Aber das könnte sich schnell ändern, wenn den Bevölkerungen die Rechnung für die staatlichen Rettungsmaßnahmen präsentiert wird. Es scheint, dass eine überwunden geglaubte Krisenkonstellation wiederkehrt – wenn auch unter veränderteten Bedingungen. Die Intensivierung der Klassenkämpfe in den kapitalistischen Metropolen ab Ende der 1960er Jahre hatte zum Zerbrechen von fordistischen Akkumulationsstrategien und zu einer Überakkumulationskrise geführt. Dieser wurde durch das Aufblähen des Finanzsektors und Nachfragestabilisierung in Form von Privat- und Staatsverschuldung begegnet (vgl. Gowan 2009, 18). Mit dem Platzen der Finanzblase ist also die Überakkumulationsproblematik wieder da. Nun ist die Krise zwar ein globales Phänomen, aber sie wird in vielerlei Hinsicht von national spezifischen Institutionengefü- gen verarbeitet. Folglich gibt es auf politischer Ebene keine einheitliche Krisenreaktionsstrategie, sondern allenfalls vorherrschende Muster. Ebenso verhält es sich mit Eingriffen von links, was die nationale Unterschiedlichkeit der Kampfbedingungen spiegelt. Gerade um die Verengung linker Politik auf den nationalstaatlichen Rahmen zu überwinden, ist es notwendig, sich die Spezifik dieser Kampfbedingungen zu vergegenwärtigen. Dabei bietet sich der Vergleich Deutschlands und Großbritanniens an. Beide gehören zu den weltweit größten Volkswirtschaften und sind EU-Mitglieder. Allerdings zeigen sich große Unterschiede – z.B. im Hinblick auf die sozioökonomische Bedeutung des Finanzsektors und den Durchsetzungsgrad neoliberaler Umstrukturierung.

KONJUNKTUREN DER FINANZKRISE

Großbritannien: Verstaatlichungen und eine schwelende politische Krise Die Überakkumulationskrise traf auch Großbritannien – in Form von heftigen Klassenauseinandersetzungen und ›Stagflation‹. Sie bedeutete das endgültige Scheitern einer fordistischen Strategie industrieller Modernisierung. Die Labour-Regierung unter James Callaghan entschied angesichts der Währungskrise 1976, Geldwertstabilität über Nachfragestabilisierung zu stellen und handelte einen Kredit des IWF aus, der an massive Kürzungen der Staatsausgaben gebunden war (Morgan 1990, 384). Damit wurde der Versuch aufgegeben, die britische Arbeiterklasse über korporatistische Arrangements einzubinden. Es war also eine sozialdemokratische Regierung, die die ersten Schritte in Richtung einer Ordnungs- und Klassenpolitik unter neoliberalen Vorzeichen unternahm. Nach Thatchers Wahlsieg 1979 wurde ein umfassender »neoliberaler Regimewechsel« (Jessop 2002, 85) vollzogen. Die neue Regierung implementierte eine finanzgetriebene Akkumulationsstrategie. Sie trieb die Beseitigung von Investionshindernissen und die Finanzialisierung des Alltagslebens der Bevölkerung voran. Zudem beseitigte sie Kapitalverkehrskontrollen, liberalisierte den Wertpapierhandel und den Hypothekenmarkt und privatisierte den sozialen Wohnungsbau. Damit sorgte sie für einen massiven Kapitalzufluss in die City. Die 1997 gewählte Labour-Regierung unter Tony Blair setzte in Bezug auf die Politik einer liberalen Handhabung der Finanzmärkte auf Kontinuität (Gowan 2009, 16). Die City kontrolliert den britischen Block an der Macht bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts (Gallas 2008, 284). Resultat der neoliberalen Umstrukturierungen ist, dass die britische Wirtschaft inzwischen vollständig auf die Profitinteressen der City ausgerichtet ist (22). Zugleich hat sich der ebenfalls seit Ende des 19. Jahrhunderts anhaltende Niedergang der britischen Industrie weiter