Die soziale Ungleichheit bei den privaten Vermögen und bei den verfügbaren Einkommen hat sich in den letzten Jahren verschärft. Wie reflektieren Reiche die Zunahme der sozialen Ungleichheit?1

Finanzplatz Schweiz

Ein Prozent der privaten Steuerpflichtigen verfügt heute in der Schweiz über mehr steuerbares Nettovermögen als die übrigen 99 Prozent (Credit Suisse 2010).2 Seit den 1980er Jahren (und vor allem seit den letzten fünf Jahren) driftet die soziale Ungleichheit in der Schweiz stärker auseinander als in fast allen anderen Ländern der Welt. Die Vermögen der 300 Reichsten stiegen von 86 Milliarden im Jahr 1989 auf 470 Milliarden im Jahr 2009. (Bilanz, 3.12.2010)3 Und das trotz Einbußen, die Reiche (nur kurz) durch die Finanzkrise verzeichneten. In der Schweiz lebt fast jeder zehnte Milliardär oder Milliardärin der Welt. Das sind rund 120 Personen, wenn wir die Superreichen ohne Schweizer Pass ebenfalls berücksichtigen.4 Die Schweiz hat eine der höchsten Millionärsdichten. Bei 220000 Personen übersteigt das Reinvermögen eine Million Franken. Und die »Gehaltsmillionäre« haben von 1997 bis 2008 von 510 auf 2824 Personen (Lampart/Gallusser 2011, 5) zugenommen. Heute (2011) erzielen rund 4000 Personen ein höheres Jahreseinkommen als eine Million Franken. Schweizer Banken verwalten über 2000 Milliarden Franken an privaten Vermögen von Personen, die in der Schweiz wohnen. Hinzu kommt ein noch höherer Betrag von Reichen aus aller Welt. Mit einem Marktanteil von 27 Prozent und einem verwalteten Vermögen von über 2100 Milliarden Dollar ist die Schweiz der größte Offshore-Finanzplatz der Welt. Ein Offshore-Finanzplatz ist, einfach gesagt, eine Steueroase mit hoher Vertraulichkeit, wenig Aufsicht und Regulierung. Dabei erweist sich die politische Stabilität als zentral, zusammen mit der Verschwiegenheit und Bereitschaft der Banken, Steuerhinterziehung zu fördern. Die Schweizer Banken verfügen schätzungsweise über eine Billion Franken unversteuerte Privatvermögen aus dem Ausland. 200 Milliarden stammen aus Deutschland. Diese Gelder bringen der Branche jährlich Erträge von mindestens fünf Milliarden Franken. Zudem hilft die Börse den Wohlhabenden, ihre professionell verwalteten Vermögen auch dann zu vermehren, wenn andere Verluste erleiden und die Sparbücher der einfachen Leute stagnieren. Die 300 Reichsten der Schweiz sind durch Erbschaften reich geworden. Zehn Prozent der Erben erhalten drei Viertel der Erbschaften. Und von den gut 40 Milliarden Franken, die im Jahr 2010 vererbt werden, gehen mehr als die Hälfte an (mehrfache) Millionärinnen und Millionäre. Viele von ihnen betrachten diese Geschenke als persönliches Verdienst. Aber da kommt mehr ein oligarchisches Verständnis zum Tragen, denn ein meritokratisches, das auf eigene Leistung baut. Hans Kissling (2008), der ehemalige Zürcher Kantonsstatistiker, kritisiert, wie der »Reichtum ohne Leistung« zu einer »Refeudalisierung der Schweiz« führt. Mehrere Reiche baten in unserer Befragung, dass ich ihnen als Soziologe erklären möge, weshalb eine Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, auf eine Erbschaftssteuer zu verzichten, die dem Staat und den Gemeinwesen erhebliche Einkünfte bescheren könnte. Zudem gibt es auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine nationale Erbschaftssteuer befürworten, beispielsweise Dagobert Kuster, der ehemalige Direktor der Basler Volksbank. Er befürchtet, dass die hohen unversteuerten Erbschaften an mehrfache Millionärinnen und Millionäre die Jugendlichen in ihrer Leistungsbereitschaft demotiviert.

