In Zeiten großer Dringlichkeit ist die verbindende Partei gescheitert. Porcaro drängt in Richtung auf eine strategische Partei, die schnell und massenwirksam das Notwendige tut. Doch wie vermeiden wir, dass weder »die unausweichliche ›Einsamkeit‹ der strategischen Entscheidung sich […] in einen Monolog verwandelt« (15), noch dass sich die strategische Initiative in der Menge verliert?1

Wer führt?

Die gesellschaftlichen Mobilisierungen in Spanien und Griechenland schienen mit Blick auf verbindende Perspektiven einen großen Sprung zu ermöglichen. Diese an unzähligen Orten zugleich stattfindende molekulare Organisierung hatte kein Zentrum, sie gründete auf vermittelnden Strukturen: einer verbindenden Partei, die angesichts einer fragmentierten sozialen und politischen Situation nicht mehr als klassische Massenpartei mit Avantgardeanspruch, aber auch nicht einfach als Koalition unterschiedlicher Parteien funktionieren kann, sondern als »Koalition unterschiedlicher Parteien, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlicher Organisationen«, von denen jeder »zum Anführer der gesamten Front« werden kann (Porcaro 2013).

Je nach politischer Konjunktur und strategischer Notwendigkeit ging die Führung des Gesamtsubjekts von einem Teil des Mosaiks auf einen anderen über. In Spanien beispielsweise von der 15M-Bewegung über die Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) und Podemos zu den kommunalen Plattformen und schließlich Unid@s Podemos während der letzten Parlamentswahl; oder in Griechenland von den anarchistischen Bewegungen und Gewerkschaften zu den Empörten und dann zu Syriza in Verbindung mit den Solidaritätsstrukturen.

Angesichts der Erfahrung in Griechenland macht Porcaro nun das strategische Moment gegenüber dem verbindenden stark. Eine strategische Partei muss in der Lage sein, den geschichtlichen Moment zu erkennen, die Initiative zu ergreifen, voranzugehen und im Gehen andere zu überzeugen. Sie ist dabei keine eigenständige Entität, keine abgeschlossene Gruppe. Je nach Konstellation kann sie »als kleine und bewegliche Partei« auftreten oder »eine transversale Führungsgruppe sein, die sich aus in den verschiedenen Bewegungsorganisationen aktiven Zellen zusammensetzt« (14).

Mit den Grenzen von Partei- und Regierungsprojekten wie in Griechenland und Spanien wird deutlich, dass die Führungsfunktion der Partei im engen Sinne immer nur ein konjunktureller Moment in einem beweglichen Verhältnis von Partei, Bewegung und Subalternen innerhalb komplexer gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse sein kann. Keineswegs übernimmt die Bewegung die Vorarbeit, um dann die Führungsfunktion an die Partei abzugeben.

Doch wie eine Strategie formulieren, die die Vielen überzeugt? Porcaro schreibt: »Aufgabe der Strategie ist es, Verbindungen herzustellen, nicht umgekehrt.« Tatsächlich entsteht aus der Zusammenkunft der Vielen nur in Ausnahmen eine Strategie. Es braucht andere Orte, Zellen von Gleichgesinnten, ob es um strategische Kerne in Bewegungen oder in Parteien geht. Doch es genügt nicht, eine verbindende Strategie zu formulieren. Wenn sie nicht gemeinsam formuliert wird, bleibt sie wirkungslos. Das Mosaik muss also aktiv zusammengebracht und verbunden werden, immer wieder. Es muss produziert, ja organisiert werden, um neben einem besseren Verständnis für Differenzen das Gemeinsame hervorzubringen.

Doch Vermittlung und Verbindung brauchen Zeit. Dies stößt auf Probleme der Dringlichkeit. Hier bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen dem Reichtum und der Inkohärenz der Vielheit auf dem Wege einer verbindenden Partei und der Kohärenz der strategischen Partei. Nur Letztere kann in spezifischen Konjunkturen des »Bewegungskrieges« (Gramsci), jene rasche Initiative entfalten, die nötig ist. Dies geht notwendigerweise einher mit einer Überforderung anderer Teile, die die Veränderungen nicht im gleichen Tempo nachvollziehen, wenn das Wissen nicht schnell genug verallgemeinert wird. Es braucht daher ein Verständnis für die Notwendigkeit eines Raums für Experimente von ›unten‹ – aber eben auch von ›oben‹. In der realexistierenden Partei die LINKE dominiert die Tendenz, jede Initiative durch Bedenken, unendliche Rückkopplungs- und Entscheidungsschleifen zu zersetzen: Wenn sie nicht durch jede Gliederung bewilligt und in diesem Prozess bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet wird, verendet sie nahezu folgenlos.