beschleunigt. Angesichts der Abhängigkeit der britischen Wirtschaft vom Finanzsektor und der Wichtigkeit des Immobilienmarktes ist das Land in besonderem Maße von der Krise betroffen. Im September 2007 ereignete sich in Großbritannien ein Ansturm auf die Hypothekenbank Northern Rock. Anleger verlangten die Auszahlung ihrer Guthaben, weil die Bank ein Hilfegesuch an die Bank von England gerichtet hatte. Die Regierung garantierte zunächst die Einlagen und stützte die Bank durch Staatskredit. Zudem suchte sie einen Käufer für die Bank. Als dies misslang, reagierte sie im Februar 2008 mit Verstaatlichung. Das war die erste von zahlreichen Stabilisierungsmaßnahmen für den britischen Finanzsektor. Aktionäre von vor der Pleite stehenden Institutionen wurden enteignet, Kapital, Kreditgarantien und Gelder zur Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts sowie zur Auslagerung von ›Giftpapieren‹ wurden bereit gestellt. Die britische Regierung zeichnet u.a. für die weltweit teuerste einzelne Rettungsaktion verantwortlich: Sie hat 45,5 Mrd. Pfund aufgewendet, um die Royal Bank of Scotland (RBS) zu stabilisieren. Heute befinden sich nicht nur die RBS und Northern Rock in staatlicher Hand, sondern etwa die Hälfte des britischen Bankensektors – allerdings ohne dass die Brown-Regierung bislang maß- geblich Einfluss auf Geschäftsentscheidungen nehmen würde. Die Bank of England reagierte auf den Zusammenbruch des Geldverleihs zwischen Banken ähnlich wie die Fed in den USA: mit drastischen Zinsschnitten und, als keine weiteren Senkungen mehr möglich waren, mit der direkten Ausdehnung der Geldmenge durch den Ankauf von Staatspapieren. Dennoch befindet sich die britische Wirtschaft in einer tiefen Rezession. Sie ist nun über sechs Quartale geschrumpft – ein Novum seit Beginn der Aufzeichnung von Konjunkturdaten in den 1950er Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist von 5,13 Prozent im 4. Quartal 2007 auf 7,67 Prozent im 2. Quartal 2009 angestiegen (OECD 2009). Schließlich ist die Staatsverschuldung explodiert. Man erwartet, dass sie 2013 über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen wird (Treasury 2009). In dieser Situation stehen der britische Block an der Macht und die Regierung vor zwei Dilemmata: Auf der Ebene der Ordnungspolitik scheint der Weg zurück zu einer finanzgetriebenen Akkumulationsstrategie verbaut. Gleichzeitig ist es angesichts der chronischen Schwäche der britischen Industrie und der Zerschlagung korporatistischer Institutionen unter Thatcher unwahrscheinlich, dass ein produktivistisch-industriezentriertes Programm Erfolg haben könnte. Auf der Ebene der Klassenpolitik haben die Regierung der letzten 30 Jahre darauf gesetzt, dass finanzgetriebenes Wachstum Zustimmung erzeugt – nicht bloß, weil Arbeitsplätze im und um den Finanzsektor geschaffen wurden, sondern weil somit die Finanzialisierung des Alltagslebens vorangetrieben werden konnte: Es standen günstige Privatkredite bereit, die zum Kauf von Häusern und Konsumgütern aufgewendet werden konnten. Zudem hat zumindest New Labour den öffentlichen Sektor und die Transferleistungen für die Ärmsten ausgebaut. All dies lässt sich nicht ohne weiteres fortsetzen. Die Vergabe von Privatkrediten stockt. Angesichts der Explosion der Staatsverschuldung gefährden zusätzliche Staatsausgaben die Währungsstabilität und die Kreditfähigkeit des Staats. Insofern steht wohl der weitere Ausbau der repressiven Staatsapparate bevor. Ein Regieren auf Grundlage von Repression und geringer Zustimmung in der