Wenn man bei Google das Wort „nachhaltig“ eingibt, erhält man 16 Millionen Treffer. Wenn man in den Ergebnissen stöbert, also in Medienberichten, auf den Homepages von Konzernen und NGOs oder in den ungezählten Portalen für „ethischen Konsum“ stellt man schnell fest: Alles, was einmal als schädlich und schändlich galt, dient heute der Weltrettung. Thunfischsteaks, dicke Autos, die Formel 1, Aktienfonds, Flugreisen, Pelzmäntel, Gemüse aus Südspanien, Pflanzensprit, Palmöl, gentechnisch verändertes Soja, Kohlekraft, Staudämme, Erdöl aus der Arktis – all das gibt es heute in „nachhaltig“, „grün“ oder „verantwortungsvoll“.

Die Konsumgüter-Multis Unilever und Nestlé versprechen sogar, mit ihrem Kerngeschäft die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen umzusetzen. Ja, Unilever-Chef Paul Polman nennt sein Unternehmen sogar „die größte NGO der Welt“. Dabei verbraucht der Lebensmittelkonzern für Pulverfraß wie Tütensuppen jedes Jahr acht Millionen Tonnen der Rohstoffe, die für die Hälfte der globalen Waldzerstörung verantwortlich sind: Rindfleisch, Soja und Palmöl. Die Industrie und ihre grünen Daniel Düsentriebe bieten immer neue Zaubertechnologien, Flugzeugsitzbezüge, die man essen kann, kompostierbare Billig-T-Shirts, Jeans aus Ozeanplastik oder Flugzeuge, die mit Algentreibstoff fliegen.

Und ziehen nicht alle, Verbraucher*innen, Industrie und Politik, „an einem Strang“? Gibt es nicht schon viele „Schritte in die richtige Richtung“? Geht es nicht voran? Aber ja. Denn hinter der grünen Scheinwelt schreitet die globale Zerstörung rapide fort. Das Global Foodprint Network berechnet jedes Jahr den sogenannten Earth Overshoot Day. Dieser Erdüberlastungstag ist jener, an dem alle Ressourcen der Welt, die binnen eines Jahres klimaverträglich, ökologisch und sozial gerecht genutzt werden können, aufgebraucht sind und die Kapazität, Müll und Treibhausgase aufzunehmen, erschöpft ist. Und der findet jedes Jahr früher statt: 2015 war er am 13. August, nur ein Jahr später, 2016, bereits am 8. August und 2017 am 2. August. Im Jahr 2000 war er noch am 8. Oktober. Denn zwischen 1980 und 2010 hat sich der jährliche globale Verbrauch von Biomasse, mineralischen Rohstoffen und fossilen Brennstoffen von unter 40 auf 80 Milliarden Tonnen verdoppelt. Jede Minute wird Wald in der Ausdehnung von 36 Fußballfeldern zerstört. Bis zu 58.000 Tierarten verschwinden jedes Jahr. 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens gehen jährlich verloren. Die Zahl der Hungernden ist zuletzt wieder auf 815 Millionen Menschen gestiegen. Zwei Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung, obwohl so viele Lebensmittel wie nie zuvor produziert werden. Trotz freiwilliger Weltrettungsversprechen der Industrie, trotz der Flut von Nachhaltigkeitssiegeln, die ökologisch bedenklichen Produkten Unbedenklichkeit bescheinigen, und trotz des scheinbar ubiquitären „ethischen Konsums“. Trotz? Oder sogar eher wegen?

Auf verstörende Art und Weise haben sich Großkonzerne der Bilder und Begriffe der Umweltbewegung bemächtigt. Sie benutzen die Zerstörung, die sie anrichten, dazu, sich als Retter zu inszenieren. Und sie schieben, Hand in Hand mit der Politik, die Verantwortung auf den Bürger. Ihm weisen sie die rein ökonomische Rolle des Verbrauchers zu: Der soll schön weiter verbrauchen, dafür wollen ihm die Unternehmen im Gegenzug ein gutes Gewissen bieten. Als sei es die Aufgabe des Einzelnen, sich im Supermarkt zwischen Ausbeutung und gerechten Löhnen zu entscheiden und nicht die der Politik, dafür zu sorgen, dass es in der Lieferkette zu Menschenrechtsverletzung und Naturzerstörung gar nicht erst kommt.

