise richtig. Der Raum und der Ort werden durch plurales Handeln geschaffen. Sie nimmt aber an, dass allein schon das Handeln in seiner Freiheit und Macht diesen Ort schaffen kann. Diese Auffassung vergisst oder verneint, dass Handeln immer getragen wird und stets körperlich ist, selbst in seinen virtuellen Formen. Die materiellen Träger des Handelns sind nicht nur ein Teil von ihm, sie sind auch das, worum gekämpft wird, besonders dann, wenn sich der politische Kampf um Nahrung, Beschäftigung, Mobilität und Zugang zu den Institutionen dreht. Wenn wir den Erscheinungsraum neu denken wollen, um die Macht und Wirkung politischer Demonstrationen für unsere Zeit zu verstehen, müssen wir die körperlichen Dimensionen des Handelns begreifen – das, was der Körper verlangt und was er tun kann, besonders dann, wenn wir über das Miteinander von Körpern nachdenken, über das, was sie dort hält, über die Bedingungen ihrer Standhaftigkeit und Macht. Oft wird verlangt, dass man die Straßen sicher machen muss vor der Polizei, die am Verbrechen beteiligt ist, besonders wenn sie verbrecherische Regime stützt oder gerade die Verbrechen gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten begeht, die sie verhindern soll. Demonstrationen sind eine der wenigen Formen, die polizeiliche Gewalt überwinden, besonders wenn sie so groß und beweglich geworden sind, dass sie sich durch Polizeigewalt nicht mehr eindämmen lassen, und wenn sie über die Voraussetzungen verfügen, sich selbst zu regenerieren. Vielleicht sind dies anarchistische Momente oder anarchistische Übergänge, wenn die Legitimität eines Regimes in Frage gestellt wird und noch kein neues an seine Stelle tritt. Diese Zwischenzeit ist die Zeit des Volkswillens – nicht eines einzelnen Willens, keines Einheitswillens, sondern eines Willens, der durch ein Miteinander charakterisiert ist, durch ein Miteinander, das die performative Macht hat, Öffentlichkeit zu beanspruchen, und zwar in einer Form, die noch nicht gesetzlich geregelt ist und nie ganz gesetzlich zu regeln ist. Die Sicht Hannah Arendts ist mit ihrer eigenen Geschlechterpolitik verquickt, weil sie auf einer Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem beruht, die die Sphäre der Politik den Männern überlässt und den Frauen die Reproduktionsarbeit. Wenn es in dieser Öffentlichkeit einen Körper gibt, ist er männlich und voraussetzungslos, vermeintlich frei, um zu schaffen, ohne selbst geschaffen zu sein. Und der Körper in der privaten Sphäre ist weiblich, alternd, fremd oder kindisch und vorpolitisch. Obwohl Hannah Arendt eine Philosophin der Natalität war, wie wir aus der wichtigen Arbeit von Adriana Cavarero wissen (1992, 16), verstand sie diese Fähigkeit, etwas ins Leben zu rufen, als eine Funktion politischer Rede und politischen Handelns. Wenn männliche Bürger den öffentlichen Platz betreten, um Fragen von Recht, Rache, Krieg und Befreiung zu diskutieren, betrachten sie diesen erleuchteten Platz ganz selbstverständlich als den architektonisch umgrenzten Schauplatz ihrer Rede. Ihre Rede wird zur paradigmatischen Form des Handelns, physisch abgeschnitten vom privaten Domizil, das sich im Dunkeln verbirgt und durch Tätigkeiten reproduziert, die kein wirkliches Handeln im eigentlichen und öffentlichen Sinne sind. Männer vollziehen den Übergang von der Dunkelheit des Privaten in dieses Licht der Öffentlichkeit. Hannah Arendt, die dieses Schauspiel im Rahmen der politischen Moderne reinterpretiert, begreift ihre Rede als die körperliche und sprachliche Ausübung von Rechten. Körperlich und sprachlich – wie sind diese Begriffe und ihr Ineinander hier zu verstehen? Damit Politik stattfinden kann, muss der Körper erscheinen. Er erscheint anderen, und diese erscheinen mir – das bedeutet, dass ein bestimmter Raum zwischen uns jedem von uns die Möglichkeit gibt zu erscheinen. Wir sind füreinander nicht