Das Konzept der „imperialen Lebensweise“ besagt, dass „die allermeisten Menschen hierzulande auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben, so Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem Beitrag (LuXemburg 1/2018). Dies gelte trotz der großen „Unterschiede, die vor allem vom Einkommen abhängen“. Wie begründen die Autoren ihre These? In ihrem Buch führen sie aus, dass die imperiale Lebensweise ihrem Wesen nach „die Möglichkeit eines überproportionalen Zugriffs auf Natur und Arbeitskraft“, d.h. auf ein „Außen“ im globalen Maßstab beinhalte, was wiederum voraussetze, „dass andere auf ihren proportionalen Anteil verzichten“ (Brand/Wissen 2017, 14). Aber warum können sich die einen überproportional die Produkte der Arbeit anderer aneignen und überdurchschnittlich viele natürliche Ressourcen verbrauchen? Welche Mechanismen gewährleisten dies? Diese Fragen sind nicht unbedingt neu; aber in dem Buch von Brand und Wissen findet man weder eine systematische Auseinandersetzung mit früheren Versuchen, sie zu beantworten, d.h. mit den verschiedenen Wellen der Diskussion über den Imperialismus, noch befriedigende neue Antworten. Innovativ ist sicherlich der Versuch, ökologische und soziale Gesichtspunkte in einer Theorie des globalen Kapitalismus zu verbinden. Zu begrüßen ist auch der Versuch, die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise durch eine Kritik der Konsumnormen und der Lebensweise zu erweitern, die Analyse des Alltagslebens und der Subjektivierung in eine Theorie des globalen Kapitalismus einzubeziehen. Ich sehe aber in der Konzeption der imperialen Lebensweise drei systematische theoretische Probleme, die auch gravierende strategische Implikationen haben.

Imperiale Lebensweise oder klassenspezifische Lebensweisen?

Das Konzept lenkt von der Analyse der Klassenverhältnisse in den einzelnen Gesellschaftsformationen ab, weil es unterstellt, dass es mindestens seit dem Fordismus eine gemeinsame, klassenübergreifende Lebensweise in den kapitalistischen Zentren gäbe. Will man aber die Dynamik des Zusammenspiels von Produktivkraftentwicklung und Klassenkämpfen in den einzelnen Gesellschaftsformationen und seine Auswirkungen auf die internationale ungleiche Entwicklung begreifen, so ist es gerade notwendig, die Klassen in ihrem Verhältnis zueinander zu untersuchen. Meines Erachtens ist es empirisch nicht plausibel, von einer gemeinsamen Lebensweise bzw. einheitlichen Konsumnormen auszugehen. Ein Manko des Buches von Brand und Wissen ist, dass letztlich unklar bleibt, was die imperiale Lebensweise – jenseits des überdurchschnittlichen Zugriffs auf Ressourcen und Senken – konkret ausmacht. In Diskussionen werden immer wieder Konsummuster wie hoher Fleischverbrauch, Flugreisen oder die Nutzung von Automobilen als aus ökologischen Gründen nicht verallgemeinerbare Merkmale einer imperialen Lebensweise diskutiert. Allerdings wollen Brand und Wissen das Konzept gerade nicht auf derlei Aspekte reduzieren. Sie selbst widmen ein ganzes Kapitel ihres Buches der „imperialen Automobilität“ und dabei insbesondere der Bedeutung von SUVs. Das Fahren von SUVs wird treffend als ökologisch und sozial zerstörerischer Statuskonsum kritisiert. Aber es sind eben nur bestimmte soziale Gruppen mit entsprechend hohen Einkommen, die sich SUVs leisten können. In Berlin hat beispielsweise jeder zweite Haushalt gar kein Auto, viele davon sicherlich aus finanziellen Gründen. Mehr als 13 Mio. Menschen über 14 Jahre leben in Deutschland in Haushalten, in denen es kein Auto gibt. 2016 gab es 53,4 Mio. Urlaubsreisende in Deutschland, d.h. mindestens 28 Mio. Menschen haben keinerlei Urlaubsreisen unternommen, weder Flugreisen noch irgendwelche anderen Reisen, weder im Inland noch im Ausland. Insofern stellt sich die Frage, ob man empirisch überhaupt von einer klassenübergreifenden, gemeinsamen „imperialen“ Lebensweise ausgehen kann.

