Nach der Tarifrunde im ÖPNV hat die Strategiedebatte begonnen: Wie weiter mit dem Bündnis aus Klimabewegung und Beschäftigten? Nach dem Aufschlag von Klima und Klasse setzt Rika Müller-Vahl die Diskussion fort. Sie meint: Was #wirfahrenzusammen aufgebaut hat, muss weiter vertieft werden. Gewinnen kann ein Bündnis vor allem im Feld der Daseinsvorsorge. 

 

Ende April haben knapp 300 Aktivist*innen bei der “#wirfahrenzusammen Konferenz" in Köln auf eineinhalb Jahre intensive Arbeit in der Kampagne zurückgeblickt. Wir haben unsere Erfolge gefeiert, unsere Misserfolge reflektiert und uns gefragt, wie es nun, nach dem Ende der Kampagne, weitergeht.  Das ist nicht nur eine persönliche Frage für viele Aktivist*innen, die viel Zeit und Energie in #wirfahrenzusammen investiert haben. Es ist auch eine politisch-strategische Frage, denn über die Kampagne hat sich ein Pol in der Klimabewegung konstituiert, der einen  “Climate-Labour-Turn”[1] verfolgt und eine Allianz mit den Beschäftigten im Nahverkehr aufbauen will. Um die richtige Strategie und Taktik wird dabei jedoch gerungen.


Die Gruppe Klima und Klasse hat eine erste Analyse der Kampagne und einen Strategievorschlag für die Bewegung formuliert und mit einem Diskussionsangebot verbunden. Mit diesem Artikel möchte ich dieses Angebot annehmen und im Folgenden die Auswertung von #wirfahrenzusammen schärfen und die Erfolgsbedingungen des Climate-Labour-Turn skizzieren. Mit Blick auf die Frage „Wie weiter?“ argumentiere ich, dass die Auseinandersetzungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge weiterhin den Hauptfokus von #wirfahrenzusammen darstellen sollten. Hier liegt meiner Ansicht nach das größte Potenzial, die heute in der Bewegung vorhandenen Ressourcen für das Ziel einer sozial und ökologisch gerechten Transformation von Produktion und Gesellschaft einzusetzen.  

Was konnte #wirfahrenzusammen (nicht) erreichen und warum? 

Am 1. März 2024 fanden bundesweit in über 100 Städten Klimastreiks unter dem Motto “Gute Arbeit und klimafreundliche Mobilität für alle” statt. Zeitgleich streikte der Nahverkehr, sodass Klimaaktivist*innen und in ver.di organisierten Beschäftigten gemeinsam demonstrierten. Die Tagesschau zitierte Beschäftigte, die die Bedeutung des Streiks für den Klimaschutz erklärten, der Deutschlandfunk resümierte: “Klimaschutz und Soziales funktionieren nur zusammen” und der Spiegel attestierte der Klimabewegung unter dem Titel “Die Grün-Gelb-Westen” eine strategische Neuausrichtung. 


Dem war die monatelange Arbeit in Gewerkschaft, Bewegung und Gesellschaft vorausgegangen. In der Klimabewegung formierte sich ein Pol an Aktivist*innen, der einmalige Praxis-Erfahrungen eines Bündnisses mit Beschäftigten sammeln konnte. In den Nahverkehrsbetrieben wurden Politisierungsprozesse angestoßen. Ver.di experimentierte mit einer neuen Form von tarifpolitischer Kampagnenführung, etwa einer bundesweiten Unterschriftenpetition mit tarifbezogenen und politischen Forderungen als Stärketest. Einige „Leuchtturmstädte“ – darunter auch Jena – zeigten zudem, wie die Zusammenarbeit von Aktivist*innen und Beschäftigten die Kampfkraft und Streikbereitschaft im Verkehrsbetrieb erhöhen kann, die für die Durchsetzung besserer Tarifergebnisse entscheidend ist. Viele Erfolge sind eher subtil und dennoch sehr wertvoll, wenn wir die Kampagne im Nahverkehr 2024 als einzelnen Schritt in einer langfristigen Strategie betrachten. Dennoch wurden in den letzten Wochen der Kampagne auch die Grenzen unter den aktuellen Kräfteverhältnissen sichtbar: die materiellen Forderungen nach Milliardeninvestitionen in den ÖPNV wurden nicht erfüllt. Was hat am Ende gefehlt? 