Vor diesem Hintergrund hat eine Partei mit schmaler und hierarchischer Organisation, mit weniger vermittelnden Instanzen und direkterer Kommunikation zwischen Führung und ›Massen‹ (wie Podemos) Vorteile gegenüber einer üblichen demokratischen Parteistruktur oder auch gegenüber horizontalen Konsensmodellen – solange die Führung ›gut’ ist. Im Übergang zur institutionellen Politik kommt es jedoch immer wieder zu einer zu starken Institutionalisierung der strategischen Funktion, hinter der die verbindende Funktion zurücktritt. Eine Aufgabe in diesem Zusammenhang wäre, als Teil einer konstituierenden Macht die »Institutionen zu erschüttern« (13), Verfestigungen und Bürokratisierung offen und beweglich zu halten – auch innerhalb der eigenen Organisationen.

Denn koppelt sich die strategische Partei ab und hat keine Rückbindung mehr, kann sie rasch die Sensibilität für die Veränderung des Moments verlieren, die Strategie wird unangemessen. Dies traf nach den Kommunalwahlen im Mai 2015 auf Podemos zu, aber auch auf die Gruppe um Tsipras nach dem Wahlsieg im Januar 2015 und dann vollständig entkoppelt nach dem OXI des Referendums sechs Monate später.

Hier wäre eine »transversale Führungsgruppe« (14) sinnvoller als hierarchische Modelle. Das Spannungsverhältnis zwischen verbindender und strategischer Partei ließe sich produktiv bearbeiten, wenn »jede der beiden Seiten […] selbst einen Teil der Eigenschaften der anderen annimmt« (15). Die einen verbinden, suchen den Kontakt zu den Bewegungen und Nachbarschaften, die anderen formulieren Strategien, bewegen sich in Staat und Parlamenten – so kann die Arbeitsteilung nicht funktionieren (vgl. Candeias 2016). Diese Fragen der Führung waren auch in Griechenland bei Syriza, der ersten real entwickelten verbindenden Partei, nicht geklärt.

Das Scheitern der verbindenden Partei

Unzählige Riots und Generalstreiks waren wichtige symbolische Aktionen zu Beginn der Krisenproteste ab 2009, erschöpften sich jedoch rasch. Der entscheidende Punkt kam, den Platzbesetzungen in Nordafrika und Spanien folgend, mit der Besetzung des Syntagma-Platzes in Athen. Dort begann auch der Aufstieg Syrizas, weil es den Mitgliedern gelang, nicht mit den üblichen Symbolen und Fahnen für ihre Partei zu werben, sondern sich als Aktive in die Debatten einzumischen, eine Infrastruktur für die Platzbesetzung bereitzustellen und vor allem zuzuhören. Es gelang ihnen die Stimmungen, Leidenschaften und politischen Botschaften aufzunehmen. Syriza symbolisiert einen Verdichtungspunkt, der die zivilgesellschaftliche Selbstorganisierung und den Protest in die Perspektive der Ergreifung der Regierungsmacht übersetzte. Sie repräsentierte den Geist des Protests für viele jenseits der direkt politisch Aktiven, nicht zuletzt in den unteren gesellschaftlichen Klassen und Gruppen.

