Im gesellschaftlichen Bewusstsein besteht eine Diskrepanz zwischen einer grundsätzlichen Unterstützung gerechterer Verteilungsverhältnisse und Vorbehalten gegenüber konkreten Umverteilungsvorschlägen. Reichtum muss sichtbar gemacht werden. Reichtumsforschung findet kaum statt und vielen Menschen sind die unglaublichen Dimensionen, die der Reichtum in wenigen Händen angenommen hat, nicht klar (vgl. Reiner in diesem Heft). Außerdem muss deutlich werden, dass die Finanzkrise in eine Schuldenkrise transformiert wurde, was zu enormen Belastungen der öffentlichen Haushalte geführt hat. Um dies zu bewältigen, brauchen wir beispielsweise eine Vermögensabgabe und Vermögensteuer. Umverteilen schafft zudem eine notwendige Grundlage für öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistungen.
Anne Jung (Campaigning bei medico international): Für uns als kritische Hilfs- und Menschenrechtsorganisation ist es wichtig zu zeigen, dass gerechte Verteilung immer eine globale Dimension hat. Die internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, die oftmals von der EU dominiert werden, sichern den Zugriff des Nordens auf die Rohstoffe des Südens und ermöglichen so die unfaire Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den Ländern des Südens (vgl. Gebauer in diesem Heft). Doch nicht nur der geografische ist davon betroffen, in Südeuropa entstehen wachsende Zonen des globalen Südens. In Griechenland haben die Menschen mit den Folgen der von der Troika erzwungenen Sparmaßnahmen zu kämpfen, wie wir dies vorher nur aus Asien, Lateinamerika oder Afrika kannten. Zugang zu Gesundheitsfürsorge wird zum unbezahlbaren Luxus.
Die Lasten werden weltweit nach unten umverteilt, um die Reichen zu schonen. Gleichzeitig schwimmt die Welt in Geld. Es wäre möglich, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen und globale soziale Rechte zu verwirklichen. Allein, es fehlt am politischen Willen. Das wollen wir mit der Kampagne deutlich machen und Lösungsansätze aufzeigen.
Helge Bauer (Koordinierungskreis von attac): Die Krise wirft in Europa die Frage nach einer gerechten Verteilung des Reichtums auf und zeigt Profiteure und Verlierer der aktuellen Politik. Auch in Deutschland werden die katastrophalen Auswirkungen jahrzehntelanger Umverteilung von unten nach oben sichtbar. Es war höchste Zeit, mit Forderungen an die Öffentlichkeit zu treten, die von breiten Teilen der Gesellschaft unterstützt werden. Unsere Vorschläge würden einen großen Teil der aktuellen sozialen und ökologischen Probleme beheben. Daher hat Attac auf dem Ratschlag im November 2012 die Themen Umverteilung und Krise als die Schwerpunkte der eigenen Arbeit für das Jahr 2013 benannt. Das Bündnis Umfairteilen ist ein Bestandteil dieser Arbeit.
Tim Herudek (Bundesgeschäftsstelle der LINKE): Für die LINKE ist Umfairteilen wichtig, weil es gelungen ist, eine öffentliche Debatte um mehr soziale Gerechtigkeit anzuzetteln und zu stärken. Das ist zentral, weil in gesellschaftliche Kräfteverhältnisse eingegriffen wird – wir sind ja angetreten, um diese nach links zu verschieben. Und der Wahlkampf ist nicht mehr weit. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft macht ja gerade etwas Ähnliches von der anderen Seite: eine gut finanzierte Öffentlichkeitskampagne für eine Gerechtigkeitsvorstellung, die die Oberen stärkt und im Einklang mit der Regierungspolitik steht. Unser Feld ist anders: Sozialverbände, Attac, Gewerkschaften, die LINKE u.a. – in dem vielfältig zusammengesetzten Bündnis sind Konzepte zur Stärkung der Unteren entwickelt worden. Uns ist es ein Anliegen, ein Teil – und zwar ein treibender – darin zu sein. Die Aktionen des Bündnisses haben dazu beigetragen, unsere Mitglieder und Unterstützerinnen und Unterstützer zu mobilisieren.