Eine mögliche Interpretation klingt in dem Artikel von Klima und Klasse durch: Die Ursache sei ein einseitiger Fokus der Kampagne auf die Tarifrunde und die Solidarität mit den streikenden Beschäftigten. Politische Potentiale der Bewegung seien so nicht ausgeschöpft worden, die klimapolitischen Forderungen der Bewegung hinten runtergefallen – auch weil Zeit und Ideen für andere Ansätze der Politisierung gefehlt hätten. 


Es ist jedoch an vielen Stellen durchaus gelungen, den Raum der Tarifrunde zu politisieren und eine Übersetzung des betrieblichen Drucks auf die politische Ebene möglich zu machen. So gab es eine Unterschriftenpetition, mit der sowohl im Betrieb wie in der Gesamtgesellschaft Unterstützung für die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und Investitionen in den Nahverkehr gesammelt wurde. Die Unterschriften wurden an etwa hundert Politiker*innen übergeben, die sich hinter die Forderungen stellten. Einer der zwei bundesweit koordinierten Streiktage fand zeitgleich mit dem globalen Klimastreik statt. Politiker*innen bis hin zu den Fraktions- und Parteispitzen von SPD, Grünen und Linken waren teils mehrfach an den Streikposten vor Ort. Die Beschäftigten haben gemeinsam mit Aktivist*innen zahlreiche Gespräche mit politischen Entscheidungsträger*innen geführt. 


Sicherlich waren in der politischen Kampagne auch Schwächen angelegt. So bliebt etwa unklar, wie Politiker*innen jenseits der Petition weitere Unterstützung für die Investitionsoffensive in den ÖPNV leisten können. Die begrenzte klimapolitische Wirkung der Kampagne ist jedoch weniger darauf zurückzuführen, dass sie sich in der Praxis weitgehend auf den Tarifkampf beschränken musste, sondern auf eine zu geringe Kampfkraft von Klimabewegung und Beschäftigten angesichts der schwierigen politischen Gesamtlage. 

Lernprozesse und offene Fragen

Die Strategie von #wirfahrenzusammen lautete: Eine starke betriebliche Dynamik kann zusammen mit dem politischen Einfluss der Bewegung eine politische Krise auslösen, die politische Entscheider*innen zu materiellen Zugeständnissen bewegt. Dieser Plan ging so (noch) nicht auf. Auf der einen Seite haben Sparpolitik und soziale Kürzungen infolge von Aufrüstung und Krisenpolitik den Verhandlungsspielraum verengt. Auf der anderen Seite haben die Streiktage mit Blick auf unsere Bewegung zwei Dinge besonders deutlich gemacht: 


So ist uns zwar erstens gelungen, im Rahmen der Tarifrunde eine klimapolitische Erzählung stark zu machen und politische Entscheider*innen im Streik unter Druck zu setzen. Weder der Druck aus der Zivilgesellschaft noch aus den Betrieben hat aber letztlich ausgereicht, um eine politische Krise auszulösen und darin die Forderungen durchzusetzen. In einigen Betrieben waren die Streiks sehr stark. Das gilt aber nicht für das gesamte Bundesgebiet. An manchen Orten gab es lediglich wenige Streiktage mit teils geringer Beteiligung. Gründe dafür sind unter anderem die wenig konfliktorientierte Streikkultur im Nahverkehr und ein Gefühl von Resignation und Ohnmacht bei vielen Beschäftigten. Für viele Aktivist*innen war es sehr eindrücklich, zu erleben, dass selbst in den gut organisierten Verkehrsbetrieben nur wenige Beschäftigte daran glauben, dass sie über Machtressourcen verfügen, um ihre Lebensbedingungen kollektiv verändern zu können. „Es bringt doch eh nichts“ war der am häufigsten vorgetragene Grund, sich nicht an Aktionen zu beteiligen, weit häufiger als die Skepsis gegenüber Klimaaktivist*innen. Dahinter steht die Erfahrung, dass sich die eigenen Lebenslagen stetig verschlechtern, durch Sparpolitiken, und durch die Zerschlagung bzw. den Niedergang gewerkschaftlicher Macht. Auch der Klimastreik am 1. März, der durch die Kampagne neue und andere Gruppen einbeziehen konnte, bleib weit hinter den Massenmobilisierungen in den Hochphasen der Bewegung zurück. 