Bevölkerung dürfte sich jedoch als schwierig gestalten. Es ist davon auszugehen, dass in Großbritannien eine umfassende politische bzw. hegemoniale Krise schwelt. Deutschland: Krise der öffentlichen Banken und Achillesferse Exportmodell In Deutschland konnte die Überakkumulationskrise länger institutionell abgefedert werden. Sie nahm anders als in Großbritannien die Form einer Erosion der mit fordistischproduktivistischen Strategien verbundenen Institutionen an. Entsprechend zog die Krise Auseinandersetzungen zwischen industrieller und Finanzfraktion um die Vorrangstellung im Block an der Macht nach sich, die keine eindeutigen Ergebnisse zeitigten. Es gab Versuche, eine wettbewerbskorporatistische-exportorientierte Wachstumsstrategie zu implementieren, aber auch Liberalisierungsschritte in Richtung einer finanzgetriebenen Akkumulationsstrategie nach angelsächsischem Vorbild. Entsprechend ist die neoliberale Umstrukturierung in Deutschland institutionell weit weniger fortgeschritten als in Großbritannien. Es bestehen nach wie vor korporatistische Institutionen wie Flächentarifverträge und betriebliche Mitbestimmung, auch wenn sie in der Erosion begriffen sind. Zudem gibt es einen öffentlichen Bankensektor, und der Immobilienmarkt entwickelt sich auf Grund zahlreicher institutioneller Regulierungen weit weniger dynamisch. Schließlich besteht weiterhin eine starke, exportorientierte Industrie. Insofern sind die Politiken der letzten Jahre, die auf den Rückbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wie auch auf die Liberalisierung der Finanzmärkte zielen, eher als »neoliberale politische Anpassungen« (Jessop 2002, 85) denn als Ausdruck eines Regimewechsel zu sehen. Zwar kam es zu einer Krise der Ordnungspolitik, diese hatte aber auf Grund der institutionellen Rahmenbedingungen eine niedrige Intensität. Als sich unter Schröder die Umstrukturierungen beschleunigten, führte dies nicht zur Auflösung der ordnungspoliti schen Spannungen, aber zur Implosion der SPD. Ähnlich das Feld der Klassenpolitik: Auf den Umbruch unter Schröder mit der Agenda 2010 folgte der Schlingerkurs der großen Koalition, die Schröders Richtung beibehielt, andererseits Konzessionen an die Gewerkschaften machte. Es kam sowohl zur Einführung der Rente mit 67 als auch zur Schaffung von Ansatzpunkten für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn. In Großbritannien dagegen sorgte zwar Thatchers Angriff auf die organisierte Arbeiterschaft zunächst für harte Auseinandersetzungen, führte ab Ende der 1980er Jahre aber zu einer klassenpolitischen Stabilisierung. Diese prinzipiellen Unterschiede erklären, warum die Regierungen Deutschlands und Großbritanniens im Vorfeld des G20-Gipfels im März diesen Jahres aneinandergerieten: Die Erzielung von Wirtschaftswachstum ist in Deutschland weit weniger vom Finanzsektor abhängig. Deshalb wird Reregulierung nicht im selben Maße als Gefahr angesehen. Die Unterschiede erklären auch das Abweichen der Verlaufsbahnen der Finanzkrise. Gerade weil es in Deutschland zu keinem neoliberalen Regimewechsel gekommen ist, gibt es immer noch einen öffentlichen Bankensektor. Die Strategien der in ihm angesiedelten Institute haben sich jedoch denen von Privatbanken angeglichen: Auch öffentliche Banken investierten im großen Stil in ›Giftpapiere‹. Im Unterschied zu Großbritannien übersetzte sich die Krise in Deutschland folglich direkt in den Staat. Es erfolgten erhebliche Stützungsleistungen für öffentliche Banken und im Fall der sächsischen Landesbank die Übernahme