Krise, Krisen
Und zu tun gibt es einiges… Da wäre die schon seit Ende der 1990er Jahre schwelende politische Krise, eine Krise der Legitimation sowohl globaler, als auch nationalstaatlicher Institutionen, von der Welthandelsorganisation WTO, dem IWF und der Weltbank, über nationale Parlamente, Parteien und Klassenkompromisse. Zwar konnte dieser Legitimitätsverlust kurzzeitig durch den War on Terror aufgefangen werden, dieser stellte aber im besten Fall eine Strategie der Dominanz dar, die nach wenigen Jahren die Systemstabilität eher weiter unterminierte, als sie sicherzustellen. Zweitens ist da die Weltwirtschaftskrise, Resultat nicht ›nur‹ des Kollaps des Finanzwesens, sondern tieferer Ursachen wie, z.B. der Abwesenheit eines nachhaltigen Wachstumsmotors, in deren Folge immer mehr Profite mit immer kurzlebigeren bubbles gemacht werden mussten. Und– eingedenk, dass wir hier Krisentendenzen im Auge haben, die von herrschender Seite aus relevant sind – schließlich die Energiekrise: Die Vorkommen fossiler Energieträger, auf denen aktuell das Weltwirtschaftssystem basiert, neigen sich über kurz oder lang dem Ende zu, was mittelfristig steigende Energiepreise und Konflikte um ›Energiesicherheit‹ mit sich bringen wird. Ob der Neoliberalismus also ›am Ende‹ ist, darüber lässt sich streiten. Klar ist: Kapitale und Regierungen brauchen, in den Worten von Lord Sterns, »einen guten Wachstumsmotor […] um aus dieser [Krise] herauszukommen – es geht nicht einfach nur darum, die Nachfrage anzuheben« (FTD 2.12.2008). Woher einen solchen Motor nehmen?
Biokrise, Antagonismus und der grüne Kapitalismus
Es gibt eine weitere Krise nicht nur mit dem Potenzial, den Kapitalismus zu zerstören – sondern auch, ihm neues Leben einzuhauchen: Die Biokrise, die sich aus der Vielzahl sozialökologischer Krisen wie Klimakrise, Verlust von Biodiversität, Versteppung usw. zusammensetzt. Diese Krise birgt das Potenzial, nicht nur die Wirtschafts-, sondern gleich alle drei oben genannten Krisen auf einen Schlag zu lösen. Man bedenke drei Beispiele: erstens (Stichwort Legitimationskrise) den G8-Gipfel in Heiligendamm. Dort lief die globalisierungskritische Bewegung trotz taktisch brillanter Aktionen strategisch ins Leere. Während wir versuchten, die G8 mittels unserer ›traditionellen‹ antineoliberalen Kritik zu de-legitimieren, schaffte diese es – allen voran Angela Merkel –, sich dadurch zu relegitimieren, dass der Eindruck vermittelt wurde, hier würde das ›Menschheitsproblem‹ Klimawandel angegangen, gar gelöst. Zweitens (Stichwort Wirtschaftskrise) sind die vielen ›grünen‹ Konjunkturprogramme zu nennen, d.h. die mehr oder minder grünen Aspekte der verschiedenen schon verabschiedeten Programme: vom bundesdeutschen Paket, das relativ armselige 10 Prozent in grüne Sektoren investiert (inklusive der unökologischen ›Abwrackprämie‹), bis hin zum südkoreanischen mit 80 Prozent (FTD 2.3.2009). Ganz zu schweigen von den ein bis drei Billionen US-Dollar, die bis 2020 eventuell in den Kohlenstoffmarkt investiert werden können – entsteht hier der neue subprime-Markt (Guardian 25.3.2009)? Drittens (Stichwort Energiekrise) geht es bei der Förderung erneuerbarer Energien oft weniger ums Klima als um die Frage der Energiesicherheit – mehr Windenergie zuhause heißt weniger Abhängigkeit vom Öl anderer Länder. Ein weltweiter Klimaschutz birgt enorme Exportchancen für jene Staaten, die zu den Weltmarktführern bei der Ökotechnologie zählen. Dies ist laut Bundesumweltbericht 2009 insbesondere Deutschland.
Was genau passiert hier? Krisen sind im Kapitalismus nicht notwendigerweise negativ: Der Kern des fordistisch-keynesianischen New Deals, der zur temporären Lösung der Krise der 1920er und 30er Jahre beitrug, lag darin, dass der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital weder gelöst noch ignoriert, sondern herrschaftsförmig internalisiert wurde. Es war dieser Antagonismus, der – domestiziert und entschärft in den korporatistischen Abkommen zur Lohn- und Produktivitätssteigerung, sowie den Kämpfen der fordistischen Ära, die sich bald nur noch um die Höhe des Lohns drehten – dann eine neue Periode kapitalistischer Entwicklung und Akkumulation anstieß: das ›goldene Zeitalter‹ des Kapitals. Das Geheimnis der Langlebigkeit des Kapitals liegt auch in seiner Fähigkeit, Grenzen und die Krisen, die sie produzieren, als Triebfeder seiner weiteren Ausdehnung zu benutzen.