Gerda Schneider (Interventionistische Linke): Umfairteilen ist der Versuch, die Themen Reichen- und Vermögensteuer in den Wahlkampf einzubringen. Adressaten sind vor allem SPD und Grüne, weil die LINKE die Forderungen teilt und die Regierungskoalition dafür nicht druckempfindlich ist. Das hat bisher aber nur bedingt funktioniert. Dennoch gab es einige zeitlich gut platzierte Öffentlichkeitsaktionen, z.B. während der Veröffentlichung des umgeschriebenen Reichtums- und Armutsberichts. Es ist gelungen, das Thema immer wieder öffentlich aufzurufen und die Politik der Sozialkürzungen und Umverteilung von unten nach oben infrage zu stellen.
Nach den Blockupy-Protesten 2012 wurde bei uns über die geplante Kampagne diskutiert. Dass ein breites Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und Verbänden im Zentrum der Krise gegen die neoliberale Zurichtung in Arbeit und Leben auftritt, ist wichtig. Schließlich sind es diese Akteure, die eine emanzipatorische Umverteilung auch durchsetzen könnten. Da dies auf uns als radikale Linke nicht zutrifft, haben wir uns gegen eine Mitarbeit im Bündnis entschieden. Auch wird mit einer finanziellen Umverteilung der Kapitalismus nicht überwunden, wir orientieren hier eher auf Aneignungskämpfe. Außerdem hielten wir es nicht für richtig, eine national fokussierte Kampagne zu unterstützen.
Alex Demirovic (GOETHE-UNIVERSITÄT FRANKFURT/M): Die Umverteilungsprozesse der vergangenen dreißig Jahre müssen ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden. Dabei geht es nicht nur um Steuern oder Einkommen, sondern um die gesamte Lebensweise – also Verfügung über freie Zeit, Mobilität, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Nahrung, die regionalen Ungleichheiten in Deutschland, in Europa und global. Ein winziger Bevölkerungsteil verfügt über den globalen gesellschaftlichen Reichtum.
2 Die Zahl der TeilnehmerInnen bei den Aktionen des Bündnisses war relativ gering. Wie erklärt Ihr Euch das?
Martin Beckmann und Ralf Krämer: In Umfragen gibt es breite Zustimmung zu den Forderungen, aber tatsächlich treibt das Thema bisher nicht die Massen auf die Straße, sondern eher Aktive aus den beteiligten Organisationen. Es fehlt die drängende Betroffenheit und spontane Empörung. »Reichtum besteuern« ist sehr abstrakt, der Zusammenhang zu konkreten Problemen der Einzelnen muss erst gezeigt werden. Auch fehlt eine akut zugespitzte Entscheidungssituation. Die Sozialverbände mobilisieren nicht die Massen, das kritisch-bürgerliche Spektrum demonstriert lieber gegen Atomkraft und für gesunde Ernährung als gegen soziale Ungleichheit. Für das links-aktivistische Spektrum ist das Bündnis zu zahm. Für die Gewerkschaften ist es nur ein Thema neben anderen, die den Aktiven oft näher liegen. Und die Industriegewerkschaften enthalten sich fast völlig. Damit ist auch der DGB blockiert. Es war nicht möglich, die Verteilungsfrage zu dem zentralen gewerkschaftlichen Thema vor den Wahlen zu machen, was politisch geboten gewesen wäre. Bei den unterstützenden Parteien mobilisiert faktisch nur die LINKE, von der SPD und mit regionalen Ausnahmen auch von den Grünen ist wenig zu sehen.
Anne Jung: So gering war die Mobilisierung doch gar nicht, in vielen Städten haben etliche tausend Menschen an Demos und Aktionstagen teilgenommen. Zu einer noch größeren Mobilisierung hat es nicht gereicht, weil die Krise hierzulande gerade in der Mittelschicht noch kaum spürbar ist und die betroffenen Gesellschaftsgruppen sich von unserer Kampagne nicht angesprochen fühlen. Da gibt es Nachholbedarf für die Zeit nach der Bundestagswahl. Auch ist es bislang nicht ausreichend gelungen, soziale Bewegungen für das Thema zu begeistern.