Wichtiger als solche empirischen Einwände ist jedoch der theoretische Gesichtspunkt, dass die Dynamik der Gesellschaften in ihrem Verhältnis zueinander nur durch die Analyse der inneren Klassenverhältnisse begriffen werden kann. Instruktiv ist hier ein Vergleich zwischen dem Konzept der imperialen Lebensweise und dem Begriff der Lebensweise, wie er in Michel Agliettas Theorie kapitalistischer Regulation entwickelt wurde (Aglietta 1979). In letzterer geht es nicht um eine klassenübergreifende Lebensweise, sondern um die Lebensweise der Lohnabhängigen, um die Formierung der Konsumnorm der Lohnabhängigen. Für die Bestimmung von Akkumulationsregimes und Entwicklungsweisen des Kapitalismus, für die Analyse der Position von Gesellschaftsformationen in der internationalen Arbeitsteilung, für die Analyse konkreter Situationen und die darauf beruhende Entwicklung von politischen Strategien ist es von Bedeutung, in welchem Verhältnis die Konsumnormen und Lebensweisen der verschiedenen sozialen Klassen zueinander stehen. Die Existenz einer klassenübergreifenden gemeinsamen Lebensweise kann dabei allenfalls als ein theoretischer Spezialfall gelten. Erst wenn die klassenspezifischen Lebensweisen und ihre Unterschiede in den Blick genommen werden, können auch eine ökologische Klassenpolitik oder transnationale Klassenbündnisse von „unten“ konzipiert werden. Erst dann wird deutlich, wer z.B. besonders auf öffentliche Verkehrsmittel oder auf Naherholungsgebiete angewiesen ist und wer insofern am ehesten als Träger einer auf sie orientierten Politik in Frage kommt.

Politisierung des Konsums oder Politisierung der Produktion?

Ein weiteres Problem, das dem Konzept der imperialen Lebensweise innewohnt, betrifft das Verhältnis von Produktionsweise und Lebensweise bzw. von Produktion und Konsumtion. Das Konzept der imperialen Lebensweise erscheint bei Brand und Wissen allumfassend. Sie begreifen die Produktionsweise als Teil der Lebensweise und ordnen sie dieser somit unter (vgl. Brand/Wissen 2017, 13). Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich ihr Verständnis von Produktionsweise und Lebensweise von den entsprechenden Begriffen etwa in Agliettas Theorie kapitalistischer Regulation. Für Aglietta bestimmen die Transformationen des Arbeitsprozesses einerseits und die Transformationen der Lebensweise der Lohnempfänger andererseits das Akkumulationsregime. Die Lebensweise ist bei ihm ein wesentlich enger gefasster Begriff. Wo Brand und Wissen konkreter werden, konzentrieren sie sich zumeist auf die Konsumtion. So diskutieren sie etwa die Handlungsspielräume der Subjekte nicht in Bezug auf ihre Stellung in der Produktion, sondern primär in Bezug auf ihre Einkommen und die dadurch ermöglichten Konsumentscheidungen. Charakteristisch ist die folgende Passage: „Während sich die einen“ dem Zwang zur imperialen Lebensweise „punktuell auch entziehen können, indem sie etwa regionale und saisonale Lebensmittel kaufen, verfügen andere nur über eine geringe Handlungsfähigkeit […]. Wer über ein niedriges Einkommen und Vermögen verfügt oder von der Arbeitslosenversicherung oder Sozialtransfers lebt, kann am gesellschaftlichen Wohlstand nur in dem Maße partizipieren, wie er oder sie – etwa beim Kauf eines T-Shirts oder von preiswerten Lebensmitteln – von den schlechten Arbeitsbedingungen und der Ausbeutung von Natur andernorts profitiert“ (Brand/Wissen 2017, 55).