Zweitens ist auch die Spaltung zwischen Beschäftigten und Klimabewegung noch nicht überwunden. Zwar sind wir in dem Prozess, wechselseitig Vertrauen aufzubauen, deutlich vorangekommen: Hunderte Beschäftigte haben im Laufe der Tarifrunde teils tief verankerte Vorurteile gegenüber Aktivist*innen überwunden und waren bereit, an einem Strang zu ziehen. Andersherum haben Klimaaktivist*innen gelernt, die Lebensrealität von Beschäftigten besser zu verstehen. Dennoch gibt es weiterhin viele Beschäftigte, die der Klimabewegung skeptisch gegenüberstehen und am 1.März als kritische Beobachter*innen am Rand der Demos standen oder ganz fernblieben. 


Um sich überhaupt vorstellen zu können, die eigenen Machtressourcen in den Dienst ökologischer Forderungen zu stellen, muss in den Betrieben erst der Glaube zurückkehren, dass sich eigene Anliegen kollektiv durchsetzen lassen. Der Plan, während der Streiks noch mehr Entscheidungsebenen mit klimapolitischen Forderungen zu adressieren, läuft ohne reale Kampfkraft ins Leere. Zudem muss es gelingen, den das Vertrauen zwischen Aktivist*innen und Beschäftigten noch weiter auszubauen, und zwar im größeren Maßstab. Darum kann die Lehre aus der Kampagne nicht sein, weniger Energie in den Tarifkampf und die Solidaritätsaktionen zu stecken. Im Gegenteil müssen wir diskutieren, wie wir die betriebliche Kampfkraft in Zukunft noch intensiver stärken können, um als Gesamtbewegung durchsetzungsfähiger zu werden. 


Wie und unter welchen (lokalen) Erfolgsbedingungen das funktionieren kann, haben wir in den letzten Monaten in Ansätzen bereits gesehen. Um zu diskutieren, wie kommende Kampagnen diese Erfolge von #wirfahrenzusammen verstetigen und skalieren könnten, möchte ich einige der Erfolgsbedingungen genauer in den Blick nehmen.

Erfolgsbedingungen von #WirFahrenZusammen 

Eine wichtige Erfolgsbedingung der Kampagne war die Orientierung an einer tariflichen Auseinandersetzung. Tarifrunden schaffen Räume, in denen Menschen ihre Ohnmacht überwinden können und sich weitergehend politisieren können, auch in Phasen, wo gesellschaftlich nur wenige Kämpfe sichtbar sind. Ohne die Auseinandersetzung hätte in den Nahverkehrsbetrieben kein Streiktag, keine Ansprache am Betriebshof, keine politische Debatte stattgefunden. Zudem war die Tarifrunde der Anlass und Rahmen für das Zusammenkommen von Aktivist*innen und Beschäftigten. Die Skepsis der Beschäftigten ließ sich in den persönlichen Gesprächen dann überwinden, wenn die Aktivist*innen an den betrieblichen Anliegen der Beschäftigten ansetzen. Dass es sich für die Beschäftigten lohnen könnte, gemeinsame Sache mit Klimaaktivist*innen zu machen, haben sie zunächst nicht aus einer klimapolitischen Notwendigkeit abgeleitet. Es ging vielmehr darum, durch die Bewegung zusätzlichen politischen Druck für die Durchsetzung der eigenen Anliegen aufbauen zu können. Die Unterschriftenpetition war ein entscheidendes Werkzeug, um die kollektive Stärke zu testen und einen Anlass für die Gespräche zu finden. Eine weitere Erfolgsbedingung war die Hartnäckigkeit der Aktivist*innen und ihre Bereitschaft, die Anliegen der Beschäftigten in den Vordergrund zu stellen. Es gab Aktivist*innen, die trotz wiederholter Ablehnung auch ein drittes Mal früh morgens um drei zum Streikposten kamen und den Beschäftigten schließlich tausende von Hand gesammelte Unterschriften übergeben konnten. Das war sicher kräftezehrend, aber hat schließlich Erfolg gehabt und das Gespräch über die gemeinsame Durchsetzung von politischen Forderungen möglich gemacht.