nur visuelle Erscheinungen – auch unsere Stimmen müssen also gehört werden; genauer gesagt: Wer wir sind, körperlich, ist bereits eine Form, »für« den anderen zu sein, in Formen zu erscheinen, die wir nicht sehen können, füreinander ein Körper zu sein in einer Form, die ich nicht für mich selbst sein kann, und damit perspektivisch enteignet zu sein durch unsere eigene Gesellschaftlichkeit. Ich muss anderen in Formen erscheinen, für die ich keine Rechenschaft ablegen kann, und in dieser Form begründet mein Körper eine Sicht, die ich nicht einnehmen kann. Das ist ein wichtiger Punkt, weil es nicht so ist, dass mein Körper nur meine eigene Sicht begründet. Er ist auch das, was diese Sicht verschiebt und diese Verschiebung zu einer Notwendigkeit macht. Nicht etwa ein Körper begründet diesen Erscheinungsraum, sondern: Dieses Handeln, diese performative Ausübung findet nur »zwischen« Körpern statt, in einem Raum, der den Abstand zwischen meinem eigenen Körper und dem anderer darstellt. Auf diese Weise agiert mein Körper nicht allein, wenn er politisch aktiv ist. Die Aktion entspringt aus dem »Zwischen«. Für Hannah Arendt ist der Körper nicht primär im Raum lokalisiert; er bringt zusammen mit anderen einen neuen Raum hervor. Der Erscheinungsraum ist für Hannah Arendt nicht nur eine architektonische Gegebenheit: »Der Erscheinungsraum entsteht«, schreibt sie, »wo immer Menschen handelnd und sprechend miteinander umgehen; als solcher liegt er vor allen ausdrücklichen Staatsgründungen und Staatsformen, in die er jeweils gestaltet und organisiert wird.« (1967, 193) Mit anderen Worten, dieser Erscheinungsraum ist nicht von der pluralen Aktion zu trennen, die ihn hervorbringt. Wenn wir diese Auffassung akzeptieren sollen, müssen wir aber begreifen, wie sich die handelnde Vielheit selbst konstituiert. Wie bildet sich eine Vielheit, und welche materiellen Voraussetzungen sind für diese Herausbildung nötig? Wer tritt in diese Vielheit ein und wer nicht, und wie wird darüber entschieden? Können alle und kann jeder so handeln, dass dieser Raum zustande kommt? »Es ist ein Vorurteil zu meinen, dass dieser eigentlich politische Raum der Erscheinungen immer und überall vorhanden sei«, stellt Hannah Arendt fest (ebd., 192) und räumt ein, dass in der klassischen Polis der Sklave, der Fremde und der Barbar aus ihm ausgeschlossen waren, nicht Teil einer Vielheit werden konnten, die diesen Raum ins Leben rief. Das heißt, dass ein Teil der Bevölkerung  nicht in Erscheinung trat, nicht im Erscheinungsraum auftrat. Und hier können wir sehen, dass der Erscheinungsraum schon geteilt war, schon aufgeteilt, wenn dieser Raum gerade das war, was sich zum Teil durch diese Ausgrenzung definiert hat. Das ist kein geringes Problem, weil es bedeutet, dass man sich schon in diesem Raum befinden muss, um den Erscheinungsraum ins Leben zu rufen – dass es also bereits eine Macht gibt, die vor jeder durch eine Vielheit ausgeübten performativen Macht am Werk ist. Mehr noch, aus dem Erscheinungsraum ausgeschlossen zu sein, bedeutet für Hannah Arendt, von der Realität ausgeschlossen zu sein. Wir müssen also anderen in Formen erscheinen, die wir selbst nicht kennen können, wir müssen für eine Sicht verfügbar werden, die sich durch einen Körper hergestellt hat, der nicht unser eigener ist. Wie können wir uns bei diesem Verständnis des Körpers im politischen Raum einen Begriff von jenen machen, die nie Teil dieser gemeinsamen Aktion sein können, die außerhalb der handelnden Vielheit bleiben? Wie können wir ihr Handeln und ihre Stellung als Menschen beschreiben, die vom Pluralen abgesondert sind? Was für eine politische Sprache haben wir, um ihre Ausschließung zu beschreiben? Sind sie entseelte »Gegebenheiten« des politischen Lebens, bloßes Leben oder nacktes Leben? Sollen wir sagen, dass die Ausgeschlossenen einfach unwirklich sind oder überhaupt