Die Tatsache, dass die Ausgabe und damit auch Zertifizierung des Petro vom Staat kontrolliert wird, hat bei einigen neoliberalen Kryptowährungsfreund*innen Empörung ausgelöst. Sie sehen einen Angriff auf die dezentrale und von der Kontrolle von Regierungen und Zentralbanken losgelösten Traumvorstellung einer „freien“ Kryptowährung. So auch Sascha Lobo, der fabulierte „digitale Währungen drohen sich gerade vom libertär-antistaatlichen Freiheitstraum in einen autoritär-staatlichen Kontrollalbtraum zu verwandeln“. Diesen Kritiker*innen scheint entgangen zu sein, dass sich Kryptowährungen nicht zu dem entwickelt haben, was einige der staatskritischen libertären Erfinder*innen ursprünglich angedacht hatten, sondern in genau das Gegenteil: in hyperkapitalistische Spekulationsobjekte, die den Finanzmarkt noch zusätzlich befeuert haben, wo mittlerweile nicht nur Kryptowährungen, sondern auch noch alle möglichen Derivate gehandelt werden. Zusätzlich haben sich etliche der Konten als gar nicht sicher erwiesen, und die Verluste durch den Diebstahl von Kryptowährungen gehen mittlerweile in die Milliarden.
Die Vertreidiger*innen der angeblich libertären Kryptowährungen übersehen auch geflissentlich, dass die Liberalisierung der Finanzen und Geldkontrolle und die fehlende Kontrolle von Zentralbanken letztlich nur den Reichen und den transnationalen Unternehmen genutzt hat und Staaten eines wichtigen finanz- und wirtschaftspolitischen Steuerungselements beraubt hat.
Realistischer scheint da die Einschätzung der chinesischen Rating-Agentur Dagong, die zu den wichtigsten Ratingagenturen des Landes gehört. Dagong wagt keine Einschätzung, ob der Petro Venezuelas wirtschaftliche Probleme lösen kann, unterstreicht aber seine positive Rolle von der „reinen Virtualität der existierenden digitalen Währungen wegzukommen“, was der Währung helfen könnte, Spekulation und große Wertfluktuation zu vermeiden. Dies könne dazu beitragen, das Weltwährungssystem wieder zu „seinem grundlegenden Wert zurückzuführen“. Dagong führt weiter aus, seit dem Kollaps des Bretton Woods Systems 1973 sei das Weltwährungssystem von der Dominanz des US-Dollars geprägt. Durch die exzessive Dollar-Produktion Seitens der USA im Verhältnis zu der Fähigkeit des Landes einer entsprechenden Wertschaffungskapazität sei aber eine „systematische Diskrepanz zwischen dem kreditbasierten internationalen Währungssystem und dem globalen System der Werterzeugung“ entstanden. Die häufigen Kreditkrisen seien ein Zeugnis der Unzulänglichkeit des US-Dollars die Rolle einer internationalen Leitwährung zu spielen. In diesem Kontext könnte der Petro wichtige Lehren erteilen, damit andere Länder mit neuen, materiell abgesicherten, Währungen experimentieren, die grenzüberschreitenden Handel und internationale Finanzierung ermöglichen, um so zu einer neuen internationalen Währung zu kommen, die nicht von der „US-Dollar-dominierten internationalen Handelsregelung“ beeinflusst ist und dem Weltwährungssystem helfen könnte wieder Stabilität zu erlangen. Auf längere Sicht sei für den Petro entscheidend, ob Venezuela eine Wertschaffungsfähigkeit jenseits des nicht erneuerbaren Erdöls herstellen könne. Ansonsten drohe eine erneute Kreditkrise (Dagong Comments on Venezuela’s Pre-sale of Petro, 28.2.2018).
Der Petro scheint also durchaus das Potenzial zu haben, es Venezuela zu ermöglichen liquide zu sein und finanziellen Forderungen nachzukommen. Ob der Petro Venezuelas wirtschaftliche Probleme lösen wird, wird letztlich aber auch davon abhängen, ob es gelingt die Korruption sowie den Schmuggel in benachbarte Länder einzudämmen und eine produktive Binnenwirtschaft aufzubauen.
Nachtrag: Angriff auf den Petro
Am Montag, den 19. März hat US-Präsident Donald Trump allen US-Bürger*innen, Unternehmen und Anwesenden auf US-Territorium jedweden Handel mit dem Petro oder zukünftigen venezolanischen Kryptowährungen verboten. Zusätzlich wurden weitere Privatpersonen aus Venezuela sanktioniert sowie weitere Sanktionen angekündigt. Nachdem die venezolanische Opposition und die USA über Jahre hinweg Präsidentschaftswahlen in Venezuela gefordert hatten, lehnen sie nun die für Mai geplanten Präsidentschaftswahlen ab. Die US-Regierung drängt auch den oppositionellen Kandidaten Henri Falcón dazu, nicht an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen und droht Venezuela mit einer Verschärfung der Sanktionen, sollten Wahlen durchgeführt werden.