Es ist keine neue Situation nach den Europawahlen, die zu kritischer Sicht auf Die Linke führt. Schon lange wird eine „schonungslose“ Kritik und Selbstkritik gefordert, und es warnen die verschiedensten Leute vor einem endgültigen Absturz. Nein, ich will es gleich sagen: Ein Aus der Linken wird es nicht geben, denn die gesellschaftliche Linke ist mehr als unsere Partei. Aber die Hoffnung auf bessere Ergebnisse und damit auf mögliche Veränderung schwindet zusehends, wenn sich nichts ändert. 

Links ist links und eben nicht Mitte! Ich war schon immer der Auffassung, dass die Linke im Grunde eine Minderheit in der Gesellschaft ist, nur im Osten nach der Wende waren wir als PDS Volkspartei. Das hatte Gründe, denn die Menschen kannten uns und wir haben immer und immer wieder geholfen, die Schwierigkeiten, Unwägbarkeiten und Ängste der einfachen Leute trotz der vorhandenen Hoffnung auf eine gute Zukunft mitzutragen. Wir waren Begleiterinnen und Ratgeber, Helfende im besten Sinne. Wir haben in der PDS versucht, Politik mit den Menschen zu machen statt für sie. 

Erfahrungen vermitteln

Ich erinnere mich z.B., dass es vor dem Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten Gabi Zimmer, deren Mitarbeiterin ich von 1990 bis 2004 war, eine lange Menschenschlange gab, weil wir gegen das sogenannte „Krankenhaus – Notopfer“ eine Unterschriftenaktion gestartet und dazu die Widerspruchbriefe gleich vorbereitet hatten. Wer nun glaubt, ich schwärme von dieser Zeit und betreibe eine Art PDS-Nostalgie, der irrt. Aber lernen könnten wir aus dieser Zeit schon. Mir fällt dabei der leider bereits verstorbene stellvertretende Vorsitzende der PDS Thüringen, der Soziologe Dieter Strützel ein. Ihm ging es nach 1990 darum, eine neue Partei »von unten« zu formen und den »Ring um die PDS« (siehe dazu auch Kirschner in LuXemburg 1/2023)  ̶  gemeint war die permanente Ausgrenzung  ̶   aufzusprengen. Das hieß, die Partei wieder zu einem legitimen und demokratischen Akteur gesellschaftlichen und politischen Lebens zu machen. Strützels Credo war: „Ideen, Konzepte und Strategien im Dialog mit denen zu entwickeln, die ein vitales Interesse daran haben, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, um ihr eigenes Leben zu gestalten. Oder anders gesagt: Denken und Handeln in den Nöten des Alltags zu verankern.“(Dwars u.a. 2020) Wie aktuell! 

Im kürzlich verfassten Papier von Gabi Zimmer, Michael Brie, Dieter Hausold und Judith Dellheim heißt es dazu: „Wir haben es versäumt, unsere eigenen Lehren aus dem Scheitern in der SED als Lern- und Erfahrungsprozess zu vermitteln und durchzusetzen.“ Will heißen, wir haben das, was nie wieder sein sollte, schon wieder abgesteift, z.B. Ämterhäufung, dieses Reden von oben herab und eine gewisse linke Überheblichkeit. Vernachlässigt und zu wenig mit den nach uns Kommenden kommuniziert haben wir auch eine aktive Basisdemokratie, offene Listen für Wahlen in die Parlamente, Mandatszeitbegrenzung. Warum? Ich erinnere mich an einen Thüringer Landesparteitag, wo die Trennung von Amt und Mandat, die in der Landessatzung festgeschrieben war, einfach aufgehoben wurde. Ich bin immer für einen organisierten Generationswechsel in der Partei eingetreten, aber vermittelt haben wir den jungen Leuten, die aus unterschiedlichen Beweggründen zu uns gekommen sind, von unseren Erfahrungen zu wenig. Ein Grund dafür war sicherlich, dass uns die mittleren Jahrgänge im Osten als Mitglieder aus den verschiedensten Gründen weggebrochen waren. Es fehlt im Osten der Mittelbau in der Partei. 