keine Existenz haben – sozial Tote sind, Gespenster? Sind die Mittellosen außerhalb von Politik und Macht angesiedelt, oder erfahren sie in Wirklichkeit eine bestimmte Form politischer Beraubung? Wie wir diese Frage beantworten, ist wichtig. Wenn wir nämlich behaupten, sie befänden sich außerhalb der Politik – reduziert auf unpolitische Formen des Daseins –, nehmen wir implizit an, dass die herrschenden Formen der Begründung des Politischen richtig sind. In gewisser Weise folgt dies aus der Position Hannah Arendts, die sich den immanenten Standpunkt der griechischen Polis hinsichtlich dessen zu eigen macht, was Politik sein soll, wer Zutritt zum öffentlichen Platz erhält und wer in der Privatsphäre bleiben soll. Diese Sicht missachtet und entwertet jene Formen politischen Handelns, die gerade in diesen als vor- oder außerpolitisch geltenden Bereichen entstehen. Einer der Gründe, warum wir nicht zulassen können, dass der politische Körper, der solche Ausschließungen produziert, den Begriff des Politischen definiert – die Kriterien aufstellt, was als politisch gilt –, ist also der, dass im Einzugsbereich der Polis all jene, die aus ihrer konstitutiven Pluralität herausfallen, als irreal oder unvollkommen gelten und damit außerhalb des Politischen stehen. Der Anstoß für Giorgio Agambens Begriff des »nackten Lebens« entspringt genau aus dieser Auffassung der Polis in Arendts politischer Philosophie und droht, wie ich meine, genau dieses Problem aufzuwerfen: Wenn wir Ausschließung selbst als politisches Problem begreifen, als Bestandteil der Politik, dann kann man nicht einfach sagen, dass diese Menschen, sobald sie ausgeschlossen sind, keine Erscheinung oder »Realität« im politischen Sinne haben, keine soziale oder politische Stellung, oder dass sie ausgestoßen und auf bloßes Dasein reduziert sind (auf Formen der Gegebenheit, die aus der Sphäre des Handelns ausgeschlossen sind). Agamben stützt sich zwar auf Foucault und entwickelt einen Begriff des Biopolitischen, aber die Auffassung des »nackten Lebens« bleibt davon unberührt. Wir können deshalb in diesem Vokabular nicht die Formen des Handelns und der politischen Aktion beschreiben, die von den Staatenlosen, Okkupierten und Entrechteten ausgehen. Auch das aller Rechte beraubte Leben ist immer noch im Bereich des Politischen angesiedelt, ist also nicht auf bloße Existenz reduziert, sondern nicht selten empört, aufbegehrend, aufständisch und widerständig. Wer sich außerhalb bestehender und legitimer politischer Strukturen befindet, ist immer noch durchdrungen von Machtverhältnissen, und diese Durchdringung ist der Ausgangspunkt für eine Theorie des Politischen, die sowohl herrschende wie auch unterjochte Formen umfasst, sowohl Formen der Einschließung und Legitimation wie auch Formen der Delegitimation und Auslöschung. Zum Glück hat Hannah Arendt, wie mir scheint, dieses Modell aus Vita activa nicht konsequent weiterverfolgt, so dass sie sich beispielsweise Anfang der 1960er Jahre dem Schicksal der Flüchtlinge und Staatenlosen zuwendet und in diesem Zusammenhang das »Recht auf Rechte« betont.Das Recht auf Rechte ist ein Recht, dessen Rechtmäßigkeit keine bestimmte bestehende politische Organisation voraussetzt. Es leitet sich auch nicht aus irgendwelchen ursprünglichen Gesetzen ab. Dieses Recht tritt in Kraft, sobald es ausgeübt wird, und zwar ausgeübt durch jene, die gemeinsam handeln, im Miteinander. Jene, die aus der bestehenden Politik ausgeschlossen sind, die zu keinem Nationalstaat oder keiner anderen heutigen Staatsform gehören, sind nur »irreal« durch jene, die allein darüber bestimmen wollen, was als Realität gelten soll. Auch nachdem die politische Öffentlichkeit durch ihren Ausschluss definiert wurde, sind sie aktiv. Ob sie der Prekarität ausgesetzt oder durch systematische Gleichgültigkeit dem Tod ausgeliefert sind, noch immer geht aus