Die multiple Krise hat weltweit einen Investitionsboom in Land und andere Ressourcen ausgelöst. Kapitaleigner suchen aus Furcht vor Inflation und dem nächsten Crash nach schnellen Anlagemöglichkeiten jenseits des Finanzmarktes. In der verschärften Konkurrenz vor allem mit den neuen Schwellenländern versuchen EU und nationalstaatliche Regierungen, den Zugang zu den knapper werdenden Ressourcen zu sichern. Landgrabbing (vgl. auch Bernau in diesem Heft), der neue Bauboom von Staudämmen (vgl. auch Ayboga in diesem Heft) und der intensivierte Ressourcen-Extraktivismus mit Hilfe neuer Technologien markieren dabei eine marktförmige Zuspitzung gesellschaftlicher Naturverhältnisse, eine neue Welle der InWert-Setzung und der Finanzialisierung von Natur. Die private Aneignung und Nutzung von Ressourcen für globale Verwertungsketten stellt gleichzeitig eine neue Phase des ökonomischen Strukturwandels in ländlichen Regionen dar.
Das Investoreninteresse an Renditen, sprich: der Reproduktion des Kapitals steht dabei den unmittelbaren Interessen der lokalen Bevölkerung, die ihrer Lebensgrundlagen, ihrer Formen der Produktion und der sozialen Reproduktion enteignet werden, gegenüber. Die meisten Konflikte entzünden sich deshalb an der regierungsvermittelten, hochgradig korruptionsanfälligen Verpachtung oder am Verkauf großer Landflächen an in- und ausländische Investoren. Soziale Reproduktion und Sorgeökonomie im Alltag liegen im Rahmen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in allen Kulturen überwiegend in der Verantwortung von Frauen. Frauen aus indigenen oder lokalen Bevölkerungen übernehmen deshalb häufig eine zentrale Rolle bei der Verteidigung lokaler Ressourcen oder von Gemeingütern gegen Biopiraterie, Landnahme und industrialisierte Ressourcenausbeutung.
Der folgende Blick auf Ressourcenkämpfe fokussiert auf Konflikte an der Basis, die von lokalen Bevölkerungsgruppen ausgehen. Diese Kämpfe werden häufig flankiert oder direkt unterstützt durch Auseinandersetzungen, die zivilgesellschaftliche Kräfte aus urbanen Mittelschichten oder transnationalen Zusammenhängen führen, vor allem Menschenrechts- und Umweltgruppen.
Chipko: Ein Nutzungskonflikt
Chipko wurde in den 1970er Jahren bekannt mit Bildern von Frauen, die im Himalaya dicke Eichenstämme umarmten, um sie mit ihren Körpern vor den Motorsägen kommerzieller Holzfällertrupps von außen zu schützen. Die »Chipko-Frauen« wurden zu einem Inbegriff des Basiswiderstands gegen die industrielle Abholzung von Wäldern und – aus ökofeministischer Perspektive – für die weibliche Naturnähe.
Beim Kampf zur Rettung der Wälder – und dies ist paradigmatisch für den Umweltaktivismus der Armen – geht es in erster Linie um die Verteidigung von Lebensrechten, weniger um Naturschutz per se. Gleichwohl besteht in lokalen Bevölkerungen großer Respekt vor dem Eigenleben und den Eigenrechten der Natur.
Die soziale Reproduktion landarmer und landloser Frauen im Himalaya war vollständig abhängig von der Nutzung der Wälder als Gemeingüter wie auch der Quellen und Wasserläufe in den Bergen. Viele Männer waren bereits zur Lohnarbeit in die Städte oder auf die Weizenfelder nach der Grünen Revolution migriert. Mit dem Sammeln von Feuerholz, Viehfutter und kleinen Waldprodukten versorgten die Frauen die eigenen Haushalte, belieferten lokale Märkte und verdienten ein paar Rupies.
Der Konflikt der Chipko-Frauen entzündete sich, als die Regierung Dorfbewohnern eine Einschlagkonzession zur Herstellung von Werkzeugen verweigerte und diese wenig später an einen Sportartikelhersteller vergab. Es war ein Konflikt über den eingeschlagenen Entwicklungsweg im Allgemeinen und Formen der Naturnutzung im Besonderen: Werden Ressourcen primär für die Selbstversorgung und lokalen Märkte oder für eine Nachfrage von außen, Fremdversorgung und Märkte jenseits lokaler Kontrolle genutzt?