Die Entwicklung einer gesamtdeutschen Linken war ein hoffnungsvoller Ansatz, dem wir aber nicht oder nicht schnell genug gerecht geworden sind.

Für ein innerparteiliches Zusammenwachsen fehlte oft die Zeit, manchmal war es wohl auch nicht gewollt. Es ist ein großes Defizit, dass eine gemeinsame Linke in Ost und West noch nicht entstanden ist, was sich auch daran zeigt, dass wir außer in Hamburg und Bremen nur noch im Osten in Landtagen vertreten sind. Und selbst das ist nun in Brandenburg und Sachsen gefährdet. Zu sehr haben wir im Osten auf parlamentarische Stärke gesetzt. Nicht ohne Erfolg. Aber was haben wir dafür vernachlässigt? Es ist uns nur ungenügend gelungen, die unterschiedlichen Erfahrungen der Linken in Ost und West zu verarbeiten und uns kritisch anzueignen. Ines Schwerdtner schreibt in ihrem klugen Papier: „Eine Partei ohne Geschichte ist eine Partei ohne Zukunft. Es gilt nicht alles neu zu machen, sondern behutsam und klug einen Einigungsprozess zu vollziehen, der der Partei aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte versagt blieb.“ Recht hat sie. Das wäre wichtig gewesen und bleibt es noch immer, um gemeinsam zu agieren, statt ausgehend von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Themen, von Kritik bis hin zu Anfeindungen unsere Partei von innen heraus zu schwächen. Wir haben viele kluge und engagierte Mitglieder. So unterschiedlich sie sind, ist es auch in einer pluralistischen Partei wenig sinnvoll, wenn Strömungen, Plattformen und Netzwerke letztlich innerhalb der Partei gegeneinander arbeiten. Diese Art von Selbstbeschäftigung hat uns enorm geschwächt.

Der Parteivorstand war und ist immer weniger in der Lage, hier auszugleichen, auf gemeinsame Schwerpunkte zu orientieren und dafür zu sorgen, dass die in einer pluralistischen Partei selbstverständlich vorhandenen Differenzen nicht gegeneinanderstehen, sondern helfen, durch Vielfalt und Diskurs die Partei und ihre Außenwirkung zu bereichern.

Wie viele Genossinnen und Genossen haben uns wegen solcher Auseinandersetzungen verlassen oder sich zurückgezogen. Und als dann noch gefeiert wurde, Sahra Wagenknecht als ganz besondere „Nestbeschmutzerin“ und „Nervensäge“ samt Anhang endlich los zu sein, haben viele über uns nur noch den Kopf geschüttelt. Ich will nicht missverstanden werden: Selbstverständlich gab es Gründe und erhebliche Differenzen. Ich habe im Frühjahr 2023 an Sahra W. geschrieben: „Ich bin gegen die Neugründung (d)einer Partei, weil die Spaltung uns letztlich lahmlegen wird. Es wird ein Nullsummenspiel und Menschen, wie ich, werden nicht in die neue Partei gehen und können wohl in der „alten“ nicht auf Dauer bleiben, wenn sie so bleibt… Ich bitte dich inständig: Lass uns gemeinsam Wege suchen!“ Es ist anders gekommen und das Ergebnis können wir jetzt live mitverfolgen. Es ist genau das geschehen, wovor ich damals gewarnt habe: Die Linke ist gespalten und trotzdem droht die AfD bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr stärkste Oppositionskraft im Bundestag zu werden. 

Sehr problematisch auch in meiner Stadt Suhl, einer früheren Hochburg Der Linken. Hier holt die AfD bei der Europawahl 31,1 Prozent der Stimmen. Ihr Vorsprung gegenüber der CDU beträgt 11 Prozentpunkte. Die Linke verliert knapp 13 Prozentpunkte und liegt bei 6,6 Prozent. Das BSW gewinnt 20 Prozent der Stimmen, ein Spitzenergebnis in der Bundesrepublik. Ganz viele von denen, die BSW gewählt haben, sind ehemalige Genoss*innen oder Menschen, die in der Vergangenheit ihr Kreuz bei Der Linken gemacht haben. Ich weiß, es ist eine Milchmädchenrechnung, aber trotzdem frage ich: Was wären wir hier ohne diese Spaltung?!