diesen Orten konzertiertes Handeln hervor. Wir sehen es zum Beispiel, wenn sich illegale Arbeiter auf der Straße versammeln, auch ohne dazu das Recht zu haben, wenn ein öffentlicher Platz, der der Armee gehört, von der Bevölkerung beansprucht wird, oder wenn sich Flüchtlinge in Volkserhebungen einreihen und Wohnung, Nahrung und Bewegungsfreiheit verlangen, wenn Bevölkerungsgruppen ohne gesetzlichen Schutz oder Demonstrationsrecht zusammenströmen, um eine ungerechte oder verbrecherische Rechtsordnung zu stürzen oder gegen Sparmaßnahmen zu protestieren, die Beschäftigungs- und Bildungsmöglichkeiten für viele zerstören. In den Demonstrationen, die oft auf öffentliche Trauerkundgebungen folgten, können wir sehen, wie der öffentliche Raum von denen besetzt wird, die kein faktisches Recht haben, sich dort zu versammeln, und dabei ihr Leben riskieren. Tatsächlich ist es gerade ihr Recht, sich frei von Einschüchterung und Gewaltandrohung zu versammeln, das von der Polizei oder von der Armee oder auch von Söldnern im Dienste des Staates oder wirtschaftlicher Mächte systematisch angegriffen wird. Den Körper anzugreifen heißt, das Recht selbst anzugreifen, weil das Recht gerade durch den Körper auf der Straße ausgeübt wird. Wo die Legitimität des Staates gerade durch die Form des öffentlichen Auftretens in Frage gestellt wird, übt der Körper selbst ein Recht aus, das keines ist, ein Recht, anders gesagt, das durch militärische Gewalt bekämpft und vernichtet wird und in seinem Widerstand gegen die Gewalt seine Standhaftigkeit zum Ausdruck bringt und sein Recht, standzuhalten. Dieses Recht ist nirgendwo kodifiziert. Es wird nicht von irgendwoher oder von den bestehenden Gesetzen gewährt, auch wenn es sich manchmal auf diese stützt. Es ist das Recht auf Rechte, nicht als Naturrecht oder metaphysisches Postulat, sondern als Standhaftigkeit des Körpers gegenüber den Gewalten, die die Legitimität für sich beanspruchen. Eine Standhaftigkeit, die die Mobilisierung des Raums verlangt und sich nicht ohne eine Reihe von mobilisierten und mobilisierenden materiellen Trägern beweisen lässt. Da wir beim Sprechen und Handeln lebendige Organismen sind, die einen Körper haben, nimmt der Organismus im Erscheinungsraum eine soziale und politische Form an. Das soll nicht heißen, dass wir einen biologischen Zustand überwinden oder negieren, um einen sozialen anzunehmen. Im Gegenteil: Der organische Körper, der wir sind, braucht eine soziale Welt, die ihn trägt. Wir sind abhängig von gesellschaftlichen Beziehungen und Institutionen, die sich den Grundbedürfnissen nach Nahrung, Wohnung und Schutz vor Gewalt widmen, um nur einige zu nennen. Es gibt keinen monadischen Körper, der nur für sich existiert, er existiert immer in einem stützenden Zusammenhang von Beziehungen. Wenn wir uns der Frage des Biopolitischen in dieser Form nähern, können wir erkennen, dass der Erscheinungsraum nicht zu einer Sphäre der Politik gehört, die von der des Lebens und der Bedürfnisse abgetrennt ist. Wenn es um die Frage des Überlebens nicht nur einzelner, sondern ganzer Bevölkerungsgruppen geht, geht es politisch darum, ob und wie gesellschaftliche und politische Formen auf solche Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Schutz vor Gewalt eingehen. Und die Frage einer kritischen und kämpferischen Politik bezieht sich darauf, wie Grundgüter verteilt werden, wie das Leben selbst aufgeteilt wird und wie die ungleiche Verteilung des Werts und der Betrauerbarkeit des Lebens durch gezielte Kriegführung oder durch systematische Ausbeutung oder Gleichgültigkeit hergestellt wird, die Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maße prekär und abhängig macht. Wenn wir in Erscheinung treten, müssen wir gesehen werden, das heißt: Unsere Körper müssen gesehen und ihre vokalisierten Töne gehört werden – der Körper muss in das Feld des Sichtbaren und