TRUST. Auszüge

Von Falk Richter ich kann doch nicht immer, wenn ich wütend bin und mir was nicht passt, ein che-guevara-t-shirt kaufen und damit die straße auf und ab laufen. das reicht nicht mehr, um meine ziele durchzusetzen […] was beruhigt uns denn hier alle so, warum sind wir denn immer so unendlich... beruhigt, er stellt sich ans fenster, kinderschreie, das geld muss weg, das soll nicht mehr wachsen oder heimlich für mich arbeiten, das soll jetzt endlich mal EINGETAUSCHT werden gegen LEBEN […]
von Frank Deppe In den frühen 1990er Jahren triumphierten die Marktwirtschaft (und das System der individuellen Freiheit) des Westens über das System der Staatswirtschaft (und des Kollektivismus) des Ostens. Francis Fukuyama schrieb, das »Jahrhundert, das voller Vertrauen auf die westlichen liberalen Demokratien begann, ist an seinem Ende [...] wieder zu seinen Anfängen zurückgekehrt: nicht zu einem ›Ende der Ideologien‹ oder einer Konvergenz von Kapitalismus und Sozialismus, wie man geglaubt hatte, sondern zu einem klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus« (1990, 3).

[caption id="attachment_326" align="alignright" width="300" caption="Foto: Dang Ngo"][/caption] Close to the anniverary of the spectacular 30 November 1999 protest against the World Trade Organization in Seattle we received the manifesto by Franco "Bifo" Berardi, Italian activist and intellectual, "Ten years after Seattle. One strategy, better two, for the movement against war and capitalism". Seattle was a welcome surprise for its militant, broad based protests and rebellion. Another treaty privileging the North failed; the movements suceeded in scandalizing the economic and social consequences of neoliberal globalization. Since then ‚Seattle’ stands in as a symbol of the powerful re-vitalization of global struggles against capitalist globalization. Today – ten years later – Beradi positions himself radically against this narrative of success. Sure, he also regards ‚Seattle’ as a successful rebellion against the promises of neoliberalism. However, according to Berardi, social movements in general have not changed much about global capitalism, to the contrary, global wars and and militant fundamentalisms have proliferated.

by Franco "Bifo" Berardi We have to be prepared to the prospect of a long period of monastic withdrawal, but also to the prospect of a sudden reversal of the global political landscape. A moral rebellion began in Seattle in November 1999: after the act of disruption of the WTO summit millions of people all over the world declared that capitalist globalization causes social and environmental devastation. For two years the global movement produced an effective process of critique of neoliberal policies, giving way to the hope of a radical change.

by Ulrich Brand I agree with Bifo Beradi’s assumption that we find ourselves in a condition of global war, and that the emancipatory global social movements, the world-wide anti-war demonstrations on February 15 2003 notwithstanding, are unable to do much about it. I also share the diagnosis that the movements in Western Europe have achieved little in terms of alternative forms of sociality, as can be seen by the political responses to the current crisis which have barely been able to intervene into the neoliberal relations of forces. If we look at developments in Latin America, however, this is not the case. In contrast to Beradi, I do not believe the condition of war to be dominant in all societies. An attempt to advance an emancipatory politics in Baghdad, for example, takes place in different conditions than it would in La Paz, or Vienna.

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Zehn Jahre nach Seattle: Rückzug in sichere Häfen

Wir sehen einer langen Periode mönchhaften Rückzugs entgegen und müssen zugleich mit der Möglichkeit einer plötzlichen Verschiebung der globalen politischen Landschaft rechnen. Im November 1999 begann eine politische-ethische Rebellion: der Protest unterschiedlicher Gruppen aus aller Welt gegen die Folgen kapitalistischer Globalisierung, sozialer und ökologischer Zerstörung kristallisierte sich an diesem Ort des WTO-Gipfels. In den folgenden zwei Jahren entwickelte eine globale Bewegung eine effektive Kritik neoliberaler Politiken und machte Hoffnung auf einen radikalen Wandel. Dann, nach dem G8-Gipfel in Genua, bricht die Erzählung um –  Krieg rückte in den Vordergrund.