durch ihr baden-württembergisches Gegenüber. Angesichts der Schwierigkeiten der privaten Bankenholding Hypo Real Estate entschied die Regierung zunächst, sämtliche Spareinlagen zu garantieren, und griff dann zum Mittel der Verstaatlichung. Dank der Teilung des deutschen Bankensektors in einen privaten und einen öffentlichen Bereich ist die Situation also unübersichtlicher als in Großbritannien. Das nutzen Neoliberale insofern, als sie die Finanzkrise auf Staatsversagen zurückführen. Daneben gibt es in Deutschland noch eine weitere ›Einbruchstelle‹ der Krise: das Exportmodell. Der Handelsbilanzüberschuss der Bundesrepublik bedeutet, dass anderswo Handelsbilanzdefizite herrschen. Die Kehrseite der deutschen Exporterlöse ist also, dass andere Länder Waren auf Pump kaufen, und diese Importe nicht durch eigene Wertschöpfung gedeckt sind. Auch in Deutschland geht Wirschaftswachstum auf Verschuldung im großen Stil zurück – auch wenn diese anderswo stattfindet (vgl. Wolf 2008). Während in Großbritannien die ökonomische Krise eine ordnungs- und klassenpolitische Krise ausgelöst hat, ging in Deutschland letztere ersterer voraus. Unter Strich stehen jedoch beide Länder vor dem Problem, dass sich die vorherrschenden ordnungspolitischen Ansätze vor der Wirklichkeit blamiert haben: Über Verschuldung lassen sich Nachfragelücken nicht dauerhaft schließen. Damit erledigen sich auch die entsprechenden klassenpolitischen Strategien: Einschluss über Finanzialisierung erscheint in der jetzigen Situation genauso wenig möglich wie ein Einschluss über wettbewerbskorporatistische Einbindung. In Deutschland tritt die spezifische Schwierigkeit hinzu, dass der Staatsverschuldung auf Grundlage der Verfassung inzwischen Grenzen gesetzt sind. Obwohl die Währungs- und Kreditsfä- higkeitsrisiken derzeit geringer sind als in Großbritannien, ist somit ebenso ein starker Anreiz gegeben, Staatsausgaben zu beschränken. Dies erschwert die Organisation von Zustimmung in Zukunft. In dieser Hinsicht konvergiert die Situation in beiden Ländern: auch in Deutschland schwelt eine umfassende politische bzw. hegemoniale Krise.

DISKURSIVE BEARBEITUNGSVERSUCHE AUF DER POLITISCHEN BÜHNE

Großbritannien: Haarrisse im Offizialdiskurs In Großbritannien herrscht auf der politischen Bühne pragmatischer Aktionismus vor. Im Zentrum der Debatte stehen zumeist technische Details, nicht aber die grundsätzliche Frage, ob die Hinwendung zu einer finanzgetriebenenen Akkumulationsstrategie ein Fehler war. Die Vormachtstellung der Londoner City bleibt hingegen unhinterfragt. Auch die Ausweitung des Marktprinzips, ein Kernbestand neoliberaler Ideologie, wird von führenden politischen Kräften weiterhin angestrebt. Es gibt entsprechend kaum Maßnahmen von Seiten der Regierung, die darauf ausgerichtet wären, eine Alternative zur bisherigen Akkumulationsstrategie zu entwickeln. Berücksichtigt man zudem den Widerstand der Regierung Brown gegen die Regulierung von Hedge-Fonds auf EU-Ebene, relativiert sich die ideologische Bedeutung dessen, dass im Zuge der Krisenbearbeitung immer wieder auf das Instrument der Verstaatlichung zurückgeriffen wurde. So ist Verstaatlichung zwar mit der Vorstellungswelt thatcheristischer ExtremistInnen nicht vereinbar, wohl aber mit der des neoliberalen Mainstreams à la Brown. Dieser betrachtet pragmatische Kehrtwenden als Voraussetzung für den Erhalt der vorherrschenden ordnungspolitischen Linie. Angesichts der Schwäche des britischen Bankensektors deuten sich dennoch Symptome einer politischen Krise an – in Form von ›Haarrissen‹ im Offizialdiskurs. Kritik wird vor allem von Spitzenbürokraten geübt, die unmittelbar mit Finanzmarktrestrukturierung befasst sind. Beispiele sind Mervyn King, Chef der Bank of England, und Adair Turner, Chef der Aufsichtsbehörde Financial Services Authority. King sprach sich für eine institutionelle Trennung zwischen Privatkundengeschäft und Investment-Banking aus, forderte eine umfassende Umstrukturierung des britischen Bankensektors und kritisierte die marktdominierende Stellung von lediglich vier Großbanken (2009, 7). Turner ging noch weiter. Er stellte den gesellschaftlichen Nutzen eines aufgeblähten Finanzsektors insgesamt in Frage (vgl. Inman 2009). Dies zeigt, dass auch Repräsentanten des Machtblocks erhebliche Zweifel an der vorherrschenden Ordnungspolitik haben. Deutschland: Streit um wirtschaftspolitische Strategien In Deutschland gibt es offenen politischen Streit um die Bearbeitung der Krise. Damit offenbart sich, dass sowohl die Führungsrolle im Block an der Macht umstritten ist, als auch, dass es keine klare ordnungspolitische Linie gibt. Es existieren zwei Hauptlager, von denen das eine ordoliberal und das andere wettbewerbskorporatistisch ausgerichtet ist. Das ordoliberale Lager rekrutiert sich vor allem aus VertreterInnen von Union und FDP. Es kritisiert den Niedergang des Prinzips der Haftung im Finanzsektor. Der Staat habe eine regulierende, nicht aber steuernde Rolle innerhalb der Wirtschaft einzunehmen. Im ersten Absatz des Koalitionsvertrags der neuen Regierung finden sich Anklänge an diese Linie: »Die Ordnungspolitik setzt in der Sozialen Marktwirtschaft die Rahmenbedingungen. Deren oberstes Ziel muss sein, dass Bürger und Unternehmen ihre produktiven Kräfte entfalten und ihr Eigentum sichern können.« (CDU/CSU/FDP 2009). Das ordoliberale Lager steht für Kontinuität, weil es jene Kräfte umfasst, die im Bundestagswahlkampf 2005 noch auf ein radikal neoliberales Ticket gesetzt hatten. Dieses Lager steht der finanzkapitalistischen Fraktion im Block an der Macht am nächsten. Im Unterschied zu 2005 tritt es allerdings nicht mehr offen für die Liberalisierung von Finanzmärkten ein. Die wettbewerbskorporatistische Strömung orientiert sich an der industriellen Fraktion im Block an der Macht. Es betont die Lenkungsfunktion staatlicher und korporatistischer Institutionen für die Wirtschaft. Im Namen der Industrie und des ›Volkes‹ wird die vermeintliche Vormachtstellung des Finanzkapitals anprangert. So deklariert Frank-Walter Steinmeier in seinem Programmpapier Die Arbeit von morgen: »Unsere Wirtschaftsleistung im nächsten Jahrzehnt muss weiterhin von dem geprägt sein, was niemand so gut kann wie wir: industrielle Produktion.« Und: »Wir wollen Wirtschaft, Gewerkschaften und Banken an einen Tisch holen, um Deutschlands strategische Erfolgsfaktoren über die Krise hinweg zu bewahren.« Dieses Lager wird auf der politischen Bühne inzwischen durch den Mainstream der SPD vertreten, aber auch durch ›Industriepolitiker‹ im Lager der Union wie z.B. Jürgen Rüttgers. Deutschland unterscheidet sich also von Großbritannien im Hinblick auf die Existenz offener Auseinandersetzungen. Diese sind darauf zurückzuführen, dass der neoliberale Umbau der deutschen Wirtschaftsordnung weniger weit reicht. Die mit fordistischen Strategien verknüpften Institutionen sind ebenso krisenhaft wie diejenigen, die mit Finanzialisierungsstrategien verbunden sind. Insofern haben es beide Lager relativ leicht, auf das Versagen des jeweils anderen zu verweisen.