Hörbaren eintreten. Wir müssen uns aber fragen, warum der Körper, wenn es so ist, aufgeteilt wird in einen Körper, der öffentlich in Erscheinung tritt, spricht und handelt, und in einen anderen, geschlechtlichen und arbeitenden, weiblichen, fremdartigen, stummen Körper, der für gewöhnlich in die private und vorpolitische Sphäre verbannt wird. Dieser letztere Körper funktioniert als die Vorbedingung des Erscheinens und wird damit zu der strukturierenden Abwesenheit, die die Sphäre der Öffentlichkeit regiert und ermöglicht. Wenn uns aber unser Sprechen und Handeln zu etwas macht, was sich von diesem körperlichen Bereich unterscheidet, müssen wir fragen, wie sich diese Dualität von Körper und Handeln aufrechterhalten lässt, wenn das »lebendige« Wort und die »wirkliche« Tat – die beide eindeutig politisch sind – so eindeutig das Dasein und Handeln eines lebendigen menschlichen Körpers voraussetzen, eines Körpers, dessen Leben eingebunden ist in andere Lebensprozesse. Vielleicht gibt es für Arendt zwei Bedeutungen des Körpers – einen, der in der Öffentlichkeit erscheint, und einen anderen, der »zurückgezogen« ist ins Private  –, so dass der öffentliche Körper einer ist, der sich als Gestalt des sprechenden Subjekts zu erkennen gibt und dessen Rede gleichzeitig Handeln ist. Der private Körper erscheint nie als solcher, weil er mit der repetitiven Arbeit des Reproduzierens der materiellen Lebensbedingungen beschäftigt ist. Er bedingt also den öffentlichen Körper, und die Zweiteilung ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem. Vielleicht ist es eine Einbildung, dass eine Dimension körperlichen Lebens unsichtbar sein kann und bleiben muss, während eine andere – eine ganz andere – in der Öffentlichkeit erscheint? Tatsächlich ist dieser Akt öffentlicher Rede, auch innerhalb dieser problematischen Arbeitsteilung, abhängig von einer Dimension körperlichen Lebens, die gegeben, passiv, dunkel und damit aus dem Politischen ausgeschlossen ist. Wir können uns also fragen, was den gegebenen Körper daran hindert, sich in den aktiven Körper einzumischen. Sind es zwei ganz verschiedene Körper, und was für eine Politik ist nötig, um sie auseinanderzuhalten? Sind beide zwei unterschiedliche Dimensionen desselben Körpers, oder sind sie in Wirklichkeit der Effekt einer bestimmten Regulation des körperlichen Erscheinens, die von neuen sozialen Bewegungen, von Kämpfen gegen sexuelle Gewalt und für Reproduktionsfreiheit, gegen Prekarität und für Bewegungsfreiheit aktiv bekämpft wird? Wir sehen hier, dass sich auf theoretischer Ebene eine bestimmte topographische oder sogar architektonische Regulation des Körpers vollzieht. Bezeichnenderweise wird genau diese Machtoperation – Ausschließung und unterschiedliche Verfügung, ob und wie der Körper erscheinen kann – aus Arendts expliziter Erklärung des Politischen ausgeschlossen. Ihre explizite Erklärung des Politischen beruht auf genau jener Machtoperation, die sie nicht als Bestandteil des Politischen begreifen kann. Ich würde Folgendes akzeptieren: Freiheit entsteht nicht einfach durch dich oder mich. Sie kann entstehen und entsteht durch eine Beziehung, die sich zwischen uns oder, genauer, unter uns vollzieht. Es geht also nicht darum, die menschliche Würde in jeder einzelnen Person zu suchen, sondern um ein Verständnis des Menschlichen als eines gesellschaftlichen Beziehungswesens, dessen Handeln auf Gleichheit beruht und das Gleichheitsprinzip zum Ausdruck bringt. Tatsächlich gibt es für Hannah Arendt nichts Menschliches ohne Gleichheit. Kein Mensch kann nur allein menschlich sein. Und kein Mensch kann menschlich sein, ohne im Zusammenhang mit anderen und unter Voraussetzungen der Gleichheit zu handeln. Ich würde hinzufügen: Die Forderung nach Gleichheit wird nicht nur ausgesprochen oder niedergeschrieben, sondern gerade dann erhoben, wenn Körper zusammen