Besonders schmerzlich ist, dass bundesweit 33 Prozent der abhängig Beschäftigten AfD gewählt haben. Und das alles trotz der Warnungen, der Entlarvung rechtsradikaler und völkischer Positionen, trotz der Demos mit tausenden von Menschen in ganz Deutschland, auch in mittleren und kleinen Städten. Es bleibt beides zu tun: Rechtsextremismus entlarven, bekämpfen und eigene Politik dagegensetzen. 

Die Analyse, welche Themen bei der Europawahl ausschlagegebend für die Wahlentscheidung waren, zeigt laut infratest dimap (09.06.2024) folgendes: Friedenssicherung (26 Prozent), soziale Sicherheit (23 Prozent), Zuwanderung (17 Prozent) , Klima- und Umweltschutz (14 Prozent) und Wirtschaftswachstum (13 Prozent). Dem hat Die Linke in vielerlei Hinsicht nur ungenügend Rechnung getragen. Ganz besonders in der Friedensfrage war und ist sie unklar, was zutiefst zu bedauern ist. Für uns muss auch in Zukunft gelten: Die Waffen nieder ̶̶­- überall! Wir müssen Teil einer großen Friedensbewegung sein bzw. mithelfen, diese aufzubauen. Warum bleiben wir nicht bei der Position, dass es letztlich keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa geben kann ohne kollektive Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands (ich höre schon den Aufschrei…)? Die Beschlüsse gibt es, nur vertreten wir sie nicht selbstbewusst. Stattdessen haben wir das Feld dem BSW und der AfD überlassen. 


Der Liedermacher Eckhart Wenzel schrieb neulich: „Viele Leute haben das Gefühl, nicht mehr wahrgenommen zu werden. Der gesellschaftliche Dialog funktioniert nicht mehr. Die einzelnen Chat-, Betroffenen- oder Interessengruppen kommen nicht mehr zum Austausch.“

Nach fast 35 Jahren deutscher Einheit greift immer mehr die Erkenntnis, dass die ökonomische Einheit zwar auf den Weg gebracht wurde, die emotionale Einheit bisher noch nicht gelungen ist. Ich glaube, beides steht durchaus im Zusammenhang, denn die Angleichung der Lebensqualität wurde für viele Menschen im Osten noch nicht erreicht. 

»Während durch die Krisen das Land noch tiefer in Arm und Reich gespalten ist, zerbröselt die Mittelschicht und hat Angst vor dem sozialen Abstieg. Genau dies ist ein gutes Klima für rechtsradikale Kräfte.«

Die längsten Arbeitszeiten und die niedrigsten Löhne stehen noch immer in Rede, weniger als 14 Euro Mindestlohn erhalten im Osten über 1 Mio. Beschäftigte, 6,4 Mio. bundesweit (vgl. WiWo). Von gleichwertigen Lebensbedingungen in Ost und West, in Stadt und Land ganz zu schweigen. Besonders wenn man in die Dörfer schaut, werden die Defizite der letzten Jahre sichtbar: Konsum weg, Bus fährt nur selten, oft lange Wege zur Schule, kein Arzt mehr vor Ort, Dorfkneipe geschlossen, um nur einiges zu nennen. Während durch die Krisen das Land noch tiefer in Arm und Reich gespalten ist, zerbröselt die Mittelschicht und hat Angst vor dem sozialen Abstieg. Genau dies ist ein gutes Klima für rechtsradikale Kräfte. 

Von den geplatzten Hoffnungen, Demütigungen und der in vielen Fällen erfolgten Entwertung ostdeutscher Biografien wird kaum mehr gesprochen. Auch das hat in vielen Fällen dazu geführt, dass die AfD gewählt wird. Da verbindet sich Protest mit rechten und autoritären Positionen im Sinne von „Deutschland zuerst“ und dem Treten nach unten, was besonders im Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen deutlich wird. 

