Auf den globalen Klimakonferenzen ringen die Staaten um die Ausgestaltung des künftigen Klimaregimes, das ihre Stellung in der globalen Konkurrenz der Kapitalstandorte entscheidend modifiziert. Wer gewinnt und wer verliert – diese Fragen lassen die Klimaverhandlungen immer wieder scheitern oder mit kleinlichen Minimal-Kompromissen enden, voraussichtlich auch in Kopenhagen im Dezember 2009. »Der Kapitalismus ist ein hochgradig lernfähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Krise und jede Opposition in einen Innovationsschub verwandelt hat.« (Ralf Fücks)1

Der neoliberale Kapitalismus steckt in der Krise. Genauer gesagt, in den Krisen, und Krisen sind bekanntlich Zeiten, in denen die Dinge sich ändern und die Karten neu gemischt werden. Dementsprechend fand kurz vor der Europawahl auch eine kleine Revolution statt, als die Financial Times Deutschland – Stimme des aufgeklärten, internationalisierten Kapitals – eine Wahlempfehlung nicht für die FDP, schon gar nicht für die mittlerweile allzu sozialdemokratisierte Union aussprach, sondern für die Grünen. Sie sprechen von der Partei als »marktfreundliche[m] Innovationsmotor«, vom »grünen New Deal«, der vorsieht, »über ehrgeizige Klimaschutzvorgaben ein Konjunkturprogramm für ökologische Zukunftstechnologien« aufzulegen. Schlussfolgerung: »Wer mit seiner Stimme also sinnvolle Veränderungen vorantreiben will, kann sein Kreuzchen diesmal bei den Grünen machen.« (FTD 2009)

Da stellt sich die Frage, was den »Green New Deal« (GND) für die Redaktion der FTD so attraktiv macht. Unsere These dazu ist folgende: Interessant am GND ist für die Kapitalseite nicht, ob er nun wirklich die Vielzahl von derzeit akuten ökologischen Krisen2 lösen kann – wir gehen davon aus, dass er dies nicht kann, vgl. unten –, sondern ob er diese Krisen als neuen Wachstumsmotor internalisieren kann, um damit die anderen Krisen des Kapitalismus zu lösen. Es geht also nicht um einfaches greenwashing, grün-gefärbtes Marketing ohne wirkliche Substanz. Es geht vielmehr darum, am Ende des neoliberalen Wachstumsregimes eine neue Akkumulationsperiode loszutreten, einen »grünen Kapitalismus«. Und im grünen Kapitalismus wird die »Biokrise« eben weder gelöst noch ignoriert, sondern steht im Zentrum der Wachstumsstrategie. Der grüne Kapitalismus, dessen progressivste Ausformulierung der Vorschlag für einen GND ist, stellt also eine Art ökologischer Inversion von Kennedys berühmten Satz dar: Frage nicht, was du für die Umwelt tun kannst, sondern was die Umwelt für dich tun kann.

Krise, Krisen

Und zu tun gibt es einiges… Da wäre die schon seit Ende der 1990er Jahre schwelende politische Krise, eine Krise der Legitimation sowohl globaler, als auch nationalstaatlicher Institutionen, von der Welthandelsorganisation WTO, dem IWF und der Weltbank, über nationale Parlamente, Parteien und Klassenkompromisse. Zwar konnte dieser Legitimitätsverlust kurzzeitig durch den War on Terror aufgefangen werden, dieser stellte aber im besten Fall eine Strategie der Dominanz dar, die nach wenigen Jahren die Systemstabilität eher weiter unterminierte, als sie sicherzustellen. Zweitens ist da die Weltwirtschaftskrise, Resultat nicht ›nur‹ des Kollaps des Finanzwesens, sondern tieferer Ursachen wie, z.B. der Abwesenheit eines nachhaltigen Wachstumsmotors, in deren Folge immer mehr Profite mit immer kurzlebigeren bubbles gemacht werden mussten. Und– eingedenk, dass wir hier Krisentendenzen im Auge haben, die von herrschender Seite aus relevant sind – schließlich die Energiekrise: Die Vorkommen fossiler Energieträger, auf denen aktuell das Weltwirtschaftssystem basiert, neigen sich über kurz oder lang dem Ende zu, was mittelfristig steigende Energiepreise und Konflikte um ›Energiesicherheit‹ mit sich bringen wird. Ob der Neoliberalismus also ›am Ende‹ ist, darüber lässt sich streiten. Klar ist: Kapitale und Regierungen brauchen, in den Worten von Lord Sterns, »einen guten Wachstumsmotor […] um aus dieser [Krise] herauszukommen – es geht nicht einfach nur darum, die Nachfrage anzuheben« (FTD 2.12.2008). Woher einen solchen Motor nehmen?

