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Der rote Faden

Ein Gespräch zum 70. Geburtstag 

 

Gespräch mit Alex Demirović
Die alten Griechen hatten zwei Wörter für Zeit: kronos und kairos. Mit Ersterem war ereignislose, linear voranschreitende Zeit gemeint. Das Letztere bezeichnete die momentane Qualität, welche Zeit manchmal haben kann: Das Tempo, in dem eine Geschichte am besten erzählt wird, wann die Zuhörenden auf die Folter gespannt werden sollten, und der Augenblick, in dem die Pointe mit dem größten Effekt auszuspielen ist. Es kennzeichnet ein schmales Zeitfenster, das sich schließen kann, bevor wir uns gewahr werden, dass es vergangen ist – vielleicht für immer.

Der Papst, der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, Madonna und viele andere sind sich einig: Wir sitzen in der „Coronakrise“ alle in einem Boot. Aber wie heißt es so schön: Die einen rudern und die anderen steuern. Schauen wir uns die deutsche Politik in dieser Krise unter dem Blickwinkel an, wie sie sich auf die verschiedenen sozialen Klassen auswirkt.

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Labours Geheimwaffe - Nachbarschaften organisieren

Während sich der Ausstieg Großbritanniens aus der EU abzeichnet, überwinden Organisierungprojekte auf der Ebene lokaler Communities gesellschaftliche Spaltungslinien und geben der britischen Labour-Partei einen neuen Fokus. Boris Johnson und seine Berater*innen wollen, dass sich die nächsten Wahlen einzig und allein um den Brexit drehen. Aber jeder weiß, dass die  brennenden Probleme in Großbritannien woanders liegen, von unterfinanzierten Krankenhäusern bis zu skandalöser Ungleichheit.
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Geburtstag der Gelbwesten - Rückblick auf ein Jahr des Protests in Frankreich

In den Medien ist es still geworden um die Gelbwestenbewegung. Ist etwa wieder innenpolitische Ruhe eingekehrt, und kann Staatspräsident Emmanuel Macron  nun seinen wirtschaftsliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft ungehindert fortsetzen? So einfach ist es nicht. Die Gelbwesten bereiten sich auf ihren nächsten großen Aktionstag vor. Vor einem Jahr, am 17. November 2018, begannen sie auf den Straßen Frankreichs Präsenz zu zeigen. Nach anfänglicher Duldung der Aktionen durch die französische Regierung begann bald eine Repression gegen die Bewegung, die ihresgleichen sucht. Doch trotz der Opfer und der Gängelung durch den Staatsapparat kämpft ein harter Kern der Gelbwesten weiter.
Wann immer in Deutschland von französischen Banlieues die Rede ist, stehen die Themen Kriminalität und Gewalt im Vordergrund. Auch in der Linken haben sich bestimmte Eindrücke festgesetzt: einerseits von rebellischen Jugendlichen, mehrheitlich mit Migrationshintergrund, die jeden Anlass dafür nutzen, mit ›disruptiven Mitteln‹ ihrer Gegnerschaft zum bestehenden System Ausdruck zu verleihen; andererseits eine deklassierte Arbeiterklasse, meist ohne Migrationshintergrund, die sich schon seit Langem von der Politik abgewendet hat und – wenn sie sich überhaupt zu Wort meldet – mit dem Front National sympathisiert und sich an dessen Versprechungen klammert.
Der überwältigende Sieg des ›Neins‹ beim Verfassungsreferendum am 4. Dezember (59,11 Prozent zu 40,89 Prozent) hat endlich den Sumpf, in dem die italienische Politik seit einiger Zeit stecken geblieben war, in einen reißenden Strom verwandelt, der rasend schnell auf einen Abgrund zufließt: Den Abgrund der kommenden Parlamentswahlen. Das gesamte politische System Italiens befindet sich in einer Krise, und diese Krise des politischen Systems ist die direkte Folge der Krise des gesellschaftlichen Systems.
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Die Erneuerung der sozialistischen Linken in Slowenien