Im Kontext der Krise

»Ich wäre bisweilen richtig glücklich, wenn wir uns bei allem eidgenössischen Gejammer daran erinnerten, dass es uns richtig gut geht.« So äußerte sich Franz C. Widmer, der ehemalige Chefredakteur der Basellandschaftlichen Zeitung im Rahmen unserer Studie Wie Reiche denken und lenken (Mäder u.a. 2010, 387). Wir wollten von ihm wissen, was sich im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise in der Schweiz verändert. Der ebenfalls interviewte Basler Anwalt Andreas C. Albrecht, Präsident des Bankrates, stellte »bei vielen Bankern fast eine neue Bescheidenheit« fest (ebd.). Die Wirtschaftskrise hat nach seiner Beobachtung in der Schweizer Wirtschaft dazu geführt, »dass die vielen Führungspersonen, die schon vorher eine mehr oder weniger ausgeprägte soziale Verantwortung wahrgenommen haben, sich in dieser Haltung bestärkt sehen und diese mit mehr Selbstbewusstsein vertreten«. Ob die Finanz- und Wirtschaftskrise die Sinnfrage und die Idee der sozialen Verträglichkeit des Eigentums in den Vordergrund rückt, bezweifeln viele befragte Reiche. Zuversichtlich äußerte sich auch Roger de Weck (2009), der neue Radio- und Fernsehdirektor.5 Die Finanzkrise zeige, wie wichtig neue Anstöße zu einer ökosozialen Ordnung seien. Der Kapitalismus benötige einen sozialen Rahmen, der das Diktat der kurzfristigen Kapitalverwertung durchbreche. Als konkrete Lehre aus der Finanzkrise schlug der in Deutschland lebende Milliardär Götz Werner vor, fortan alle Aktionäre und Verwaltungsräte mit ihrem eigenen Kapital haften zu lassen. Dann müssten sie die Sorgfaltspflicht und Kontrolle auch ernster nehmen. (Mäder u.a. 2010, 388) Die einflussreiche Wirtschaft benötige jedenfalls ein politisches Korrektiv, beteuerte der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf, der im Juni 2009 verstorben ist (ebd. 82;90). Ohne verbindliche Vereinbarungen kämen autoritäre Strömungen auf, die das wirtschaftliche Ungleichgewicht und die soziale Verunsicherung gefährlich ausnützen könnten. Wenn sich die soziale Schere weiter öffne, dann breche der gesellschaftliche Zusammenhalt auf. Weitere Reiche begründeten ihre politisch liberale Haltung und ihr Eintreten für eine soziale Marktwirtschaft mit »humanitären und philosophischen Erwägungen«. Schließ- lich müssten wir alle einmal sterben, lautete eine »ganz persönliche Kritik an der Raffgesellschaft«. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit relativiere nämlich die Bedeutung des Reichtums. »Denn nackt bin ich zur Welt gekommen und nackt gehe ich«, sagte der im Jahr 2010 verstorbene Zürcher Mäzen Branco Weiss immer wieder. Und Christine Cerletti-Sarasin, die auch den Bau des Basler Schauspielhauses finanzierte, erzählte: »Mir wurde am Totenbett von meinem Vater sehr klar: Am Schluss hat man nur noch den Körper, und auch den gibt man dann her. Das Geld nützt dann überhaupt nichts. Ich will nur sagen: Man sollte die Leute wieder zurück auf die Schiene des Wesentlichen bringen, damit sie wissen, was wirklich zählt im Leben.« (ebd., 266) Ja, was ist eigentlich wichtig im Leben? Geht es primär darum, dass sich alles immer schneller dreht und wir permanent und Angst besetzt die Effizienz optimieren und private Vermögen vermehren? Solche Fragen stellen sich gewiss etliche Reiche. Und sie tun dies durchaus im Bewusstsein, dass »das liebe Geld kein gutes Leben ersetzt«. Etliche wollen auch »der sozialen Marktwirtschaft zu einem Comeback verhelfen«. Das ist gewiss bemerkenswert. Aber wie tragfähig und wirkungsvoll ist die oft betonte politisch liberale Kritik am angelsächsischen Marktliberalismus?

Wohltätiges Imperium?

