Der 20. Jahrestag der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung ist Anlass, wie schon bei »Rio+5« in New York und »Rio+10« in Johannesburg über Erfolge und Misserfolge zu beraten. Jenseits der diplomatischen Kreise und wissenschaftlichen wie publizistischen Optimisten wurde der »Rio-Typus von Politik« schon lange kritisiert, weil damit die vielfältigen Konflikte um die Aneignung der Natur und die politische Ökonomie von Umwelt- und Ressourcenpolitik in Form eines tief verankerten industriell-fossilistischen Kapitalismus unterschlagen werden. Politik diesen Typus basiert darauf, dass die unterschiedlichen »nationalen Interessen« heterogener Bevölkerungen homogenisiert werden könnten, um sodann von Regierungen reprä- sentiert und durch harte Verhandlungen mit »Menschheitsinteressen« kompatibel gemacht zu werden. Da gesellschaftlich breit verankerte Orientierungen an Wirtschaftswachstum, Automobilität oder Fleischkonsum hegemonial bleiben, schottet sich dieser Politiktypus gegen mannigfaltige alternative Anliegen, Erfahrungen und Interessen ab. Die Problemdeutungen (»Menschheitsprobleme« wie Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, Armut) und die davon ausgehenden Politiken sind einer westlich-rationalistischen, naturwissenschaftlichen und männlich-bürokratischen Perspektive verhaftet. Wenn es dennoch wie etwa in der Biodiversitätskonvention zur Anerkennung des Wissens lokaler Bevölkerung und indigener Gemeinschaften kam, war dieses Wissen nie relevant für die politischen Prozesse.

Die neoliberale Globalisierung bedeutete nicht nur eine Schwächung von Staaten in sozial- und umweltpolitischen Fragen, sondern eine Intensivierung der ökonomischen und imperialen Konkurrenz, welche die kooperative Bearbeitung von Umweltfragen in den Schatten stellte. In den Post-Rio-Prozessen spielte die Auseinandersetzung mit diesen wirkungsmächtigen Prozessen der neoliberalen Globalisierung, die sich politisch-institutionell in der Gründung der WTO 1995 äußerten, keine Rolle. Ganz im Gegenteil: Der diplomatische Optimismus wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2002 zur »Rio+10«-Konferenz in Johannesburg auf die Spitze getrieben: »Wir müssen die Globalisierung für nachhaltige Entwicklung nutzen.« Derlei Formen des globalen Umweltarrangements kommen an die imperiale Produktions- und Lebensweise des fossilistischen Kapitalismus nicht heran. Es sind letztlich die miteinander konkurrierenden privat-kapitalistischen Unternehmen, welche die Produktions- und damit Konsumnormen setzen. Die Orientierung an grünen Lebensstilen und Leitbildern wie etwa attraktiver Mobilität oder Ernährung greift zu kurz.

Diese Strukturblindheit des Rio-Prozesses ist eine Konstante. Ab 2000 führt der Aufstieg der »Schwellenländer« den Modus von Einsicht und Kooperation vollends ad absurdum. Die internationalen umweltpolitischen Institutionen sind zu Terrains geworden, auf denen geopolitische und geoökonomische Konflikte ausgetragen werden (Wissen 2010). Die Versprechen auf globales Umweltmanagement verlieren an Überzeugungskraft. Die indische Regierung etwa pocht auf ihre Verschmutzungsrechte in Sachen CO2-Emissionen, die sich auf ein Recht auf »Entwicklung und Wachstum« gründen. Die EU verschärft ihre Ressourcenpolitik, damit die stofflichen Grundlagen des europäischen Industriekapitals gesichert bleiben. Vorrangig gehe es um Umwelt- und Ressourcenschonung in jenen (ökonomisch weniger entwickelten) Ländern und Regionen, in denen der »Grenznutzen« höher sei. Dass die Senkung der CO2-Emissionen hier vor allem dadurch erreicht wird, dass schmutzige Produktion profitabel in andere Länder verlagert wird, wird ausgeblendet. Die vermeintliche Zauberformel von »Effizienzrevolution« und »technologischer Innovation« hat bisher nicht ausgereicht, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Mit dem Ausstieg Kanadas aus dem KyotoProtokoll ist deutlich geworden, dass der »Rio-Typus von Politik« gescheitert ist.

Nur eine Show?