Am 11. Mai 2013 entstand in Slowenien die »Initiative für einen demokratischen Sozialismus«. Ein knappes Jahr später gründete sie sich als Partei, um bei den Wahlen zum Europaparlament antreten zu können. Im Rahmen eines Parteienbündnisses Vereinigte Linke landete sie – zusammen mit zwei anderen linken Parteien – aus dem Stand bei 5,5 Prozent. Das reichte zwar nicht, um einen Sitz im Europäischen Parlament zu erhalten, wurde aber angesichts der begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen und wegen einer geringen Wahlbeteiligung von nur 24 Prozent als hervorragendes Ergebnis gewertet. Ein ähnlicher Erfolg konnte bei den nationalen Parlamentswahlen im Juli 2014 wiederholt werden: Die Initiative kam auf 5,9 Prozent und verfügt damit über 6 Sitze im slowenischen Parlament. Über die Hintergründe und Perspektiven des Erneuerungsprozesses einer sozialistischen Linken in Slowenien sprachen wir mit Kira Cerjak, Mario Vladić und Aljoša Slameršak. Alle drei engagieren sich in der neuen Partei.
Man kann heute einem amerikanischen Politiker nichts Schlimmeres nachsagen, als ein »Redistributionist« zu sein. Und doch steht das Jahr 2013 für eine der größten Umverteilungen in der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten. Es war eine Umverteilung von unten nach oben, von den arbeitenden Menschen hin zu denen, die Amerika besitzen. Die Aktienkurse befanden sich Ende 2013 auf einem Allzeithoch – was den Anlegern den höchsten Jahresgewinn seit fast zwei Jahrzehnten bescherte. Die meisten Amerikaner hatten allerdings nichts davon, weil sie keine Rücklagen bilden konnten, um ihr Geld anzulegen. Mehr als zwei Drittel der US-BürgerInnen hangeln sich von Zahltag zu Zahltag.
»Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen und die erste und die zweite Hypothek« wollte Robert Steidl es im Kölner Karneval 1922 von den Gassenwänden widerhallen hören. Damit hatte er den Jahrhundertschlager komponiert Von Kurt Tucholsky wurden wir in seiner Analyse glücklicherweise darüber aufgeklärt, dass »die Hypothek selbst ja eine Schuld ist, die man unmöglich vertrinken kann – meint er doch wahrscheinlich die für die eingetragene Hypothek als Darlehn gegebene Summe, die der Schuldner oder die Schuldnerin in leichtfertiger Weise verbraucht.« (Panter 1922, 623)
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Veränderungen der Klassenstruktur im Digitalen Zeitalter

Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Kapital hochgradig konzentriert ist und die Warenproduktion von Unternehmen betrieben wird, deren Geschicke zum großen Teil von Finanzinvestoren gelenkt werden. Die von ihnen produzierten materiellen oder immateriellen Waren werden über komplexe Wertschöpfungsketten auf einem globalen Markt angeboten, in die zunehmend auch unsere unbezahlte Arbeit als Konsumenten einfließt. Informations- und Kommunikationstechnologien haben die räumliche und zeitliche Teilung der Arbeit so stark verändert, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben für viele von uns unentwirrbar vermengt sind. Sollten wir nicht einfach akzeptieren, dass wir in dieser oder jener Weise allesamt Teil einer gewaltigen undifferenzierten Arbeitskraft sind, die undifferenzierten Wert für ein undifferenziertes Kapital produziert?

What is ‘Socialist’ about ‘Green Socialism’?

by Mario Candeias „Another grand, left-wing concept with an adjective… Shouldn’t we rather work on concrete social-ecological projects – on initiatives for conversion, a process of ‘energy transition’, or free public transport?” Undoubtedly, many problems of the left have resulted from its tendency to create grand utopias and attempt to bring social reality in line with them. Transformation starts with concrete entry projects, but where does this road go to? What is the common ground, the common direction of manifold initiatives? Ultimately, we need an antidote to pragmatism – American activists call it a “vision”.

»Die Schweiz ist eine friedliche, prosperierende und stabile moderne Marktwirtschaft mit tiefer Arbeitslosigkeit, hoch qualifizierten Arbeitskräften und einem der größten Pro-KopfBruttoinlandsprodukte weltweit.« So stellt das Online-Factbook des US-amerikanischen Geheimdienstes die Schweiz vor (CIA 2010). Und die Weltbank hält die Schweiz sogar für das reichste Land der Welt, wenn der hohe Bildungsstand und die relativ gut erhaltene Umwelt mit berücksichtigt werden. Doch der Reichtum ist einseitig verteilt.
Von Mai bis Juli 2010 gab es in China mehrere Streikwellen, besonders im Automobilsektor. Hintergrund ist die seit 15 Jahren andauernde relative Abnahme der Löhne im Verhältnis zum Brutto-Inlandsprodukt. In den vergangenen zehn Jahren hat es vor allem in Südchina eine ganze Reihe spontaner Streiks gegeben. Nur selten wird über sie berichtet, so dass sie nicht in den Statistiken auftauchen. Im Jahr 2000 wurden in China 2 Millionen Autos hergestellt, 2009 waren es bereits 14 Millionen: eine gewaltige Expansion. Doch die Löhne steigen nur sehr langsam, die Arbeiter verdienen kaum ein Zehntel dessen, was amerikanische Arbeiter verdienen.