Biokrise, Antagonismus und der grüne Kapitalismus

Es gibt eine weitere Krise nicht nur mit dem Potenzial, den Kapitalismus zu zerstören – sondern auch, ihm neues Leben einzuhauchen: Die Biokrise, die sich aus der Vielzahl sozialökologischer Krisen wie Klimakrise, Verlust von Biodiversität, Versteppung usw. zusammensetzt. Diese Krise birgt das Potenzial, nicht nur die Wirtschafts-, sondern gleich alle drei oben genannten Krisen auf einen Schlag zu lösen. Man bedenke drei Beispiele: erstens (Stichwort Legitimationskrise) den G8-Gipfel in Heiligendamm. Dort lief die globalisierungskritische Bewegung trotz taktisch brillanter Aktionen strategisch ins Leere. Während wir versuchten, die G8 mittels unserer ›traditionellen‹ antineoliberalen Kritik zu de-legitimieren, schaffte diese es – allen voran Angela Merkel –, sich dadurch zu relegitimieren, dass der Eindruck vermittelt wurde, hier würde das ›Menschheitsproblem‹ Klimawandel angegangen, gar gelöst. Zweitens (Stichwort Wirtschaftskrise) sind die vielen ›grünen‹ Konjunkturprogramme zu nennen, d.h. die mehr oder minder grünen Aspekte der verschiedenen schon verabschiedeten Programme: vom bundesdeutschen Paket, das relativ armselige 10 Prozent in grüne Sektoren investiert (inklusive der unökologischen ›Abwrackprämie‹), bis hin zum südkoreanischen mit 80 Prozent (FTD 2.3.2009). Ganz zu schweigen von den ein bis drei Billionen US-Dollar, die bis 2020 eventuell in den Kohlenstoffmarkt investiert werden können – entsteht hier der neue subprime-Markt (Guardian 25.3.2009)? Drittens (Stichwort Energiekrise) geht es bei der Förderung erneuerbarer Energien oft weniger ums Klima als um die Frage der Energiesicherheit – mehr Windenergie zuhause heißt weniger Abhängigkeit vom Öl anderer Länder. Ein weltweiter Klimaschutz birgt enorme Exportchancen für jene Staaten, die zu den Weltmarktführern bei der Ökotechnologie zählen. Dies ist laut Bundesumweltbericht 2009 insbesondere Deutschland.

Was genau passiert hier? Krisen sind im Kapitalismus nicht notwendigerweise negativ: Der Kern des fordistisch-keynesianischen New Deals, der zur temporären Lösung der Krise der 1920er und 30er Jahre beitrug, lag darin, dass der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital weder gelöst noch ignoriert, sondern herrschaftsförmig internalisiert wurde. Es war dieser Antagonismus, der – domestiziert und entschärft in den korporatistischen Abkommen zur Lohn- und Produktivitätssteigerung, sowie den Kämpfen der fordistischen Ära, die sich bald nur noch um die Höhe des Lohns drehten – dann eine neue Periode kapitalistischer Entwicklung und Akkumulation anstieß: das ›goldene Zeitalter‹ des Kapitals. Das Geheimnis der Langlebigkeit des Kapitals liegt auch in seiner Fähigkeit, Grenzen und die Krisen, die sie produzieren, als Triebfeder seiner weiteren Ausdehnung zu benutzen.

Was vor 80 Jahren der Klassenantagonismus war, ist nun die Biokrise, selbst Resultat eines ebenso unauflöslichen Antagonismus zwischen dem kapitalistischen Zwang zur grenzenlosen Akkumulation und unserem kollektiven Überleben in einer begrenzten Biosphäre – zwischen unendlichem Wachstum und unserer Existenz auf einem endlichen Planeten. Die Biokrise könnte es Kapitalfraktionen und Regierungen erlauben, die oben beschriebenen Legitimations-, Akkumulations-, und Energiekrisen zumindest zeitweise herrschaftsförmig zu bearbeiten. Der Antagonismus soll und kann nicht gelöst, vielmehr zur Triebfeder eines neuen ›grünen Kapitalismus‹ werden und gleichzeitig zur Ausdehnung staatlicher Regulation und Herrschaft in unsere Alltagsleben dienen. In der politischen Energie, die von der Biokrise produziert wird – zum Beispiel in der weit verbreiteten Wahrnehmung des Klimawandels als ein ›Menschheitsproblem‹ – liegt das Potenzial, durch die so genannte ›ökologische Modernisierung‹ wirtschaftlicher und politischer Strukturen bedeutende neue Akkumulationsräume und politische Legitimationsreserven zu erschließen.