Aus den Erfahrungen in einzelnen „Leuchtturmstädten“ der Kampagne lassen sich weitere Erfolgsbedingungen für eine starke betriebliche Dynamik abstrahieren. An diesen Orten trafen häufig erfahrene aktivistische Gruppe auf haupt- und ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionär*innen, die der Kampagne offen gegenüberstanden. So ließ sich systematisch Vertrauen aufbauen. Besonders in eher kleineren Betrieben konnte ein großer Anteil der Beschäftigten individuell durch persönliche Gespräche erreicht werden. Entscheidend war auch die Bereitschaft aller Beteiligten, mit neuen Formaten der Gewerkschaftsarbeit zu experimentieren, wie etwa mit Streikdemos, überbetrieblichen Streiktagen, Arbeitsstreiks oder einer gemeinsamen Arbeitskampfleitung mit Aktivist*innen. So wurde es möglich, gemeinsame Erfahrungen zu sammeln und die kollektiven Handlungsspielräume zu erweitern. 


Diese Bedingungen waren aber längst nicht überall gegeben. An manchen Orten fehlte es schlicht an Zeit, um Vertrauen unter den Beschäftigten aufzubauen. An anderen Orten haben gewerkschaftliche und betriebliche Funktionär*innen, die der Bewegung ablehnend gegenüberstanden, systematisch Räume und Möglichkeiten dafür versperrt. 


Insgesamt zeigen die Erfahrungen, dass der Climate-Labour-Turn keine Strategie der schnellen und einfachen Siege ist. Die letzten Monate zeichnen aber einen Weg vor, wie gemeinsam Machtressourcen aufgebaut und eingesetzt werden können. Wir sind erste Schritte gegangen, aber konnten das Potenzial einer solchen sozial-ökologischen Allianz nur punktuell ausschöpfen. Wir stehen nun vor der Frage, mit welchen nächsten Schritten das in Zukunft umfangreicher (und schneller) gelingen kann. 

Wie weiter mit #wirfahrenzusammen? 

In den letzten Monaten haben wir an vielen Stellen Pionierarbeit geleistet und mit zahlreichen Werkzeugen und Formaten experimentiert. Inzwischen ist das Projekt, durch einen Climate-Labour-Turn eine Allianz von Arbeiter*innen und Klimabewegung aufzubauen, zu einer besser planbaren Kraftanstrengung geworden. Wie führen wir gute Gespräche – und wie nicht? Welche Formate ermöglichen qualitative Sprünge in der Zusammenarbeit? Welche Art der Politisierung kann zu welchem Zeitpunkt den Spielraum der Verhandlungen vergrößern? Dieses kollektivierte Wissen in einem Pool von mehreren hundert Aktivist*innen gibt uns im Vergleich zu 2022 ganz andere Ausgangsbedingungen. Wir sind an einem Punkt, an dem wir aus der Perspektive des Climate-Labour-Turn einen Mehrjahresplan entwerfen können. Dafür möchte ich einige wesentliche Schritte nennen.

Vom Busbahnhof in die Fabrik? 

Das Bündnis mit Beschäftigten aus der Industrie scheint für die Klimabewegung ein logischer Schritt, allein weil hier der größte Anteil an CO2 Emissionen entsteht. Die beeindruckenden Bilder der Fabrikbesetzung bei (Ex-)GKN in Florenz haben gezeigt, dass es möglich ist, mit Beschäftigten für eine Konversion hin zu einer klima- und sozial gerechten Produktion zu kämpfen.