Den Widerspruch, der zwischen dem Wunsch, mit dem persönlichen Konsum nicht Teil des Elends sein zu wollen, und dem Wissen, dass eine individuelle Kaufentscheidung nicht zu einer Änderung des großen Ganzen führt, liegt, formuliert Raj Patel, Forschungsprofessor an der Universität Austin, Autor und Aktivist, treffend: „Ich kaufe Fairtrade-Kaffee. Denn die Alternative ist – was? Arschloch-Kaffee! Kaffee, der Kinder ausbeutet. Niemand will das. Jeder will faire Sachen kaufen. Aber warum ist das eine Wahl? Warum müssen wir entscheiden, nicht auszubeuten? Warum müssen wir uns darüber überhaupt Sorgen machen? Warum ist das nicht gesetzlich geregelt?“
Die sogenannte Konsumentendemokratie, in der nicht mehr der Bürger mit Widerstand und Protest Änderungen in der Politik bewegt, sondern der Konsument seinen Geldschein als Wahlzettel begreifen soll, entspricht der neoliberalen Ideologie von Alternativlosigkeit und Eigenverantwortung. Es klingt, als hätten wir durch unsere Wahl Macht – tatsächlich zementiert es das Gefühl der Hilflosigkeit. Und es schickt die Menschen in einen moralischen Wettbewerb: die „guten“ gegen die „bösen“ Konsument*innen. Als Letztere gelten oft jene, die gar nicht die finanziellen Mittel für Konsum, geschweige denn ethischen, haben. Doch die niedrigen Lebensmittel- und Konsumgüterpreise, auf die Arme und Geringverdiener*innen angewiesen sind, sind politisch erwünscht. Sie ermöglichen es, die Löhne möglichst gering und den Konsum hochzuhalten.

„Das ist der bösartigste und schädlichste Teil der grünen Konsumbewegung“, sagt Patel. „Sie verstärkt die Idee, man sei nur eine einzelne Person. Das zeigt, dass man derart von seiner eigenen Wirkungsmacht getrennt ist, dass man gar nicht mehr sieht, dass man nicht alleine ist.“ So kommt es, dass die scheinbar letzte Hoffnung von Gesellschaft und Politik auf Weltrettung die ist, dass sich Konzerne „zum Guten“ wandeln. Wenn sich „die Großen“ nur ein bisschen „verbessern“, habe das weitreichende positive Folgen, so die gleichermaßen absurde wie naive Theorie. Doch die blendet aus, welche Strukturen zu all den Problemen führen. Denn im globalen Kapitalismus sind Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Klimaschäden und Naturzerstörung selbstverständlich keine vermeidbaren Kollateralschäden. Auf ihnen gründet der Profit. Je weniger die Konzerne auf Arbeits-, Land- und Menschenrechte (oder gar Umweltgesetze) Rücksicht nehmen müssen, desto besser für ihr Geschäft. Eigentlich ist es ja ganz einfach: Könnten Unternehmen mit ökologisch und sozial gerechtem Wirtschaften tatsächlich Profit machen, warum sollten sie denn dann überhaupt etwas anderes tun?
So verwandelt die Konsumentendemokratie wichtige gesellschaftliche Fragen, wie wir gut und gerecht auf diesem Planeten zusammenleben können, in eine rein ökonomische und technische Angelegenheit: Als sei das wachstums- und konsumorientierte System, das für die ökologischen und sozialen Schäden verantwortlich ist, völlig in Ordnung und als müssten allenfalls ein paar Fehler korrigiert werden. Und zwar ausgerechnet von denen, die von dem zerstörerischen System profitieren: Eliten und Großkonzernen