Helge Bauer: Es sind weniger auf die Straße gegangen als erwartet. Trotzdem müssen wir uns auch nicht verstecken. Breit getragene Bündnisse haben viele Stärken, führen aber oft zu einer gewissen Unschärfe der Positionen. Dies erschwert die Mobilisierung. Auch die Darstellung des Bündnisses in Teilen der Medien war nicht gerade hilfreich: Oftmals wurde uns eine Neiddebatte unterstellt, und auch die Konsequenzen der von uns geforderten einmaligen, europaweiten Vermögensabgabe sowie der Vermögensteuer wurden verkehrt dargestellt. Es ist uns beispielsweise nicht gelungen, klar zu machen, dass wir an das Eigenheim einer Mittelstandsfamilie nicht dran wollen.
Tim Herudek: Die Kampagne war nicht ausreichend zugespitzt: Es gab eine Vielzahl von Konzepten und Forderungen, die aber zum Teil keinen klaren Adressaten hatten. Das Bündnis wirkt dadurch – und ist es auch – eher gemäßigt. Da ist es schwierig, Emotionen zu wecken und über die ›üblichen Verdächtigen‹ hinaus Leute für das Anliegen zu mobilisieren. Die Trägerorganisationen haben auch nicht wirklich Bündnispartner auf dem Feld, auf dem die Entscheidungen über Vermögensteuer u.ä. gefällt werden, nämlich dem Parlament. Das war im Bündnis gewollt, es hat Vorteile, sich parteipolitisch nicht zu engagieren, aber es hat halt auch Nachteile. Die Sozialverbände haben zwar auf dem Papier viele Mitglieder, aber die sind es nur sehr begrenzt gewohnt, auf Demonstrationen und Kundgebungen zu gehen. Für die LINKE war die Kampagne trotzdem förderlich und wir werden uns auch weiter daran beteiligen.
Gerda Schneider: Die Bündnisbreite ist beeindruckend, auch die Tatsache, dass Sozialverbände sich dort politisch äußern und beteiligen. Ich denke, dass die Sozialverbände, Gewerkschaften und die LINKE ihre Basisaktiven mobilisieren, aber darüber hinaus nur schwer überzeugen konnten, aktiv zu werden. Die Mobilisierungsschwäche wirft auch Fragen zur Strategie der Bündnisakteure auf. Möglicherweise setzen sie mit ihrer politischen Agenda nicht ausreichend an den Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Menschen an. Also lässt sich nur noch ein geringer, organisierter Teil der Zivilgesellschaft mobilisieren.
Alex Demirovic: Wegen der vielen Dimensionen von Verteilung ist das Thema komplex. Au- ßerdem liegt über Verteilungsfragen ein Tabu, das die Neoliberalen darüber errichtet haben. Stichworte: Neiddiskurs und Leistungsgerechtigkeit. Das lässt sich am Parteitag der Grünen sehen: Zu der beschlossenen Erhöhung der Einkommensteuer wurde ausdrücklich betont, es ginge dabei nicht um eine Umverteilung. Ich denke zudem, dass ein Teil der aufgeklärten politischen Liberalen und der Linken das Problem der Verteilung nur als ein Element einer umfassenderen Politik ansehen. Damit Verteilung einen wirklich relevanten Effekt hat, muss – wie John Rawls gezeigt hat – systematisch in die Eigentumsstruktur der Gesellschaft eingegriffen werden. Erst durch eine dauerhafte Installation von Umverteilungsmechanismen, die auch die Produktionsmittel selbst betreffen, kann Ungleichheit im intergenerationellen Verhältnis und zwischen den verschiedenen Regionen ausgeglichen werden. Um etwas Derartiges durchzusetzen, bedarf es größerer Anstrengungen und mehrerer Anläufe.
3 Wo lagen dennoch die Stärken?
Martin Beckmann und Ralf Krämer: Die Stärke des Bündnisses liegt in seiner Breite. Für einen Sozialverband wie den Paritätischen ist es die erste politische Bündnisaktivität überhaupt. Bei den Aktiven in den beteiligten Organisationen, die die Auswirkungen der öffentlichen und privaten Armut dort täglich zu spüren bekommen, wurde die Erkenntnis verstärkt, dass wir eine Rück-Umverteilung von oben nach unten und zugunsten des Sozialstaats brauchen. Das hat Auswirkungen auf die Diskussionen und Meinungsbildung in diesen Verbänden und auf deren öffentliche Äußerungen. Insgesamt hat die Kampagne erheblichen Einfluss auf das öffentliche Meinungsklima gehabt. Es kommt darauf an, dies fortzusetzen und den Druck auf die politischen Akteure zu verstärken.