Ich weiß, dass durchaus viel gelungen ist und dass es besonders schwer ist, wenn man in Regierungsverantwortung steht. Wer spricht noch über die beitragsfreien Kita-Jahre in Thüringen oder die abgeschafften Straßenausbaubeiträge, um nur zwei Beispiele zu nennen. Schon alles Selbstverständlichkeit? Mir ist natürlich auch klar, dass Mut machen und Optimismus verbreiten statt Ängste zu schüren, auch zu linker Politik gehören. Aber vielleicht haben wir das zu oft getan, denn wir zählen mittlerweile zu den etablierten Parteien. 

Kritik an der Herrschaft des Kapitals

Denkt man über die Ursachen nach, warum Die Linke dermaßen ins Abseits gerückt ist, gibt es keine einfache Antwort. Aber die grundsätzliche Kritik an der Herrschaft des Kapitals und die anschauliche Sichtbarmachung von Macht und Privilegien der global agierenden Eliten sind unverzichtbar für eine linke Partei. Vielleicht haben wir das vernachlässigt und die Kritik am Kapitalismus, an den krisenhaften Erscheinungen und am Krieg immer mehr der AfD überlassen. Wer verstehen soll, was in der Welt passiert, darf die Ausbeutung der abhängig Beschäftigten und der in die Selbständigkeit Getriebenen nicht ausblenden. Diese Krisen hat der globale Kapitalismus hervorgebracht und treibt die Welt mit seiner Rücksichtslosigkeit im Kampf um Märkte und Ressourcen an den Abgrund. Insofern müssen wir auch dort, wo wir an der Regierung beteiligt sind, gesellschaftliche Opposition bleiben. Denn soziale und ökologische Nachhaltigkeit innerhalb kapitalistischer Ökonomien zu gewährleisten, dürfte wohl unmöglich sein. 

»Die grundsätzliche Kritik an der Herrschaft des Kapitals und die anschauliche Sichtbarmachung von Macht und Privilegien der global agierenden Eliten sind unverzichtbar für eine linke Partei.«

Deshalb muss das Ziel m. E. ein neuer, demokratischer und ökologischer Sozialismus bleiben. Oder, um mit Klaus Dörre zu sprechen, es könnten auch viele Sozialismen sein, die von unten wachsen. Er forderte nicht erst in seiner Abschiedsvorlesung in Jena am 27.6. „mehr Arbeit und Klasse“ zu thematisieren. Auch Wirtschaftsdemokratie muss ein wichtiges Strategiefeld Der Linken sein. Gerade angesichts von Klimakatastrophe und Krieg muss die Frage nach der Verantwortung für das, was erzeugt wird, stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Das geht zuerst an die Produzent*innen, auch wenn wir wissen, dass gerade bei der Arbeiterklasse der Hang nach Unterordnung durchaus vorhanden ist. Schließlich geht es oft um die eigene Existenz. 