Was vor 80 Jahren der Klassenantagonismus war, ist nun die Biokrise, selbst Resultat eines ebenso unauflöslichen Antagonismus zwischen dem kapitalistischen Zwang zur grenzenlosen Akkumulation und unserem kollektiven Überleben in einer begrenzten Biosphäre – zwischen unendlichem Wachstum und unserer Existenz auf einem endlichen Planeten. Die Biokrise könnte es Kapitalfraktionen und Regierungen erlauben, die oben beschriebenen Legitimations-, Akkumulations-, und Energiekrisen zumindest zeitweise herrschaftsförmig zu bearbeiten. Der Antagonismus soll und kann nicht gelöst, vielmehr zur Triebfeder eines neuen ›grünen Kapitalismus‹ werden und gleichzeitig zur Ausdehnung staatlicher Regulation und Herrschaft in unsere Alltagsleben dienen. In der politischen Energie, die von der Biokrise produziert wird – zum Beispiel in der weit verbreiteten Wahrnehmung des Klimawandels als ein ›Menschheitsproblem‹ – liegt das Potenzial, durch die so genannte ›ökologische Modernisierung‹ wirtschaftlicher und politischer Strukturen bedeutende neue Akkumulationsräume und politische Legitimationsreserven zu erschließen.
Der Green New Deal und linke Gegenstrategien
Während es also gut denkbar ist, dass der GND tatsächlich die Wirtschafts- und anderen Krisen zumindest zeitweise lösen kann, so wird deutlich, dass er die Biokrise nicht lösen wird – denn er ist ein attraktives Projekt der kapitalistischen Modernisierung und perpetuiert ihre Dynamik: »Akkumuliert, akkumuliert!« (MEW 23, 621). Kapital braucht oder ist Akkumulation, und 200 Jahre real existierende Kapitalakkumulation ist immer im Umweltraum expansiv gewesen.
Viele versprechen, dass die Geschichte vom umweltverträglichen (›nachhaltigen‹) kapitalistischen Wachstum, die uns seit über 20 Jahren erzählt wird, diesmal wahr wird – wirklich! Es mag so sein, dass der Klimaschutz für die Weltgemeinschaft billiger ist als der fortgesetzte Klimawandel. Damit ist aber nicht geklärt, wer für die Kosten aufkommt. Auf den globalen Klimakonferenzen ringen die Staaten daher um die Ausgestaltung des künftigen Klimaregimes, das ihre Stellung in der globalen Konkurrenz der Kapitalstandorte entscheidend modifiziert. Wer gewinnt und wer verliert – diese Fragen lassen die Klimaverhandlungen immer wieder scheitern oder mit kleinlichen Minimal-Kompromissen enden, voraussichtlich auch in Kopenhagen im Dezember 2009.
20 Jahre ökologischer Modernisierung des Kapitalismus haben erstaunliche Fortschritte, aber keine relevanten ökologisch positiven Effekte ermöglicht. Erneut auf die Ergebnisse eines Klimagipfels zu setzen, also immer wieder das Gleiche zu tun, und dabei trotzdem andere Ergebnisse zu erwarten – so definierte Albert Einstein einmal den Wahnsinn. In diesem Sinne ist die real existierende Klimapolitik ›wahnsinnig‹: Weder Emissionshandel, noch die Einspeisung von mehr erneuerbaren Energien in den Energiemix haben nennenswerte Emissionsreduktionen produziert. Emissionshandel hat sich als weniger effektiv und langsamer erwiesen als die z.B. in Deutschland durchgesetzten direkten Ver- und Gebotsmaßnahmen. Kontraproduktiv ist auch der ›Kohlenstoff-Ablasshandel‹ im Rahmen des Clean Development Mechanism des Kyoto-Protokolls, der es Industrieländern erlaubt, Emissionsreduktionen im globalen Süden zu tätigen, anstatt ihre eigenen Emissionen zu verringern.
Im März stellte eine Konferenz in Kopenhagen fest, dass die Erderwärmung deutlich schneller vonstatten geht, als dies in den pessimistischsten Szenarien des Weltklimarates vorhergesagt wurde (Guardian 12/2009) – es werden nicht nur immer mehr Treibhausgase ausgestoßen, sondern die Geschwindigkeit des Anstiegs steigt sogar.3 Es gab nur zwei Prozesse, die in den letzten 20 Jahren tatsächlich zu klimaschutzrelevanten Reduktionen geführt haben: der Zusammenbruch der wachstumsfixierten Wirtschaften des staatssozialistischen Ostblocks und die gegenwärtige Wirtschaftskrise.4 Diese beiden Prozesse haben eines gemeinsam: drastische Einbrüche des Wirtschaftswachstums.