Die Partei verband dies mit einem weitgehenden Umbau der eigenen Organisation und entwickelte enge, ja organische Verbindungen mit den Bewegungen: Das Netzwerk Solidarity for all wurde gegründet, um die Solidarstrukturen landesweit zu vernetzen und zu stärken. Jede und jeder Abgeordnete führt einen relevanten Teil ihrer bzw. seiner Bezüge in einen Fonds ab und stellt jeweils mindestens ein/e Mitarbeiter*in für die Arbeit in Bewegung frei. Die Partei war insofern für den Aufbau dieser Strukturen bedeutsam und steht damit für einen neuen Typus von Partei, der am ehesten durch Mimmo Porcaros Begriff einer »verbindende Partei« charakterisiert werden kann. Dass dieser konkrete Versuch gescheitert ist, hat viele Gründe (vgl. ebd.). Es gelang Syriza beispielsweise kaum sicherzustellen, dass umgekehrt Impulse aus den Bewegungen in die Partei hineinwirkten, wie es noch zu Zeiten der Besetzung des Syntagma-Platzes der Fall gewesen war. »Wir haben keine aktive Beziehung zur Gesellschaft« aufrechterhalten, so der ehemalige Generalsekretär Tasos Koronakis (2015). Und obwohl es weitreichende Veränderungen in der Organisationsstruktur gab, wurde »das Führungsmodell der Partei […] nicht verändert«, es »glich eher einer Struktur, um Entscheidungen zu legitimieren als deliberative, gemeinsame Entscheidungen zu befördern« (ebd.).

Die unverzichtbare Rolle von gesellschaftlichen Bewegungen ist in der Linken weithin anerkannt und doch dominiert weiterhin die Vorstellung eines linear aufsteigenden politischen Organisationsprozesses: Am Anfang stehen der Protest und die Bewegung, daraufhin folgt der Aufbau einer neuen und/oder der Umbau alter linker Parteien, die schließlich antreten, um Wahlen für sich zu entscheiden, die Macht zu erobern und ›richtige’ Politik umzusetzen. Bewegungen haben ihren Platz, aber die Vorstellungen der Machteroberung bleiben altmodisch, parlamentszentriert, etatistisch. Doch dieses traditionelle Verhältnis zur Regierung »ist nicht mehr tragfähig. Der Staat kann nicht bereitstellen, was Menschen benötigen« (Karitzis 2015).

Stattdessen müsste klar sein, dass die Übernahme der institutionellen Regierungsmacht nicht der Moment der Ablösung des Bewegungsmoments ist. Vielmehr müsste noch verstärkt Selbstorganisierung in allen Bereichen angeregt werden. Es müssten neue verbindende Praxen zwischen den unterschiedlichen Funktionen von Regierung, Partei, Bewegung und gesellschaftlichen Selbstorganisationen entwickelt werden, statt stellvertretend für die Bewegungen und die Wähler*innen zu agieren und diese von Fall zu Fall anzurufen, um für die Regierung zu mobilisieren.

Dass der konkrete Versuch einer verbindenden Partei in Griechenland gescheitert ist, bedeutet nicht unbedingt, dass das Konzept falsch ist. Es handelt sich hier nicht um eine Frage der Parteiform, sondern der mangelnden strategischen Orientierung und der falschen Arbeitsteilung. Verbindende Praxis quer zu den Spaltungslinien innerhalb der Partei und der gesellschaftlichen Linken zu entwickeln, sollte Aufgabe aller Teile der Linken sein, zumindest der jeweiligen Führungsgruppen (und nicht einiger weniger Verbindungspersonen oder Vermittlungsintellektueller).

Zentral wäre dabei nicht nur, die Autonomie der Bewegungen zu gewährleisten, sondern auch die der Partei gegenüber der Regierung. Syriza drohte von Anfang an »die Gefahr einer vollständigen Vereinnahmung durch Regierungsverpflichtungen, unter Aufgabe des wichtigsten Bestandteils der bisherigen Erfolgsstrategie der Partei« (Papadopoulou et al. 2015). Die Partei wurde gegenüber Regierung und Parlament marginalisiert. Sie spielte keine eigene Rolle mehr. Auch die Mitglieder wurden »zu keinem Zeitpunkt und in keiner Frage zurate gezogen« (Panagiotakis 2015). Ein klassischer Fehler: die Unterordnung der Partei unter die Regierung, statt sie als eigenständige gesellschaftliche Kraft, als Ort der offenen Debatte und Organisierung zu begreifen.