„In unerträglichen Verhältnissen zu leben, darin permanent unerträgliche Effekte zu produzieren und es sich trotzdem schönzureden“ – diese „intelligente Form des Selbstbetrugs“ ist einer der Mechanismen, die der Externalisierungesellschaft eingeschrieben sind. Mit diesem Begriff beschreibt Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, in seinem Buch “Neben uns die Sintflut” (2017), wie der westliche Wohlstand grundsätzlich zulasten der Länder des Südens geht, weil die ökologischen und sozialen Kosten von Wirtschaftswachstum und Konsum systematisch dorthin abgewälzt werden. „Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, wir leben über die Verhältnisse anderer. Uns im Westen geht es gut, weil es den Menschen anderswo schlecht geht. Wir lagern Armut und Ungerechtigkeit aus, im Kleinen wie im großen Maßstab.“
Laut dem Global Foodprint Network lebt die Weltbevölkerung heute so, als hätte sie 1,6 Erden zur Verfügung. Würden alle auf der Welt so konsumieren, wie es Menschen in reichen Ländern wie Deutschland tun, bräuchte es mehr als drei Planeten. Denn Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, leistet es sich, jedes Jahr Essen und Waren einzukaufen, deren Anbau und Herstellung eine Fläche doppelt so groß wie die Bundesrepublik beansprucht – anderswo in der Welt. Deutschland ist der drittgrößte Lebensmittelimporteur der Welt, obwohl die Ackerflächen hierzulande ausreichen würden, um sich fast komplett selbst mit Essen zu versorgen. Aber nur ein Fünftel des hier angebauten Getreides wird zu Lebensmitteln verarbeitet – der Großteil wandert in Futtertröge, Biogasanlagen und Autotanks. Auf zwei Dritteln der Ackerfläche Deutschlands wächst Futter für die 200 Millionen Tiere in Massenställen, auf einem Fünftel sogenannte Energiepflanzen. Allein die Maisfelder dehnen sich hier auf einer Fläche der Größe Siziliens aus. Mit der Zerstörung der landwirtschaftlichen Vielfalt geht ein Verlust der Artenvielfalt einher: Mehr als drei Viertel der Insekten sind verschwunden, ein Drittel der heimischen Vögel ist bedroht und neun Prozent der Böden sind degradiert, weil mit den Monokulturen der Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wächst. Doch diese verheerenden Folgen spüren die sogenannten Konsument*innen nicht unmittelbar und existenziell, sind doch die Supermarktregale im reichen Deutschland stets randvoll. Die zerstörerische Landwirtschaft zum Zweck des Wirtschaftswachstums wäre nicht möglich, würde sich Deutschland nicht die Teller in anderen Teilen der Welt füllen. Weil nicht einmal die riesigen Futterflächen hier ausreichen, um immer mehr Fleisch für den deutschen Fleischwahn und den Export zu produzieren, importiert Deutschland jedes Jahr 4,5 Millionen Tonnen Futtersoja. Für diese Gentechnik-Monokulturen wird in Lateinamerika Indigenen Land geraubt und Wald vernichtet. Hunderte Millionen Liter Pestizide landen auf den Feldern, machen Menschen krank, ruinieren Böden und Wasser. Für industrielles Fertigessen, das im Supermarkt Ernährungsvielfalt vorgaukelt, und für Biosprit, der das Klima nicht rettet, werden gewaltige Mengen Palmöl aus Indonesien importiert – Landraub, Waldvernichtung und Gewalt gegen Indigene und Bauern inklusive. Weltweit ernten Sklaven in Plantagen und Gewächshäusern im Giftregen unser Importobst und -gemüse, denn auf weniger als einem Prozent der heimischen Ackerflächen wird Gemüse angebaut.

Um diese systematische Zerstörung zu legitimieren, haben sich Konzerne nahezu lückenlos mit Nachhaltigkeitssiegeln eingedeckt. Für jeden Rohstoff, dessen massenhafte Gewinnung gar nicht ökologisch und sozial gerecht erfolgen kann, gibt es mittlerweile Zertifizierungen. Ausgestellt meist von Industrieinitiativen, mit Unterstützung wirtschaftsfreundlicher NGOs wie etwa dem WWF. Da gib es den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO), das Forest Stewartship Council mit dem FSC-Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft, das Marine Stewardship Council, das nachhaltige Fischerei mit dem MSC-Siegel zertifiziert, Runde Tische für Rindfleisch (Global Roundtable on Sustainable Beef – GRSB) und Soja (Roundtable on Responsible Soy – RTRS) sowie die Initiative für bessere Baumwolle (Better Cotton Initiative – BCI). Sie arbeiten nicht an einer Reduktion der Rohstoffe, sondern an der Produktionssteigerung. Sie bieten ihnen Rohstoffzugang, sichern Milliardengewinne und stärken damit ihre Macht. Und sie agieren gegen die Interessen der lokalen Bevölkerung, die kein Top-down-Konzept wie die Verbesserung der Lieferkette in den reichen Norden fordert, sondern Landrechte und Ernährungssouveränität. Bereits heute könnten sich ja vier Milliarden mehr Menschen gut ernähren, wenn auf den Äckern der Welt nicht Futter- und Energiepflanzen wachsen würden.