Von Seattle nach Kopenhagen - Herausforderungen der globalen sozialen Bewegungen

von LuXemburg
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Seattle, 30.11.1999. Foto: Dang Ngo
Pünktlich zum Jahrestag des berühmten WTO Treffens in Seattle vom 30. November 1999 erhielt die Redaktion ein Manifest von Franco "Bifo" Berardi, italienischer Aktivist und Intellektueller seit den frühen siebziger Jahren, mit dem Titel Ten years after Seattle. One strategy, better two, for the movement against war and capitalism. ‚Seattle’ überraschte damals mit breiten militanten Protesten gegen das WTO Treffen. Es gelang, ein weiteres Abkommen zu ungunsten des Globalen Südens zu verhindern und die ökonomischen und ökologischen Folgen der neoliberalen Globalisierung zu skandalisieren. ‚Seattle’ symbolisiert seitdem gewissermaßen den kraftvollen Neubeginn der Kämpfe gegen kapitalistische Globalisierung. Zehn Jahre später, bezieht Berardi radikal Stellung gegen diese Erfolgserzählung.

Monasteries or mobilization? Seattle and the case for action

By Ian Greer On November 30, 1999 around 50,000 protesters filled the streets of downtown Seattle to protest the ministerial meeting of the World Trade Organization.  At least half were trade unionists from around Western US and Canada protesting free trade and the threat it posed to jobs and worker rights.  Also present were representatives of hundreds of NGOs from around the world, and thousands of local environmentalists, feminists, anarchists, socialists, students, academics, and activists from various racial, ethnic, and religious groups.  ‘Seattle’ became an icon and inspired several large demonstrations against corporate globalization around the world.

by Patrick Bond The decade since Seattle should have taught civil society activists and African leaders two powerful lessons. First, working together, they have the power to disrupt a system of global governance that meets the Global North’s short-term interests against the Global South, and against the long-term interests – and survival - of the people and planet. Second, by disrupting global governance, major concessions can be won.

von Ian Greer Während selbstverständlich Verbündete nicht immer einer Meinung sind, zeigt die Geschichte von Seattle, dass Koalitionen zwischen Leuten, die auf jede Weise anders gesinnt sind, sich dennoch als sehr produktiv erweisen können. Diese neuen Konzepte, die soziale und ökologische Ziele miteinander verbinden, können sich jedoch nicht getrennt von der wirklichen Politik entwickeln.
von Patrick Bond Das ist der zentrale Punkt, den wir aus Seattle lernen sollten: Verhandlungen zu verlassen – zusammen mit Gruppen der Zivilgesellschaft – und damit schlechte Abkommen zu verhindern. Zwei wichtige Dinge sollten Regierungschefs wie auch Aktivisten und Aktivistinnen afrikanischer Zivilgesellschaften aus den zehn Jahren seit Seattle gelernt haben: Wenn sie zusammenarbeiten können sie das System der Global Governance zu sprengen, ihm wesentliche Zugeständnisse abringen. Einem System das auf die kurzfristigen Interessen des Globalen Nordens aus- und gegen die langfristigen (Überlebens-) Interessen des Globalen Südens gerichtet ist.

Nicola Bullard:There’s no redemption in a monastery

by Nicola Bullard It is so interesting to look back at the issue of Focus on Trade that we published just after the collapse of the WTO talks in Seattle in early December 1999. (In case you are interested, it’s number 42.) In the lead article by Walden Bello, what is striking is not the triumphant heralding of the arrival of the anti-globalisation movement, but a rather tame recounting of the collapse of the talks over issues of transparency, attempts to introduce environment and labour standards, and a disgruntled African delegation.

Die Klöster der Militanten

von Thomas Seibert Jede/r kennt das: man liest einen Text, stimmt fast jedem Satz zu und weiß trotzdem schon kurz danach nicht mehr, worum es eigentlich ging. Es gibt Autor/innen, deren ganze Produktion aus solchen Texten besteht. Bifo gehört nicht zu ihnen, das zeigt sich auch in Zehn Jahre nach Seattle. Dem widerspricht nicht, dass ich seinen »Punkt« so nicht teile. Nein, unsere Situation lässt sich nicht mit der des europäischen Mittelalters vergleichen. Nein, das Empire versinkt nicht im Chaos – und das, obwohl die Phänomene, die Bifo anführt, wirklich vorliegen.