Gleichzeitig sollten wir uns mit Blick auf die Industrie keinen Illusionen hingeben. So inspirierend der Kampf bei GKN sein mag - er lässt sich kaum auf die deutschen Betriebe übertragen, die eine ganz andere politische und gewerkschaftliche Tradition und andere politische Rahmenbedingungen haben. Die Versuche eines Brückenschlags zu Industriebeschäftigten waren in der Vergangenheit nur selten erfolgreich. Sicherlich machen auch Aktivist*innen bei Bosch oder bei VW wichtige Erfahrungen und erzielen immer wieder kleine Erfolge. Diese Ansätze bereits als “Auseinandersetzungen um die Entwicklung alternativer, gesellschaftlich nützlicher ökologischer Produktion in der Industrie” zu bezeichnen, wie der Text von Klima und Klasse, geht aber an der Realität vorbei. 


Viele der Erfolgsfaktoren von #wirfahrenzusammen die wir in der Auswertung herausgearbeitet haben, sind in der Industrie nicht gegeben. Die Offenheit innerhalb der IG-Metall für eine Zusammenarbeit mit Klimaaktivist*innen ist deutlich geringer als die von ver.di im Nahverkehrsbereich. Ideologische Differenzen und ein gewerkschaftliches Selbstverständnis von Sozialpartnerschaft und Stellvertretung können den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Beschäftigten deutlich erschweren, wenn es etwa keine Möglichkeiten für die Teilnahme an Ansprachen, gemeinsame Streiktage oder Aktionen gibt. Zudem ist es in den Bereichen der Industrie, in denen Abwehrkämpfe gegen Werkschließungen geführt werden, viel schwieriger, gemeinsam in die Offensive zu kommen. 


Auch die Verbindung von Kämpfen ist natürlich erstrebenswert. Wir müssen aber mehr erreichen, als dass nur die aktivsten Gewerkschafter*innen gegenseitig auf ihren Kundgebungen sprechen. Der “Mega-Streik” vom 27. März 2023 ist ein Beispiel dafür, wie sich konkrete Kämpfe gewerkschaftsübergreifend zusammenführen lassen. Es ist aber deutlich schwieriger, gemeinsame Streiktage oder Aktionen zwischen Beschäftigten von IG-Metall und ver.di zu planen als in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Es ist zudem fraglich, ob es gelingt, eine gemeinsame Identität von „Mobilitätsarbeiter*innen” herzustellen. Viele Beschäftigte im Nahverkehr haben in unseren Gesprächen Bezüge zu den Kämpfen der Pflegekräfte hergestellt oder über gemeinsame gewerkschaftliche Traditionen mit dem lokalen Abfallbetrieb erzählt. Die gemeinsame Identität als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge liegt somit deutlich näher an der betrieblichen Realität.


Trotzdem kann es für die Bewegung wertvoll sein, wenn erfahrene Aktivist*innen in Industriebetrieben mit günstigen Ausgangsbedingungen Erfahrungen sammeln und daran arbeiten, diese zu verallgemeinern. Hier muss es jedoch noch konkretere Ansatzpunkte geben. Im Nahverkehr war es entscheidend, mit der Tarifrunde einen Anlass für unsere Zusammenarbeit zu haben. Auch in der Industrie sollten wir uns auf die Suche nach geeigneten Konflikten und Gelegenheitsfenstern begeben. 


Gleichzeitig sollten wir den Gang in die Industrie nicht als Gesamtstrategie für #wirfahrenzusammen ausrufen. In der Breite sind die Erfolgsaussichten zu gering. Zudem gibt es in den nächsten Monaten andere Ansatzpunkte, den Climate-Labour-Turn zu verfolgen: Indem wir die Allianz im Nahverkehrsbereich fortführen und auf breitere Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge ausweiten.   

Den Slogan der Kampagne ernstnehmen: No shortcuts! 

In vielen Städten wurde bereits verabredet, die Allianz über die Tarifrunde hinaus fortzuführen. Auch wenn zwischendurch durchaus Hoffnung bestand, schon während der Streiks 2024 materielle Gewinne zu erzielen: Allen Beteiligten war klar, dass wir die Verkehrswende nicht im Zeitraum einer Tarifrunde erkämpfen werden. 