Um die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse zu ändern, bräuchte es einen kollektiven Aufstand gegen das System, auf den wiederum eine radikale Änderung der Lebensweise des Westens folgen müsste. Eigentlich wissen doch die meisten ganz genau, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Warum glauben so viele, dass man drängende Probleme aussitzen könnte, bis Unternehmen alle retten? Ist das naiv? Ein Ohnmachtsgefühl? Oder ist es Zynismus und die kapitalistischen Gesellschaften des Nordens haben sich mit dem Elend der Welt abgefunden und betreiben Besitzstandswahrung?
Eine Antwort darauf geben Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem Buch „Imperiale Lebensweise“ (2017). “Wie wir produzieren und konsumieren, unsere imperiale Lebensweise also, sei tief in das allgemeine Bewusstsein, die alltäglichen Verhaltensweisen und die gesellschaftlichen Prägungen der Menschen eingeschrieben. Dadurch erscheint uns der Zusammenhang rational, normal und „natürlich“. Vor allem, wenn alle so handeln: viel Fleisch essen, viel Auto fahren und fliegen, viele Klamotten und ständig neue, noch weiter entwickelte Smartphones und Computer, alles zu jeder Zeit und möglichst billig. Die imperiale Lebensweise, so Brand und Wissen, beruhe „auf einer Art gesellschaftsstabilisierendem Kompromiss zwischen den Interessen der Herrschenden und breiteren Schichten der Bevölkerung“.

Diesem Kompromiss ist auch die Idee geschuldet, man könne innerhalb des Systems und mit etablierten Handlungsmustern etwas ändern: weiter konsumieren, aber eben „ethische“ Produkte. Aber es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Der Kapitalismus lässt sich nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er inkorporiert alles, auch Protest und Kritik. Er macht sie zur Ware, konsumierbar, und stärkt sich damit selbst.
Doch der globale Widerstand gegen die Ausbeutungsverhältnisse wächst: die Kleinbauernbewegungen, der Protest gegen erpresserische Freihandelsabkommen, die Besetzungen von Kohlekraftwerken und Tagebauen, der Widerstand gegen Massenmastanlagen, industrielle Landwirtschaft und gentechnisch verändertes Saatgut, gerichtliche Klagen gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung und die Bewegungen, die weltweit dafür kämpfen, dass Öl und andere fossile Rohstoffe im Boden bleiben. Jede Graswurzelinitiative, in der gerechte und übertragbare Alternativen zu den herrschenden Konsum-, Produktions- und Alltagsmustern entwickelt werden, hilft, praktische Erfahrungen zu sammeln und sich vom herrschenden System zu emanzipieren. Ein Beispiel ist die solidarische Landwirtschaft, in der Bürger*innen und Bäuer*innen gemeinsam bestimmen, was zu welchen Bedingungen angebaut und zu welchen Preisen weitergegeben wird. Damit ist es möglich, sich vom Diktat der Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten zu befreien und sich Essen und Natur als Gemeingut wieder anzueignen. In den krisengeschüttelten Ländern Griechenland und Spanien ist die solidarische Landwirtschaft keine Nische mehr, sondern versorgt Hunderttausende Menschen. Sie ist die praktische Umsetzung der Ernährungsunabhängigkeit, für die auch Kleinbauernbewegungen des Südens kämpfen. Ohne eine derart veränderte Landwirtschaft im Norden ist sie auch im Süden nicht möglich. Solche globalen Bewegungen, die für ökologische und soziale Gerechtigkeit kämpfen, dieser, wie es Jean Ziegler sie nennt, „planetarischen Zivilgesellschaft“, können wir uns anschließen. Jederzeit.