Indien: Kämpfe ums Überleben
Mit der neoliberalen Wende zu Beginn der 1990er Jahre öffnete Indien den Ressourcen zugang ausländischen Investoren – gegen den Widerstand der kleinbäuerlichen Bevölkerung und der Adivasi, der Indigenen Indiens. Der Kampf gegen Coca Cola im südindischen Plachimada stellte hier den ersten Ressourcenkonflikt mit einem ausländischen Konzern dar und war einer der wenigen, bei dem Frauen in der ersten Reihe des Widerstands standen. Coca Cola hatte sich in der wasserarmen Region das Gemeingut Grundwasser für seine Getränkeproduktion angeeignet, verschmutzte umliegende Gewässer, Felder und Nahrungsmittelketten. Da der Grundwasserspiegel sank und die Ernährungssicherung noch stärker gefährdet war als zuvor, protestierten insbesondere die Frauen aus der Region und das erfolgreich. Die Regierung des Bundesstaates Kerala zwang Coca Cola 2004 zur Schließung der Fabrik.
Seit Jahren sind vor allem die rohstoffreichen Berg- und Waldregionen im Bundesstaat Orissa umkämpfte Gebiete. Land, an dem zum Beispiel die Adivasi-Gruppe Dongria Kondh seit Generationen Nutzungsrechte hat, wurde von der Regierung zum Staatsland erklärt und ohne Konsultation mit den Selbstverwaltungsgremien der Adivasi der britischen Firma Vedanta Aluminium übereignet – zum Bau einer Raffinerie und der Infrastruktur von Zugangsstraßen, Bahnkorridoren und Landeplatz. Die Adivasi protestieren teils auf dem Rechtsweg, teils mit Speer und Bogen gegen ihre Enteignung, gegen die Umweltdegradierung durch toxische Stoffe und die Pläne von Vedanta, in den Niyamgiri Hills im offenen Tagebau Bauxit abzubauen.
Die Raffinerie brachte keine neue Existenzsicherheit, sondern zerstörte Umwelt und Kultur. »Wir sind arm, aber wir können uns selbst versorgen. Außer Salz bekommen wir alles, was wir brauchen, aus den Bergen. Wenn wir die Berge verlieren, verlieren wir Nahrungsmittel und Wasser«, sagt eine Dongria-Kondh-Frau über die ökologischen Grundlagen ihrer Subsistenzwirtschaft. Ihre Form des Naturschutzes ist die Verehrung des Berggipfels als Sitz einer Göttin, und das heißt ein Nutzungsverbot der höheren Bergregionen.
Auch die Pläne des südkoreanischen Konzerns Posco, in Orissa ein gigantisches Stahlwerk zu errichten – mit 12 Milliarden US-Dollar das größte ausländische Investitionsprojekt in Indien –, scheitern seit sechs Jahren am Widerstand der Dorfbewohner in Jagatsingpur, die ihr Land nicht verkaufen wollen und trotz massiver Repression weiter protestieren.
Es sind vor allem die Frauen, die die angebotene Kompensation und Umsiedlungsangebote ausschlagen. Geld könne ihnen den Verlust ihrer Lebensgrundlagen (livelihood) nicht ersetzen. Einige Männer waren in der Hoffnung auf Jobs und Einkommen im Stahlwerk zur Aufgabe ihres Landes bereit. Das zeigt, wie geschlechtsspezifisch ungleich verteilte Chancen auch verschiedene Handlungsrationalitäten zur Folge haben.
Umwälzung sozialer Reproduktion
Investitionsgetriebene Landnahme und der Run auf wertvolle Ressourcen wälzen die lokalen Reproduktionszusammenhänge um. So müssen für den größten offenen Gold- und Silberabbau Europas durch die kanadische Firma Gabriel Resources im Rosia Montana Tal in Rumänien mehrere Dörfer umgesiedelt, vier Berge abgetragen, Wälder abgeholzt, römische Ruinen und orthodoxe Kirchen dem Boden gleichgemacht werden. Lokale Wirtschaftskreisläufe, Tourismusentwicklung und die Selbstversorgungslandwirtschaft sind nicht aufrechtzuerhalten. Die neu geschaffenen Jobs gehen kaum an Einheimische, erst recht nicht an Frauen. Der Einsatz von hochgiftigem Zyanid bei der Goldwäsche ist für Menschen und Umwelt extrem gefährlich. Die neuen Wohnsiedlungen haben keine Gärten, in denen die Frauen Gemüse anbauen können. Die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung werden prekarisiert, während der natürliche Reichtum der Region außer Landes gebracht wird und die Taschen korrupter Politiker und ferner Unternehmer füllt.