Diese Thesen sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens wird nahegelegt, die Subjekte könnten sich umso eher der imperialen Lebensweise entziehen, je höher ihr Einkommen ist. De facto ist aber beispielsweise der ökologische Fußabdruck umso größer, je höher das Einkommen ist, während es dabei kaum ins Gewicht fällt, ob die Subjekte ein kritisches, soziales und ökologisches Bewusstsein haben oder nicht. Zweitens wird die Aufmerksamkeit der Leser*innen auf die Sphäre des individuellen Konsums gerichtet, während sie von der Sphäre der Produktion abgelenkt wird. Die individuelle Konsumtion, nicht die Produktion erscheint hier als Ansatzpunkt für sozialökologisches Handeln. Dabei erscheint vor allem die Mittelklasse als das maßgebliche Subjekt, weil sie aufgrund ihres höheren Einkommens überhaupt zu sozialökologischen Konsumentscheidungen in der Lage ist. Dies ist geradezu eine Umkehrung der klassisch-marxistischen Sichtweise, wonach das Proletariat aufgrund seiner Stellung im Produktionsprozess das zentrale strategische Subjekt ist. Würde man etwa fragen, wer die Fähigkeit hat, den Kreislauf der Kapitalverwertung unmittelbar zu unterbrechen, käme man zu einem ganz anderen Ergebnis hinsichtlich der Handlungsfähigkeit und der Handlungsspielräume der sozialen Klassen.

Es ist strategisch notwendig, die Aufmerksamkeit der Subjekte auf die Sphäre der Produktion zu lenken. Innerhalb des Zusammenhangs von Produktion, Verteilung, Austausch und Konsumtion ist, wie Marx sich ausdrückte, „die Produktion der wirkliche Ausgangspunkt und darum auch das übergreifende Moment“ (MEW 13, 625). Hinzu kommt, dass ein immer größerer Teil der Konsumtion nicht individuelle Konsumtion, sondern produktive Konsumtion im Marxschen Sinne ist. Die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt, die „tote Arbeit“ gewinnt gegenüber der „lebendigen Arbeit“ immer mehr an Gewicht. Deswegen nimmt der Anteil des Ressourcenverbrauchs, der unmittelbar auf die Reproduktion der Arbeitskraft entfällt, immer mehr ab. Und damit schwindet zunehmend auch die sozialökologische Relevanz individueller Konsumentscheidungen, während die notwendige Konversion der Produktion immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und letztere ist undenkbar ohne den Eingriff in die Eigentumsverhältnisse. Dies wird auch in einem Beitrag von Markus Wissen und Bernd Röttger (2017) im Heft zur „Neuen Klassenpolitik“ der LuXemburg deutlich. Erfreulicherweise scheinen Brand und Wissen dies auch in ihrer aktuellen Forschung zur Konversion des Automobilsektors stärker als in ihrem Buch zu berücksichtigen. Letztlich geht es um eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise als notwendige Voraussetzung einer sozialökologischen Umgestaltung der individuellen und produktiven Konsumtion. Es ist bezeichnend, dass Samuel Decker kürzlich einen Artikel, der sich positiv auf das Konzept der imperialen Lebensweise bezog, mit dem Titel „Bitte keine Verzichtsdebatten“ versah. Die Ermahnung scheint notwendig. Das Konzept der imperialen Lebensweise legt zumindest Auffassungen nahe, die schnell in eine politische Sackgasse führen können.

Ungleicher Tausch oder Produktivitäts- und Profitabilitätsdifferenzen?

