Lohnabhängige und ihre Gewerkschaften sind enge Bündnispartner der LINKEN. Solidarisch kritisch tritt sie für Anliegen ein, die auch innerhalb von Gewerkschaften nicht so einfach zur Geltung kommen: etwa bei der frühen Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Bei der letzten Bundestagswahl hat sich jedoch gezeigt, dass die Verankerung der LINKEN in den Gewerkschaften nachgelassen hat – zumindest bei den männlichen Gewerkschaftern. Es gilt also, GewerkschafterInnen wieder für die LINKE zu gewinnen und jene Kräfte zu stärken, die sich für eine Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse einsetzen, so Katja Kipping und Bernd Riexinger in ihrem Papier zur Parteientwicklung (2013). Dafür reicht es nicht, die Interessen der Beschäftigten im Parlament zu repräsentieren. Vielmehr muss sich die LINKE in konkrete (Arbeits-)Kämpfe einmischen, um ihren Nutzen für Beschäftigte und ihre Gewerkschaften zu erweisen.
Vor allem in Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten und die lange als »unorganisierbar« galten, gab es in den letzten Jahren einige Bewegung. Viele Beschäftigte wurden gewerkschaftlich aktiv, gingen Konfrontationen ein und erprobten originelle neue Streikformen. Ein Beispiel ist der Einzelhandel. In der dortigen Tarifrunde 2013 hat sich die LINKE mit ungewöhnlichen Aktionen eingebracht, die an einigen Orten deutlich über symbolische Solidarität hinausgingen. Aktive der LINKEN wirkten in der Auseinandersetzung mit und nahmen Einfluss auf die Strategie der Gewerkschaft, insbesondere in Berlin.
In den Begriffen gewerkschaftlicher Revitalisierungsforschung kann diese Unterstützungsarbeit als »Pionierbündnis« (Frege et al. 2003) bezeichnet werden. Zwar bestimmt die Gewerkschaft die Ziele, weil die Aktivitäten aber auf ein »fortschrittliches gesellschaftliches Interesse […] gerichtet sind« (ebd. 550), erklären sich auch Externe mit ihnen solidarisch.
In Berlin ging die Initiative in der Tarif-auseinandersetzung aktiv zu werden von einer Gruppe von GewerkschafterInnen innerhalb der LINKEN aus – der Arbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft (AG B&G). Das Thema Einzelhandel bot sich an, weil es dabei auch um einen Kampf gegen Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung ging. Der Tarifauseinandersetzung waren viele Angriffe der Unternehmen und ihrer Verbände vorangegangen, und die Deregulierung des Arbeitsmarkts hatte das Ausmaß prekärer Beschäftigung und die damit verbundene gewerkschaftliche Schwäche dramatisch erhöht. Vor diesem Hintergrund bestand die Einschätzung, dass ver.di angesichts ihrer relativen Defensive positiv auf das externe Unterstützungsangebot reagieren und diese Chance zum »Coalition Building« aufgreifen würde. Zudem war absehbar, dass der Konflikt lange andauern würde – auch dies schien geeignet, um Kontakte in die Einzelhandelsbranche aufzubauen und Strukturen der Unterstützung zu schaffen.
Ver.di konnte durch dieses Bündnis also auf ein Netzwerk von Aktiven zurückgreifen, das außerdem neue strategische Orientierungen und Aktionsformen beförderte. Eine Besonderheit des Berliner Beispiels ist allerdings, dass der externe Bündnispartner eine Partei – und keine soziale Bewegung – war und von ihr der Impuls zur Zusammenarbeit ausging.
Unterstützungsarbeit der LINKEN
Der praktischen Solidaritätsarbeit war eine Selbstverständnisdebatte innerhalb der AG B&G vorausgegangen: Es bestand Einigkeit, dass die Gruppe über symbolische Solidarität hinausgehen und konkrete Unterstützung in aktuellen gewerkschaftlichen Konflikten leisten wollte. Auch gab es das Interesse, weitere Mitglieder der LINKEN einzubeziehen und innerhalb der Bezirke über anstehende gewerkschaftliche Auseinandersetzungen zu informieren. Mit Betriebsräten und Gewerkschaftsaktiven vor Ort wurden Solidaritätsaktionen verabredet und über die Rolle der LINKEN in den Auseinandersetzungen diskutiert. Weil es an vielen Orten schwierig war, Kontakte zu Betriebsräten zu knüpfen, konzentrierte sich die LINKE zunächst auf Öffentlichkeitsarbeit. Über einen Verteiler für StreikunterstützerInnen wurden Parteimitglieder über anstehende Aktivitäten und Streikkundgebungen informiert. Einige Parteigliederungen machten Infostände in Einkaufsstraßen und verteilten Flyer an KundInnen, in denen sie über den Tarifkonflikt aufklärten – eine wichtige Aufgabe, weil die ver.di-Aktiven oft damit beschäftigt waren, Streikgeldanträge auszufüllen und mit der Belegschaft zu sprechen. Zudem hatten viele Hemmungen, KundInnen um Unterstützung ihrer eigenen Interessen zu bitten. In der heißen Phase des Wahlkampfs rief die LINKE in Berlin einen Aktionstag aus. Einige Bezirke beteiligten sich an einer Postkartenaktion, andere entwickelten auch aktivistischere Formen. In Neukölln wurde beispielsweise mit einem Straßentheater über den Tarifkonflikt informiert. StreikunterstützerInnen sorgten außerdem mit Seifenblasen, Infomaterial und Glitzerschminke vor den Filialen für Stimmung, während die Gewerkschaftsaktiven im Laden ihre KollegInnen über den Streik informierten. Wichtig war, dass Mitglieder der LINKEN nicht vereinzelt, sondern als Gruppe an den Kundgebungen teilnahmen, dadurch als Unterstützung wahrgenommen wurden und eigene Aktivitäten entwickeln konnten. Viele Beschäftigte nahmen diese praktische Unterstützung als deutlichen Unterschied zu anderen Parteien wahr.