Die Neuordnung der Eigentums- und gesellschaftlichen Naturverhältnisse geht mit einer massiven Verschärfung sozialer Ungleichheiten und der Konstruktion neuer sozialer Klassen und Machtverhältnisse einher: prekäre Einheimische auf der einen Seite, Modernisierungsgewinner aus lokalen Eliten und den Städten, eine korrupte politische Klasse und die globalen Kapitaleigner auf der anderen.
Frauen wie Männer stehen zwischen der (relativen) Sicherheit durch die lokalen Lebensgrundlagen auf der einen Seite und den Heilsversprechungen von Markt und Modernisierung auf der anderen Seite. Egal wohin die Investitionen fließen – in Monokulturen für den Export oder in Viehzucht für den Mittelschichtskonsum, in den Anbau von Agrotreibstoffen oder in Fracking –, aus der Existenzsicherungsperspektive der lokalen Bevölkerung ist zentral, ob ihnen die in Aussicht gestellte Integration in transnationale Wertschöpfungsketten bessere Reproduktionsmöglichkeiten bietet. In der Regel versprechen die Investoren nicht nur Jobs auf den Plantagen, im Bergbau oder in den Industrien, sondern auch die infrastrukturelle Erschließung der Region, Entwicklungsmaßnahmen im Bildungs-, Gesundheits- und Kultursektor und neue Absatzmärkte für lokale Produzenten.
Die Hoffnung auf Chancen in den neuen Marktzusammenhängen (und ihre Realisierung) ist bei Männern größer als bei Frauen, da Männer sich leichter in den Markt integrieren können. Frauen stehen oftmals vor dem Dilemma, dass ihnen in patriarchalen Gesellschaften Wertschätzung entgegengebracht wurde, weil sie für die Ernährung verantwortlich waren – vor allem in Afrika –; gleichzeitig lockt die Moderne besonders junge Frauen, weil sie die Freisetzung von Landarbeit als Befreiung sehen. Die Konstruktion der Frauenrolle als Ernährerin, als Wahrerin der Biodiversität von Nutzpflanzen und des Saatguts besteht weiter, obwohl viele Bäuerinnen auch einen Großteil der kontinuierlichen Arbeiten auf den cash crop (gewerblichen) Feldern der Männer erledigen oder als Vertragsbäuerinnen und Tagelöhnerinnen Gemüse, Obst oder Blumen für den Export produzieren und so in transnationale landwirtschaftliche Verwertungszusammenhänge eingebunden sind. Bei Fördermaßnahmen und staatlicher Subventionierung wie auch bei der Integration in Investitionsprojekte werden Frauen und ihre Nutzungsformen jedoch benachteiligt. Auf Plantagen finden Frauen selten Beschäftigung, beim Vertragsanbau werden die Verträge mit dem Landeigner – den Männern – gemacht. Die Umstrukturierung der lokalen Ökonomien verweist Frauen vor allem in den informellen Dienstleistungssektor. Kleinhandel, Essensstände und Prostitution wuchern am Rand der Investitionsprojekte – alles marginale, prekäre und sozial gering bewertete Tätigkeiten, die weder die soziale Reproduktion leichter machen noch soziale Anerkennung erhöhen.
Weitere Konfliktlinien – vor allem in Afrika – verlaufen entlang der Interessengegensätze zwischen nomadischen und sesshaften bäuerlichen Bevölkerungsgruppen. Dabei setzt sich die Diskriminierung und Diskreditierung nomadischer Nutzungsformen von Land durch staatliche Entwicklungsstrategien mit dem Verweis auf geringe Produktivität fort. Außerdem entzünden sich Basiskonflikte häufig an der korrupten Involvierung von Chiefs oder Politikern – alles Männer – in die Investitionsprojekte.
Investitionen, die sich der »Grünen Ökonomie« und einer Wende von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern durch den Anbau von Palmöl, schnell wachsenden Hölzern oder Jatropha verschreiben, lösen die gleichen sozialen Effekte aus. Denn auch sie sind profitund verwertungsgetrieben, ausbeutungsorientiert und strukturell rücksichts- und sorglos gegenüber den natürlichen Ressourcen, den Menschenrechten und Versorgungsökonomien der lokalen Bevölkerung.
Wem gehört das Land?