erscheinen, oder vielmehr dann, wenn sie durch ihr Handeln den Erscheinungsraum ins Leben rufen. Dieser Raum ist Bestandteil und Effekt des Handelns, und er funktioniert nach Hannah Arendt nur dann, wenn Verhältnisse der Gleichheit aufrechterhalten werden. An den revolutionären Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz möchte ich zwei Aspekte hervorheben. Der erste hat damit zu tun, wie auf dem Platz eine Gesellschaftlichkeit hergestellt wurde, eine Teilung der Arbeit, die die Geschlechtsunterschiede auflöste, die rotierend darüber bestimmte, wer spricht und wer die Essund Schlafplätze reinigt, die einen Arbeitsplan für alle aufstellte, um das Gelände sauberzuhalten und die Toiletten zu reinigen. Kurz, das, was manche als »horizontale Beziehungen« unter den Demonstranten bezeichnen würden, hat ganz einfach, planmäßig und offenbar auch schnell für jene Gleichheitsbeziehungen gesorgt, die eine egalitäre Aufteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern einschloss und damit zum Bestandteil des Widerstands gegen das Mubarak-Regime und seine befestigten Hierarchien und damit auch gegen die ungeheuren Reichtumsunterschiede zwischen seinen militärischen und wirtschaftlichen Unterstützern und der arbeitenden Bevölkerung wurde. Die soziale Form des Widerstands begann also Gleichheitsprinzipien anzunehmen, die nicht nur regelten, wie und wann Menschen gegen das Regime und für die Medien sprachen und aktiv wurden, sondern auch, wie sie sich um ihre diversen Unterkünfte auf dem Platz kümmerten, um die Schlafplätze, die improvisierten Lazarette und Waschräume, die Essecken und die Orte, an denen Menschen äußerer Gewalt ausgesetzt waren. Diese Tätigkeiten waren allesamt politisch in dem einfachen Sinne, dass sie die übliche Unterscheidung von öffentlich und privat aufbrachen, um Gleichheitsbeziehungen herzustellen. In dieser Hinsicht nahmen sie die Prinzipien, für die sie auf der Straße kämpften, in die Form des Widerstands selbst auf. Zweitens riefen viele Menschen, wenn sie sich gegen gewalttätige Angriffe oder Drohungen erhoben, das Wort silmiyya, dessen Wortstamm (salima) soviel bedeutet wie »wohlbehalten, unversehrt, sicher sein«, aber auch »untadelig sein« und darüber hinaus »gewiss sein, klar erwiesen sein, feststehen«. Der Begriff ist hergeleitet aus dem Substantiv silm, »Frieden«, das bezeichenderweise auch »die Religion des Islam« bedeutet. Hubb as-silm ist das arabische Wort für »Pazifismus«. Für gewöhnlich kommt der Silmiyya-Ruf einer sanften Ermahnung gleich: »friedlich, friedlich«. Auch wenn die Revolution größtenteils gewaltlos war, wurde Gewalt nicht grundsätzlich abgelehnt. Der gemeinsame Sprechgesang sollte vielmehr die Menschen dazu ermuntern, sich nicht auf die Aggression des Militärs – und der Provokateure – einzulassen und das größere Ziel im Auge zu behalten, den demokratischen Wandel. In eine kurzfristige gewaltsame Auseinandersetzung hineingezogen zu werden, hätte bedeutet, die zur Durchführung der Revolution nötige Geduld zu verlieren. Der Tahrir-Platz ist natürlich ein Platz, und wir können ihn auf dem Stadtplan von Kairo genau lokalisieren. Wir sehen aber auch die Fragen, die sich durch die Medien ziehen: Werden die Palästinenser ihren Tahrir-Platz haben? Wo ist der Tahrir-Platz in Indien? Er ist also lokalisiert und doch übertragbar, ja er schien von Anfang an übertragbar zu sein, wenn auch nie ganz. Und natürlich ist die Übertragbarkeit der Körper auf diesem Platz undenkbar ohne die Medien. In gewisser Hinsicht haben die Medienbilder aus Tunesien für die Medienereignisse auf dem Tahrir-Platz den Weg bereitet, und dann für all die anderen im Jemen, in Bahrain, Syrien und Libyen, die allesamt unterschiedliche Entwicklungen nahmen und nehmen. Viele der Demonstrationen der letzten Monate richteten sich nicht gegen Militärdiktaturen oder Unterdrückungsregime. Sie richteten