Anne Jung: Eine Stärke ist das Bündnis aus Gewerkschaften, Stiftungen, Sozialverbänden und NGOs, die gemeinsam die Ursachen für die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums benennen. Die großen Sozialverbände sind zum ersten Mal seit langer Zeit bei einer Kampagne dabei. Auf Demos trifft man sonst oft nur die ›üblichen Verdächtigen‹ und plötzlich demonstrieren Hunderte Mitglieder von Sozialverbänden für die höhere Besteuerung der Reichen. Das Thema Umverteilen ist in der politischen Debatte angekommen. Alle Parteien fühlen sich gerade genötigt, sich dazu zu äußern; mit diesem Agenda-Setting ist ein wichtiges Kampagnenziel erreicht. Als kritische Hilfs- und Menschenrechtsorganisation bedauern wir jedoch, wie sehr das Thema weiterhin innerhalb nationalstaatlicher Grenzen verhandelt wird. Ein Blick über Europa hinaus genügt, um zu sehen, dass es immer auch um unfaire Handelsbeziehungen, den Export von GesundheitsarbeiterInnen von Süd nach Nord und um Steueroasen geht.
Helge Bauer: Es gibt eine bemerkenswerte Breite an Trägerorganisationen. Wer hätte z.B. gedacht, dass Attac und der Paritätische Wohlfahrtsverband einmal gemeinsame Forderungen entwickeln, um zu Demonstrationen aufzurufen? Durch gute Medienarbeit ist es uns gelungen, das Thema in die Öffentlichkeit und in den Wahlkampf zu tragen, sodass einiges von den Parteien aufgegriffen wurde. Aktuelle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung unsere Forderungen jetzt unterstützt. Außerdem haben wir innerhalb weniger Monate über 100 lokale Umfairteilen-Bündnisse aufgebaut, die auf kommunaler Ebene aktiv sind. Hier liegt m.E. der größte Erfolg. Ich halte das für wichtiger als die Teilnehmerzahlen. In den lokalen Bündnissen setzen sich viele Menschen meist ehrenamtlich für eine andere Verteilungspolitik ein. Und diese Menschen erleben tagtäglich, worum es in ihrer Kommune geht: ob es der fehlende Kitaplatz ist, die Schließung von Stadtteilprojekten oder Kultureinrichtungen oder der nicht mehr bezahlbare Wohnraum.
Tim Herudek: Mit der Kampagne soll der gesellschaftliche Diskurs verschoben werden, hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Dazu ist ein Anfang gemacht und das ist ein starker Anker. Ich hoffe, dass es eine Stärke ist, dass sich untergründig mehr tut, als an der Oberfläche zu sehen ist.
Gerda Schneider: Bundesweit mehrere dutzend lokaler und regionaler Bündnisse aufzubauen ist nicht leicht und ein Erfolg. Die Frage ist nun, ob die Kampage, die eher topdown funktioniert, dieses sich an der Basis entwickelnde Potenzial nutzen kann. Das hieße nämlich, den lokalen Bündnissen mehr Partizipation bei bundesweiten Entscheidungen einzuräumen und damit den Charakter von Umfairteilen eventuell zu verändern. Das könnte zu Konflikten führen. Es wird also darauf ankommen, dass sich die lokalen Bündnisse die Kampagne aneignen. Stark würde die Kampagne, wenn sich die Forderungen stärker zivilgesellschaftlich verallgemeinern würden, und mit ihnen eine Kritik am deutschen Krisenmanagement.
Alex Demirovic: Es ist doch erstaunlich, dass mittlerweile Steuererhöhungen, Mindestlohn oder eine Begrenzung von Managergehältern eine gewisse Akzeptanz genießen. Das ist wenig und die wirklich Reichen werden solche Maßnahmen kaum treffen. Aber das Thema ist gesetzt.
4 Wie seht Ihr das Verhältnis der Kampagne zu den Protesten gegen die europäische Krisenpolitik in Deutschland und in anderen EU-Ländern?