Zudem haben wir gelernt: Vertrauen zwischen Klima- und Arbeiter*innenbewegung aufzubauen braucht Zeit. Ist es einmal gelungen, sind in kurzer Zeit Aktivitätssprünge auf beiden Seiten möglich. Auch gewerkschaftliche Erfahrungen aus dem Krankenhausbereich bestätigen, dass es mehrere Tarifrunden und jahrelange Arbeit braucht, um Gewerkschaftsarbeit politischer und Tarifrunden offensiver zu gestalten. Somit ist "Weitermachen” zumindest ein Teil der Antwort auf die Frage „Wie weiter“. 


Wenn wir vor der nächsten Tarifrunde im Nahverkehr 2026 auf vertraute gewerkschaftliche Verbündete zugehen, werden an vielen Orten neue Möglichkeiten aufgehen. Viele Bausteine der Kampagne – etwa die Einigung auf (politische) Forderungen, die Strategie der Durchsetzung und das übergreifende Narrativ – müssen wir noch diskutieren und weiterentwickeln. Viele andere Kampagnenelemente müssen vor allem konsequent weitergeführt und verbreitert werden. Ein wichtiger Baustein ist es, an viel mehr Orten Räume zu schaffen, wo Aktivist*innen und Beschäftigten gemeinsam Aktionen planen. Dabei müssen wir auch Strategien für die Städte entwickeln, wo es 2024 aufgrund der Ablehnung gegenüber den Klimaaktivist*innen bis zum Ende keine vertrauensvolle Zusammenarbeit gab. Auch politische Bildungsarbeit kann ein Baustein in der weiteren Zusammenarbeit sein. Allerdings ist es hier essentiell, die bestehenden Vertrauensverhältnisse zu beachten und Bildungsarbeit als einen Prozess zu begreifen, in dem beide Seiten etwas lernen. Ansonsten laufen solche Formate Gefahr, dass wir als Aktivist*innen wahrgenommen werden, die von außen kommen, um den Beschäftigten die Welt zu erklären. Damit stellen wir uns ins Abseits. 

“Bargaining for the Common Good” – Den Machthebel weiterentwickeln

Das Konzept des Bargaining for the Common Good und die Streiks der Lehrkräfte in den USA waren wichtige Bezugspunkte der Kampagne und der Vision eines “Streiks fürs Gemeinwohl”. In den US-amerikanischen Arbeitskämpfen wurden betriebliche und zivilgesellschaftliche Forderungen im Bündnis entwickelt und Beschäftigte setzten ihre Streikmacht schließlich erfolgreich für die Durchsetzung der Forderungen ein. Bargaining for the Common Good hilft dabei, zwei zentrale Fragen für die Gewerkschafts- und Klimabewegung zu beantworten. Erstens: Wie können Streiks in der öffentlichen Daseinsvorsorge Druck entfalten, auch wenn sie nicht den gleichen ökonomischen Schaden anrichten wie Streiks in der Industrie? Und zweitens: Wie können Beschäftige in Deutschland unter den heutigen Kräfteverhältnissen und angesichts der großen Hürden für einen politischen Streik überhaupt ihre Streikmacht für gesamtgesellschaftliche Forderungen einsetzen? 


Im Nahverkehr wäre eine erste Möglichkeit, in Städten mit besonders vorteilhaften Bedingungen lokalpolitische Auseinandersetzungen zu führen. Wenn sich im Betrieb und in der Bewegung eine politische Dynamik entfachen ließe, wäre es auf lokaler Ebene vermutlich deutlich einfacher, die Politik zu materiellen Zugeständnissen zu bewegen als auf Bundesebene. Auch ist es im lokalen Rahmen und bei lokaler Betroffenheit womöglich einfacher, breitere Teile der Zivilgesellschaft für die Entwicklung von Forderungen und für gemeinsame Aktionen zu gewinnen. Das Konzeptes des Bargaining for a Common Good könnte so im Nahverkehr für einzelne “Leuchtturmstädte” weiterentwickelt werden und in kommenden Tarifrunden eine neue Qualität der betrieblich-zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit greifbar machen. 