STRATEGISCHE SCHLUSSFOLGERUNGEN

Großbritannien: Der öffentliche Sektor als Interventionsraum Politische Interventionen von links gestalten sich in Großbritannien schwierig. Dafür gibt es zunächst zwei krisenunabhängige, institutionelle Gründe: Das Mehrheitswahlrecht und die rechtliche Einfassung von Arbeitskämpfen. Das Mehrheitswahlrecht verschließt oppositionellen parteipolitischen Gruppierungen den Zugang zur politischen Bühne. Zugleich zentriert es die Programmatik der Hauptparteien auf eine kleine Gruppe von Wechselwählern. Auf Grund der daraus resultierenden Einhelligkeit politischer Debatten ist es auch für außerparlamentarische Akteure schwer, politischen Druck zu entfalten. Die Kehrseite dieser Konstellation ist eine Krise der Repräsentation, also die Entkopplung großer Teile der Bevölkerung von Parlament und Regierung. Labour regiert derzeit mit absoluter Mehrheit, obwohl die Partei bei den Unterhauswahlen 2005 lediglich 22 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten bekommen hat. Bei Europawahlen 2009 stimmte ein Drittel der Bevölkerung ab, und nur 57,1 Prozent der Stimmen gingen an die drei die politische Bühne dominierenden Parteien. Vor allem die Anbindung der weißen Arbeiterklasse an Labour scheint sich aufzulösen, wie die Erfolge der neofaschistischen British National Party bei Europa- und Kommunalwahlen in ehemaligen Industrieregionen zeigen. Damit deutet sich das Ende der Klassen koalition hinter New Labour an, in die die organisierte Arbeiterklasse wie auch nichtgewerkschaftliche Lohnabhängigenmilieus eingebunden waren. Angesichts dessen stellt sich die Frage nach den Erfolgschancen einer Linkspartei (vgl. Devine/Purdy 2009). Dabei ist Skepsis angebracht. Denn es besteht bereits eine auf kommunaler und europäischer Ebene verankerte grüne Partei, und bereits erfolgte Parteigründungen von Linken sind weitgehend gescheitert. Auch Forderungen nach einer Reform des Wahlsystems (vgl. Sullivan 2009) sind zwar berechtigt, aber wenig Erfolg versprechend, weil die Dominanz der beiden größten Parteien auf ihm beruht. Der zweite institutionelle Hindernis für Interventionen von links ist die Tatsache, dass es den neoliberalen Regierungen der letzten 30 Jahre gelungen ist, ein repressives Arbeitskampfrecht durchzusetzen, das in Westeuropa seinesgleichen sucht. Beispielsweise verfällt der Kündigungsschutz für streikende Arbeiter nach 12 Wochen. Zudem sind Ansprüche auf staatliche Transferleistungen nicht gesichert, wenn Einkommen auf Grund von Streikaktivitäten wegfällt. Die mit legaler Streikaktivität verbundenen Risiken sind also enorm. Die Kampfkraft der britischen Arbeiterklasse ist dadurch erheblich geschwächt. Neben die institutionellen Hindernisse zur Organisation tritt die derzeitige ideologische Schwäche der britischen Arbeiterbewegung. Im Frühjahr diesen Jahres liefen zahlreiche Streiks im Bereich des Baus und der Ölraf- finerien – allerdings unter dem aus dem neofaschistischen Milieu kommenden, dann von Gordon Brown übernommenem Slogan »British Jobs for British Workers«. Diese Arbeitskämpfe fanden die Unterstützung von Boulevardzeitungen und zielten auf die EU-Entsenderichtlinie, die in Großbritannien die Beschäftigung von untertariflich bezahlten EU-Ausländern ermöglicht. Vor diesem Hintergrund scheint der öffentliche Sektor als wichtigster Zielpunkt linker Interventionen. Der Umverteilungsaspekt der Bankenrettungen wird hier für die Bevölkerung spürbar werden: sowohl im Hinblick auf den Wegfall von Stellen als auch hinsichtlich der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Darüber droht der Wegfall von Transferleistungen und der Rückbau von Gesundheitsversorgung und Bildungsinstitutionen. Zudem ist der Organisationsgrad der Gewerkschaften und die Streikbereitschaft im öffentlichen Sektor nach wie vor hoch. Außerdem greifen Spaltungs mechanismen nach der EU-Entsenderichtlinie nicht. Schließlich bietet sich auf diesem Feld auch die Möglichkeit, Kämpfe miteinander zu verknüpfen: Von der möglichen Privatisierung der Royal Mail sind nicht nur die Beschäftigten betroffen, sondern auch die NutzerInnen des Postdiensts. Es käme also darauf an, den Umverteilungsaspekt der Stabilisierungsmaßnahmen zu skandalisieren, Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen zusammenzuführen und zu verhindern, dass Beschäftigte und NutzerInnen öffentlicher Leistungen gegeneinander ausgespielt werden. Das könnte dazu beitragen, eine gesellschaftliche Debatte über den Staat und sein Verhältnis zur Bevölkerung in Gang zu bringen. Dann hätte vielleicht sogar eine Debatte um das Wahlrecht eine Chance. Deutschland: Partei und Bewegung In Deutschland sind die Startbedingungen für linke Interventionen gegen die Krisenabwälzungspolitik und für Alternativen zum Status quo günstiger. Zunächst gibt es auf der politischen Bühne mit der Partei Die Linke eine Kraft, deren politische Identität sich aus der Gegnerschaft zur neoliberalen Ideologie speist. Sie ist offensichtlich erfolgreich darin, die VerliererInnnen der Umstrukturierungsprozesse der letzten Jahre auf ihre Seite zu ziehen. Die Existenz einer parlamentarischen Linken ist für den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Bevölkerung bedeutsam, weil sie Spannungen innerhalb von SPD und Union in Bezug auf Fragen der Klassenpolitik verstärkt. Angesichts der durch Rettungsmaßnahmen gestiegenen Staatsverschuldung und der Schuldenbremse wird es unweigerlich zu Kürzungen der Staatsausgaben kommen. Das wird diejenigen in beiden Parteien auf den Plan rufen, die um Wählerabwanderung nach links besorgt sind. Die Tatsache, dass insbesondere die Union im Wahlkampf eine weniger extreme Position bezogen hat als 2005, dürfte bereits dieser Konstellation geschuldet sein. Insofern bietet sich durchaus die Möglichkeit, die neue Regierung einigermaßen in Schach zu halten. Damit diese Rechnung aufgeht, ist es allerdings erforderlich, dass sich die Linkspartei nicht auf Grund von Machtoptionen in Distanz zu den fraglichen Bevölkerungsteilen setzt. Denn sobald sie einmal mit Sozialabbau in Verbindung gebracht wird, löst sich das Drohszenario für SPD und Union in Luft auf. Dabei offenbart sich eine Spannung, die das Projekt Linkspartei durchzieht: die zwischen Klassen- und (ostdeutscher) Volkspartei. Die Gewerkschaften sind in Deutschland, auch abgesehen von Unterschieden in der Rechtslage, in Bezug auf Abwehrkämpfe in einer günstigeren Position als in Großbritannien. Schließlich können auch sie angesichts von Kürzungsankündigungen mit politischen Destabilisierungsszenarios drohen. Allerdings ist das Agieren schwierig, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Dann verwandeln sich Gewerkschaftsgliederungen auf Grund bestehender korporatistischen Arrangements schnell in Agenturen des Abwicklungsmanagements. Das Beispiel Opel zeigt zudem, dass auch in Deutschland nationalistische Mobilisierungen für Gewerkschaften eine Rolle spielen. Setzen Gewerkschaftsorganisationen auf Wettbewerbkorporatismus und Nationalismus, geben sie die Möglichkeiten aus der Hand, die aus der Instabilität der politischen Bindung der Lohnabhängigen an die Mainstreamparteien erwächst. Ähnliches gilt für andere soziale Bewegungen: Gerade dann, wenn sie sich nicht isolieren und auf Spezialanliegen reduzieren lassen, haben sie eine Chance, Druck auf die Regierung zu entwickeln. Um also eine effektive Abwehrpolitik in Bezug auf die Abwälzung der Kosten der Finanzkrise auf die Bevölkerung betreiben zu können, ist es sowohl für soziale Bewegungen als auch für die Partei die Linke von zentraler Bedeutung, in Bündnissen zu agieren. Kristallisationspunkt könnte, wie in Großbritannien auch, der öffentliche Sektor sein. Bündnisse hätten einen politisierenden Effekt auf die Bewegungen, und würden gleichzeitig die Partei auf die Vertretung subalterner Interessen festlegen. Die gemeinsame Mobilisierung zu den Demonstrationen im Frühjahr diesen Jahres bietet insofern eine wichtige strategische Perspektive.