Auswirkungen auf die Strategie der Gewerkschaft
Im Laufe der Auseinandersetzung wurde der Austausch mit ver.di-Aktiven enger. In Diskussionen wurden auch die Schwierigkeiten und Widerstände im Fachbereich Einzelhandel offenbar, auf die die Streikaktiven stießen. Im Berliner Einzelhandel war seit Jahren nicht mehr gestreikt worden. Tarifkämpfe wurden in anderen Bundesländern, vornehmlich in Baden-Württemberg, entschieden. Auch der Organisationsgrad lag vor dem Arbeitskampf 2013 bei lediglich 10 Prozent. In der Tarifrunde 2013 wurde in Berlin zudem spät und eher spärlich zu Streiks aufgerufen. Der Fachbereich war von Betriebsräten der traditionell gut organisierten, sozialpartnerschaftlich orientierten großen Unternehmen und Warenhäuser dominiert. Viele von ihnen hielten an dieser mittlerweile aufgekündigten Tradition fest, versäumten den Aufbau eigener Gegenmacht und waren streik-unwillig. Sie schienen »Repräsentationsdefizite mittels institutionenkonformen Verhaltens kompensieren zu wollen« (Dörre 2010, 891), was jedoch die Gefahr birgt, »Handlungsstrategien zu konservieren, denen die Geschäftsgrundlage längst abhanden gekommen ist« (ebd.).
Dieses institutionenkonforme Verhalten war in der Tarifauseinandersetzung 2013 in großen Teilen der Gewerkschaft trotz stark verbreiteter prekärer Beschäftigung, Mobbing gegen Betriebsräte und trotz des Einsatzes spezialisierter, gewerkschaftsfeindlicher Anwaltskanzleien zu beobachten. Aus der Defensive heraus versuchte der Fachbereich Einzelhandel an der einst existierenden Sozialpartnerschaft festzuhalten und verhandelte im Vorfeld des Tarifkonflikts eine einvernehmliche Grundreform des Manteltarifvertrags – mit weiteren Lohnkostensenkungen. Erst durch eine entschlossene Intervention kritischer GewerkschafterInnen aus wichtigen Landesbezirken wurde im Jahr 2012 die Kompromisssuche beendet und ein konfliktorientierter Weg eingeschlagen. Die Einzelhandelsverbände kündigten im Januar 2013 die Manteltarifverträge und provozierten damit den Streik. Schon dessen Vorgeschichte offenbart also ein intensives Ringen um die richtige Strategie der Gewerkschaften.
Während die kooperationsorientierten Betriebsräte die Streikwilligen bei H&M, Thalia, Kaufland oder IKEA zunächst auszubremsen versuchten, suchten die Konfliktorientierteren nach neuen Streik- und Aktionsformen. In dieser Situation nahmen Letztere das Angebot der Zusammenarbeit mit externen UnterstützerInnen dankend an. Trotz anfänglicher Skepsis im Fachbereich setzten sie sich mit dem Vorschlag durch, StreikunterstützerInnen gezielt für einen »Blitz« bei H&M einzubinden: Dabei sollten in den 28 Berliner Filialen, von denen nur neun einen Betriebsrat haben und in denen der Organisationsgrad gering ist, Beschäftigte für ver.di und den Streik gewonnen werden. Zur Vorbereitung trafen sich über 100 Streikende und Externe bei ver.di zu einer Schulung. Gemeinsam wurde geübt, Beschäftigte anzusprechen. 17 Kleingruppen besuchten schließlich 21 Filialen, lenkten den Filialleiter ab und sprachen mit Kolleginnen und Kollegen. Durch die Mischung aus erfahrenen AktivistInnen und Beschäftigten mit einem guten Blick für die Situation bei H&M konnten alle voneinander lernen, und die Fähigkeiten ergänzten sich. Anschließend wurden die Gespräche gemeinsam ausgewertet. Das Feedback war überwiegend positiv, und Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit Externen konnten weitgehend ausgeräumt werden. Außerdem wurden einige Kontakte hergestellt, die Ausgangspunkte für gewerkschaftliche Organisierung und Betriebsratsgründungen in weiteren Filialen sein könnten. Der in dieser Größe bisher einmalige »Blitz« bei ver.di soll nun Vorbild für andere Bereiche werden.