sich auch gegen den Monopolkapitalismus, gegen den Neoliberalismus und gegen die Aufhebung demokratischer Rechte, im Namen der Betroffenen von neoliberalen Reformen, die Arbeitsplätze vernichten, ganze Bevölkerungsgruppen in Armut stürzen und das Grundrecht auf Bildung aushöhlen. Die Straßenszenen werden nur dann politisch wirksam, wenn und sofern wir ein visuelles und hörbares Bild davon haben, das in Echtzeit übermittelt wird, so dass die Medien nicht bloß davon berichten, sondern Teil des Geschehens und der Handlung sind. Wenn das Geschehen auf die Reise geht, ist es gleichzeitig hier und dort, und wenn es nicht beide Orte – besser gesagt, viele Orte – übergreifen würde, wäre es nicht das Geschehen, das es ist. Seine Lokalität wird nicht durch die Tatsache negiert, dass das Geschehen über sich hinaus übermittelt und damit in einem globalen Medium konstituiert wird – erst diese Vermittlung macht es zu dem Ereignis, das es ist. Das bedeutet, dass das Lokale außerhalb seiner selbst umgeformt werden muss, damit es zum lokalen Ereignis wird, und das bedeutet wiederum, dass ein bestimmtes globalisierendes Medium da sein muss, damit das Lokale hergestellt werden kann und damit dort wirklich etwas geschehen kann. Was Körper auf der Straße tun, wenn sie demonstrieren, hängt grundlegend damit zusammen, was Kommunikationsgeräte und -technologien tun, wenn sie »berichten«, was auf der Straße geschieht. Das sind unterschiedliche Aktionen, die aber beide körperliche Handlungen erfordern. Die eine Ausübung von Freiheit verbindet sich mit der anderen. Beide üben also Rechte aus, schaffen zusammen einen Erscheinungsraum und sorgen für dessen Übertragbarkeit. Man könnte zwar meinen, dass sich die Ausübung von Rechten inzwischen auf Kosten der Körper auf den Straßen vollzieht, dass also die Öffentlichkeit durch Twitter und andere virtuelle Technologien entkörperlicht wird, aber ich würde dem widersprechen. Die Medien können nur dann ihr Ereignis bekommen, wenn diese Körper auf den Straßen sind, auch wenn die Straße nur auf die globale Bühne kommt, wenn es die Medien gibt. Wenn aber jene mit Kameras oder Internetzugang verhaftet, gefoltert oder verschleppt werden, dann setzt die Verwendung der Technologie tatsächlich den Körper voraus. Es muss nicht nur eine Hand geben, die tippt und sendet, es ist auch ein Körper im Netz, wenn dieses Tippen und Senden aufgezeichnet wird. Die Lokalisierung wird also nicht aufgehoben durch den Einsatz von Medien, die global übertragen können. Und wenn dieses Zusammentreffen von Straße und Medien eine für unsere Zeit typische Form von Öffentlichkeit ist, haben wir uns diese Körper im Netz als sowohl hier wie dort, aktuell und historisch, übertragen und verortet zu denken, wobei jede dieser zwei raumzeitlichen Modalitäten ganz unterschiedliche politische Konsequenzen hat. Es ist wichtig, dass es sich um öffentliche Plätze handelt, die bis zum Rand gefüllt sind, dass Menschen dort essen und schlafen, singen und nicht von der Stelle weichen. Es ist wichtig, dass es öffentliche Hochschulgebäude sind, die in Athen, London und Berkeley besetzt wurden. In Berkeley wurden Gebäude besetzt und Geldstrafen für Hausfriedensbruch verhängt. In einigen Fällen wurden Studenten wegen Beschädigung von Privatbesitz angezeigt. Diese Anklagen warfen aber gerade die Frage auf, ob die Universität öffentlich oder privat ist. Das erklärte Ziel des Protests – das Gebäude zu besetzen – sollte eine Plattform herstellen, die materiellen Voraussetzungen schaffen, um öffentlich in Erscheinung zu treten. Solche Aktionen finden normalerweise nur dann statt, wenn es keine geeignete Plattform gibt. Diese Studenten, aber auch neuerdings die am Goldsmiths College in Großbritannien, haben Gebäude besetzt, um die Forderung aufzustellen, dass diese Gebäude jetzt und in Zukunft dem öffentlichen Bildungswesen gehören