Institutionen aufbrechen und Gegenmacht aufbauen

Eine alte Erkenntnis erweist sich dabei wieder als zutreffend: Als Linke in die Institutionen zu gehen, ob in Athen, Barcelona oder Madrid, führt in einen politischen Limbo, sofern es nicht gelingt, diese Institutionen zu öffnen für die Initiative der Bewegungen, Nachbarschaftsgruppen und Solidarstrukturen aus der Zivilgesellschaft und damit eine weitreichende Partizipation aller popularen Klassen zu verankern (vgl. Zelik in diesem Heft). Dabei gilt es, über die eigene Klassenspezifik des Mosaiks der politisch aktiven Teile der Bevölkerung hinauszugehen. Eine Verbindung der aktiven Teile der Bevölkerung und allerlei linker Organisationen und Bewegungen reicht nicht aus. Es gilt, einen Schritt weiterzugehen, eine aufsuchende Praxis zu entwickeln, die jene einbezieht, die von der Politik abgeschrieben wurden und Letztere abgeschrieben haben. Aus solchen Erfahrungen heraus gilt es systematisch und massenhaft transformative Organizer*innen auszubilden, eine Bewegungsschule für Vermittlungsintellektuelle, wenn man so will.

Eine wirkliche Transformation kann nicht durch den Staat erfolgen. Oder wie es bei Nicos Poulantzas heißt: »Eine Transformation des Staatsapparats […] kann sich nur auf ein gesteigertes Eingreifen der Volksmassen in den Staat stützen – sicherlich mit Hilfe der gewerkschaftlichen und politischen Vertreter der Volksmassen, aber auch durch die Entfaltung ihrer eigenen Initiativen innerhalb des Staates. [Sie wird] sich nicht auf eine bloße Demokratisierung des Staates beschränken können, [sondern] muss von der Entfaltung neuer Formen der direkten Basisdemokratie und der Verbreitung von Netzen und Zentren der Selbstverwaltung begleitet werden.« (Poulantzas 1978, 289f) Oder wie Andreas Karitzis (2015) es ausdrückt: »Die Eskalation von Seiten der Eliten erfordert eine Gegenstrategie, die die Menschen ermächtigt, eine Position einzunehmen, um auf alternative Weise die grundlegenden Funktionen einer Gesellschaft selbst zu übernehmen.«

Es bedarf dazu eigener »stabiler Institutionen« jenseits des Staates, »die heute zur strategischen Partei und morgen zum sozialistischen Staat einen dialektischen Gegenpol bilden« (15) können, wie Porcaro es ausdrückt. Vor allem aber müssten sie schon heute eine »materielle Macht« (vgl. Giovanopoulos in diesem Heft) ausbilden, die eine Art unabhängige soziale Infrastruktur und produktiven Ressourcen einer solidarischen Ökonomie entwickelt, um gegenüber den Attacken des transnationalen Machtblocks standzuhalten – der oft zitierte Plan C. Die Solidaritätsinitiativen können wichtige organisatorische Schulen für solche Kämpfe sein. Sie sind potenziell auch ein wirksames Gegenmittel gegen (rechten) Populismus und können Abhängigkeiten gegenüber einer (linken) Regierung mindern sowie Klientelismus vorbeugen. Sie beschränken sich nicht auf bürgerschaftliches Engagement, das die Defizite des ausgedünnten Sozialstaates kompensiert, sondern zielen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams und der direkten Aneignung auf seine Rekonstruktion und seinen demokratischen Umbau. Ausbau und Demokratisierung des Sozialstaates sollen aus dieser Perspektive Mittel und Entscheidungsmacht in die Zivilgesellschaft umleiten. »In and against the state« (Holloway).

Die strategische Partei kann »nicht ›alles‹ sein« (14), meint Porcaro – Regierungspartei und gegen den Staat gerichtete Bewegung etwa. Das ist richtig. Doch als Teil einer verbindenden Partei kann sie die Funktion übernehmen, Partei und Regierung zu trennen und zu vermitteln und »die Bewegungen dazu drängen, eigene Formen zu finden«, etwa kommunale oder darüber hinaus gehende Plattformen, die eigenständig ein Gegengewicht zu Tendenzen der Verselbständigung einer ›guten Regierung‹ ausbildet. Wer weiß, vielleicht sollten wir demnächst in Berlin damit beginnen?

Sofern nicht anders angegeben, Zitate aus dem Beitrag von Porcaro in LuXemburg 2/2016, September 2016.

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