FAZIT

Der Vergleich der politischen Bearbeitung der Finanzkrise in Deutschland und Großbritannien unterstreicht, wie groß die Herausforderungen sind, vor denen die europäische Linke steht. Die Kampfbedingungen unterscheiden sich erheblich, sodass die auf ihrer Grundlage zu entwickelnden Strategien voneinander abweichen müssen. Damit wird ein strukturelles Organisationsungleichgewicht deutlich: Während die Finanzfraktionen des Kapitals längst in transnationale Netzwerke eingebunden sind, agieren Parteien und soziale Bewegungen immer noch vornehmlich auf nationaler Ebene. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Kampfbedingungen besteht dazu auch keine Alternative. Dennoch sollte das Erfassen von Differenzen der erste Schritt dazu sein, zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen.  

LITERATUR

CDU/CSU/FDP, 2009: Wachstum, Bildung, Zusammenhalt: Koalitionsvertrag, www.cdu.de/doc/pdfc/091024-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf Devine, Pat, und David Purdy, 2009: Feelbad Britain and the Future of the Left, www.redpepper.org.uk/Feelbad-Britainand-the-future-of Gallas, Alex, 2008: Kapitalismus ohne Bourgeoisie: Die ›Gentlemanly Association‹ und der englische Block an der Macht. In: Urs Lindner, Jörg Nowak and Pia Paust-Lassen (Hg.): Philosophieren unter anderen: Beiträge zum Palaver der Menschheit – Frieder Otto Wolf zum 65. Geburtstag, Münster, 263–88 Gowan, Peter, 2009: Crisis in the Heartland: Consequences of the New Wall Street System, in: New Left Review, 5–29 Inman, Phillip, 2009: Finacial Services Authority Chairman backs Tax on ›Socially Useless‹ Banks, in: The Guardian vom 27.8.2009 Jessop, Bob, 2002: The Future of the Capitalist State, Cambridge King, Mervin, 2009: Speech to Scottish Business Organisations, Edinburgh, http://fbkfinanzwirtschaft.files.wordpress. com/2009/10/21406275-mervyn-king-speech-break-upbanks.pdf Morgan, Kenneth O., 1990: The People’s Peace: British History 1945–1989, Oxford OECD, 2009: Harmonised Unemployment Rate, http://stats.oecd.org/index.aspx Steinmeier, Franz-Walter, 2009: Die Arbeit von morgen: Politik für das nächste Jahrzehnt, www.frankwaltersteinmeier. de/_media/pdf/Die_Arbeit_von_Morgen_navi.pdf Stewart, Michael, 1977: The Jekyll & Hyde Years: Politics & Economic Policy since 1964, London Sullivan, Willie, 2009: Too Important to leave to the Politicians, in: Red Pepper, www.redpepper.org.uk/ Too-important-to-leave-to-the Treasury, 2009: Public Sector Finances Statistical Bulletin, 20.10.2009, www.hm-treasury.gov.uk/d/public_finances_databank.xls Wolf, Martin, 2008: Global Imbalances threaten the Survival of Liberal Trade, in: Financial Times vom 3.12.2008