Martin Beckmann und Ralf Krämer: Es gibt zwischen den verschiedenen Kampagnen eher Synergien, da Blockupy stärker in aktivistischen sozialen Bewegungen verankert ist, das Bündnis Umfairteilen hingegen eher von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Parteien getragen wird. Bisher haben wir eher im nationalstaatlichen Rahmen und dort auch meist auf regionaler und lokaler Ebene gewirkt. Der Kongress Umverteilen.Macht. Gerechtigkeit setzte mit inhaltlichen Schwerpunkten zur europäischen Ebene und Organisationen aus der Schweiz und Österreich stärker europäische Akzente
Anne Jung: Organisationen wie medico oder Bewegungen wie attac verkörpern bereits Synergien, weil wir in der Kampagne Umfairteilen genauso engagiert sind wie bei Blockupy. Wir haben beispielsweise unsere pakistanische Projektpartnerin, die Gewerkschafterin Zehra Khan, eingeladen, über die tödlichen Folgen neoliberaler Umverteilung am Beispiel der pakistanischen Textilarbeiterinnen zu sprechen – beim Umverteilen Kongress und bei Blockupy!
Helge Bauer: Wichtig ist ein Austausch der verschiedenen Bündnisse und Akteure. Dies klappt teilweise recht gut, teilweise fehlen aber die Ressourcen, um sich effektiver zu koordinieren. Blockupy und Umfairteilen stehen im Kontakt, nicht zuletzt durch Personen, die parallel in beiden Bündnissen mitarbeiten. Beide sind wichtig, da sie unterschiedliche Teile der Bevölkerung erreichen und wir so breit getragene Proteste ermöglichen, die die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der aktuellen (Krisen-)Politik zeigen.
Tim Herudek: Die LINKE ist in verschiedenen der genannten Bündnisse und Spektren prä- sent, bei Blockupy und bei Umfairteilen sind wir ja sehr aktiv. Auch zum Generalstreik am 14. November gab es zahlreiche Solidaritätserklärungen aus der Partei. Umfairteilen und Blockupy gehören eigentlich zusammen, aber davon wollten die jeweiligen Akteure nichts wissen. Die Bewegungen stärken sich dadurch nur begrenzt gegenseitig: Umfairteilen ist politisch breit aufgestellt und kann damit, zumindest in den Debatten, gesellschaftliche Wirkung entfalten. Blockupy bleibt zu sehr im aktivistischen Milieu – dafür schafft es die notwendige Zuspitzung und damit die mediale Aufmerksamkeit. Außerdem ist Blockupy in der Lage, eine internationale Vernetzung voranzutreiben. Die LINKE wird in beiden Zusammenhängen aktiv bleiben und vielleicht gelingt es uns, eine Art Scharnier zu bilden, indem wir dazu beitragen können, Synergien zu schaffen.
Gerda Schneider: Gegen das deutsche Krisenkommando kann es in und aus der BRD nicht genug Gegenrede geben. Dennoch müsste in der Kampagne die transnationale Perspektive gestärkt werden. Sie ist zu streng auf den nationalen Rahmen beschränkt. Einen Bezug auf Fiskalpakt und die Streiks in Europa gab es bisher nicht. Solange die Kampagne in erster Linie auf die Bundestagswahlen zielt, wird das auch kaum passieren. Aus unserer Perspektive, die wir versuchen, uns auf europäischer und transnationaler Ebene zu organisieren, ist dies eher ein Rückschritt. Der Generalstreik am 14.November 2012, die Proteste gegen den Gipfel in Brüssel im März dieses Jahres sowie der Altersummit im Juni 2013 in Athen wären Gelegenheiten gewesen, deutliche Zeichen zu setzen und der Kampagne ein internationales Profil zu geben.
Alex Demirovic: Es gibt ja einen in der Sache liegenden Zusammenhang: Die Krisenpolitik dient dem Zweck, den Vermögensbesitzern ihr Vermögen zu sichern. Dafür werden die Staatshaushalte, die sozialen Sicherungssysteme, die Sparguthaben und Einkommen eines erheblichen Anteils der Menschen in Europa an jene Vermögensbesitzer verpfändet. Dabei geht es nicht um die Reichen in Griechenland, Portugal oder Spanien, diese können sich entziehen; diese Gesellschaften sind genauso wie die deutsche Gesellschaft tief gespalten. Die Diskussion über Umfairteilung ist also ein notwendiger Beitrag zur Bewältigung der Krise in Europa.