Indigene, nomadische und lokale Bevölkerungen mit tradierten Nutzungsrechten und Frauen ohne Landtitel haben keinerlei rechtliche Handhabe, sich gegen die groß- flächig stattfindende Landnahme zur Wehr zu setzen. Frauen besitzen in Bangladesh weniger als drei Prozent der Landtitel, auf den Philippinen elf und in Botswana 33 Prozent. Über eine Preisgabe oder den Verkauf des Landes entscheiden die Männer. Sie besitzen die Landtitel oder haben das Sagen in den Dorfversammlungen, wenn es sich um Gemeinschaftsland mit kollektiven Nutzungsrechten handelt. Ein Stück Land ist an vielen Orten ein soziales Sicherungssystem, das zwischen Bleiben und Migration entscheidet.
Die marktökonomische Legitimierung von Landnahme und Investitionsliberalisierung gegenüber lokalen Bevölkerungen ist, dass es sich überwiegend um »brach« liegendes oder »untergenutztes« Land handele. Aus der Perspektive sozialer Reproduktion hat so genanntes Brachland als Allmende dagegen eine bedeutende Funktion sowohl in der Regeneration der Natur als auch für Nomaden, die lokalen Wertschöpfungsketten und die Mischökonomie von Sammeln, Anbau, Verarbeitung und Vermarktung, die landarme Frauen betreiben.
Individuelle Land- und Erbrechte für Frauen sind eine Schlüsselforderung der Geschlechtergleichheit. Im Kontext des derzeitigen Landgrabbing wird allerdings kontrovers diskutiert, welche Formen von Landbesitz und Nutzungsrechten Frauen am meisten Sicherheit geben: kollektive Nutzungsrechte und Gemeineigentum oder individuelle Landtitel. Einerseits diskriminieren die lokalen Gemeinschaften Frauen, wenn es um Kontrolle und Entscheidungsmacht über Commons geht, andererseits stehen individuelle Landrechte in der Logik der Privatisierung von Land durch Landmärkte, wie die Weltbank sie forciert, und der Liberalisierung, die zur Einhegung durch aus- und inländische Großinvestoren führt, die bäuerliche und nomadische NutzerInnen ausgrenzen.
Die Widerständigen
Frauen sind vielerorts Schlüsselgestalten in sozialen Basiskämpfen gegen die Ressourcenaneignung von außen, weil sie Gegenpositionen zu kommerziellen Entwicklungsstrategien repräsentieren, die autarke Nutzungsformen von Land und Ressourcen, ein überbrachtes Besitzverhältnis und ein Naturverhältnis, das Eigenrechte der Natur respektiert, verbinden. Diese Prinzipien teilen sie häufig mit indigenen und anderen lokalen Bevölkerungsgruppen, deren Reproduktionsformen territorial gebunden und in Naturzyklen und lokale Alltagskulturen eingebettet sind. Sie betrachten Land, Wälder, Gewässer, Biodiversität, Saatgut und überbrachtes Wissen als Erbe der Vorfahren, das es zu bewahren gilt. Wertschöpfung und Versorgungsleistung in diesem Reproduktionszusammenhang sichern indigenen Gruppen wie auch Frauen in lokalen Bevölkerungen soziale Anerkennung und Zugehörigkeit.
Indigene oder Frauen sind keine homogenen Interessengruppen. Solange ihnen die überbrachten Lebensgrundlagen ein Minimum an Ernährungs- und Existenzsicherheit garantieren, sie gleichzeitig über nur wenige Optionen durch Migration und in der Marktökonomie verfügen, liegt es in ihrer ökonomischen und ökologischen Handlungsrationalität, an ihren Ressourcen als Reproduktionsgaranten festzuhalten und sie gegen Aneignung von außen zu verteidigen. Denn die Trennung vom Land und anderen produktiven Ressourcen zieht ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weg. Die Megainvestitionen in Ressourcen ordnen die Bedürfnisse und Rechte der lokalen Bevölkerung wie auch die Natur und das Klima den Verwertungsinteressen des Kapitals unter. Jede Entscheidung über ihre Köpfe hinweg, jede Enteignung oder Vertreibung bedeutet eine Entwürdigung, existenzielle Verunsicherung und die Verletzung ihrer Souveränitätsansprüche. Dagegen behaupten Frauen, indigene, nomadische und andere lokale Bevölkerungsgruppen in vielerlei Protesten Würde und Eigensinn in Bezug auf ihre lokalen Reproduktionsverhältnisse und gegen die In-Wert-Setzung lokaler Ressourcen.