Ein noch grundsätzlicheres Problem betrifft die bereits angesprochene Frage nach den Ursachen der ungleichen Entwicklung innerhalb von Nationalstaaten und zwischen ihnen. Zur Beantwortung dieser Frage finden sich bei Brand und Wissen lediglich Versatzstücke. So gehen sie davon aus, dass es einen Werttransfer von der Peripherie in die kapitalistischen Zentren bzw. einen ungleichen Tausch zwischen den Zentren und der Peripherie gibt, ohne diesen allerdings näher zu erklären (Brand/Wissen 2017, 49f). Schon Marx habe auf die essenzielle Bedeutung billiger Rohstoffe „wegen des damit einhergehenden Werttransfers in die kapitalistischen Zentren“ hingewiesen. Sie verweisen dazu auf eine Passage im dritten Band des „Kapital“ (MEW 25, 115ff). Dort spricht Marx zwar davon, dass fallende Rohstoffpreise zu einer Steigerung der allgemeinen Profitrate führen, aber von einem Werttransfer in die kapitalistischen Zentren ist nicht die Rede. Marx setzt ja im ersten Band des „Kapital“ voraus, dass Waren zu ihren Werten getauscht werden bzw. dass die Austauschverhältnisse zwischen den Waren durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit reguliert werden – ein Sachverhalt, der später häufig als „Wertgesetz“ bezeichnet wurde. Im dritten Band des „Kapital“ argumentiert Marx, dass die Tendenz zum Ausgleich der Profitraten impliziert, dass die Produktionspreise, die sich aus dem Aufschlag des durchschnittlichen Profits auf die Produktionskosten ergeben, systematisch von den Werten abweichen; insofern wird das „Wertgesetz“ modifiziert. Zu der Frage, ob es im internationalen Austausch einen ungleichen Tausch bzw. weitere Modifikationen des Wertgesetzes gibt, gibt es eine jahrzehntelange und kontroverse Debatte (vgl. dazu z.B. Hopfmann 2003), auf die Brand und Wissen nicht eingehen. Sie setzen den Werttransfer vielmehr einfach voraus, ohne ihn zu erklären. Diese Frage ist grundlegend dafür, wie der Zusammenhang zwischen der Marxschen Theorie der kapitalistischen Produktionsweise und der Theorie der Weltwirtschaft und des Imperialismus aufgefasst wird: Ist es möglich, die ungleiche Entwicklung auf der Basis der Werttheorie zu erklären, oder wird diese durch ganz andere Faktoren wie z.B. außerökonomische Machtverhältnisse, gewaltsame militärische Eingriffe etc. erklärt? Bei Brand und Wissen stehen diese Faktoren einfach nebeneinander: „Zu diesen marktvermittelten Formen des Werttransfers kommen politisch, rechtlich oder mittels Gewalt durchgesetzte Enteignungen, etwa in Form der Privatisierung von Gemeingütern“ (Brand/Wissen 2017, 50). Aber der Verweis auf Privatisierungsprozesse im globalen Süden bewegt sich auf einer ganz anderen Abstraktionsstufe als die These eines marktvermittelten Werttransfers.

Diese Unklarheit in Bezug auf die Erklärung der ungleichen Entwicklung durchzieht auch die historischen Kapitel, in denen die Autoren die Entstehung sowie die globale Verallgemeinerung und Vertiefung der imperialen Lebensweise beschreiben. Dabei stellt sich die Frage, wie die kapitalistische Entwicklung periodisiert wird. Brand und Wissen stützen sich einerseits auf eine regulationstheoretisch inspirierte Periodisierung, andererseits gehen sie offenbar in Anlehnung an die Dependenz- und Weltsystemtheorie von einem übergreifenden Prozess aus, der mit der Kolonialisierung ab dem 16. Jahrhundert begann. Es ist aber umstritten, ob die Phase vom 16. bis 18. Jahrhundert als Periode zu begreifen ist, in der im Prinzip die gleichen Gesetze eines kapitalistischen Weltsystems gelten wie in den späteren Perioden, oder ob es sich um eine Übergangsperiode zwischen der Dominanz der feudalen Produktionsweise einerseits und der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise andererseits handelt, eine Periode also, deren Verhältnisse nicht durch die später vorherrschenden Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise erklärt werden können. Die Frage kann auch so formuliert werden: Ist die ungleiche Entwicklung primär aus den Gegebenheiten der Warenzirkulation zu erklären („ungleicher Tausch“ und „Werttransfer“) oder aus den Gegebenheiten der Produktion, d.h. aus der unterschiedlichen Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den kapitalistischen Zentren und der Peripherie (vgl. Brenner 1977, Milios/Sotiropoulos 2009)?

Meines Erachtens muss zwischen den Mechanismen der kolonialen Ausplünderung und den spezifischen Mechanismen der ungleichen Entwicklung, die mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden sind, unterschieden werden. Es mag zwar einen ungleichen Tausch zwischen den kapitalistischen Zentren und der Peripherie geben, doch ist dies bei der Analyse der ungleichen Entwicklung m.E. ein logisch untergeordnetes Moment. Zur Erklärung der ungleichen Entwicklung ist es gar nicht notwendig, auf die Vorstellung eines ungleichen Tauschs oder eines Werttransfers zu rekurrieren.

