Ein verändertes Bewusstsein
Die jüngste Untersuchung zur industriellen Verarbeitung des Lithiums fasst zusammen, was auf dem Spiel steht: »Bolivien will mit einem Fluch brechen – dem Paradox des Überflusses –, dem nur wenige verarmte Nationen entronnen sind. Die Anstrengung, dem Fluch zu entkommen, ist von solcher Bedeutung, dass sie von der ganzen Welt aufmerksam beobachtet werden.« (Hollender/ Shultz 2010, 7) Die bolivianische Bevölkerung weiß, was auf dem Spiel steht, und es sieht nicht danach aus, dass sie diese Gelegenheit verstreichen lassen wird.
Die Bewegungen, besonders FRUTCAS, überwachen jeden Schritt der Regierung. Sie wissen: Der Druck der multinationalen Konzerne ist enorm und in der Regierung Evo Morales gibt es Tendenzen, sich die Reichtümer des Landes – als »Geschäftspartner« – untereinander aufzuteilen. Das Ziel ist »eine überlegte Ausbeutung der strategischen Ressourcen in der Region und der Aufbau einer chemischen und Bergbauindustrie auf nationaler Ebene. Die industrielle Verwertung der Salzvorkommen hat letztlich dem Wohle des Landes und der Bevölkerung zu dienen und die nationale Souveränität zu garantieren« (Petro Press 13, 21). Es gibt Bestrebungen, den Salar de Uyuni zu parzellieren und so die Vergabe von Abbaurechten an private Unternehmen zu erleichtern. Die Rechte versucht gezielt, die Bevölkerung von Potosí zu spalten. Die in FRUTCAS organisierten Bewegungen haben daher verkündet, dass der Salzsee »von allen Gemeinden des südlichen Altiplano bewacht wird«.
Was damit gemeint ist, hat sich in der Mine bei San Cristóbal, 90 Kilometer entfernt von Uyuni, gezeigt. Sie ist im Besitz des japanischen Konzerns Sumitodo, einem der weltweit größten Förderer von Zink, Blei und Gold. Es werden dort täglich 48 000 Tonnen Gestein verarbeitet und daraus 1 600 Tonnen angereichertes Erz gewonnen. Die Firma weist einen jährlichen Gewinn von einer Milliarde US-Dollar aus, zahlt aber nur 35 Millionen US-Dollar an Steuern. Die Summe deckt nicht einmal die Kosten für das verbrauchte Wasser in der Wüstenregion. Mitte April 2010 organisieren Gemeindemitglieder aus der Region eine Lkw-Blockade und sperren die Schienenwege nach San Cristóbal. Sie fordern ein Elektrifizierungsprojekt, die Installierung von Telekommunikationsantennen und verlangen, dass der Sitz der gerade erst gegründeten Staatsfirma EBRE (Empresa Boliviana de Recursos Evaporíticos) in Rio Grande eingerichtet wird. Von Sumitodo fordern sie zudem eine Abgabe auf die entnommenen 50 000 Kubikmeter Wasser. In der Nacht des 16. April besetzen sie die Bürogebäude des japanischen Unternehmens, stecken sie in Brand und drohen damit, 80 Container mit angereichertem Erz zu zerstören, die zum Export bereitstehen.
In Potosí stehen sich nicht nur lokale Gemeinden und transnationale Bergbauunternehmen gegenüber. Die Regierung unterzeichnete am 10. März 2010 das Dekret zur Gründung der EBRE und siedelte die Firma in La Paz an – und nicht, wie es die Verfassung vorsieht, in Potosí. Das gegen die Zentralregierung eingestellte Bürgerkomitee von Potosí (COMCIPO) und Angehörige der Universität Tomás Frías fordern, vom Lithium dürfe nur das Departement Potosí profitieren. Kurz vor den Kommunalwahlen erklärt die Regierung das umstrittene Dekret für ungültig. Das »Schlimme ist, dass diese Oppositionellen unter diesen Umständen zur Privatisierung des aktuellen staatlichen Projekts beitragen, wie auch zur Forderung, die reserva fiscal aufzuheben, die die exklusive Nutzung durch den Staat garantiert«.5 In Reaktion darauf schlägt FRUTCAS im April 2010 die Schaffung eines »Rates der Sozialen Kontrolle« vor, in dem Repräsentanten der Basisorganisationen der Region vertreten sein sollen. Die Regierung erlässt unterdessen ein Gesetz, durch das die Rechte der indigenen Völker beschnitten werden, vor dem Abbau natürlicher Ressourcen in ihren Territorien vom Staat befragt und informiert zu werden, einschränkt. Alles deutet darauf hin, dass die Schlacht um das Lithium noch lange andauert.
Aus dem Spanischen von Stefan Thimmel