Ob »Rio 2012« mehr als eine Show der vor politischem und wirtschaftlichem Selbstbewusstsein strotzenden brasilianischen Regierung werden wird, muss sich zeigen. Die Delegationen und wahrscheinlich einige Staatschefs treffen sich nur drei Tage, das ist in der Welt der Diplomatie ein Zeichen für geringen Stellenwert. Unwahrscheinlich, dass Debatten über das Scheitern des Rio-Prozesses bzw. über Alternativen geführt werden, z.B. über eine sozial-ökologische Reform der internationalen Institutionen. Umweltpolitik im Sinne einer drastischen Senkung des Ressourcenverbrauchs wird ein »schwaches« Politikfeld bleiben, solange bürgerlich-kapitalistische Umgangsweisen mit Natur auf deren Beherrschung und Inwertsetzung zielen. Ressourcenpolitik ist Wirtschafts-, Außen- und zunehmend Finanzpolitik. Das macht Politiken gegen steigende Emissionen und Klimawandel oder gegen die Erosion der biologischen Vielfalt nicht unmöglich, aber sie finden im Schatten mächtigerer Politiken und Interessen statt, die von wachsenden Konkurrenzen um Ressourcen und Verschmutzungsrechte auf dem Weltmarkt geleitet sind. Aus Sicht des politischen und wissenschaftlichen Establishments sind die institutionellen Fragmentierungen ein Hauptproblem unzureichender Umweltpolitik. Seit Jahren wird daher diskutiert, ob die vielfältigen Umweltinstitutionen in einer »Weltumweltorganisation« zusammengefasst werden sollten, die mehr Durchsetzungsfähigkeit entfalten kann.

Zwei Entwicklungen könnten Rio 2012 dennoch Bedeutung verleihen: das Scheitern des Kyoto-Protokolls und die Dynamik, mit der die Strategie einer grünen Ökonomie gefördert wird.

Wird also nach dem bisherigen Scheitern noch stärker auf technologische Innovationen als Treiber kapitalistischer Konkurrenz gesetzt? Könnten regionale Kooperationen eine stärkere Rolle spielen? Oder wird ein öko-autoritärer Diskurs gestärkt, in dem innergesellschaftlich Verzicht (der Massen) und international offene Gewalt salonfähig werden? Falls die Zersetzung des Kyoto-Protokolls als zentralem Baustein der Klimarahmenkonvention weitergeht, dürfte in Rio um eine – zumindest symbolische – Neuorientierung gerungen werden, bei der diese Optionen eine Rolle spielen werden.

Versprechen "grüne Ökonomie"

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP startete im Jahr 2009 eine Green Economy Initiative, an die inzwischen zahlreiche Akteure anknüpfen: OECD, ILO, Weltbank, viele nationale Regierungen, Think Tanks, Stiftungen und einige grüne und sozialdemokratische Parteien. Es sollen politische Rahmenbedingungen für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft und die Schaffung »grüner« Jobs gesetzt werden. Diese sollen durch Einpreisung der Kosten ökologischer Schäden »Marktversagen« korrigieren. Ökologische Steuerreformen sollen vorangetrieben, strategische Investitionen und nachhaltige Infrastrukturen gefördert werden. Um die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen, werden auch begrenzte Verteilungs- und Sozialpolitiken aufgerufen.

Der Begriff der Grünen Ökonomie ist ein relativ offener Container-Begriff, der vielfältige Perspektiven und Strategien zulässt (vgl. Brunnengräber/Haas 2011). Grüne Ökonomie ist ein Versprechen, eine orientierende große Erzählung, um in Zeiten der (multiplen) Krise produktive Lösungen anzubieten, das Wirtschaftswachstum – »grün« ausgerichtet – wieder anzukurbeln und Verteilungsspielräume zu erweitern (Candeias/Kuhn 2008).

Die ökonomistische Semantik der Grünen Ökonomie löst die – im Begriff der Nachhaltigkeit noch enthaltene – Spannung zwischen »Ökologie« und »Ökonomie« auf. UNO-Chef Ban Ki-Moon z.B. behauptet, es handle sich um einen »Mythos, dass Wirtschaft und Umwelt Gegensätze« sind. Ideologiekritisch betrachtet ist das Unsinn. Hinter der Verheißung verbirgt sich jedoch eine reale Dynamik: Die Produktivkräfte sind weiter entwickelt als zu Beginn der 1990er Jahre. Zugleich macht die Aussicht auf lukrative Investitionsmöglichkeiten in Zeiten der »große Krise« Anlegern Hoffnung. Wirtschaftspolitische Strategien einer Grünen Ökonomie erhalten damit eine neue materielle Grundlage, besonders bei Energieerzeugung und -verwendung, bei Antriebsmotoren oder auch der Effizienzsteigerung durch intelligente Informatisierung der Produktion, des Verkehrs.