Bei den Finanzgeschäften ist die kleine Schweiz ein Imperium. Sie nimmt bei den direkten Investitionen im Ausland mit 632 Milliarden Franken weltweit den vierten Platz ein. Schweizer Investoren spielen auch auf dem internationalen Markt für Hedgefonds eine zentrale Rolle. Hedgefonds verfolgen eine spekulative Anlagestrategie. Sie gehen für hohe Gewinne hohe Risiken ein. Jeder siebte Franken, der in London oder New York in Hedgefonds fließt, kommt aus der Schweiz. »Europa giert nach Schweizer Geld«, schreibt Die Weltwoche vom 8. Oktober 2010. 100 Milliarden Franken investiert die Schweizer Nationalbank beispielsweise in die Stabilität des Euro. Mit 690 Millionen Franken beteiligt sich der Bund auch am Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Griechenland. 500 Millionen Franken gehen über das »Bundesgesetz Ost« für neues Rollmaterial nach Polen. Für die Entwicklungshilfe will die Schweiz aber keine 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zahlen. Die Schweiz liegt mit ihrem Anteil von 0,45 Prozent weit hinter dem zurück, was die Vereinten Nationen längst fordern. Die Finanzkommission des Nationalrates lehnte im Jahr 2010 sogar eine Erhöhung der Quote auf 0,5 Prozent ab. Soviel schlug die ständerätliche Schwesterkommission für die Periode bis 2015 vor. Als Entwicklungshilfe gewährt die Schweiz gerne Mischkredite. Diese Kredite sind an die Auflage geknüpft, mit dem Schweizer Geld hauptsächlich Schweizer Maschinen und Schweizer Unternehmen zu berücksichtigen. So bleibt ein Teil des Geldes gleich von Anfang an in der Schweiz und ein weiterer Teil fließt über Umwege in die Schweiz zurück. Das ist auch bei jenen Krediten der Fall, die in Entwicklungsregionen nicht für produktive Anlagen, sondern für prestigeträchtige Luxusgüter verwendet werden oder als Fluchtgelder wieder zu den Schweizer Banken gelangen. Die Schweiz ist also weit vom UNO-Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe aufzubringen. Um den Rückstand aufzuholen, wird inländische Hilfe für Flüchtlinge als Entwicklungshilfe verbucht. Dazu zählen Aufwendungen, die in Abschiebegefängnissen anfallen. Stolz ist die Schweiz auf ihre Wohltätigkeit im eigenen Land. In der Schweiz existieren 12000 gemeinnützige Stiftungen. Diese verwalten rund 50 bis 80 Milliarden Franken. Das sind pro Kopf mehr Gelder als in der Stiftungshochburg USA. Private Spenden liegen im Trend. Reiche tun sich hier besonders hervor. Die private Wohltätigkeit folgt aber nicht nur dem Herzen. Sie dient auch dem Prestige. Das alte, verschwiegene Mäzenatentum weicht teilweise dem publikumswirksamen Geben. Wohltätigkeit sucht zunehmend das Scheinwerferlicht. Private Spenden betonen den eigenen Status und verstärken den persönlichen Einfluss. Wichtiger als das individuelle Mäzenatentum ist allerdings der strukturelle soziale Ausgleich. Wenn die öffentliche Hand die Kapitalgewinne besteuert, hat sie mehr Mittel für die soziale Sicherheit. Die Stiftungen und Spenden können den Sozialstaat gewiss ergänzen, aber nicht ersetzen. Sie ermöglichen es Reichen teilweise auch, Geld am Fiskus vorbeizuführen und nach eigenem Belieben einzusetzen.

Politische Stabilität

Historisch geht der Reichtum der Schweiz auch auf den geringen Zentralismus und auf einen Feudaladel zurück, der eher niedrige Abgaben verlangte. So floss Geld in die frühe Industrialisierung. Uhren- und Textilproduktion und das Bankenwesen wurden protegiert – mit der liberalen Handelspolitik, die sie heute von armen Ländern fordert, wäre sie kaum so reich geworden. Hohe Einkünfte erzielte die Schweiz jeweils auch, wenn andere Krieg führten und ihr Geld in Sicherheit bringen wollten. So machten sich die guten Dienste, die politische Stabilität und die Neutralität reichlich bezahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbesserten in der Schweiz auch breite Bevölkerungsteile ihre materielle Lebenssituation. Soziale Unterschiede nahmen ab. Der politische Liberalismus betrachtete Arbeit und Kapital als gleichwertig. Mit der Verschärfung der internationalen Konkurrenz setzte sich in den 1980er Jahren vermehrt der angelsächsische Neo-Liberalismus durch. Er zielt vor allem darauf ab, das Kapital zu vermehren und die Rationalisierung der Produktion zu forcieren. Da es mit der Verteilung hapert, nimmt seither in der Schweiz auch die Erwerbslosigkeit zu. Und die verfügbaren Einkommen sinken in den unteren Lohnkategorien. Das fordert das System der sozialen Sicherheit heraus, das sich jedoch einseitig an der Erwerbsarbeit orientiert und neue Problemlagen ignoriert. Nach offiziellen Angaben gibt es in der Schweiz derzeit weniger als 200000 erwerbstätige Arme. Zu diesen working poor gehört, wer mindestens zu 90 Prozent erwerbstätig ist und weniger Lohn erhält, als das Existenzminimum ausmacht. Wenn Kinder und weitere Familienangehörige in Haushalten berücksichtigt werden, sind es mehr als doppelt so viele Betroffene. Nimmt man alleinerziehende Mütter hinzu, die wegen ihrer Betreuungspflichten weniger als 90 Prozent Lohnarbeit verrichten, machen die working poor fast eine halbe Million aus. Die Schweiz verharmlost diese Armut und definiert sie teilweise einfach weg.