Wir müssen ja selbstkritisch feststellen, dass wir trotz eines umfassenden Wissens und vieler richtiger Argumente noch nicht zur wirklichen Protestmobilisierung der Menschen haben beitragen können. Insofern ist es ein weiterer Versuch, Überzeugungsarbeit dafür zu leisten, endlich den Bruch mit denjenigen zu vollziehen, die zwar eine Lösung der Krise versprechen, aber letztlich nur an den Erhalt und die Vergrößerung ihres Reichtums denken.
5 Wie könnte und sollte es weitergehen?
Martin Beckmann und Ralf Krämer: Die Unterschriftenkampagne für den Aufruf des Bündnisses läuft weiter. Bisher haben über 100000 Menschen unterzeichnet. Am 14. September, also direkt vor der Bundestagswahl, wird ein weiterer Aktionstag stattfinden, mit mindestens einer großen Demonstration in Bochum und Berlin.
Anne Jung: Nach der Bundestagswahl wird es hierzulande darum gehen, die Parteien an ihre vollmundigen Wahlversprechen zu erinnern. medico wird gemeinsam mit Partnerorganisationen aus vielen Ländern des Südens weiter um gerechte Verteilung kämpfen, das reicht von der Forderung nach solidarischer Finanzierung von Gesundheitsdiensten, über die nach bindenden Maßnahmen gegen Schattenfinanzplätze bis zur Unterstützung von gewerkschaftlichen Kämpfen um das Recht auf Organisierung in Pakistan und anderswo. Wenn es gelänge, diese Kämpfe besser zu bündeln, wäre viel gewonnen.
Helge Bauer: Das Bündnis Umfairteilen plant weitere Aktionen in den nächsten Monaten und will damit Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen kritisch begleiten. Wichtig ist es aus meiner Sicht, die Vernetzung mit anderen Bündnissen (auch auf internationaler Ebene) und die kommunale Arbeit der lokalen Bündnisse zu stärken.
Tim Herudek: Bis zur Bundestagswahl wird es noch einige Aktionen geben, sowohl aus den beiden genannten Bündnissen als auch innerhalb der Gewerkschaften. Gerade ver. di hat ja momentan zwei große Fronten: die Kampagne »Der Druck muss raus«, in der es um die Situation der überlasteten Pflegekräfte in Krankenhäusern geht. Und im Einzelhandel, wo die Arbeitgeber aus den Flächentarifverträgen aussteigen wollen. Die Verbindung mit gewerkschaftlichen Aktivitäten ist für beide Bündnisse gut. Und die Aktionen betreffen Kernpunkte der Politik der LINKEN. Da werden wir vor Ort mit solidarischen Aktionen dabei sein. Außerdem wird es weitere Blockupy-Aktionen im Sommer 2014 geben, wenn der EZB-Tower eröffnet werden soll. Zu wünschen ist, dass wir hier einen neuen Start einer europäischen Widerstandsbewegung erleben. Ähnlich der No-Global-Bewegung von 1999 bis 2007. Umfairteilen will im September zu weiteren Kundgebungen aufrufen, aber da wird es sicher notwendig sein, über das bisherige Konzept hinauszugehen.
Alex Demirovic: Fragen der Vermögensverteilung, des Lebens der Reichen und der Besteuerung weiter zu politisieren, erscheint mir zentral. Die Bundestagswahl kann dafür Aufmerksamkeit schaffen. Statt in der Krise Zwangsanleihen oder Vermögensabgaben, Steuern von 75 Prozent für hohe Einkommen einzuführen, wurden vermeintliche Sachzwänge geschaffen, die rechtfertigen, dass soziale und kulturelle Infrastrukturen, Bildungsinstitutionen oder Gesundheitsvorsorge abgebaut und der Staat autoritär gestärkt wird. Wir brauchen neue Protestformen. In Spanien ziehen die Demonstranten in die Stadtviertel der Politiker und Reichen – dies löst Empörung aus, trifft also einen Nervenpunkt. Es wäre aber auch zu überlegen, politisch verstärkt an die Benachteiligten heranzutreten, also neue Formen des Organizing auszuprobieren.
Es fragten Barbara Fried und Thomas Sablowski.