In den nächsten Jahren  muss es also im Nahverkehr einerseits darum gehen, den Aufbau von wechselseitigem Vertrauen und Kampfkraft in der Breite voranzutreiben und gleichzeitig auf lokaler Ebene Beispiele zu schaffen, wie die Streikmacht der Beschäftigten besser für politische Forderungen eingesetzt werden kann. Gleichzeitig kann es für die Bewegung sinnvoll sein, das Bündnis auf weitere Felder des öffentlichen Dienstes auszuweiten und die grundlegende Bedeutung der öffentlichen Daseinsvorsorge ins Zentrum zu rücken. 

Der Kampf um die öffentliche Daseinsvorsorge 

In Redebeiträgen von Pflegekräften an Streikposten oder auch während der Streiks 2023 im öffentlichen Dienst wurde das große Potential deutlich, das im gemeinsamen Kampf verschiedener Berufsgruppen der öffentlichen Daseinsvorsorge steckt. Mit Blick auf die klimapolitische Notwendigkeit mögen Pflegekräfte oder Beschäftigte der Abfallentsorgung zwar etwas weniger im Fokus stehen als ein Bündnis mit Automobilarbeiter*innen für eine Konversion der Industrie. Dennoch ist es für #wirfahrenzusammen kurz- und langfristig strategisch sinnvoll, auf Kämpfe um die öffentliche Daseinsvorsorge zu setzen und konkret auf die nächste Tarifrunde im öffentlichen Dienst Anfang 2025 zu orientieren. 


Denn auch klimapolitisch ist es notwendig, den Bereich des Öffentlichen zu stärken. Ein klima- und sozial gerechter Umbau unserer Gesellschaft macht es erforderlich, die Produktions- und Investitionsentscheidungen an gesellschaftliche Bedarfe rückzubinden. Nur mit einer gut ausgebauten öffentlichen Daseinsvorsorge können Mobilität, Gesundheit, aber auch Schutz vor Unwettern und Hitze kollektiv und damit ressourcenschonend und emissionsarm gewährleistet werden. Die Beschäftigten in diesen Bereichen müssen mit ihrer Expertise und ihren Machmitteln eine Schlüsselrolle im Kampf um die öffentliche Daseinsvorsorge spielen. Darüber hinaus sollten wir als Bewegung dorthin gehen, wo sich die Konflikte abzeichnen, in denen Menschen sich politisieren und ihre Ohnmacht kollektiv überwinden können. Schon jetzt bilden Inflation und Sparpolitik in der öffentlichen Daseinsvorsorge den Nährboden für Konflikte und vieles spricht dafür, dass sich die Lage weiter zuspitzt. Der Blick auf die Altersstruktur der Beschäftigten wirft die Frage auf, ob und mit welchen Arbeitsbedingungen wir überhaupt eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge aufrechterhalten können. Das bietet nicht nur Sprengstoff für Konflikte, es kann auch offensiv politisch bearbeitet werden. Der Fachkräftemangel und die gesellschaftliche Relevanz der Berufsgruppe bringen die Beschäftigten im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in eine Offensivposition. Zudem ist ver.di ein gewerkschaftlicher Partner, der im Fall des Nahverkehrs schon bereit war, sich auf eine politische Kampagnenführung mit der Klimabewegung einzulassen und mit neuen Streikformen und Beteiligungsformaten zu experimentieren. 


Mit der Tarifrunde Anfang 2025 steht schon bald eine konkrete Auseinandersetzung im öffentlichen Dienst an. In sechs Bundesländern sind die Beschäftigten im Nahverkehr Teil dieser Tarifrunde. In weiteren Verkehrsbetrieben finden zeitgleich Tarifrunden statt. Politisch ist die Tarifrunde auch deshalb interessant, weil sie nur wenige Monate vor der Bundestagswahl stattfindet. Ob an der öffentlichen Daseinsvorsorge gespart wird, ob in Rüstung oder in Gesundheit und Mobilität investiert wird, wird rund um die Wahlen auf der Agenda stehen. Für uns als Klimaaktivist*innen bieten sich daher die Möglichkeit, die Tarifrunde und die möglichen Streiks im öffentlichen Dienst als gesamtgesellschaftlichen Konflikt um die Daseinsvorsorge zu unterstützen und mit einer politischen Kampagne vor der Bundestagswahl zu verbinden. Dieses Möglichkeitsfenster sollten wir nutzen, um langfristig weiter Macht aufzubauen.