Editorial: Umkämpfte Demokratie. Luxemburg 2/2009

Die Bundesrepublik hat seit Anfang November eine schwarz-gelbe Regierung. Angela Merkel hat noch am Wahlabend den Anspruch erhoben, die Kanzlerin aller´Deutschen zu sein. Dies galt als eine Zurückweisung besonders radikaler Ansprücheder Liberalen. Nun wird das Projekt, das die drei bürgerlichen Parteien schon 2005 angekündigt hatten und das ihnen eine Niederlage einbrachte, in einer gemäßigten Weise verfolgt. Merkel hat »verstanden«, Westerwelle eher nicht. Die FDP will ihrer Kernwählerschaft ein enormes Steuergeschenk machen – ausdrücklich um den Preis der weiteren öffentlichen Verschuldung. Eingeführt werden soll die Kopfpauschale, die Krankenkassen sollen in den Wettbewerb um Beiträge und Leistungen eintreten können. Der Mieterschutz soll geschwächt, Nachtarbeitsund Wochenendzuschläge sollen abgeschafft werden. Die Solarenergie soll nicht weiter gefördert werden, die Nuklearenergie wird begünstigt. Die Bundeswehr ird kriegerischer.
Die Wählerinnen und Wähler haben am 27. September 2009 die bundesdeutsche Parteienlandschaft verändert. Erstmals seit 1994 verfügen Union und FDP wieder über eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Die ›strukturelle Mehrheit‹ der Parteien ›links der Mitte‹, also die Summe der Abgeordneten von SPD, Grünen und PDS bzw. die Partei Die Linke, existiert nun auch rechnerisch nicht mehr. Ob dieser politische Umbruch nachhaltig über mehrere Wahlperioden wirkt oder bereits 2013 umkehrbar ist, hängt vom weiteren Verlauf der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, dem Agieren der Parteien und – von denjenigen Wahlberechtigten ab, die 2009 ins Lager der Nichtwähler gewechselt sind.
Wir stehen erneut einer systemischen Krise gegenüber. Eine der Folgen der Krise von 1870 bis 1896 war das Aufkommen des ersten Volksund Arbeiteraufstands, der Pariser Kommune. Die Krise von 1929 bis 1945 zog vielfältige gesellschaftliche Auseinandersetzungen nach sich und wurde erst durch den Zweiten Weltkrieg gelöst. Wenn wir uns nun wieder in einer systemischen Krise befinden, wird diese lang anhalten – fünf bis zehn Jahre schätzt der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz – und erhebliche Konsequenzen zeitigen, bevor der Kapitalismus sich erneuert und ein neuer langer Akkumulationszyklus möglich wird.
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OHNE MUßE NUR STILLSTAND

Die aristotelische Politik ist die erste systematische Reflexion auf politische Verhältnisse und definiert den Menschen als politisches, staatenbildendes Lebewesen. Diese Eigenschaft teilt er mit Bienen, Ameisen und Kranichen – zum Beispiel – und unterscheidet sich damit von den unpolitischen Lebewesen. Aus der Gruppe der staatenbildenden Geschöpfe ragt der Mensch dadurch heraus, dass er, wie es heißt, ›in einem höheren Maße politisch ist‹. Dieser Umstand verdankt sich seiner Sprachbegabung.
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DEM GESPENST MIT AUF DEN WEG GEGEBEN

»Das Gespenst eines neuen, schlagkräftigen Parteiprojekts links von SPD und Grünen ist aufgewacht und geht um. […] Der politische Wert der Linken bemisst sich daran, ob sie dem Gespenst den Weg bereitet. Für die Herausbildung eines politischen Projekts, das es endlich mit der großen Koalition des gesellschaftlichen Ausverkaufs aufnehmen kann« (Rilling/Spehr 2005, 1) – so schrieben Rainer Rilling und Christopf Spehr in ihrem Text »Guten Morgen, Gespenst!« im Jahr 2005, als die ersten Verhandlungen zwischen PDS und WASG zur Gründung einer neuen Partei anliefen.
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DIE KLÖSTER DER MILITANTEN

Jede/r kennt das: man liest einen Text, stimmt fast jedem Satz zu und weiß trotzdem schon kurz danach nicht mehr, worum es eigentlich ging. Es gibt Autor/innen, deren ganze Produktion aus solchen Texten besteht. Bifo gehört nicht zu ihnen, das zeigt sich auch in Zehn Jahre nach Seattle. Dem widerspricht nicht, dass ich seinen »Punkt« so nicht teile. Nein, unsere Situation lässt sich nicht mit der des europäischen Mittelalters vergleichen. Nein, das Empire versinkt nicht im Chaos – und das, obwohl die Phänomene, die Bifo anführt, wirklich vorliegen. Ja, imperiale Herrschaft wird systematisch militarisiert und mafiotisiert.

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