Außerparlamentarische Arbeit stärken

Eine linke Partei auf der Höhe der Zeit muss in der Lage sein, in Bündnissen zu wirken, Menschen anzusprechen und zu mobilisieren. Das funktioniert nicht, wenn man zu stark auf das Parlamentarische abhebt, wenn die außerparlamentarische Arbeit vernachlässigt wird. Warum engagieren wir uns weniger in den Vorständen sozialer Verbände wie Volkssolidarität und AWO oder in Umweltgruppen. Gleiches gilt für Mieterinitiativen oder in Fahrgastbeiräten des ÖPNV. Das Erwerbslosenfrühstück, das ich 15 Jahre lang erfolgreich durchgeführt habe, gibt es auch nicht mehr. Das war immer ein Geben und Nehmen. Wir haben voneinander gelernt und das hat uns bereichert. Niedrigschwellige Angebote zum Mitmachen sind wichtig, um Menschen an Politik heranzuführen. Der Linken fehlt es heute oft an Ideen, bei Problemen den „Stein ins Rollen“ zu bringen. Sie wird in der Öffentlichkeit meist mit Themen wie Antifaschismus, Migration, Leben von Minderheiten und Demokratie wahrgenommen. Letzteres oft in klugen Reden, aber mit zu wenig konkretem Bezug, z.B. hinsichtlich Bildung, Gesundheitswesen und Pflege. Das Thema Wohnungspolitik ist ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann. Aber es greift vor allem in den Ballungsgebieten und Städten. Gerade im Osten sind die Schrumpfungstendenzen in eine neue Phase eingetreten und Wohnungen, wie z.B. in meiner Stadt Suhl, werden noch immer abgerissen. Mit Abrissstopp und Mietpreisbremse erntet man ein müdes Lächeln, denn die betriebswirtschaftlichen Kriterien gelten natürlich auch für kommunale Unternehmen. In den Grund- und Mittelzentren sollten wir stärker auf Kooperation setzen, statt den Konkurrenzkampf um Projekte und Fördermittel zwischen Kommunen zu führen. Warum sollen nicht benachbarte Orte gemeinsam investieren, wenn es z.B. um eine Aufbereitungsanlage für Holz- und Grünschnitt geht, um kommunale Flächennutzung statt Privatisierung. Auch in der Kultur kann interkommunale Zusammenarbeit ein sinnvoller Ansatz sein. 

Politisch denken und handeln ist mehr als so genannte „Fachpolitik“ zu vertreten und parlamentarische Anfragen, Anträge und Gesetzentwürfe zu diskutieren. Wer so Politik organisieren will, muss die Friedensfrage mit der Klassenfrage, mit Klimapolitik und sozialer Interessenvertretung verbinden und diese Punkte in den Mittelpunkt stellen. Es braucht den Dialog vor allem auch mit Akteuren in den Gewerkschaften, Vereinen, Bündnissen und den verschiedensten linken Gruppen. Die Herausforderung besteht darin, die Ursachen und Verursacher sozialer und ökologischer Zerstörung klar zu benennen und sie zur Verantwortung zu ziehen. Deshalb dürfen wir auch die Eigentumsfrage nicht aufgeben. Das beginnt mit der Stärkung des öffentlichen Sektors. Auf das Beispiel der Rekommunalisierung von Energieerzeugung in Thüringen können wir immer noch stolz sein: Mit der 2013 vollzogenen Rückübertragung der Anteile des E.on Konzerns an die Thüringer Kommunen wurde erfolgreich der bundesweit größte kommunale Regionalversorger geschaffen. In der Studie der „Thüringengestalter“ aus dem Dezember 2020 ist vieles dazu beschrieben. 

Näher an der Basis

Erfolgreiche linke Politik erfordert strategisches Denken und konkretes Handeln nah bei und mit den Menschen. Die Ziele der Linken müssen bei ihnen ankommen, sie motivieren und Hoffnungen wecken, die stärker sind als die Angst vor Veränderung. Dazu gehört auch eine Sprache, die nicht in theoretischen Erklärungen für viele Leute unverständlich bleibt. Das ist uns oft abhanden gekommen. Wir sind uns vielfach fremd geworden mit einfachen Menschen. Wichtig wäre, wieder mehr zu ihnen zu gehen (vom Jugendklub bis zum Seniorentreff), hinzuhören, miteinander zu reden und nicht nur Geld und Schecks zu verteilen, obwohl auch das wichtig ist. 

In der Stellungnahme des Parteivorstandes und der Landesvorsitzenden nach der Europawahl heißt es richtig, aber allgemein: „Wir müssen den Gebrauchswert als Partei für die Menschen erweitern. An vielen Orten kümmern wir uns um die Belange der Menschen und versuchen, gemeinsam mit ihnen Veränderungen zu erkämpfen. Das wird konkret, wenn wir als Linke Sozialberatung, solidarische Räume fürs Zusammenkommen organisieren und konkrete Hilfen anbieten…“ Stimmt. Dies müssen wir ausbauen, aber das kann kein Parteivorstand von oben allein. Hier ist die Parteibasis mit Ideen und Tatkraft gefordert, denn es braucht auch Menschen, die eine solche Sozialberatung praktizieren können. 