Der Green New Deal und linke Gegenstrategien

Während es also gut denkbar ist, dass der GND tatsächlich die Wirtschafts- und anderen Krisen zumindest zeitweise lösen kann, so wird deutlich, dass er die Biokrise nicht lösen wird – denn er ist ein attraktives Projekt der kapitalistischen Modernisierung und perpetuiert ihre Dynamik: »Akkumuliert, akkumuliert!« (MEW 23, 621). Kapital braucht oder ist Akkumulation, und 200 Jahre real existierende Kapitalakkumulation ist immer im Umweltraum expansiv gewesen.

Viele versprechen, dass die Geschichte vom umweltverträglichen (›nachhaltigen‹) kapitalistischen Wachstum, die uns seit über 20 Jahren erzählt wird, diesmal wahr wird – wirklich! Es mag so sein, dass der Klimaschutz für die Weltgemeinschaft billiger ist als der fortgesetzte Klimawandel. Damit ist aber nicht geklärt, wer für die Kosten aufkommt. Auf den globalen Klimakonferenzen ringen die Staaten daher um die Ausgestaltung des künftigen Klimaregimes, das ihre Stellung in der globalen Konkurrenz der Kapitalstandorte entscheidend modifiziert. Wer gewinnt und wer verliert – diese Fragen lassen die Klimaverhandlungen immer wieder scheitern oder mit kleinlichen Minimal-Kompromissen enden, voraussichtlich auch in Kopenhagen im Dezember 2009.

20 Jahre ökologischer Modernisierung des Kapitalismus haben erstaunliche Fortschritte, aber keine relevanten ökologisch positiven Effekte ermöglicht. Erneut auf die Ergebnisse eines Klimagipfels zu setzen, also immer wieder das Gleiche zu tun, und dabei trotzdem andere Ergebnisse zu erwarten – so definierte Albert Einstein einmal den Wahnsinn. In diesem Sinne ist die real existierende Klimapolitik ›wahnsinnig‹: Weder Emissionshandel, noch die Einspeisung von mehr erneuerbaren Energien in den Energiemix haben nennenswerte Emissionsreduktionen produziert. Emissionshandel hat sich als weniger effektiv und langsamer erwiesen als die z.B. in Deutschland durchgesetzten direkten Ver- und Gebotsmaßnahmen. Kontraproduktiv ist auch der ›Kohlenstoff-Ablasshandel‹ im Rahmen des Clean Development Mechanism des Kyoto-Protokolls, der es Industrieländern erlaubt, Emissionsreduktionen im globalen Süden zu tätigen, anstatt ihre eigenen Emissionen zu verringern.

Im März stellte eine Konferenz in Kopenhagen fest, dass die Erderwärmung deutlich schneller vonstatten geht, als dies in den pessimistischsten Szenarien des Weltklimarates vorhergesagt wurde (Guardian 12/2009) – es werden nicht nur immer mehr Treibhausgase ausgestoßen, sondern die Geschwindigkeit des Anstiegs steigt sogar.3 Es gab nur zwei Prozesse, die in den letzten 20 Jahren tatsächlich zu klimaschutzrelevanten Reduktionen geführt haben: der Zusammenbruch der wachstumsfixierten Wirtschaften des staatssozialistischen Ostblocks und die gegenwärtige Wirtschaftskrise.4 Diese beiden Prozesse haben eines gemeinsam: drastische Einbrüche des Wirtschaftswachstums.