Neue Streikstrategien
In den Auseinandersetzungen um die Streikstrategie bemühten sich die konfliktorientierten Streikaktiven, andere zögerlichere Belegschaften mitzuziehen und neue Streikformen auszuprobieren. So führte die gut organisierte H&M-Filiale in der Friedrichstraße einen erfolgreichen »Rein-Raus-Streik« durch, um wirtschaftlichen Druck aufzubauen. Diese in der Streikhochburg Baden-Württemberg erfundene Streikstrategie besteht darin, die Arbeit in kurzen Intervallen niederzulegen und wieder aufzunehmen (vgl. Schmalstieg 2013). Auf diese Weise wird es für die Unternehmen schwieriger, Streikende durch flexible Kräfte zu ersetzen, um die Filiale offen zu halten bzw. es fallen doppelte Lohnkosten an. Da es jedoch eines hohen Maßes an Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Sinnhaftigkeit des Streiks bedarf, um die Warteschlage an der Kasse und die zurückbleibenden KollegInnen alleine zu lassen, gilt diese Aktionsform als anspruchsvoll (vgl. Riexinger 2013).
Auch andere innovative Streikstrategien wurden ausprobiert: Im Kaufhof am Alexanderplatz führten Streikaktive zusammen mit UnterstützerInnen auf den Rolltreppen einen stillen Protestmarsch durch. Dabei luden sie den Betriebsrat – der seine KollegInnen nicht zur Teilnahme aufgerufen hatte – und die Belegschaft ein, mitzumachen. Abgesehen von einem Kaufhaus in der Streikhochburg Mannheim, wurde diese Streikform erstmalig in einem Warenhaus ausprobiert. In einem Warenlager in Brandenburg wurde außerdem eine den sozialen Bewegungen entlehnte Aktionsform erprobt: Die Proteste der Streikenden kamen quasi einer Blockade an einer zentralen und verwundbaren Stelle in der Produktionskette gleich. Im Laufe der Auseinandersetzung konnten die Streikaktiven stärkeren Einfluss auf die Strategie nehmen. Für das Votum der Tarifkommission, den Streik über Weihnachten hinaus fortzuführen, weil die Unternehmensverbände die Ost-West-Angleichung verweigerten, war der Einfluss der konfliktorientierten Belegschaften entscheidend. Die Unterstützungsarbeit spielte dabei eine wichtige Rolle. Jenseits von Ermutigung ermöglichte der Austausch mit Externen es den Streikenden, über ihre Aktivitäten zu reflektieren und Neues auszuprobieren.
DIE LINKE als Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen
Voraussetzung für eine solche Unterstützungsarbeit aufseiten der LINKEN sind aktive Mitglieder. Da die Streikaktionen an Werktagen stattfanden und kurzfristig angekündigt wurden, war die Unterstützung überhaupt nur möglich, weil sich Erwerbslose, RentnerInnen und Studierende – nicht zuletzt aus dem Studierendenverband DIE LINKE.SDS – daran beteiligten. Durch die Vielseitigkeit der Aktionen, die von Infoständen, Besuchen der Streikenden mit Kaffee und Kuchen bis hin zu Flash-Mobs und Blockadeaktionen reichten, konnten Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Ideen und Aktivitätsgraden eingebunden werden. Der Aufbau von Kontakten ist zeitintensiv und bedarf eines hohen Maßes an Kontinuität. In den Bezirken sind verlässliche AnsprechpartnerInnen nötig, die Kontakt zu den Betriebsräten halten und die Aktionen im Bezirk bekannt machen. Es ist also wichtig, genau zu überlegen, welche Auseinandersetzung die LINKE angesichts ihrer begrenzten Ressourcen begleiten kann, um dennoch einen Unterschied zu machen. Die Arbeitsteilung zwischen der AG B&G – die dauerhaft Kontakte zu GewerkschafterInnen pflegt – und den Bezirken hat sich in dieser Hinsicht als erfolgreich erwiesen.
Eine umfassende Gewerkschaftsstrategie der LINKEN, die sich nicht auf die Repräsentation der Beschäftigteninteressen im Parlament beschränkt, sondern sich in gesellschaftliche Auseinandersetzung einbringt, kann auf die dargestellten Erfahrungen im Einzelhandel aufbauen. Nur wenn es der Partei gelingt, diese und ähnliche Erfahrungen zu verallgemeinern, kann sie linke Kräfte »verankern, verbreiten, verbinden« (Kipping/Riexinger 2013).