Moderner Sozialismus als Evolutionstheorie

von Rainer Land Vor 20 Jahren erschien in Berlin (West) das »Umbaupapier«.1 Auf Grundlage des Konzepts des »Modernen Sozialismus« aus den 1980er Jahren entwarf es strategische Auswege aus der Krise des Staatssozialismus. Die Umstände, die Wirkung, das politische Konzept und auch das Scheitern des Modernen Sozialismus sind bereits ausführlich dargestellt worden (vgl. Brie 1993; Crome u.a. 1999; Kirschner 2000; Segert 2008; Land 1999; 2010). Hier werden theoretische Konsequenzen diskutiert, weiterentwickelt und die Frage nach der Bedeutung für die gesellschaftsstrategische Debatte der Linken gestellt.
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RECHT AUF STADT – NEUE KLASSENPOLITIK?

Die letzten 40 Jahre, vor allem der Siegeszug des Neoliberalismus, haben in den USA zu einer veränderten Zusammensetzung der Arbeiterklasse geführt. Die Gruppen, die das Bündnis für das Recht auf Stadt bilden, sind politischer Ausdruck dieser veränderten Zusammensetzung bzw. eine politische Antwort darauf. In ihnen kommen die urbanen Armen zusammen, die in diesen gesellschaftlichen Veränderungen produziert worden sind:
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BASEBALL UND DIE SCHWARZE ARBEITERKLASSE IN DEN USA

Die Veränderungen der Lage der schwarzen Arbeiterklasse in den USA während der letzten 60 bis 70 Jahre entsprechen den gleichzeitigen Entwicklungen im US-Baseball. Auch Baseball kann als Industrie betrachtet werden. Neben der Major League, den beiden nordamerikanischen Profiligen, in denen bis 1947 nur Weiße spielten, gab es bis in die 1950er Jahre die schwarzen Negro Leagues, die zwar untergeordnet, aber dennoch bedeutend waren. 1947 setzte im Baseball ein Prozess der Desegregation ein: Jackie Robinson von den Brooklyn Dodgers war der erste schwarze Major-League-Spieler, ihm folgten bald weitere herausragende schwarze Spieler in anderen Mannschaften.
Cover 2-2010»Alles wird gut«: Machtlose und Mächtige versuchen sich an neuen Texten, Horizonten und neuer Emphase: Guter Kapitalismus, guter Unternehmer, gute Arbeit, gute Gesundheit, gutes Leben. Mit dem Bezug aufs »Gute« verbinden sich Kampfperspektiven und Lebensansprüche ­­­­­– doch oftmals brechen die Konzepte Kämpfen und Forderungen die kapitalismuskritische Spitze ab.
Gegen die Perspektive eines linken Gesellschaftsprojektes, das einen Bruch mit dem Kapitalismus einschließt, werden drei grundlegende Argumente angeführt. 1 | Gesellschaftliche Brüche münden in Terror und Diktaturen, weil sie nicht nur die bestehende, sondern Ordnung an sich auflösen. Zivilisatorische Schranken werden niedergerissen, archaische Triebkräfte setzen eine Spirale der Vernichtung in Gang. Revolutionen fressen ihre Kinder. Tatsächlich entsprechen Revolutionen kritischen Schwellen, in denen (auch) unkontrollierbare Dynamiken freigesetzt werden. Allerdings »ereignen« sich Revolutionen ebenso sehr, wie sie »gemacht« werden. Sie sind Ausdruck tief liegender gesellschaftlicher Veränderungen und des Willens, herrschende Verhältnisse umzustürzen.
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MODERNER SOZIALISMUS ALS EVOLUTIONSTHEORIE

Vor 20 Jahren erschien in Berlin (West) das »Umbaupapier«.1 Auf Grundlage des Konzepts des »Modernen Sozialismus« aus den 1980er Jahren entwarf es strategische Auswege aus der Krise des Staatssozialismus. Die Umstände, die Wirkung, das politische Konzept und auch das Scheitern des Modernen Sozialismus sind bereits ausführlich dargestellt worden (vgl. Brie 1993; Crome u.a. 1999; Kirschner 2000; Segert 2008; Land 1999; 2010). Hier werden theoretische Konsequenzen diskutiert, weiterentwickelt und die Frage nach der Bedeutung für die gesellschaftsstrategische Debatte der Linken gestellt.
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KURT EISNER – REVOLUTIONÄR DES ALLTAGS

Am 14. Oktober 1918 wird Kurt Eisner aus dem Gefängnis München-Stadelheim entlassen. Inhaftiert war er wegen seiner führenden Beteiligung am großen Streik der Münchener Arbeiter im Januar 1918. Dreieinhalb Wochen nach seiner Entlassung ist er bayerischer Ministerpräsident. Er bleibt es bis zum 21. Februar 1919, als er vom rechtsnationalen Grafen Arco auf Valley ermordet wird. Kurt Eisner wurde im Herbst 1918 zum Anführer der revolutionären Bewegung, vor allem weil die bayerische Sozialdemokratie nichts gegen die Monarchie, gegen die Kriegstreiber und -profiteure unternehmen will. Der Gegenspieler Eisners als USPD-Kandidat ist der SPD-Landtagsabgeordnete Erhard Auer.