Kaum eine Minute in unserem Leben vergeht, in der wir nicht wie selbstverständlich auf sie zurückgreifen: beim Griff zum Lichtschalter, der warmen Dusche, dem Anschalten des Computers, dem Kochen einer Mahlzeit etc. Die Bedeutung von Energie in unserem Alltag ist so groß, dass wir nicht entscheiden können, ob wir Energie verbrauchen wollen, sondern bestenfalls, woraus die Energie gewonnen wird und von wem wir sie kaufen.

Ohne Energie stünden auch die Apparate der Unternehmen still. Der fossilistische Kapitalismus führte zur Entwicklung mächtiger Konzernstrukturen, zu einer räumlichen Konzentration und zu einer zeitlichen Beschleunigung der Produktion, die nur möglich waren mithilfe der ort- und zeitunabhängig verwendbaren fossilen Energieträger (Altvater 2005, 72ff). Die Folge dieser Entwicklung ist die industriell verursachte Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse, ständig intensiviert durch Prozesse von Inwertsetzung und Privatisierung ehemals öffentlicher, vor allem kommunaler Güter. Werden Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge der demokratischen Kontrolle entzogen, sind sie nicht mehr unabhängig vom Einkommen zugänglich. Die sozialen Folgen einer privatisierten kommunalen Energieproduktion können als »Energiearmut« bezeichnet werden: Jährlich werden 800 000 Haushalte vom Stromnetz abgeklemmt 1, weil die Rechnungen nicht bezahlt werden. Viele Familien verschulden sich aufgrund der hohen Energiekosten; hohe Grundgebühren und Beschaffungspreise von energieeffizienten Geräten führen dazu, dass für einkommensschwache Haushalte die Energiepreise proportional zum Haushaltseinkommen weit mehr gestiegen sind. Erhebliche Einschnitte an Lebensqualität und eine Prekarisierung der Verhältnisse einkommensschwacher Personen sind die Folge. Natürlich sind steigende Strompreise auch eine Folge der Investitionen in erneuerbare Energien, allerdings nicht nur: Preisfestlegungen innerhalb der Monopolstruktur der »Großen Vier« und steigende Rohstoffpreise tragen ihren Teil dazu bei.

Erhöhte Produktionskosten von Energie müssen nicht dazu führen, dass der Zugang zu Energie verwehrt wird. Auch die Umlegung von Kosten ist eine politische Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Eine ökologische wie sozial gerechte Bearbeitung der steigenden Energiekosten kann auch in Energiesparmaßnahmen liegen – doch an einer drastischen quantitativen Senkung der Energiekonsumption haben die Privateigentümer der Energieproduktion kein Interesse. Im Gegenteil, aus steuerlichen Gründen sowie zur Gewährleistung von Reservekapazitäten, die nur für Großkraftwerke notwendig sind, haben Großkonzerne ein Interesse an der Produktion von Überkapazitäten.Der Umstellung auf erneuerbare Energien stimmen sie nur zu, solange die Umstellung nicht zu Ungunsten von bereits bestehenden Großkraftwerken geschieht. Eine sozial-verträgliche Verantwortungsübernahme für die globalen Folgen des fossilen Zeitalters ist nur möglich, wenn die Energieproduktion, -verteilung und -konsumption wieder der öffentlichen Kontrolle unterstellt wird. Nur dann kann Energie sowohl für alle zugänglich als auch bezahlbar sein. Die Frage der Energiewende ist eine Frage der Macht, da sie eine Frage der Eigentumsform ist.