Resignation und Empörung

Das öffentliche Verschweigen von Armut kann Betroffene dazu verleiten, den Anschein zu erwecken, alles sei in bester Ordnung, auch wenn ein hoher Leidensdruck vorhanden ist (vgl. Mäder u.a. 1991). Eine allein erziehende Verkäuferin sagte mir, sie hätte halt in der Schule besser aufpassen müssen, dann würde sie auch mehr verdienen. Etliche Armutsbetroffene ziehen sich resigniert zurück, oder sie flüchten nach vorn und strengen sich enorm an, ohne dabei Erfolg zu haben. Nach unseren Studien verändern sich allerdings die Bewältigungsstrategien im Kontext der größeren Transparenz über die soziale Ungleichheit. Resignation verkehrt sich vermehrt in Empörung. Wenn Eltern erleben, dass ihre Kinder keine Lehrstelle finden, während andere »absahnen«, reagieren sie empört. Die Wut kann sich allerdings unterschiedlich auswirken und beispielsweise die Bereitschaft fördern, sich mehr für eigene Interessen einzusetzen. Sie kann aber auch die Gefahr erhöhen, Halt bei autoritären und populistischen Kräften zu suchen, die eine rigide Ordnung anstreben. Ebenfalls empört sind in der Schweiz Teile der Mittelschicht. Sie halten sich am meisten an das Credo: Sei mobil und flexibel. Aus guten Gründen: Die meisten konnten beim Stellenwechsel ihr Haushaltsbudget verbessern. Seit mehreren Jahren häufen sich allerdings die Abstiege bei den beruflich Mobilen. Da erfahren teilweise auch gut qualifizierte Berufsleute, kaum mehr gefragt zu sein. Das bringt Enttäuschung mit sich und erhöht bei Betroffenen die widersinnige Bereitschaft, sich an Mächtigen zu orientieren und von populistischen Kräften vereinnahmen zu lassen, die soziale Verhältnisse simplifizieren und pauschalisieren, statt differenzieren. Damit verschärft sich die politische Brisanz.

Macht erhalten

Wie sich wirtschaftliche Macht in der politischen Schweiz manifestiert, symbolisiert der Wechsel im Schweizer Bundesrat vom November 2010. Der zurückgetretene Finanzminister vertrat vornehmlich die Geldinstitute in der Politik. Er wollte beispielsweise Hedgefonds mit einer Steuersenkung von 50 auf 18 Prozent in die Schweiz locken. Als ehemaliger Mitarbeiter einer Großbank holte er auch einen früheren Arbeitskollegen in die eidgenössische Finanzmarktaufsicht. Dieser setzte sich dafür ein, weitere Ehemalige der Großbank, die Misswirtschaft betrieben, vor dem Recht zu schützen. Neuer Bundesrat ist nun wiederum ein Mann der Wirtschaft. Er gehört zu den 300 Reichsten der Schweiz. Vor knapp 30 Jahren begann seine Karriere im Unternehmen der Familie seiner Frau. Ab 1999 engagierte er sich auch, inzwischen mit vielen Verwaltungsratssitzen ausgestattet, im Nationalrat. Inhaltlich setzte er sich unter anderem für einen staatlich verbürgten Garantiefonds für Industriekredite ein. Zudem präsidierte er den einflussreichen Industrieverband Swissmen. Für wirtschaftliche Interessen setzt sich im Parlament seit dem Frühjahr 2010 auch ein neuer Nationalrat ein. Er sitzt in 39 Verwaltungsräten und übertrifft damit einen freisinnigen Ständerat und einen freisinnigen Nationalrat, die beide je 18 Verwaltungsratsmandate vertreten. Um die ideologische Hegemonie in der Gesellschaft kümmert sich unterdessen »Avenir Suisse«, die Denkfabrik von Schweizer Großunternehmen. Sie fördert gerade im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise die Kohäsion der Elite, die durch innere Widersprüche und die »Macht der Manager« etwas aufzubrechen scheint. Obwohl das Spitzenmanagement großer Konzerne eigentlich aus Angestellten besteht, fungieren diese oft als Besitzende. Sie verfügen über einen beträchtlichen Anteil an Aktien des Unternehmens oder kassieren hohe Boni und Dividenden. So gehört das Management nicht selten zu den Superreichen. Gemeinsam schätzen sie den gehobenen Lebensstil. Sie sitzen in den gleichen Verbänden, politischen Gremien und Klubs zusammen. Und sie haben oft die gleichen Bildungsstätten besucht. Gewiss hat die Dominanz von großen Firmen zu unpersönlichen Besitzverhältnissen geführt und einzelnen Managerinnen und vielen Managern einen Machtgewinn gewährt. Das dokumentieren auch häufige Auftritte in den Medien. Eine eigentliche Wachablösung der Vermögenden durch eine eigene Klasse der Manager lässt sich jedoch kaum nachweisen. Die berechtigte Kritik über hohe Boni vernachlässigt die Eigentümer. Denn diese verfügen nach wie vor über das große Geld, das zunehmend auch in Medien treibt, die für eine ausgewogene Meinungsbildung so wichtig wären. Dass sich mehr Macht beim Kapital als beim Management konzentriert, ist relevant.