Nun gibt es auch Linke, die sagen, lasst das Geschwätz mit den Leuten. Wir müssen weg von der „Kümmererpartei“ hin zu einer kämpferischen antikapitalistischen Partei. Dem kann ich nicht zustimmen, denn klare Positionen und aktives Handeln im HIER und HEUTE für und mit den Menschen schließen sich keineswegs aus. Ich bin sehr oft für ein sowohl als auch. Das betrifft auch die Frage verbindende Klassenpolitik oder Identitätspolitik. Beides ist notwendig, schließlich wollen wir auch Mitstreiter*innen gewinnen. Ich hoffe, das sehen Orts- und Kreisvorstände mit jungen Mitgliedern ebenso. Der Generationswechsel ist im Grunde vollzogen. Aber Zeit, Geduld und die Fähigkeit mit Menschen zu diskutieren, deren Auffassungen junge Linke nicht unbedingt teilen, sind jetzt erst recht nötig. Nur so wird Vertrauen neu geschaffen. 

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Notwendigkeit von Angeboten politischer Bildung verweisen, so wie wir das seit vielen Jahren mit unserem „Gesprächsforum alternativ“ in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen und der Kulturbaustelle praktizieren und dabei die verschiedensten Menschen und Interessengruppen erreichen. 

Die Kollegin und Genossin Ulrike Eifler, Gewerkschafterin und Co-Sprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft, forderte erst kürzlich: „Wenn Die Linke wieder zu einer stabilen linken Kraft in der Bundesrepublik werden soll, dann müssen sich alle Teile der Partei daran beteiligen, Antworten auf die aktuelle gesellschaftliche Polarisierung zu entwickeln.“ Ich möchte ergänzen: Linke dürfen sich nicht fortwährend selbst blockieren, weil jede/r Recht haben will. Seien wir doch etwas toleranter auch mit uns selbst. Natürlich ist eine Strategie notwendig, aber sie sollte sich auf wesentliche Essentiales konzentrieren. Verständlichkeit in der Sprache und Klarheit bei dem, was wir wollen, sind Voraussetzung dafür, dass die Menschen uns verstehen. 


Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte sollten wir uns konzentrieren? Friedens- und Menschenrechtspartei muss ganz oben stehen. Außerdem dürfte unstrittig sein, dass wir eine internationalistische, feministische, antirassistische und solidarische Partei sind, sozial gerecht, an der Seite der abhängig Beschäftigten, der Benachteiligten und Diskriminierten. Dazu gehört auch die Fähigkeit, solche Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen, wie z.B. die notwendige Umverteilung von Reichtum. Die Aussetzung der Vermögensteuer im Jahr 1996 hat bis heute insgesamt 380 Milliarden Euro Mindereinnahmen verursacht, so jüngst eine Studie von Oxfam. Laut Ipsos sind übrigens 68 Prozent der Bevölkerung für eine höhere Vermögensteuer für Reiche und 70 Prozent für höhere Steuersätze auf hohe Einkommen. Das müssen wir thematisieren! 

Die Linke muss politisches linkes Korrektiv in der Gesellschaft sein, aber auch verstehen, dass es ein Korrektiv der Massen gibt. Geduld und ein langer Atem werden gebraucht, auch wenn angesichts der Krisen und ernsthaften Bedrohungen der Menschheit schnelles Handeln angesagt ist. 

Ich erwarte vom Bundesparteitag Der Linken im Oktober die Fähigkeit, diese ganzheitlichen Zusammenhänge zu verstehen, fair und offen die nächsten Schritte zu diskutieren und dafür personell die geeigneten Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt zu wählen. Für einen Vorstand als Strategie- und Führungszentrum gibt es wirklich gute Genoss*innen, die auch menschlich geeignet sind. Neulich schrieb ein Freund, er wünsche sich „eine Welt, in der man ohne Angst verschieden sein kann“. Das wünsche ich mir vor allem in „meiner Linken“. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingen wird, Die Linke zu erneuern und handlungsfähig zu gestalten.

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