Die Einleitung dieses Transformationsprozesses erfordert Bewegung und Politik auf der lokalen Ebene. Stadtwerke, aber auch Kooperativen und Genossenschaften werden daher eine zentrale Rolle im zukünftigen Energiesystem spielen (müssen). Vielerorts entstehen Kampagnen, die für die Rekommunalisierung der Energie und die Gründung neuer Stadtwerke kämpfen. Viele kleinere und mittlere Beispiele für eine kommunale Energiewende gibt es bereits – von den Stromrebellen in Schönau, über das 100-Prozent-Erneuerbare-Energie-Dorf Jühnde oder den Ausstieg von Stadtwerken aus Kohlekraftwerksprojekten in Brunsbüttel. Beim Berliner Energietisch geht es, wie bei der Hamburger Kampagne »Unser Hamburg – Unser Netz« um eine neue Größenordnung: sozial-ökologische Energieproduktion für fast 3,5 Millionen Menschen. Der Berliner Energietisch ist eine Plattform aus Nichtregierungsorganisationen, Umweltverbänden und antikapitalistischen Gruppen für die Rekommunalisierung der Stromnetze und die Gründung eines Stadtwerks. Die Konzessionsverträge über die Berliner Stromnetze mit Vattenfall laufen aus; das öffnet ein Fenster für die Wiederaneignung kommunaler Infrastruktur. Ziel der Initiative ist ein Volksentscheid über einen Gesetzesentwurf zur Gründung einer Netzgesellschaft und eines Stadtwerkes in Berlin. Dabei geht es auch um die Stärkung basisdemokratischer Demokratie: Der Verwaltungsrat soll sich mehrheitlich aus Vertretern der Beschäftigten und direkt von der Bevölkerung gewählten Mitgliedern (13 von 15) zusammensetzen. Der Verwaltungsrat bestimmt u.a. die täglichen Leitlinien der Geschäftspolitik und benennt die Geschäftsführer. Auf jährlich stattfindenden Versammlungen auf der Ebene der Berliner Bezirke kommen die KundInnen des Stadtwerks und andere Interessierte zusammen und werden von einem Mitglied aus dem Verwaltungsrat über vergangene und zukünftige wichtige Entscheidungen des Energie Stadtwerks informiert. Die Versammlungen sind nicht nur ein Ort, an dem der Verwaltungsrat direkte Rechenschaft ablegen muss; hier können sich Initiativen gründen, um eine Entscheidung des Verwaltungsrats zu blockieren bzw. Vorschläge zu erarbeiten, mit denen sich der Verwaltungsrat befassen soll. Dies bedeutet nicht, dass die Bevölkerung alleinige Entscheidungsinstanz bei Fragen der Energieversorgung ist. Doch es wird ein kollektiver und öffentlicher Raum geschaffen, in dem Fragen der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung verhandelt werden. Durch diese Verschiebung vom Privaten zum Öffentlichen, vom Individuellen zum Politischen bilden diese Versammlungen eine entscheidende Voraussetzung für Energiedemokratie.

Aber Demokratie ist auch eine Frage von Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit. Das Berliner Energie Stadtwerk wird daher allen Berlinern einen möglichst kostengünstigen Zugang zu Energie ermöglichen und dafür Sorge tragen, dass es unmöglich ist, den Strom abzuklemmen. Einer Verschwendung von Energie soll durch nach Verbrauch gestaffelte Preise entgegengewirkt und so der Energieverbrauch reduziert werden. Nicht zuletzt in ökologischen Fragen kann das Berliner Stadtwerk einen Meilenstein darstellen. Woraus soll Energie für Berlin gewonnen werden, woher stammt diese und wie wird sie erzeugt? Um den Klimawandel nicht weiter anzuheizen und unserer Verantwortung Rechnung zu tragen, soll die Berliner Energieversorgung schnellstmöglich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern stammen und dezentral und lokal gewonnen werden. Dazu gehört, dass die Energieversorgung Berlins nicht aus Ländern des globalen Südens gespeist werden darf. Andernfalls droht eine Rekolonialisierung, z.B. wenn Rohstoffe eher exportiert werden, anstatt sie für das Wohl der lokalen Bevölkerung zu nutzen. Vattenfall, der Hauptenergieerzeuger für Berlin, praktiziert das anders. Sein ohnehin magerer Anteil an erneuerbaren Energien stammt u.a. aus Holzhackschnitzeln aus Liberia. Das Holz wird gewinnorientiert nach Deutschland exportiert, anstatt die lokale Bevölkerung zu versorgen, und immer mehr Menschen werden in Nutzungskonflikten von ihrem Land vertrieben.4