Wirkungsmacht - auf dem Weg in einen grünen Kapitalismus

Die Akzeptanz, welcher eine Politik der grü- nen Ökonomie bei den globalen Eliten bedarf, kann durch die Rio+20-Konferenz verstärkt werden. Großprojekte wie Desertec oder Offshore-Windkraft werden damit in einen globalen Kontext gestellt, umstrittene Projekte wie Geo-Engineering oder CO2-Abscheidung und Speicherung als Beitrag zu Nachhaltigkeit und Grüner Ökonomie gerechtfertigt. Damit könnte die Strategie einer Grünen Ökonomie Wirksamkeit entfalten, obwohl sie – wie schon die Strategie »nachhaltiger Entwicklung« – am eigenen Anspruch eines grundlegenden Umbaus scheitern muss. De facto läuft die Strategie auf die Herausbildung eines grünen Kapitalismus hinaus. Ein solcher würde eine neue Periode der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse einleiten, ohne die ökologische Degradation zu stoppen. Er wird, wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse unter Bedingungen der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise, selektiv sein, vielen Menschen zu mehr Einkommen und einem höheren Lebensstandard verhelfen, andere Menschen und Regionen ausschließen oder gar ihre Lebensgrundlagen zerstören. Die »oligarchische« oder »imperiale« Lebensweise in den Ländern des »globalen Nordens« wird sich zwar ausweiten, sie ist aber nicht verallgemeinerbar. Auch innerhalb der wohlhabenden Gesellschaften finden weiterhin Ausschlüsse statt, die in den Strategien der grünen Ökonomie kaum erwähnt werden (Wichterich 2011).

Bleibt unter solchen Bedingungen realpolitisch nur übrig, grüne Kapitalfraktionen zu stärken und sich ihren zweifelhaften Steuerungsoptimismus zu eigen zu machen? Welche Veränderungen können so initiiert werden? Gesellschaftliche Veränderungen reduzieren sich nicht auf die vermeintlich richtigen politischen Rahmenbedingungen, und Politik kann nicht voluntaristisch gegen herrschende Interessen und tief verankerte Produktions- und Lebensweisen vorgehen. Grundlegende Alternativen entstehen aus praktischer Kritik an den Verhältnissen und konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraus, die sich keineswegs auf eine Art Grüne Ökonomie reduzieren lassen. Und sie entwickeln sich politisch häufig von den Rändern her – das behagt einer aufgeklärten Management-Perspektive nicht. In Ländern wie Deutschland oder Österreich könnten sich mittelfristig grün-kapitalistische Entwicklungsmodelle durchsetzen, wenn sich unterschiedliche Kräfte um dieses Projekt gruppieren. Auch in den USA und China deuten staatliche Krisenpolitiken darauf hin, dass Interessen an ökologischer Modernisierung wichtiger werden. In Großbritannien wiederum ist eine Diskussion um eine grüne Ökonomie eng mit dem Finanzsektor und der Frage von Finanzdienstleistungen – etwa im Bereich des Emissionshandels – verbunden. Noch sind diese Akteursgruppen im kapitalistischen Kräftefeld in aller Regel subaltern, fragmentiert und widersprüchlich. Sie sind kein hegemonialer Block, aber sie sind politikfähig, weithin legitim und imstande, sich in Teilbereichen durchzusetzen und dort Übergangsprozesse nicht nur zu initiieren, sondern auch zu kontrollieren. Sie können auch – wie etwa die energiepolitische Auseinandersetzung in den USA zeigt – dem fossilistischen Block Öffnungen zu einem Politikwechsel aufzwingen, ohne ihn aber dominieren zu können. Diese Strategien und die sie tragenden Kräftekonstellationen könnten »Staat werden«, wenn sie Kräfteverhältnisse verdichten helfen und sie unter Führung von bestimmten ökonomischen und politischen Machtgruppen ein solches Projekt vorantreiben und staatlich absichern. Inwiefern das »Rio+20«-Treffen ein Kristallisationspunkt für die Verallgemeinerung einer solchen orientierenden Erzählung wird, ist angesichts von Krise und Konflikten offen.