Einwanderer wären nicht länger Kostenfaktor oder Verhandlungsmasse, sondern potenzielle neue Mitbürger*innen mit eigenen Bordmitteln für die Entwicklung der Kommune. Anstelle des bisherigen Abschreckungswettbewerbs zwischen den EU-Staaten könnte es für die Kommunen in Europa – oder für eine grenzübergreifende Region – attraktiv werden, zum Hotspot von Zuwanderung zu werden. Eine so verstandene Integrationspolitik wäre auch ein Katalysator für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse – laut Grundgesetz (§ 72 GG) eine Verpflichtung der Regierung.
Investitionsrucksack: wofür?
Mit dem Investitionsrucksack ließen sich Sozialleistungen, Sprachkurse sowie Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für die neuen Mitbürger*innen finanzieren, ebenso wie hierfür notwendige Stellen, Wohnungen oder kommunale Infrastruktur: ärztliche Versorgung, Kitas und Schulen, Mobilität, digitale Ausstattung, ökologische Modellprojekte. Es gälte das Prinzip der doppelten Ausstattung: Die personen- und zweckgebundenen Mittel aus dem Rucksack eines jeden Migranten, einer jeden Migrantin, würden über die anfänglichen Kosten für die Aufnahme hinausgehen. Sie wären zu ergänzen durch Mittel für ohnehin notwendige öffentliche Investitionen – beispielsweise, um abgehängte Regionen für potenzielle Neuansiedlung überhaupt erst attraktiv zu machen. Oder um den Handlungsspielraum der Kommunen insgesamt zu erweitern. So könnten sozial-ökologisch produzierende lokale Ökonomien gestärkt werden, auch ansässige Bevölkerungen profitierten von der Belebung. Schließungsbedrohte Schulen und Kitas in strukturschwachen Gegenden bekämen neuen Nachwuchs und könnten ihr Personal aufstocken, zu guten Arbeitsbedingungen und anständigen Löhnen. Indes in urbanen Gegenden, wo Bildungseinrichtungen überfüllt sind, flössen Mittel in die systematische Ausbildung und Qualifizierung von zusätzlichen pädagogischen Fachkräften. Ohnehin gälte es, den öffentlichen Dienst großzügig auszubauen – nicht als billige Beschäftigungstherapie für Erwerbslose und Geflüchtete, sondern als finanziell gut ausgestattete Sofortmaßnahme für die Zehntausenden nötigen neuen Arbeitsplätze mit Tarifbindung. Branchenbezogene Räte aus Gewerkschafter*innen, deutschen und nicht-deutschen Beschäftigten, Erwerbsloseninitiativen sowie kommunalen Amtsträger*innen würden einbezogen in die konkrete Ausgestaltung dieser Arbeitsplätze. Viele andere sinnvolle Investitionsfelder in der Daseinsvorsorge sind denkbar.
Wer hätte Anspruch?
Grundsätzlich müsste jeder ankommende Mensch unabhängig vom Aufenthaltsstatus die Möglichkeit haben, seinen Aufenthaltsort in der EU frei zu wählen und davon abhängig den Investitionsrucksack zu beantragen. Diese Mittel könnten zum Teil individuell ausgegeben werden, in einer Art Gutscheinverfahren – zum Beispiel, um die Kosten für Krankenversicherung und Sprachkurs zu decken und eine Aus- oder Weiterbildung zu finanzieren. Zu einem anderen Teil flössen die Mittel aus dem mitgebrachten Gepäck in öffentliche Investitionen vor Ort, von denen der Neuangekommene ebenso profitiert wie die bereits Ansässigen, zum Beispiel in mehr Kitapersonal, bessere medizinische Versorgung oder in den sozialen Wohnungsbau. Die Mittel wären also anteilig individuell, anteilig strukturell gebunden. Gremien aus den bereits genannten branchenbezogenen Räten, ebenso aus Geflüchteten-Gruppen, Mieter*innen-Initiativen, migrantischen Selbstorganisationen und Vertreter*innen aus der kommunalen Politik müssten sich auf gemeinsame Verfahren verständigen, um mit den Geldern vor Ort politische Prioritäten zu setzen.
Und wie finanziert sich das, wer soll das bezahlen?
Reiche und Vermögende. Sie profitieren am meisten von den globalen Ungleichheiten, haben aus der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. Profite geschlagen und entziehen sich ihren finanziellen Verpflichtungen nicht selten durch Steuerdumping. Das oben erwähnte Konzept der Flucht-Umlage schlägt eine Vermögensabgabe vor. Diese müsste europaweit vereinheitlicht und jährlich erhoben werden, um konstant fließende Mittel zu sichern. Dafür wäre ein EU-weiter Fonds einzurichten. Die konsequente Besteuerung von hohen Einkommen und großen Erbschaften sowie von Finanztransaktionen ist eine weitere denkbare Quelle der Finanzierung. Wenngleich die Einnahmen aus diesen Steuern – rechtlich betrachtet – unterschiedlichen staatlichen Ebenen zustünden, flössen die ausgezahlten Mittel überwiegend in die Kommunen. Das wäre eine politische Gestaltungsentscheidung. Drei Mechanismen griffen somit ineinander: Erstens die horizontale Umlage zwischen den Kommunen entsprechend der Anzahl der sich ansiedelnden Zuwander*innen, sowie zweitens die vertikale Umverteilung der Gelder von oben nach unten. Eine rein horizontale Umlage zwischen den Kommunen ohne zusätzliche staatliche Einnahmequellen käme der finanziellen «Bestrafung» abgehängter Gebiete und klammer Gemeinden gleich. Drittens geht es um die politische Verschiebung der Finanzierung des Gemeinwesens und der menschlichen Grundbedürfnisse von privat zu öffentlich. Über eine zusätzliche Staffelung der Gelder an die Kommunen gemäß ihrer Finanzlage wäre genauer nachzudenken, als Ausgleich zwischen reicheren und ärmeren Kommunen innerhalb Europas. So könnten Migrant*innen, die in besonders gebeutelte Gemeinden ziehen möchten, beispielsweise einen größeren Rucksack mitbringen als diejenigen, die die ohnehin dynamischen urbanen Hotspots aufsuchen. Analog ließe sich dieses Finanzierungsmodell übrigens auch innerstaatlich anwenden.
Welche weiteren Vorschläge gibt es?
In eine ähnliche Richtung, finanziell anders untersetzt, geht die Initiative «Europäische Flüchtlingsintegration als gemeinsame kommunale Entwicklung» von Gesine Schwan.