Auch das Berliner Energie Stadtwerk wäre eingebunden in die kapitalistische Wirtschaft und muss daher Gewinne machen. Diese Gewinne sollten ausschließlich für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien, Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen und eine soziale Ausgestaltung der Energieversorgung (z.B. kostenfreie Grundversorgung und mit dem Energieverbrauch progressiv ansteigende Energiepreise) genutzt werden. Wir schaffen somit die Voraussetzung dafür, dass die Wirtschaft dem guten Leben aller dient und nicht den Profitinteressen von Konzernen wie Vattenfall.

Diese Maßnahmen sind keine Beseitigung des kapitalistisch Organisierten. Insbesondere ändert sich wenig am warenförmig organisierten Zugang zu Energie, und das Stadtwerk wird auch weiterhin in kapitalistischer Konkurrenz zu anderen Anbietern stehen. Dennoch können sie im Sinne eines »radikalen Reformismus« Schritte hin zu einer emanzipatorischen und sozial-ökologisch gerechten Gesellschaftsordnung sein.

Die Einbeziehung von und der Austausch mit den ProduzentInnen der Energie wird wohl erst in Zukunft eine Rolle spielen können. Durch die Forderung, dass Energie regional und dezentral erzeugt werden soll, lassen sie sich nicht beliebig erweitern. Es wird sich also die Frage stellen, wofür der erzeugte Strom und die Wärme genutzt werden sollen.

Das Berliner Beispiel zeigt, dass Forderungen nach und Kämpfe für eine Rekommunalisierung der Energieproduktion auch Anknüpfungspunkte für linke Debatten und Kämpfe um commons, Vergesellschaftung und »soziale Infrastruktur« bieten. Diese Ansätze betonen die Notwendigkeit von Selbstverwaltung und kollektiven Entscheidungsprozessen bei der Verteilung dieser Güter als Voraussetzung für deren sozial und ökologisch gerechte Nutzung, eine Transformation des öffentlichen Raumes sowie der Veränderung des Charakters des Gutes an sich.

Verbindendes Element der Kämpfe ist, dass sie sich um Güter drehen, die so zentral für den individuellen und gesellschaftlichen Erhalt sind, dass sie nicht in Warenform, sondern als Grundgut zur Verfügung gestellt werden müssen. Ebenso lassen sie sich als Kampf um die Wiederaneignung und Transformation des öffentlichen Raumes verstehen, der seit Einzug des Neoliberalismus enteignet wurde: »Reclaim the State!« (Wainwright 2009 u. 2011).

Auf der anderen Seite gibt es Initiativen für die Rekommunalisierung der Energieversorgung, es entstehen Energiegenossenschaften oder Gemeinden, die energiesubsistent produzieren, die oftmals keine radikal andere Gesellschaft wünschen, wie sie in den Kämpfen und Bewegungen zu commons und Vergesellschaftung angedacht wird. Dennoch zeigen sich hier Unzufriedenheit, Vertrauensverluste in die Energiepolitik der Herrschenden und der Versuch, dieser alternative Modelle entgegenzustellen. Eine revolutionäre Realpolitik muss beide verbinden können.

1 www.vzbv.de/mediapics/eckpunktepapier_energiearmut_14_04_2008.pdf.

2 Vgl. Antrag der Gruppe PDS zur Neuordnung und Demokratisierung der Elektrizitätswirtschaft vom September 1997, dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/085/1308553. asc (unter Begründung Punkt 7).

3 Die vorgestellten Maßnahmen und ihre Bewertung bilden nicht die Meinung aller im Energietisch vertretenen Gruppen gleichermaßen ab. 

4 power-shift.de/wordpress/wp-content/uploads/ 2011/07/HOLZ-aus-AFRIKA_2.AuflageWeb050911.pdf

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