Dass die Bevölkerung der kapitalistischen Zentren überproportional viele Ressourcen verbraucht und die Senken des Planeten überproportional in Anspruch nimmt, hängt primär damit zusammen, dass sich dort immer noch der größte Teil der industriellen Produktion konzentriert und dass dort der größte Teil der Einkommen generiert wird, auch wenn der Anteil des Globalen Südens in letzter Zeit gewachsen ist. Die Zusammenballung der Produktion in den Zentren beruht primär auf der überlegenen Arbeitsproduktivität in den früh industrialisierten Ländern. Die preisliche Konkurrenzfähigkeit hängt maßgeblich von der Arbeitsproduktivität ab, d.h. die Produzenten mit der höheren Arbeitsproduktivität konkurrieren die mit der geringeren Arbeitsproduktivität nieder. Die hohe und rasch wachsende Arbeitsproduktivität in den alten kapitalistischen Zentren basiert darauf, dass dort kapitalistische Produktionsverhältnisse frühzeitig durchgesetzt wurden. Nur dort, wo die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln weitestgehend durchgesetzt wurde, wo „doppelt freie“ Lohnarbeit die Produktionsverhältnisse maßgeblich bestimmt, entwickelt sich die spezifisch kapitalistische Produktionsweise und wird die Dynamik der Steigerung der Arbeitsproduktivität auf die Spitze getrieben. Die Beherrschung des Weltmarktes durch die Zentren auf der Basis überlegener Arbeitsproduktivität und die Marginalisierung peripherer Länder und Regionen sind zwei Seiten einer Medaille. Den peripheren Ländern bleibt dann nur noch die Konzentration auf die Produktion von mineralischen Rohstoffen, die sich auf ihrem Territorium befinden bzw. die Produktion von agrarischen Rohstoffen, die sich aufgrund der klimatischen Bedingungen in den kapitalistischen Zentren nicht herstellen lassen. Um die erste internationale Arbeitsteilung, die Arbeitsteilung zwischen Industrieländern und Rohstoffe produzierenden Ländern zu erklären, bedarf es also nicht des Konzepts des ungleichen Tauschs, sondern die ungleiche Entwicklung kommt auch auf der Basis eines Äquivalententauschs zustande.

Diese Überlegung beinhaltet auch, dass die Ausbeutungsrate, die durch die Dynamik der relativen Mehrwertproduktion bestimmt wird, in den kapitalistischen Zentren zunächst höher ist als in der Peripherie. Wenn dem nicht so wäre, würde sich die Produktion auch nicht in den Zentren zusammenballen, weil sie dann unprofitabel wäre. Die kapitalistische Produktion geht mit der Tendenz zur Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals einher, und die Kapitalzusammensetzung ist in den alten kapitalistischen Zentren höher als in der Peripherie. Bei höherer organischer Kapitalzusammensetzung ist auch eine höhere Ausbeutungsrate erforderlich, damit die Produktion noch profitabel ist. Gelingt es nicht mehr, die Ausbeutungsrate im erforderlichen Maße zu erhöhen, dann führt die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals zu einer sinkenden Profitrate. In der Folge fließt das Kapital von Sphären mit niedriger Profitrate in Sphären mit einer niedrigeren organischen Kapitalzusammensetzung und einer höheren Profitrate ab – d.h. es fließt von den alten kapitalistischen Zentren in die Peripherie. Dieser Prozess betrifft zunächst vor allem arbeitsintensive Produktionsprozesse und führt zu der „neuen“ oder zweiten internationalen Arbeitsteilung, wie sie z.B. von Fröbel, Heinrichs und Kreye (1977) beschrieben wurde: Es ist dann nicht mehr nur so, dass sich die Industrie in den Zentren und die Rohstoffproduktion in der Peripherie konzentriert, sondern Teile von Wertschöpfungsketten oder auch ganze Branchen mit hoher Arbeitsintensität wandern in die Peripherie. Der Prozess der Marginalisierung wird also von einem Prozess der peripheren Integration überlagert. Inter- und intraindustrieller Handel sind die Folge dieser Produktionsverlagerungen. Auch hier bedarf es nicht des Konzepts des ungleichen Tauschs, um diesen Prozess zu verstehen. Schreitet der Prozess der Internationalisierung des Kapitals weiter voran, so bildet sich schließlich eine dritte Form der internationalen Arbeitsteilung heraus: Die Produzenten verschiedener Länder konkurrieren dann in den gleichen Branchen, aber auf der Basis verschiedener Regimes der Arbeitsbeziehungen (Lipietz 1998, 134ff; Candeias 2004). In jedem Fall wird die international ungleiche Entwicklung von dem Zusammenspiel von Produktivkraftentwicklung und Klassenkämpfen in den einzelnen Gesellschaftsformationen bestimmt. Diese bestimmen die Position der jeweiligen Gesellschaftsformationen in der internationalen Arbeitsteilung und sind insofern maßgeblich für die Konstitution des Weltmarktzusammenhangs.