Perspektiven

Mit der Öffnung und Deregulierung der Märkte konzentrierte die Wirtschaft in den letzten 20 Jahren ihren Einfluss. Die Politik, die zumindest ein kritisches Korrektiv zur Wirtschaft sein sollte, ließ sich stark instrumentalisieren und verlor an Gewicht. Seit der Finanzund Wirtschaftskrise versucht sie, wieder etwas eigenständiger zu agieren. In der Regel geschieht dies mit erheblichen Vorbehalten gegenüber sozialstaatlichen Regulativen und ohne die Systemfrage zu stellen. Damit besteht die Gefahr, Probleme mit ähnlichen Mitteln lösen zu wollen, die diese verursacht haben. Weiterführende Strategien wollen die soziale Ungleichheit konsequent angehen und egalitäre Prozesse strukturell festigen. Die Gewerkschaft Unia hat im Januar 2011 eine politische Initiative lanciert, die einen garantierten Mindestlohn verlangt. »4000 Franken im Monat sind kein Luxus, sondern ein Grundrecht und Voraussetzung für ein Leben in Würde«, heißt es im Begleittext. Weitere Vorschläge zielen darauf ab, die soziale Sicherheit über Ergänzungsleisten für alle Haushalte (oder zumindest für jene mit Kindern) auszuweiten. Dazu ist in der Schweiz genug Geld vorhanden. Trotzdem gibt die reiche Schweiz, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit dem Jahr 2005 weniger Geld für die soziale Sicherheit aus. Im Jahr 2008 sind die Einnahmen der Sozialversicherungen mit 3,4 Prozent wiederum stärker gestiegen als die Ausgaben (2,7 Prozent) von insgesamt 124 Milliarden Franken (2008). Und die Sozialleistungsquote ist von 22,3 (2005) auf 20,5 Prozent (2008) gesunken. Das weist die Schweizerische Sozialversicherungsstatistik 2010 (BSV 2010) deutlich aus. Fazit: Erstens finanziert sich die soziale Sicherheit selbst. Und zweitens sind die Anteile der Ausgaben am Bruttosozialprodukt rückläufig. Dieser Befund mag erstaunen; denn populistische Debatten erwecken immer wieder den trügerischen Anschein, die soziale Sicherheit ließe sich kaum mehr finanzieren. Sie unterschlagen ebenfalls, wie sich die Renten über Konsumausgaben rentieren und viel Arbeit schaffen. Aber die sozialen Leistungen wären auch sonst wichtig und finanzierbar, etwa über die privaten Vermögen der 300 Reichsten; sie haben in zwanzig Jahren um rund 600 Prozent zugenommen und entsprechen etwa drei Vierteln des gesamten Bruttoinlandsproduktes. Um solche Reformen zu verwirklichen, sind deshalb vor allem politischer Wille und soziales Engagement gefragt. Zu mehr Mut regt ein Graffiti an einer Berner Mauer an: »Wir scheitern nicht an den Niederlagen, die wir erleiden, sondern an den Auseinandersetzungen, die wir nicht wagen.« Die Jungsozialisten (JUSO) schlagen derzeit eine moderate, aber doch mutige Reform vor, die bürgerliche Parteien und Medien als »völlig utopisch« hinstellen. Sie wollen mit ihrer eingereichten Volksinitiative die oberen Löhne auf das Zwölffache der unteren begrenzen. Das ist gewiss ein Ansatz, zumal die Spitzensaläre viele entmutigen, die hart arbeiten und auf keinen grünen Zweig kommen. Das einseitig konzentrierte private Kapital garantiert auch den weitreichenden Einfluss von Wohlhabenden. Es unterläuft somit die Demokratie. Daher könnten auch liberale Reiche im Sinne einer maßvollen Selbstbegrenzung diesen pragmatisch reformerischen Ansatz unterstützen, der ein wenig Gegensteuer geben will und verlangt, dass mehr Geld dorthin fließt, wo es heute fehlt. Das würde auch dem sozialen Frieden dienen, den viele Reiche propagieren und mit wohltätigen Stiftungen auch deshalb unterstützen, um ihre eigene Macht zu legitimieren. Ein wichtiges Mittel der Umverteilung ist eine progressive Besteuerung privater Vermögen – wir können uns diesen extrem ungleich angeeigneten Reichtum nicht mehr leisten. Der Reichtum sollte allen zu Gute kommen. Die soziale Kluft verursacht viel Leid und treibt die Gesellschaft auseinander. Die Reichen haben ihn nicht selbst erwirtschaftet. Andere haben viel dazu beigetragen. Diese einfache Einsicht ist wichtig, aber von beschränkter Reichweite. Weiterführend sind konkrete Umverteilungen und ein politisches Engagement, das vor den Pforten der Wirtschaft nicht Halt macht und die Prozesse demokratischer Teilhabe in allen Bereichen radikal ausweitet.  