sollen. Die Besetzung dieser Gebäude hat die symbolische Bedeutung, dass sie der Öffentlichkeit gehören, dem öffentlichen Bildungswesen. Es ist gerade der Zugang zur öffentlichen Bildung, der durch erhöhte Studiengebühren und gekürzte Mittel unterminiert wird; wir sollten nicht überrascht sein, dass der Protest die Form der Besetzung annahm, dass er performativ den Anspruch auf öffentliche Bildung erhob, indem er buchstäblich Zugang zu ihren Gebäuden verlangte, gerade in dem Moment, historisch gesehen, wo dieser Zugang versperrt wird. Anders gesagt, kein positives Recht rechtfertigt diese Aktionen, die gegen die Institutionalisierung ungerechter oder ausschließender Formen von Macht gerichtet sind. In Kairo schließlich war es nicht nur so, dass Menschen auf dem Platz zusammenströmten – sie waren dort, schliefen dort, verteilten Medikamente und Nahrung, versammelten sich und sangen. Und sprachen. Sie schliefen und aßen auf dem öffentlichen Platz, bauten Toiletten und Anlagen zur Teilung des Raums und ließen sich nicht nur nicht privatisieren – indem sie sich weigerten, nach Hause zu gehen oder zu Hause zu bleiben –, beanspruchten nicht nur den öffentlichen Raum – indem sie miteinander als Gleiche agierten –, sie behaupteten sich auch als standhaltende Körper mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Notwendigkeiten. Arendtianisch und anti-arendtianisch zugleich – weil diese Körper, die ihre Grundbedürfnisse öffentlich organisierten, auch von der Welt verlangten, zu registrieren, was dort geschieht, ihre Unterstützung zu bekunden und so in die revolutionäre Aktion mit einzutreten. Die Körper handelten gemeinsam, sie schliefen aber auch in der Öffentlichkeit, und sie waren in diesen zwei Modalitäten gleichermaßen vulnerabel und fordernd, gaben elementaren körperlichen Bedürfnissen eine politische und räumliche Organisation. Auf diese Weise machten sie sich zu Bildern, die allen, die zusahen, vor Augen geführt werden sollten, forderten uns dazu auf, zu empfangen und zu antworten, um für eine Medienberichterstattung zu sorgen, damit das Ereignis nicht unterdrückt wird oder untergeht. Auf dem Pflaster zu schlafen, war nicht nur eine Form, Öffentlichkeit zu beanspruchen, die Legitimität des Staates in Frage zu stellen, sondern eindeutig auch eine Form, den Körper in seiner Standhaftigkeit, Hartnäckigkeit und Prekarität ins Netz zu stellen und damit für die Zeit der Revolution die Unterscheidung von öffentlich und privat zu überwinden. Mit anderen Worten, erst als diese Bedürfnisse, die privat bleiben sollen, auf dem Platz an den Tag kamen, bis spät in die Nacht, erst als sie zu Bild und Wort für die Medien wurden, wurde es möglich, den Raum und die Zeit des Ereignisses mit solcher Beharrlichkeit auszuweiten, dass das Regime zusammenbrach. Die Kameras wurden nicht abgestellt, Körper befanden sich da und dort, hörten nicht auf zu sprechen, auch nicht im Schlaf, konnten dadurch nicht zum Schweigen gebracht, isoliert oder negiert werden – die Revolution fand statt, weil alle sich weigerten, nach Hause zu gehen, auf der Straße blieben, miteinander agierten. Gekürzte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Reihe »The State of Things«, veranstaltet vom Office for Contemporary Art Norway (oca), in Venedig, 7. September 2011. Aus dem Amerikanischen von Thomas Laugstien  

Literatur

Agamben, Giorgio, 2002: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main. Arendt, Hannah, 1955: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main (engl. 1951). Dies., 1967: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München (engl. 1958). Cavarero, Adriana, 1992: Platon zum Trotz. Weibliche Gestalten in der Philosophie, Berlin

Anmerkungen

1 Das »Recht, Rechte zu haben« wurde von Hannah Arendt schon Anfang der 1950er Jahre in ihrem Totalitarismuswerk eingeführt (1955, 614); Anm. d. Übers.