Der attraktiv klingende Vorschlag für einen GND ignoriert die ökologisch zentrale Dimension des Wachstums. Längst hat die ökonomische Perspektive die ökologische abgelöst. Doch trotz dieser offensichtlichen Schwäche – die selben Grünen, die jetzt den GND als das bessere kapitalistische Wachstumsprogramm verkaufen, haben bis vor kurzem noch vor den ›Grenzen des Wachstums‹ gewarnt – präsentiert dieses Programm sich nach links als pragmatische, angesichts der allseits beschworenen Dringlichkeit der ökologischen Krisen einzig mögliche Route, die eine sozial-ökologische Linke beschreiten kann. Dies ist nur so lange wahr, wie die Linke dem kapitalistischen Wachstumsprinzip verhaftet bleibt. Denkt man darüber hinaus, eröffnen sich neue politische Möglichkeiten, auch Notwendigkeiten. Zum Beispiel: Klimagerechtigkeit statt Wachstumswahn! Dies ist keine leere Forderung, kein abstrakt-radikaler Allgemeinplatz. Nach dem Niedergang der großen globalisierungskritischen Gipfelproteste ist in den letzten Jahren eine globale Bewegung für Klimagerechtigkeit entstanden: Die Klimakrise ist ein soziales Problem. Sie ist Resultat sozialer, kapitalistischer und anderer Ausbeutungsverhältnisse (Nord/ Süd, Gender etc.). Deshalb muss jeder Versuch, sie zu lösen, an diesen Verhältnissen und nicht einseitig an der (technischen) Frage der Ressourceneffizienz ansetzen. Die Bewegungen, die zum und vor allem gegen den so genannten Klimagipfel im Dezember dieses Jahres in Kopenhagen mobilisieren, stehen daher unter dem Motto: »Change the system, not the climate!« Es müssen Schritte unternommen werden, die tatsächliche klimapolitische Relevanz haben und drastische Emissionsreduktionen produzieren. Diese Schritte müssen die soziale Frage im Blick haben, somit sowohl das Gerechtigkeitsgefälle im Klimawandel bearbeiten, als auch die sozialen Ursachen des Klimawandels – die kapitalistische Produktionsweise – bekämpfen. Gleichzeitig müssen diese geforderten, und soweit als möglich schon praktizierten Schritte angesichts der krisenbedingten Offenheit des politischen Feldes eine Art klimapolitisches Übergangsprogramm darstellen, das zumindest potenziell hegemoniefähig ist, uns aber auf jeden Fall vom Pfad des immer weiteren Wachstums abbringt. Einige der Vorschläge der Bewegung um Kopenhagen sind: Energiekonzerne enteignen, Energiesysteme dezentralisieren; fossile Ressourcen im Boden lassen; Lokalisierung der Nahrungsmittelproduktion, Ernährungssouveränität; Reform unserer Städte und Transportsysteme, Ausbau des öffentlichen Sektors; Anerkennung und Zahlung ökologischer Schuld des Nordens an den Süden. Sicherlich: was hier verlangt und relativ kleinteilig bereits praktiziert wird, ist nicht leicht umzusetzen. All diese Schritte würden unser Leben, vor allem im globalen Norden, massiv verändern und unsere Konsummöglichkeiten drastisch einschränken. Aber genau das ist notwendig: Wir können uns business as usual nicht mehr leisten.

Wir können einfach so weitermachen und hoffen, dass ein Green New Deal alles für uns richtet, quasi hinter unserem Rücken und ohne, dass sich unsere Leben wirklich ändern. Aber das wäre – der reine Wahnsinn. Stattdessen gäbe es eine neue Welt jenseits von Konsumismus und Lohnarbeit zu gewinnen (Kaufmann/Müller 2009).

Der Artikel von Tadzio Müller und Stephan Kaufmann  ist der zweite von drei Beiträgen zur Debatte Green New Deal, die in Heft 1 erschien. Sie bildet einen Ausschnitt der Diskussionen im Rat für radikale Realpolitik – Der Zukunftskommission der RLS  – über die Tragfähigkeit eines solchen Projekts:  Kann ein Green New Deal zur Lösung der Krisen beitragen und auch soziale Belange und Gerechtigkeitsfragen mit Blick auf den ›globalen Süden‹ berücksichtigen oder nicht?

1 Bei der Neugründung des Rates für radikale Realpolitik – Der Zukunftskommission der RLS am 14.5.2009, Berlin; vgl. auch Fücks/Steenbock (2007, 63).

2 Neben der Klimakrise wären da noch der Verlust von Biodiversität, Versteppung, Wassermangel, Zerstörung ökologischer Ökosysteme (v.a. in den Meeren) u.a.m.

3 www.bio-medicine.org/biology-news/Increase-in-carbondioxide-emissions-accelerating-3706-1/ – jedenfalls war dies bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise der Fall. 

4 http://euobserver.com/9/27913; http://withoutyourwalls.wordpress.com/2009/06/24/its-the-economy-stupid/ 

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