Literatur

Bundesamt für Sozialversicherungen der Schweiz, 2010: Schweizerische Sozialversicherungsstatistik 2010, Bern Credit Suisse, 2010: Global Wealth Databook, Zürich De Weck, Roger, 2009: Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus? Zürich Kissling, Hans, 2008: Reichtum ohne Leistung. Die Feudalisierung der Schweiz, Zürich Kutzner, Stefan, Ueli Mäder und Carlo Knöpfel, 2004: Working poor in der Schweiz: Wege aus der Sozialhilfe, Zürich Kutzner, Stefan u.a., 2009: Sozialhilfe in der Schweiz, Zürich Lampart, Daniel, und David Gallusser, 2011: SGB-Verteilungsbericht, Dossier Nr. 77, Bern: Schweizerischer Gewerkschaftsbund Mäder, Ueli, Gangs J. Aratnam und Sarah Schilliger, 2010: Wie Reiche denken und lenken, Zürich Mäder, Ueli, u.a., 1991: Armut in Basel-Stadt, Social Strategies, Basel Paucker, Julie, und Peer Teuwsen, 2011: Wohin treibt die Schweiz? Zehn Ideen für eine bessere Zukunft, Zürich

Anmerkungen

1 Konkrete Hinweise gehen auf unsere Studie »Wie Reiche denken und lenken« (Mäder u.a. 2010) zurück. Wir wählten historische, statistische, ethnographische, medienzentrierte und biographische Zugänge und interviewten hundert reiche und einflussreiche Personen sowie Fachleute. 2 Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 58,9 Prozent des Reichtums (Credit Suisse 2010, 120). 1997 besaßen 4,3 Prozent der Steuerpflichtigen die Hälfte aller Vermögen; 2007 waren es 2,2 Prozent (Lampart/Gallusser 2011, 25). 3 Ein Euro entspricht rund 1,3 Schweizer Franken. 4 Die Forbes-Liste vom 3. Oktober 2010 weist eine geringere Anzahl aus als das Wirtschaftsmagazin »Die Bilanz« vom 3. Dezember 2010, das auch die ausländischen Reichen (aus Deutschland u.a.) einbezieht, die in der Schweiz wohnen; so zum Beispiel Otto Beisheim. Eine neue Dynamik dürfte sich durch die starke Zunahme der Milliardäre und Milliardärinnen in China sowie durch die Folgen der Finanzund Wirtschaftskrise ergeben. 5 In einem gemeinsamen Podiumsgespräch vom 19. Januar 2010 im Basler Literaturhaus (Mäder u.a. 2010, 82;90).